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Full text of "Die Lehre von der vokalen Ornamentik"

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BBIGHAM  YOUNG  UNIVER&lT> 

PROVO. UTAH 


Digitized  by  the  Internet  Archive 
in  2012  with  funding  from 
Brigham  Young  University 


http://archive.org/details/dielehrevondervo01gold 


JL  ' 


Die  Lehre 


von  der  vokalen  Ornamentik 


Erster  Band: 


Das  17.  und  18.  Jahrhundert 
bis  in  die  Zeit  Glucks 


von 


Hugo  Goldschmidt. 


Charlottenburg 

Verlag  von   Paul  Lehsten 
1907. 


Alle  Rechte,  insbesondere  das  der  Übersetzung,   vorbehalten 


THE  LIBRARY 

BEIGF  A  M  YO  UNIVERSITB 

PROVO,  UTAH 


Seiner  Königlichen  Hoheit 


dem  Grossherzog  von  Hessen  und  bei  Rhein 


ERNST  LUDWIG 


dem  hohen  Protektor  der  Kaiserin  Friedrich-  Stiftung  zu  Mainz 


in  tiefster  Erfurcht  zugeeignet. 


Inhaltsangabe. 


Seite 

Vorwort 1 

Einführung 5 

Erster  Teil:    Die   geschichtliche  Entwicklung  des  Verzierungswesens 
bis  zum  Erscheinen  von  Tosis  „Opinioni  de  cantori  antichi  e 
moderni,  <>  sieno  osseroazioni  sopra  ü  canto  figurato",  1723. 
Kapitel      I:    Die  melodische  Verzierungskunst  der  Italiener     .  9 

Kapitel    II:    Die  französische  Theorie  und  Praxis 59 

Kapitel  III:    Die  deutsche  Theorie  und  Praxis 79 

Zweiter  Teil:    Die    Ornamentik    des   18.  Jahrhunderts    seit    dem    Er- 
scheinen von  Tosis  opinioni  von   1723. 

Kapitel      I:    Die  deutsche  Theorie 95 

Kapitel     II:    G.  F.  Händel,  Die  Oratorien  Samson  und  Josua     153 

Kapitel  III:   J.,  S.  Bach,  Die  Passionsmusiken .180 

Kapitel  IV:    Oh.  W.  Gluck,    Orfeo,   Ipbigenie  en   Aulide    .     .     206 
Nachtrag:   Würdigung  der  in  der  Lennard-Sammlung  des  Fitzwilliam- 
Museums  zu  Cambridge  enthaltenen  Aussetzungen  Händel- 

scher  Einzelgesänge 223 

Anhang. 


Vorwort. 

Die  Kunst  der  musikalischen  Reproduktion  verfolgte  nicht  immer  die 
gleichen  Ziele.  Das  18.  Jahrhundert  ging  davon  aus,  daß  es  ihre 
Aufgabe  sei,  das  Objekt  in  ein  möglichst  günstiges  Licht  zu  setzen, 
und  es  der  Psyche  des  ästhetisch  empfindenden  Subjekts  in  höchster  Wirk- 
samkeit zuzuführen.  Dabei  kam  ihr  das  Verhalten  des  Produzierenden  ent- 
gegen, der  auf  ihre  Mittätigkeit  geradezu  rechnete,  nicht  allein  hinsichtlich 
des  Vortrages,  sondern  auch  in  der  Aussetzung  und  Ergänzung  des  vokalen 
und  instrumentalen  Partes,  nicht  etwa  nur  im  Sinne  einer  bravourösen 
Behandlung  der  Einzelstimme  und  des  konzertierenden  Instrumentes, 
sondern  vorzüglich  um  die  angesprochenen  Affekte  zu  höherer  Eindring- 
lichkeit zu  steigern.  Als  im  beginnenden  19.  Jahrhundert  das  musikalische 
Schaffen  mit  dem  Fortschritte  der  technischen  Mittel  und  dem  Ausbau 
der  Formen  die  Grenzen  ihrer  Betätigung  weiter  steckte,  als  sie  dazu 
überging,  immer  feinere,  kompliziertere  Empfindungskomplexe  auszulösen, 
mußte  sich  das  Verhältnis  zwischen  schaffender  und  ausübender  Kunst 
verändern.  Der  Komponist  beanspruchte  nun  eine  seinen  Intentionen  ge- 
näherte Wiedergabe,  die  auch  den  intimeren  Empfindungsgehalt  seiner 
Arbeit  klar  legte,  und  gewährte  dem  Nachschaffenden  nur  eben  so  viel 
Freiheit,  als  die  Unzulänglichkeit  unserer  Noten-  und  musikalischen  Zeichen- 
schrift bedingte.  Nun  verblieb  ihm  allerdings  auch  innerhalb  dieser  Grenzen, 
also  hinsichtlich  des  Vortrags,  noch  die  Möglichkeit  subjektiven  Erfassens, 
um  sein  Erleben  des  Kunstwerks  zur  Geltung  zu  bringen.  Aber  die 
objektive  Betrachtung  überwog  nun  in  so  hohem  Grade,  daß  es  bis  in 
die  neuste  Zeit  als  ästhetisches  Grundprinzip,  als  Norm  jeder  produktiven 
Kunst  galt,  sie  habe  sich  damit  zu  bescheiden,  ausschließlich  das,  was 
und  wie  es  der  Komponist  erdacht  hatte,  in  Töne  umzusetzen.  Daß  sich 
starke  Individualitäten  auch  unter  der  Herrschaft  dieser  ästhetischen  An- 
schauungen durchzusetzen  wußten,  beruhte  auf  der  Intensität  des  sub- 
jektiven Anschauens,  nicht  auf  ihrer  bewußten  Geltendmachung.  Wo 
sich  das  subjektive  künstlerische  Empfinden  mit  dem  Geiste  des  Kunst- 
werks, richtiger  mit  den  seelischen  Vorgängen  in  seinem  Schöpfer  deckte, 
oder  doch  nahe  berührte,  da  entstanden  reproduktive  Leistungen,  die  als 
klassische   bezeichnet    werden,    und    wie    sie    etwa    in   J.  Stockhausen  als 

Goldschmidt,   Geschichte  der  ital.  Oper.  1 


2  Vorwort. 

Schubert-  und  Brahms-  Interpret,  in  J.  Joachim  als  Ausführer  Mozart-, 
Beethoven-  und  Brahmsscher  Werke  in  Erscheinung  traten.  Die  neuere 
Entwicklung  nun  ist  wiederum  geneigt,  dem  Reproduzierenden  eine  un- 
gehindertere Entfaltung  seines  Erfassens  des  Kunstwerks  zuzugestehen. 
Er  soll  seine  „Einfühlung"  in  das  Objekt  frei  betätigen  dürfen,  und  nur 
dort  Halt  machen,   wo  es  eine  mehrfache  Deutung  ausschließt. 

Die  veränderte  Stellung  der  reproduzierenden  Kunst,  die  Statuierung 
des  Rechtes,  aus  der  Stimmung  heraus  nachzuschaffen,  und  die  Verwerfung 
des  älteren  Prinzips  strikter  Objektivität  ist  keine  Einzelerscheinung 
im  Geistesleben  unserer  Zeit.  Sie  geht  nicht  nur  mit  der  Richtung  Hand 
in  Hand,  die  die  bildenden  Künste  verfolgen,  sondern  entspricht  auch 
derjenigen,  die  unsere  moderne  Ästhetik  eingeschlagen  hat.  Während  die 
ältere  objektivistische  Methode  das  ästhetisch  Wirksame  in  den  Qualitäten 
des  Objekts  suchte,  mögen  sie  in  Raum  oder  Zeit,  neben-  oder  nach- 
einander in  Erscheinung  treten,  hatte  schon  Fechner1)  von  den  rein  sinn- 
lichen Elementen,  die  bei  der  direkten,  unmittelbaren  Wahrnehmung  ge- 
wisser (mathematischer)  Verhältnisse  innerhalb  der  sensorischen  Daten 
auftreten,  „assoziative"  Elemente  abgesondert,  die  sich  durch  die  Ver- 
knüpfung reproduktiver,  gedanklicher  und  affektiver  Inhalte  mit  dem  Ein- 
druck jener  bilden.  Aber  erst  Theodor  Lipps2)  beantwortet  das  Problem 
des  Verhältnisses  zwischen  ästhetisch  wirkendem  Objekt  und  ästhetisch 
empfindendem  Subjekt  durchaus  subjektivistisch,  und  lehrt  die  Introjektion 
des  Subjektes  in  gegebene  Raumformen  als  Grund  des  ästhetischen 
Genusses.  • 

Unser  Verhalten  gegenüber  der  älteren  Musik  des  18.  Jahrhunderts 
wäre  durch  solche  Erwägungen  allein  schon  gegeben.  Es  kann  uns  nur 
der  Gedanke  leiten,  sie  in  derjenigen  Form  zur  Ausführung  zu  bringen, 
die  ihr  ein  völliges  Erfassen  in  der  Psyche  des  modernen 
Hörers  sichert.  Nun  aber  kommt  hinzu,  daß  sich  das  ästhetische  Ver- 
halten der  ausübenden  Künstler  jener  Zeit  zum  Objekt  mit  der  modernen 
Hauptrichtung  der  psychologischen  Ästhetik,  und  dem  Subjektivismus 
der  reproduzierenden  Gegenwart  ungemein  nahe  berührt.  Wie  eingangs 
bemerkt  wurde,  und  noch  des  näheren  auszuführen  sejn  wird,  gewährte 
die  Produktion  die  Freiheit  der  Geltendmachung  subjektiver  Qualitäten 
in  dem  Sinne  einer  Hervorkehrung  des  affektiven  Gehaltes.  Dabei  ist 
freilich  zu  bedenken,  daß  das  ästhetische  Genießen  jener  Zeit  auf  dem 
Gebiete  der  Musik  in  zwei,  in  der  Praxis  nicht  überall  getrennte,  an  sich 
aber   immer   unterschiedliche  Gattungen   auseinander    ging,    einmal   in  die 

»)   Vorschule  der  Ästhetik,  2  Bde.  1876.     II.  Auflage  1897. 

2)  Ästhetik.    Psychologie  des  Schönen  und  der  Kunst  I.    Grundlegung  der  Ästhetik,  1903. 


Vorwort.  3 

Freude  am  schönen  Ton  und  einer  rein  virtuosen  Technik,  dann  aber  in 
jene  ästhetischen  Eindrücke  höherer  Ordnung,  die  wir  als  Affekte  an- 
sprechen. Soweit  sich  nun  jener  Subjektivismus  auf  die  Vertiefung  des 
affektiven  Gehaltes  des  Objektes  bezieht,  wird  ihn  auch  modernes  ästheti- 
sches Empfinden  willkommen  heißen,  dort  dagegen  zurückweisen,  wo  er 
jenem  niederen  Genuß  bravouröser  Tonspielerei  dient. 

Mein  Standpunkt  in  der  Frage:  sollen  wir  die  Ornamentik  der 
alten  Musik  zu  neuem  Leben  erwecken  und  sie  insbesondere  der 
Händel-  und  Bachschen  Kunst  wieder  zuführen,  ist  mit  diesen  Ausführungen 
präzisiert.  Nur  insoweit  sie  sich  auch  dem  musikalischen  Empfinden  des 
modernen  Hörers  eignet,  die  Grundlinien  so  zu  verändern,  daß  die  Plastik  des 
Melos  gesteigert  und  somit  eine  Verstärkung  und  Vertiefung  des  Ausdrucks 
bewirkt  wird,  nur  insoweit  sie  zum  mindesten  eine  Abrundung  des  melodi- 
schen Gedankens  bedeutet,  hat  sie  auch  heut  noch  Existenzberechtigung. 
Das  Bestreben  in  historischer  Treue  zu  verfahren,  darf  sich  nur 
unter  diesen  ästhetischen  Voraussetzungen  betätigen.  Wo  sich 
eine  fühlbare  Divergenz  zwischen  ihnen  und  dem  Verfahren  der  Alten 
ergibt,  werden  wir  immer  für  eine  unserm  Musikempfinden  gemäße  Aus- 
führung eintreten.  Und  wo  sie  uns  —  nicht  einig  in  ihren  Ansichten 
—  mehr  als  eine  Art  der  Behandlung  überliefern,  wird  einer  unserm 
Empfinden  genäherten  Form  selbst  dann  der  Vorzug  gebühren,  wenn  sie 
nicht  der  gemeinen  Praxis  der  Zeit  entsprach,  sondern  nur  einer  Minorität 
der  ausübenden  Künstler  geläufig  war. 

m  Diese  Arbeit  glaubte  sich  nicht  auf  eine  Darstellung  der  Lehre  von 
der  Ornamentik  in  dem  Sinne  beschränken  zu  dürfen,  daß  lediglich  die- 
jenigen Tonformeln  berücksichtigt  wurden,  die  das  Requisit  der  vervoll- 
kommnenden und  schmückenden  Elemente  bildeten.  Sie  hat  auch  die- 
jenigen melismatischen  Substrate  in  den  Kreis  ihrer  Darstellung  gezogen, 
welche  die  produktive  Kunst  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  als  melodische, 
tonmalende  oder  charakterisierende  anwandte,  um  zu  zeigen,  wie  auch 
jene  Zeit  bereits  bemüht  war,  aus  dem  Zuge  eines  allgemeinen,  das 
Ganze  beherrschenden  Affektes  heraus  intimere  und  kompliziertere 
psychische  Vorgänge  hervorzuheben. 

Ich  spreche  an  dieser  Stelle  Herrn  Professor  Fritz  Volbach  in 
Mainz  für  die  reiche  Anregung  und  Belehrung,  den  Herren  Bibliothekaren 
Dr.  Kopfermann-Berlin,  Mantuani-Wien  und  Pagliara-Neapel  für 
ihre  gütige  Unterstützung  besten  Dank  aus. 

Wiesbaden,  August  1907. 


1* 


Einführung. 


Die  Grenzlinie  zwischen  schaffender  und  ausübender  Kunst  hielt  nicht 
von  jeher  die  heut  bestimmte  Richtung.  Erst  im  jüngst  vergangenen 
Jahrhundert  vollzog  sich  eine  völlig  reine  Scheidung  dahin,  daß 
dem  Ausfuhrenden,  an  die  Niederschrift  des  Komponisten  gebunden,  nur 
noch  in  dynamischer  und  zeitlicher  Hinsicht,  also  rücksichtlich  des  Vortrags 
eine  gewisse  Freiheit  verblieb.  Die  ältere  Zeit,  und  noch  das  18.  Jahrhundert, 
überließ  nicht  nur  dem  reproduzierenden  Künstler  ein  weites  Feld  erfinderi- 
scher Betätigung,  ja  sie  verlangte  geradezu  seine  selbsttätige  Teilnahme 
an  der  Gestaltung  des  Kunstwerks,  im  Sologesang  und  im  konzertierenden 
Instrumentenspiel,  insbesondere  in  dem  Zusatz  ausschmückender  Tonformeln, 
in  der  Zerlegung  größerer  in  eine  Anzahl  kleinerer  Notenwerte,  in  der 
Einschiebung  einzelner  Durchgangs-  und  Hilfsnoten.  Der  dritte  Teil  der 
Arie  galt  regelmäßig  als  das  Feld  seines  individuellen  Geschmacksbeweises. 
Der  reproduzierende  Künstler  mußte  also  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
auch  gestaltende  Phantasie  und  Kenntnis  des  musikalischen  Satzes  und  der 
Satzform  besitzen.  Seine  Stellung  zur  Gesamtkunst  war  eine  höhere, 
einflußreichere  als  heute.  Ob  ihr  stets  zum  Heil,  ist  zu  bezweifeln.  Die 
Berichte  der  älteren  Theoretiker,  wie  des  Deutschen  Fuhrmann,  des  Italieners 
Tosi  lassen  erkennen,  daß  schließlich  der  Wunsch,  die  subjektive  Kunst- 
fertigkeit zn  zeigen,  über  die  eigentliche  Aufgabe,  das  gegebene  Vortrags- 
objekt in  ein  möglichst  vorteilhaftes  Licht  zu  setzen,  den  Sieg  davontrug. 
Auch  aus  dieser  Tatsache,  nicht  nur  aus  inneren,  musikalisch-technischen 
Gründen  erklärt  es  sich,  wenn  J.  S.  Bach,  abweichend  vom  Zeitgebrauch, 
seine  melodischen  Tonformeln  soweit  ausschreibt,  daß  Scheibe  aussprechen 
kann,  er  drücke  alle  Manieren  und  alle  kleinen  Auszierungen  mit  eigent- 
lichen Noten  aus  —  was  freilich  nicht  auf  jeden  Fall  anzuwenden  ist  J) 
Den  dritten  Teil  der  Arie  entzog  er  jedenfalls  durch  die  eigene  Umgestaltung 
auch  dort  völlig  der  willkürlichen  Behandlung  der  Sänger,  wo  nicht  schon 
der  polyphone  Satz  selbst  eine  nennenswerte  Umdeutung  ausschloß.2) 
Nur  in  der  Notierung  der  Vorschläge,  in  der  Entscheidung  ihrer  zeitlichen 
Beziehung  zur  Hauptnote,  in  der  Deutung  der  Zeichen,  und  in  der 
Ausführung  des  Trillers  verläßt  er  sich  auf  den  Ausführenden.  Aber  Bach 
nimmt  auch  hier  eine  Sonderstellung  ein.     Seine  Zeitgenossen,  vorzüglich 


!)  Spitta,  J.  S.  Bach.     II.  S.  148  ff. 
2)  Spitta,   a.  O.     S.  151. 


Q  Einführung. 

Händel,  die  Modekomponisten  der  italienischen  Oper  und  Kammer,  wahren 
das  Recht  des  Sängers  und  Spielers  auf  ornamentale  Belebung  des  Grund- 
gedankens. Glucks  dramatischer  Stil  —  seit  dem  „Telemacco"  von  1750 
und  dem  „Orfeo"  von  1762  —  verbietet  zum  ersten  Male  prinzipiell 
die  Anpassung  des  Stückes  an  die  Individualität  des  Sängers.  Und  doch 
erscheinen  regelmäßig  auch  in  jeder  seiner  Opern  Arien,  die,  im  Geiste 
der  Zeit  gesetzt,  auch  eine  ihm  entsprechende  Behandlung  verlangen.  Es 
sind  zumeist  lyrische  Gesänge  großer  Anmut  und  in  der  vollen  Zierlichkeit 
des  Rokoko  gearbeitet.  Mozart  gehört  gleichfalls  einer  Übergangsperiode 
an,  seine  Jugendwerke  noch  ganz  der  herrschenden  Richtung  der  neuen 
neapolitanischen  Schule.  Aber  auch  in  den  Sologesängen  der  reiferen 
Zeit,  sei  es  der  Oper,  sei  es  der  Konzertarien,  hat  er  nicht  überall  den 
Sänger  lediglich  als  Interpreten  betrachtet;  auch  hier  bezog  er  sich  noch 
vielfach  auf  die  alte,  noch  immer  lebendige  Tradition  des  freien  Vortrags, 
im  da  Capo,  in  der  Kadenz,  in  den  die  Unterteile  verbindenden  kleinen 
Gängen,  und  anderen  melismatischen  Zusätzen.  Erst  das  19.  Jahrhundert 
—  Schubert,  Beethoven,  Weber  und  Rossini1)  —  erweitert  die  Machtfülle 
des  kompositorischen  Schaffens  so  sehr,  daß  die  Ausführenden  nunmehr 
im  wesentlichen  an  die  Niederschrift  gebunden  wurden. 

Die  hochverantwortliche  und  schwierige  Kunst  des  Ausschmückens 
und  Yariierens  ist  niemals  eine  völlig  willkürliche  gewesen.  Sie  unterstand 
vielmehr  gewissen,  in  der  Theorie  der  Musik  gelehrten  Gesetzen,  ebenso 
wie  etwa  die  Komposition  des  reinen  Satzes,  der  Kontrapunkt  selbst. 
Dessen  Zeuge  sind  die  umfangreichen,  einschlägigen  Abschnitte  der 
Lehrbücher  über  Gesang  und  Instrumentenspiel  von  Bacilly  bis  Petri  und 
Türk,  und  die  Vorreden  zu  zahlreichen  praktischen  Musikwerken,  wie 
diejenigen  Muffats  zu  seinem  „Florilegium  secundum"  und  Kuhnaus  „Neue 
Klavierübung".  Doch  erstarkte  die  Systematik  natürlich  niemals  bis  zu 
einem  jeden  Fall  erfassenden  Detail.  Geschmack  und  Phantasie  blieb 
allezeit  ein  weiter  Spielraum.  Aber  die  Vertrautheit  mit  der  Eigenart 
jener  Praxis  verbürgte  doch  die  Verwirklichung  der  Intentionen  des 
Komponisten. 

Unserer  Zeit  nun  sind  nicht  nur  jene  von  den  Theoretikern  über- 
lieferten Normen  nicht  mehr  geläufig,  auch  die  Fähigkeit,  aus  dem  Geiste 
des  Musikwerkes  heraus  eine  ihm  adaequate  Ornamentik  zu  gestalten,  darf 
als  verloren  gelten.  Und  so  ist  die  Fähigkeit  dahingesunken,  von  der  die 
Ausführung  der  Meisterwerke  jener  großen  Periode  der  Musik,  sowie  sie 
ihre  Schöpfer  sich  gedacht,  nicht  zum  wenigsten  abhängig  erscheint, 
Fr.  Chrysander  ist  leider  dahingegangen,  ohne  seine  reichen  Erfahrungen 

])   Rossini  erst  von  dem  Jahre   1 8 1 6  an.     Vgl.  Mara  Köpfe  Bd.    II.     S.   161. 


Einführung.  7 

für  das  Händelscbe  Oratorium  insbesondere,  literarisch  festzulegen.  Das 
vorliegende  Material  ist  jedenfalls  nicht  für  eine  nachschaffende  und  er- 
gänzende Gestaltung  ausreichend,  und  ich  fürchte,  wir  müssen  mit  dem 
Bedauern  scheiden,  jenen  alten  Glanz  des  wahrhaft  künstlerischen  Sänger- 
tums  nicht  wieder  aufleben  zu  sehen.  Umsomehr  ist  es  die  Pflicht  der 
reproduzierenden  Musiker,  der  leitenden  Kapellmeister  insbesondere, 
demjenigen  Teil  der  ornamentalen  Melodik,  für  dessen  Verständnis  und  Be- 
lebung uns  in  den  theoretischen  Schriften  der  Zeit  und  in  der  praktischen 
Musik  selbst  genügender  Aufschluß  zuteil  wurde,  zu  ihrem  vollen  Rechte  zu 
verhelfen.  Das  ist  bisher  verabsäumt  worden,  nicht  zum  mindesten 
deswegen,  weil  statt  auf  theoretisch  gesichertem  Grunde  einer  völlig 
entwickelten  und  nur  vergessenen  Lehre  aufzubauen,  aus  rein  ästhetischen 
und  nicht  immer  geläuterten  Anschauungen  heraus  bestimmt  und  aus- 
geführt wurde.  Daß  unter  einer  solchen  unsicheren  Methode  eine  Ver- 
gewaltigung des  Melos  nicht  ausbleiben  konnte,  ist  klar,  und  doch  ist 
die  Grundlage  der  Ornamentik  der  Klassiker  unserer  musikalischen  Kultur- 
nationen durch  die  Theorie  und  ergänzende  Praxis  soweit  gesichert,  daß 
grobe  Verstöße  gegen  ihre  Anschauungen   ausgeschlossen  erscheinen. 

Die  Aufgabe,  die  ich  mir  mit  dieser  Arbeit  gestellt  habe,  ist  hiermit 
angedeutet.  Sie  will  die  ornamentale  Melodik  aus  dem  Kreise  einer  meist 
dilettantischen,  im  besten  Falle  ästhetisch  richtig  empfundenen,  aber 
unsicheren  Praxis  herausführen,  und  auf  dem  Boden  einer  durch  über- 
lieferte Gesetze  gesicherten  Theorie  wieder  aufbauen,  zweifelhafte  Fälle 
im  Geiste  der  alten  Kunstausübung  zur  Entscheidung  bringen.  Erst 
dann  wird  es  möglich  sein,  einmal  die  niedergeschriebenen  Verzierungen 
und  Zeichen  mit  Sicherheit  zu  interpretieren,  dann  aber  diejenigen  Er- 
gänzungen des  Melodieverlaufes  vorzunehmen,  welche  die  alten  Meister 
der  italienischen  Schule,  auch  Händel,  den  Ausführenden  in  der  Zuversicht 
überließen,  daß  sie,  in  Kenntnis  der  theoretischen  Normen  und  erzogen 
in  der  hergebrachten  Praxis  des  Variierens  und  Kadenzierens  das  Not- 
wendige und  Richtige  zu  treffen,  das  Vortragsobjekt  in  günstige  Beleuchtung 
zu  setzen  vermöchten.  Erst  wenn  die  Lehre  von  der  Kunst  des  Veränderns 
einen  Gegenstand  des  musikalischen  Unterrichts  überhaupt  bilden, 
wenn  Gesetz  und  Überlieferung  des  18.  Jahrhunderts  dem  modernen 
Musiker  wieder  geläufig  geworden  sein  wird,  werden  die  Meisterwerke 
dieser  Zeit,  vorzüglich  die  Werke  Bachs,  Händeis  und  Glucks,  in  der- 
jenigen Form  auferstehen,  die  sie  zur  höchsten  Wirksamkeit  und  Ein- 
dringlichkeit hinaufführen.  Denn  die  Kunst  des  freien  Verzierens  —  das 
versichern  die  Autoren  des  18.  Jahrhunderts  immer  wieder  —  hat  zu 
ihrem  Hauptzweck  die  Verstärkung  des  Ausdrucks.  Nur  ihm  dienen 
die  Manieren,  freien  Passaggien  und  die  Kadenz, 


3  Einführung. 

Es  wäre  nun  vergebliches  Bemühen,  sofort  und  ohne  weiteres  zur 
Betrachtung  und  Erörterung  der  einschläglichen  Materien  überzugehen. 
Ihr  Erfassen  setzt  eine,  wenn  auch  auf  die  Höhepunkte  beschränkte 
Übersicht  der  Entwicklung  des  geschichtlichen  Verlaufes  der  Kunst  der 
melodischen  Ausschmückung  voraus.1)  Ich  kann  und  muß  allerdings 
darauf  verzichten,  ihm  bis  in  die  Zeit  des  gregorianischen  Gesanges,  des 
improvisierten  Discantus,  des  geregelten  Kontrapunktes  und  der  großen 
Periode  der  niederländischen  Musik  zu  folgen,  schon  weil  die  Vorarbeiten 
auf  diesem  Gebiete  nicht  abgeschlossen  sind. 2)  Ich  beschränke  mich 
darauf  anzudeuten,  daß  es  niemals  einen  rein  syllabischen  Sprachgesang, 
einen  völlig  reinen  Zugesang  (adcantus)  gegeben  hat;  denn  schon  die 
alten  indischen  Opfergesänge  enthalten  Verzierungen.  Zweifellos  erscheint 
es  mir  nach  Fleischers3)  Beweisführung,  daß  der  älteste  gregorianische 
Gesang  in  seinen  Grundzügen  allerdings  syllabisch-adcan tisch  war,  also 
abhängig  von  der  Sprache  und  ihrem  Rhythmus,  von  der  Interpunktion 
insbesondere,  und  daß  frühestens  im  4.  Jahrhundert  die  melodischen 
Gesänge  der  Hymnen,  im  9.  Jahrhundert  die  der  Sequenzen,  Antiphonen, 
Tropen  usw.,  vorzüglich  aber  die  altorientalischen,  vokalischen  Gesänge 
des  Alleluja  zu  jenem  mehr  konzentrischen  und  reichlich  melismatischen 
Kirchengesange  führten,  wie  er  uns  noch  heute  im  gregorianischen  Gesänge 
entgegentritt.  Zweifellos  ist  mir  ferner,  daß  diese  hier  rezipierten  Melismen 
durch  die  geläufigen  Kehlen  der  römischen  Kirchensänger  in  den  Diskantus 
und  geregelten  Kontrapunkt  als  Improvisationen  überführt  wurden.  Aber 
wie  gesagt,  noch  fehlt  es  an  eingehenden  Arbeiten,  um  jenen  Vorgang  im 
einzelnen  nachzuweisen.  Sicheren  Boden  betreten  wir  erst  mit  dem 
16.  Jahrhundert. 


1)  H.  Kretzschmar:  »Einige  Bemerkungen  über  den  Vortrag  alter  Musik.«  Jahrbuch 
der  Musikbibl.  Peters  S.  66  ff.  meint,  der  praktische  Musiker,  der  selbst  an  einem  Händei- 
schen Oratorium  oder  einem  verwandten  Werke  das  Richtige  vornehmen  wolle,  könne  nicht 
darauf  warten,  bis  die  gelehrte  Arbeit  erledigt  sei.  Zum  Glück  sei  das  auch  garnicht  nötig; 
denn  was  er  zunächst  brauche,  fände  er  mehr  als  ausreichend  im  Quantz,  neben  ihm  komme 
noch  Tosi  in  Betracht.  Dem  kann  ich  nicht  zustimmen.  Aus  der  Lektüre  von  Quantz  und 
Tosi  allein  ist  keine  gesicherte  Grundlage  zu  gewinnen.  Es  müssten  mindestens  Agricola, 
Ph.  E.  Bach  und  L.  Mozart  hinzugezogen  werden.  Das  Verständnis  für  die  Lehre  dieser 
Theoretiker  erschliesst  sich  aber  erst  demjenigen,  der  den  gesamten  Verlaut  der  Entwicklung 
im    16.  und   17.  Jmhrhundert  übersieht. 

2)  Einiges  Material  hat  zusammengetragen:  Franz  Kuhlo  Ȇber  melodische  Verzierungen 
in  der  Tonkunst«.  Inaug.  Dissert.,  Berlin  I896.  Niemann,  Walter.  Publ.  d.  Int.  Mus.- Ges., 
Beihefte  VI   »Über  die  abweichende  Bedeutung  der  Ligaturen«,  Leipzig  1902. 

3)  Neumen- Studien,  Teil  I,  »Über  Ursprung  und  Entzifferung  der  Neumen«, 
Leipzig  1895.  A,  M. :  P.  Wagner  »Einführimg  in  die  gregorianischen  Melodien»,  Teil  I 
»Ursprung  und  Entwicklung  der  liturgischen  Gesangsformen«,  Freiburg  (Schweiz)  1901, 
S.  31    und  58/59. 


ERSTER  TEIL. 


Die  geschichtliche   Entwicklung  des  Verzierungs- 
wesens bis  zum  Erscheinen  von  Tosis  „Opinioni 
de  cantori  antichi  e  moderni,  o  sieno  osservazioni 
sopra  il  canto  figurata"  1723. 


Kap.  1. 
Die  melodische  Verzierungskunst  der  Italiener. 

Die  Diminutionen  des  16.  Jahrhunderts. 

Die  Ausschmückung  und  melismatische  Belebung  einer  in  den 
Grundzügen  gegebenen  Melodie  des  mehrstimmigen,  weltlichen  und  geist- 
lichen Gesanges  wird  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  ein 
wichtiger  Zweig  der  musikalischen  Wissenschaft,  eine  schließlich  allgemein 
geübte  Kunst  der  italienischen  Praxis,  die  man  als  die  des  Diminuierens, 
auch  als  Gorgia  bezeichnete.1) 

Geschichtlich  betrachtet  beruht  die  Bedeutung  der  Diminution  darauf, 
daß  sich  in  ihr  das  subjektive  Gestalten,  die  Kunst  des  Vortrags 
äußert.  Ich  betrachte  sie  als  einen  Vorläufer  jener  etwa  mit  1590  ein- 
setzenden Bewegung  in  der  Musik,  die  sie  der  Betimmung,  die  Affekte 
zu  ergreifen  und  wiederzugeben,  zuführte,  und  zunächst  im  Sologesang 
und  in  der  Oper  in  äußere  Erscheinung  trat.  Sie  läuft  ähnlichen 
Bestrebungen  in  der  Instrumentalmusik  parallel.  Die  Ausführung  mehr- 
stimmiger Madrigale  durch  eine  Gesangsstimme  und  die  Überlassung  der 
anderen  an  ein  Instrument  oder  einen  Körper  von  Instrumenten  beruht 
auf   gleichem  Wunsche.      Dort    äußert    er    sich    in    der   Veränderung    der 


!)  Ausführliches  über  diesen  hier  nur  zur  Einführung  in  den  Grundzügen  behandelten 
Gegenstand  bei  Fr.  Chrysander,  „Lodovico  Zacconi  als  Lehrer  des  Kunstgesanges",  Viertelj. 
Sehr,  für  Musik w.  1891  und  1893,  ferner  C.  Krebs  „Girolamo  Diruta  Transilvano", 
ebenda  1892;  O.  Fleischer  ,, Denis  Gaultier",  ebenda  1886.  Dannreuther  „Musical 
ornamentation",  der  aber  die  Gesangsmusik  durchaus  lückenhaft  behandelt.  Des  Ver- 
fassers „Italienische  Gesangsmethode  des  17.Jab.rh.",  Breslau  1890,  und  „Verzierungen,  Ver- 
änderungen und  Passaggien  im  16.  und  I7.jahrh.",  Monatshefte  für  Musikgeschichte  1891,  ferner 
Max  Kuhn  „Die  Verzierungskunst  in  der  Gesangsmusik  des  16.  und  17.  Jahrh.  1535  —  1650", 
Publ.  d.  Int.  Mus. -Ges.  Leipzig  1902,  zuverlässig  und  die  bisherigen  Quellen  trefflich  ergänzend 
für  die  Zeit  bis  1600,  ganz  unvollständig  für  das  17.  Jahrh.,  endlich  des  Verfassers  „Studien 
zur  Geschichte  der  italienischen  Oper"  Bd.  I.  S.  124  ff. 


10  Erster  Teil. 

Zeichnung,  hier  in  der  Koloristik.1)  Ich  stehe  hier  in  einem  bewußten 
Gegensatz  zu  Chrysanders  Meinung  in  der  Vorrede  zu  seinem  Aufsatz:2) 
„Koloratur  und  Ausschmückung  des  Gesanges."  Chrysander  nimmt  an, 
daß  jene  Praxis  des  Kolorierens  gewissermaßen  aus  dem  Geiste  des  alten 
Kunstwerkes  herausgewachsen,  und  auch  für  die  Reproduktion  unserer 
Tage  maßgebend  sei.  „Unsere  Praxis  dieser  alten  Musik"  —  heißt  es 
dort  —  „wird  dabei  freilich  arg  ins  Wanken  geraten,  zum  Teil  sogar 
dahinstürzen.  Aber  was  schadet  das?  Tritt  doch  etwas  Besseres  an 
ihre  Stelle."  Ich  kann  dem  verehrten  Altmeister  so  weit  nicht  folgen. 
Ich  kann  nicht  zugeben,  daß  das  Hervortreten  einer  Stimme,  zumeist 
des  Diskantus,  wie  ihn  die  uns  erhaltenen  Nutzanwendungen  der  Lehre 
des  Kolorierens  aufweisen,  dem  Wesen  des  mehrstimmigen  Gesanges  ent- 
sprechen, daß  es  nicht  heiße,  die  Gleichberechtigung  der  Stimmen  auf- 
heben, wenn  sich  eine  durch  besonders  reichen  Schmuck  vor  den  anderen 
hervortut,  so  hervortut,  daß  die  anderen  zu  begleitenden  Stimmen  herab- 
gedrückt werden.  Das  ist  in  den  uns  überlieferten  praktischen  Beispielen 
tatsächlich  der  Fall.  Noch  Fincks  Anweisungen  und  Beispiele3)  lassen 
erkennen,  daß  er  die  Gleichberechtigung  der  Stimmen  nicht  getrübt 
wünscht,  und  daß  die  Kolorierung  nur  soweit  ihr  Recht  hat,  als  „dabei 
die  Komposition  intakt  und  ungestört  bleibe",  und  diese  Anschauungen 
lassen  sich  mit  Zacconis  Bericht,  die  Alten  um  1500  hätten  gesungen, 
wie  es  die  Komponisten  niedergeschrieben,  wohl  vereinigen.  Die 
italienische  Kunstausübung  aber,  in  der  Zacconi  steht,  ist  weit  über 
diese,  den  Alten  noch  bewußte  Eigenart  der  Mehrstimmigkeit  hinaus- 
gegangen und  stand  zu  seiner  Zeit  im  Begriff,  aus  ihr  den  Einzelgesang 
eben  dadurch  zu  entwickeln,  daß  einer  Stimme  durch  die  Einfügung 
der  Melismen,  und  die  Beugung  der  melodischen  Linie,  ein  Übergewicht 
zuerkannt  wurde.  Zwar  gebe  ich  zu,  daß  Zacconis  Beispiele  maßvoller, 
rhythmisch  einfacher  gestaltet  sind,  als  die  seiner  Zeitgenossen,  etwa  die 
des  Bovicelli;  das  ändert  aber  nichts  an  der  Tatsache,  daß  die  aus- 
übende Kunst  am  Ende  des  16.  Jahrhunderts  —  vielleicht  unter  dem 
Einflüsse  des  immer  mehr  harmonisch  gestalteten  Madrigals  —  die 
Klammern  der  Polyphonie  durch  das  Herausheben  einzelner  Stimmen 
und  ihrer  gegensätzlichen  Beweglichkeit  bedenklich  gelockert  hatte.  Ich 
kann  deshalb  diese  Bewegung  des  16.  Jahrhunderts  nur  als  eine 
mißverständliche  Auslegung  der  alten  Kunst,  als  ein  Drängen  nach 
neuen  Zielen,  mit  dem  Wesen  jener  unvereinbar,  betrachten. 


*)  Des  Verf.  „Studien  zur  Gesch.  der  ital.  Oper",  Bd.  I,  S.   125  ff. 

2)  Viertelj.  Sehr,  für  Musik w.   1891,  S.  337  ff. 

3)  Monatshefte  f.  Musikgesch.    1879. 


Erster  Teil.  U 

Lesen  wir  die  uns  erhaltenen  Beispiele  praktischer  Musik,  in  denen 
die  Ausführungen  der  Theoretiker  Giov.  da  Udine,  Zacconi,  Giov.  Bassano, 
Riccardo  Rognone,  Bovicelli  u.  a.  zur  Anwendung  kommen,  so  über- 
zeugen wir  uns,  daß  hier  über  den  Drang  einer  individuellen  Vortrags- 
kunst hinaus  auch  schon  der  Wunsch,  die  Kehlfertigkeit  des  Sängers  in 
Erscheinung  zu  setzen,  mitbestimmend  war,  dann  aber,  daß  gerade  der 
gesangstechnischen  Seite  nicht  überall  Gerechtigkeit  wird.  Denn  diese 
Passaggien  sind  im  Grunde  genommen  unsanglich,  der  menschlichen 
Stimme  unbequem.  Caccini1)  und  Ottavio  Durante2)  berichten  denn  auch 
übereinstimmend,  die  älteren  ihnen  überkommenen  Passaggien  seien 
instrumentaler  Natur,  den  Instrumenten  geeigneter  als  der  Menschen- 
stimme. Tatsächlich  scheinen  auch  die  Diminutionen  von  der  Instrumental- 
musik stark  beeinflußt  zu  sein.  Die  Mehrzahl  der  theoretischen  An- 
weisungen für  das  Diminuieren  sind  für  Instrumente  bestimmt,  ja  die  erste 
und  älteste  Lehre  gehört  der  Flötenschule  des  Silvestro  Ganassi  del 
Fontego  und  seiner  Fontegara  von  1535  an.  Eine  der  wichtigsten  Auf- 
gaben der  Vertreter  der  neuen  Bewegung  war  es  denn  auch,  die  Melis- 
matik  sanglich,  der  Kehle  des  Sängers  bequemer  zu  gestalten,  womit 
Zacconi  in  seiner  Pratica  dl  musica  den  Anfang  gemacht  hatte.  Erst 
dann  konnte  sie  ihre  Aufgabe,  dem  Ausdruck  zu  dienen,   wirklich  erfüllen. 

Für  unsere  Betrachtung  jener  älteren  Zeit  ist  vor  allem  von  Wert 
festzustellen,  welche  Keime  der  späteren  Entwicklung  sich  in  ihr  bereits 
nachweisen  lassen.  Zunächst  ist  die  Passaggie  selbst  zu  betrachten  und 
zu  zeigen,  daß  in  ihr  bereits  alle  erst  später  typisch  gewordenen  Manieren, 
wie  der  lange  und  kurze  Vorschlag,  der  Nach-  und  Doppelschlag,  groppo 
und  Triller  enthalten  sind. 

Zacconi3)  stellt  die  Regel  auf,  Passaggien  für  die  menschliche 
Stimme  seien  in  stufenweise  auf  einander  folgenden  Tönen  zu  machen 
und  nicht  gebrochen  oder  sprungweise  (sequenti  e  non  spezzati).  Füge 
er  indessen  in  seinen  Beispielen  einige  in  sprungweisen  Folgen  bei,  so 
habe  er  sich  damit  nicht  selbst  widersprochen,  denn  es  gäbe  Sänger,  die 
sie  auszuführen  vermöchten.  Verfolgt  man  die  Beispiele,  so  bemerkt 
man,  daß  die  stufenweis  diatonische  Folge  nur  hin  und  wieder  durch 
Terzenschritte,  seltener  durch  andere  Intervalle  unterbrochen  wird. 
Durchaus  ähnlich  sind  die  Diminutionen  Bovicellis  und  Rognones.  Sie 
stellen  also  im  wesentlichen  vor: 

1.  Ausschnitte  aus  der  diatonischen  Skala  im  Auf-  und  Absteigen, 
zuweilen    von    anderen    Intervallschritten    unterbrochen.      (Anhang    AI.) 

x)  In  den  Nuove  musiche   1601. 

2)  In  der  Vorrede  zu  den  Arie  devote.      1608. 

3)  VergJ.  Viertelj.  Sehr.  f.  Musikw.    1891    S.  395. 


12  Erster  Teil. 

2.  Sie  bewegen  sich  um  einen  Ton  in  der  Form  unseres  Doppel- 
schlags.    (A  2.) 

3.  Es  folgen  sich  mehrere  Sekundenbewegungen  nach  oben  oder 
unten,  in  der  Form   unseres  Sekundentrillers.     (A  3.) 

4.  Es  verbinden  sich  insbesondere  in  den  Kadenzen  beide  Formen 
sub  2  und  3,  so  daß  einer  mehr  oder  weniger  oft  wiederholten  Sekunden- 
bewegung ein  Doppelschlag  folgt.  Es  entsteht  die  Figur,  die  Caccini, 
Cavaliere  u.  a.  groppo  nennen.     (A  4.) 

5.  Es  schiebt  sich  eine  Note  geringeren  Wertes  zwischen  zwei 
Hauptnoten  so  ein,  daß  sie  am  Schlüsse  der  ersten  erklingt  und  einen 
Übergang  zur  zweiten  darstellt.  Es  erscheint  damit  unser  Nachschlag. 
Zacconi,  dessen  Tonzerlegungen  gegenüber  denjenigen  anderer  gleich- 
zeitigen Autoren  einfacher,  archaistischer  gestaltet  sind,  kennt  diese  Figur 
und  diejenige  sub  4  noch  nicht.  Auch  zwei  stufenweise  folgende  Noten 
treten    in  dieser  Funktion,    also    als    doppelter   Nachschlag,    auf.     (A.  5.) 

6.  Zuweilen  tritt  eine  kurze  Note  auf  dem  schweren  Taktteil  ein, 
der  eine  längere  unbetont  folgt.  In  rhythmischer  Beziehung  haben  wir 
also  einen  trochäischen  Vorschlag  vor  uns,  eine  kurze,  vor  die  Haupt- 
note eingeschobene  Note,  welche  die  Betonung  verlangt.  Ihr  Gegensatz, 
der  jambische  Vorschlag,  der  zeitlich  vor  der  Hauptnote  eintritt,  so 
daß  dieser  die  Betonung  verbleibt,  ist  hier  nur  im  Finalschluß  nach- 
weisbar, wenn  die  ihm  entfallende  letzte  Silbe  bereits  auf  der  vorher- 
gehenden Note  ausgesprochen  wird.  Harmonisch  verhält  sich  die  kurze 
betonte  Note  bald  dissonierend  zum  Basse,  so  daß  die  Hauptnote  die 
Auflösung  bringt,  bald  konsonierend,  wo  dann  die  Hauptnote  dissonierend 
wirkt.     (A  6.) 

7.  Der  Triller,  bereits  im  Sinne  der  klassischen  Lehre  mit  der 
oberen  Hilfsnote  einsetzend,  ist  in  Notenwerten  nur  als  erster  Teil  des 
groppo  ausgeschrieben.  (A  7.)  Das  Zeichen  t  oder  tr  bedeutet  keine 
Sekundenbewegung,  sondern  eine  Folge  auf  gleicher  Tonhöhe  wieder- 
holter, gehauchter  Noten,  die  Nota  raddopiata  Caccinis.  Kleine  Prall- 
triller sind  ausgeschrieben.  (A  7.)  Der  doppelte  Pralltriller  kommt  nur 
im  groppo  vor. 

8.  Auch  der  Schleifer  findet  sich  zuweilen  als  Folge  zweier  ascen- 
dendo  zur  Hauptnote  aufsteigenden  Nebennoten.     (A.  8.) 

Natürlich  vermischen  sich  alle  diese  Bewegungen  zu  einem  Ganzen, 
und  jedes  unserer  Beispiele  dient  für  mehr  als  eine   Gattung. 

Für  unseren  Zweck  kann  das  bisher  Angeführte  genügen.  Es  war 
festzustellen,  daß  das  16.  Jahrhundert  in  seiner  Diminuierungskunst  den 
Grund  gelegt  hat  für  alle  jene  „tesori  del  canto",  die  nunmehr  der 
italienische  Sologesang,  der  neue  Musikstil  entwickeln  sollte,  ja,  daß  sich 


Erster  Teil'.  13 

in  ihr  bereits  eine  bewußte  Emanzipation  einer  Stimme  von  den  andern, 
ursprünglich  gleichberechtigten,  und  ihre  Einsetzung  zur  Trägerin  des 
Melos  schlechthin  verkörpert. 

Der  florentinische  Einzelgesang  und  die  florentinische  Oper. 

Mit  Rücksicht  auf  das  bereits  in  zahlreichen  Werken  bearbeitete 
Material  der  Geschichte  des  florentinischen  Einzelgesanges  und  der  Oper 
kann  ich  mich  auch  in  der  Darstellung  dieser  Periode  kurz  fassen.1) 
Bei  den  ersten  Praktikern  des  auf  den  Bassus  generalis  gestellten  Einzel- 
gesanges gehen  gesangstechnische  Lehren  mit  weitläufigen  Erörterungen  der 
Manieren  und  der  ornamentalen  Zutaten  zu  der  auch  jetzt  noch  unvoll- 
ständigen Niederschrift  Hand  in  Hand.  Ueberdies  vervollständigen  sie  wohl 
auch  hin  und  wieder  ein  Musikstück  durch  Aussetzung  des  Gesangspartes, 
wie  Caccini  in  den  Nuove  musiche  und  Monteverdi  im  Orfeo.  Die  vor- 
züglichste Frage,  die  wir  zu  beantworten  haben,  ist  die  nach  der 
Ästhetik  der  Ornamente.  Zu  welcher  Bestimmung  überführen  sie  sie 
in  die  neue  Kunst?  Wie  halten  sie  sie  vereinbar  mit  dem  Grundgedanken, 
Musik  sei  in  erster  Linie  Sprache  und  Rhythmus?  Caccini  dringt  denn 
auch  zu  einer  verständigen  Anschauung  vor2),  wenn  er  ausführt,  weil 
Mißbrauch  mit  diesen  langen  Läufen  getrieben  werde,  sei  es  an  der 
Zeit,  daran  zu  erinnern,  daß  sie  nicht  erfunden  worden  seien,  weil  sie 
eine  unerläßliche  Bedingung  eines  edlen  Gesanges  bilden,  sondern  als 
Ohrenkitzel  für  diejenigen,  die  nicht  verstehen,  was  es  heiße,  mit  Aus- 
druck (con  affetto)  vorzutragen.  Sähe  man  dies  ein,  so  wären  die 
Passaggien  verworfen,  weil  nichts  zu  ihnen  in  größerem  Widerspruch 
stünde.  Deshalb  mache  er  von  ihnen  nur  dort  Gebrauch,  wo  die  Musik 
weniger  leidenschaftlich  zu  gestalten  sei.  Unter  demselben  Gesichtspunkt 
verbietet  sich  Cavaliere  in  der  Einleitung  zur  „Rappresentatione  di  anima 
et  di  corpo"  die  Passagien  gänzlich,  und  läßt  nur  kleinere  Verzierungen 
zu,  von  denen  noch  die  Rede  sein  wird.  Betrachten  wir  aber  die 
praktische  Musik  dieser  Pfadfinder  des  Einzelgesanges,  so  überzeugen 
wir  uns  von  einer  starken  Inkongruenz  zwischen  Praxis  und  Theorie. 
Es  überwiegt  in  jener  das  brillante,  auf  tonsinnliche  Wirkung  gerichtete 
Melisma.  Rein  gesanglich  betrachtet  erheben  sie  sich  aber,  und  darin 
liegt  ihr  geschichtlicher  Wert,  über  ähnliche  Gebilde  des  16.  Jahr- 
hunderts.     Fanden    damals    die    Sängerkünste    ihre    Schranken    in     der 


*)  Ich  darf  hier  aui  meine  eigene  Arbeit  „Die  italienische  Gesangsmethode  des 
17.  Jahrhunderts",  Breslau,  1890  verweisen,  die,  wenn  auch  mittlerweile  durch  neuere 
Forschungen   überholt,    doch    noch  einen    einigermassen  zuverlässigen    Führer    abgeben  dürfte. 

2)  Nuove  Musiche.     Vergl.  d.  Verf.  Ital.  Ges.  Meth.  S.  20  fF. 


14  Erster  Teil. 

Gebundenheit  an  die  anderen  Stimmen,  so  fiel  nun  diese  Fessel.  Die 
Begleitung,  sei  es  auf  der  Theorba  oder  dem  Clavicembalo,  vermochte 
und  sollte,  so  verlangt  Caccini  ausdrücklich,  sich  dem  Sänger  an- 
schmiegen, sodaß  ein  durchaus  freies  Rubato  an  die  Stelle  der  strengen 
Zeiteinhaltung  trat. 

Auf  die  Ausfeilung  und  Verbesserung  der  alten  Ornamentik  ist 
nun  zunächst  das  Streben  gerichtet.  Kaum  erscheint  ein  Werk,  das 
nicht  ankündet,  man  finde  hier  die  wirklich  moderne  Art  der  Passaggien 
und  Verzierungen.  Worin  bestand  nun  diese  Verbesserung?  In  der 
Vereinfachung  und  Anpassung  an  die  menschliche  Kehle,  in  größerer 
Sanglichkeit.  Jene  unendlichen  Läufe  in  ihrer  monotonen  Gleichmäßigkeit, 
in  denen  die  ältere  Sangesweise  sich  hauptsächlich  erging,1)  verschwinden 
und  machen  kürzeren,  aber  rhythmisch  lebhafteren  Fiorituren  Platz. 
Caccini  stellt  diesen  Bruch  mit  der  Vergangenheit  als  sein  vorzüglichstes 
Verdienst  hin,2)  indessen  haben  auch  seine  gleichgesinnten  Zeitgenossen 
ihren  Anteil.  Es  heben  sich  jetzt  gewisse  kürzere  Tonphrasen,  die  regel- 
mäßig wiederkehren,  aus  den  Passaggien  ab,  und  wir  begegnen  zum 
ersten  Male  den  Manieren  in  unserem  Sinne,  als  begrifflich  feststehenden 
Tonformeln,  im  Gegensatz  zur  freien  Passaggie.  Caccini  spricht  in 
diesem  Sinne  von  Tremolo,  Trillo  und  groppo,  den  Esclamazionen,  also  dem 
An-  und  Abschwellen,  der  messa  di  voce,  dem  vollen  Schwellton,  und 
den  Accenti,  in  denen  alle  kleineren  Notenzerlegungen,  also  auch  Vor- 
und  Nachschlag  einbegriffen  sind.  Neben  diesen  Figuren  spielt  die 
Passaggie  als  Ausschnitt  aus  der  Skala  mit  anderen  Intervallen  unter- 
mischt, noch  immer  eine  hervorragende  Rolle. 

Accenti.  Unter  accento  verstand  man  das  Zerlegen  einer  Note  in 
mehrere  Noten  kleineren  Wertes  schlechthin.  Die  Begriffe  des  französischen 
accent  als  Vor-  bezw.  Nachschlag  ist  erst  viel  später  ausgelöst  worden. 
Bovicelli  spricht  noch  von  accentuare  o  füre  pasmggi.  Die  Italiener  des 
16.  Jahrhunderts  kannten  diese  Terminologie  noch  nicht.  Sie  muß  sich 
erst  im  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  eingebürgert  haben.  Andreas 
Herbst3)  und  Johann  Crüger4)  gebrauchen  das  Wort  accent  als  technischen 
Begriff,  mit  Berufung  auf  Francesco  Rognone,  dessen  Werk5)  sie  zwar 
nicht  mit  Namen  anführen,  aber  zweifellos  benutzt  haben.  Hier  heißt 
es  bereits  im  Titel:  Nella  prima  di  quall  si  dlmostra  ü  modo  di  cantare 
polito  e  von  f/ratia  e  la  maniera  di  portare  la  voce  accentuata.     Das  Wesen 

1)  Vergl.  d.  Verf.  Studien   z.  Gesch.  d.  Ital.  Oper.     Kap.  3  und  Anhang  O,  I. 

2)  Vergl.  d.  Verf.  Ital.  Gesangsmethode,  S.   14/15. 

3)  Musica  pratica   1642. 

4)  Der  rechte  Weg  zur  Singekunst.      1660. 

5)  Selva  di  varii  passagi  secundo  l'uso  moderno  per  cantare  e  suonare,    Milano   1620. 


Erster  Teil.  15 

der  Accente  stimmt  mit  der  Bestimmung  unserer  Vor-  bezw.  Nachschläge 
insoweit  überein,  als  sie  bestimmt  sind,  eine  gewisse  Leere  zwischen 
zwei  Ilauptnoten  durch  eine,  oder  eine  kleine  Gruppe  von  einigen, 
höchstens  sieben  Noten  auszufüllen.  Je  nach  der  Größe  der  Intervalle 
steigt  die  Anzahl  der  Füllnoten,  um  bei  der  Quint  die  Höchstzahl  von 
sieben  zu  erreichen.  (B  1.)  Die  Entfernung  weiterer  Intervalle  fiel  nicht 
mehr  unter  dem  Begriff  Accent.  Die  Volloktave  durch  die  Töne  der 
Skala  verbunden  heißt  bei  Caccini  in  der  Abwärtsbewegung:  cascata  (B  l,p), 
bei  Herbst  ansteigend:  tirata.  (B  l,o.)  In  dem  Sammelbegriff  accento 
wird  noch  eine  Reibe  von  Tonformeln  zusammengefaßt,  aus  denen  erst 
die  spätere  Theorie  einzelne  als  Stereotypen  heraushob.  Die  Spezialisierung 
und  Konstitution  der  Begriffe  geht  allmählich  vor  sich.  Wir  dürfen  zu 
diesen  hier  vertretenen,  aber  begrifflich  noch  nicht  ausgesonderten 
Formeln  vor  allem  den  Yor-  und  Nachschlag  rechnen.  Der  Vorschlag 
in  trochäischem  Rhythmus,  also  betont,  wird  jetzt  wiederholt  aus- 
geschrieben (B  2),  zuweilen  dem  Baß  gegenüber  harmoniefremd,  so  daß 
die  Hauptnote  die  Stammharmonie  ergibt,  häufiger  leitereigen,  sodaß  die 
Hauptnote  die  Dissonanz  darstellt.  Der  Vorschlag  im  jambischen 
Rhythmus,    also  der    zeitlich    der  vorhergehenden  Hauptnote  entnommene 

J  ^  J  t=  J.  #^  J  (B  3)    erscheint   auffallenderweise    nur  in    den  Schlüssen, 

durch  das  textliche  Vorwegnehmen  der  letzten  Silbe.  Ich  muß  hier  vor- 
ausschicken, daß  die  Betrachtung  des  Vorschlags  eine  rhythmische  und 
harmonische  sein  kann.  Wir  werden  hier  allemal  beide  Beziehungen 
berücksichtigen.  Die  älteren  Theoretiker,  insbesondere  die  Ausbauer  der 
Lehre,  die  Franzosen,  auch  die  Deutschen  bis  1723  halten  sich  im 
wesentlichen  an  die  Rhythmik.  Sie  betrachten  also  jede  kürzere,  zwischen 
zwei  Noten  längeren  Wertes  eingeschobene  Note  als  Vorschlag,  gleich 
wie  sie  sich  harmonisch  zum  Basse  verhält. 

Der  Nachschlag  ist  die  häufigste  Verzierung,  der  wir  begegnen. 
Sie  tritt  als  einfacher  oder  als  doppelter  Nachschlag  auf.  (B  4.)  Die 
Ribattuta  di  gola  Caccinis  und  Rognones,  der  Zimbelo  Cavalieres  lassen 
sich  auf  diese  Figuren  zurückführen.  (B  5.)  Zuweilen  erscheinen  sie 
als  Vorbereitung  des  Sekundentrillers,  wie  sie  unsere  Sänger  gebrauchen, 
um  die  präzise,  rasche  Hebung  und  Senkung  des  Kehlkopfes  einzuleiten. 
(B  öd.)1) 

Als  selbständige,  von  den  Accenti  und  Passaggien  gesonderte,  mit 
eigenen  Namen  versehene  Figuren  kennt  die  älteste  italienische  und  die 
ihrem  Einfluß  unterstehende  deutsche  Schule  nur  drei:  den  trillo,  den 
tremolo  und   den   groppo.     Diese  Begriffe   finden   sich   bei  allen  Autoren 

l)  Bei  Praetorius  „Syntagma"  auch    als  Vorbereitung  des  gehauchten  Trillers. 


16  Erster  Teil. 

der  Zeit,  aber  die  Nomenclatur  schwankt.  Unter  trillo  verstehen  die 
Florentiner  eine  Folge  gehauchter  Noten  gleicher  Tonhöhe,  die  Römer 
aber,  und  zwar  schon  Cavaliere,  nennen  diese  Figur:  tremolo,  unter  dem 
jene  wiederum  die  unserm  Triller  entsprechende  einfache  oder  wieder- 
holte Sekundenbewegung  subsumieren.1)  Der  Begriff  des  groppo,  auch 
groppolo  genannt,  ist  gemeinsam  der  einer  wiederholten  Sekunden- 
bewegung nach  abwärts,  wie  unser  Gesangstriller  mit  der  oberen  Hilfs- 
note einsetzend,  meist  als  Halbtonschritt  und  stets  mit  abschließendem 
Doppelschlag.  Auch  diese  Figuren  werden  in  der  praktischen  Musik 
vollständig  ausgeschrieben,  oder  garnicht  angedeutet  und  so  dem  Belieben 
des  Sängers  überlassen.  Nur  ein  Zeichen  findet  sich  in  allen  Partituren, 
das  Zeichen  t  oder  tr  im  Sinne  des  Trillers.  In  der  Regel  bezeichnet 
es  im  florentinischen  Sinne  eine  Folge  gehauchter  Noten  derselben  Ton- 
höhe, die  spätere  Bebung,  nur  in  den  Werken  der  römischen  Schule  den 
Sekundentriller.  Erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  scheint 
diese  Terminologie  allgemein,  auch  in  Deutschland,  durchgedrungen  zu 
sein,  sodaß  nun  unter  Triller  stets  die  wiederholte  Sekundenbewegung 
verstanden  wird.  Aber  noch  Fuhrmann2)  klagt,  daß  auch  nicht  zwei 
Musiker  hierin  einer  Meinung  seien. 

Der  gehauchte  Triller  erscheint  in  doppelter  Form:  als  Folge  gleich 
hoher  Noten,  und  als  einfache  Wiederholung  desselben  Tones.  Diese 
Figuren  stehen  also  in  demselben  Verhältnis  zu  einander,  wie  der  Voll- 
und  Pralltriller.  Anhang  B  6  und  7  gebe  ich  die  Aufzeichnungen  der 
vorzüglichsten  Theoretiker  und  ein  Beispiel  aus  Monte verdis  Orfeo  von  1606. 

Der  Tremolo,  also  die  wiederholte  Sekundenbewegung  im 
florentinischen  Sinne,  spielt  in  der  Instrumentalmusik  eine  größere  Rolle 
als  bei  den  Yokalisten,  so  bei  den  Gabrielis  und  bei  Girolamo  Diruta.3) 
Gesanglich  erscheint  er  regelmäßig  bei  Teil-  oder  Ganzschlüssen  als 
erster  Teil  des  groppo,  also  stets  durch  einen  Doppelschlag  abgeschlossen. 
Zwar  notieren  Caccini  und  Cavaliere  —  bei  dem  er  trillo  heißt  —  die 
Figur  auch  als  solche  ohne  abschließenden  Doppelschlag,  und  Herbst 
definiert  auch,  offenbar  im  Anschluß  an  Bovicelli  „tremolo  vel  tremulo 
ist  nichts  anderes  als  ein  Zittern  der  Stimme  auf  zweien  clavibus.  Die 
Organisten  nennen  es  Mordent,  Beißer,  weil  er  den  nächsten  clavem  mit- 
berührt4'. Die  Bewegung  muß  stets  in  Sekunden  erfolgen.  Bovicelli 
lehrt:  il  tremolo  ricerca,  che  le  note  vadino  sempre  per  grado,  aber  der 
Beispiele  sind  nur  wenige  im  Verhältnis  zu  dem  Reichtum  an  Varianten 


1)  So  auch  Girolamo  Diruta. 

2)  Musikalischer  Trichter   1706. 

?)   Vergl.  Krebs  „Girolamo  Diruta  Transilvano".     Viertelj.  Sehr.  f.  Musikw.    1892   u. 
Dannreuther  a.  a.  O.     S    6,    13,    14. 


Erster  Teil  17 

des  groppo.  (B  8.)  Der  dem  tremolo  entsprechende  Triller  der  späteren 
Zeit,  in  langer  wie  in  kurzer  Form,  wird  gesanglich  und  instrumental 
von  oben  nach  unten,  mit  der  Ililfsnote  beginnend,  geschlagen.  Nur  in 
der  Instrumentalmusik  findet  er  sich  zuweilen  auch  in  aufsteigender  Be- 
wegung. Bei  der  in  dieser  Periode  noch  nicht  völlig  vollzogenen  Trennung 
vokaler  und  instrumentaler  Figuren  darf  es  nicht  verwundern,  wenn  wir  den 
Triller  häufig  ascendendo  notiert  finden.  Erst  in  späterer  Zeit  wurde  es  in 
Italien  und  in  Frankreich  allgemeiner  Brauch,  den  Triller  als  Sekunden- 
bewegung von  oben  zu  notieren,  die  mit  der  oberen  Ililfsnote  beginnt, 
sodaß  die  Franzosen  der  aufsteigenden  Figur  einen  besonderen  Namen 
beilegen:  pincö,  als  langer  Triller  nach  oben:  pince  continu.1) 

Im  einfachen  kurzen  tremolo,  auch  tremoletto,  von  Cavaliere 
monachina  genannt,  erkennen  wir  unseren  einfachen  Pralltriller  nach  oben, 
richtiger:  den  Schneller,  da  die  klassische  Lehre  unter  Pralltriller  stets 
eine  Bewegung  nach  unten  von  der  oberen  Hilfsnote  aus,  versteht,  wenn 
er  wiederholt  wird,  den  doppelten  Pralltriller  oder  Schneller.  Auch  in 
der  Form  des  Nachschlages  erscheint  er  zuw?eilen.     (B  9,   10.) 

Die  Keine  schließt  mit  dem  groppo,  also  einer  durch  den  Doppel- 
schlag abgeschlossenen  Sekundenbewegung  von  oben.  Die  Einteilung 
Bovicellis  in  den  groppo  uguale  und  raffrenato,  d.  h.  den  in  Noten 
gleichen  und  ungleichen  Wertes  zerlegten,  erhält  sich  bis  in  die  Praxis 
der  klassischen  Zeit.  In  der  Form  stimmen  die  Theoretiker  überein. 
Die  Deutschen  des  17.,  und  ihnen  folgend  noch  diejenigen 
des  18.  Jahrhunderts  unterscheiden  zwei  Formen  des  Doppelschlages-, 
einmal  den  mit  dem  Vorschlag  beginnenden  —  den  circolo  Fuhrmanns 
—  bei  dem  also    die  zweite    und  vierte  Note  die  gleiche  Tonhöhe  haben 


a)   :S~fzfq«z^~iE    und  den   „geschnellten"    Doppelschlag  —  den  groppo 
Fuhrmanns  —  der  mit  der  Ilauptnote  beginnt,  sodaß  die  erste  und  dritte  Note 


-r^, — i — I — \\ 


derselben  Stufe  entfallen:  b)  : fe — |S^^— j k   Jene  Form  bildet  die  Regel, 


diese  die  Ausnahme  und  wird  im  18.  Jahrhundert  durch  eine  vorgesetzte 
kleine  Yorschlagsnote  angedeutet.  (K  8f.)  Dieses  Verhältnis  hat  sich  in 
der  ganzen  Entwicklung  kaum  geändert.  Der  Doppelschlag  erscheint 
regelmäßig  in  der  Praxis  des  17.  Jahrhunderts  in  der  Form,  daß  der 
Ilauptnote  die  Yorschlagsnote  vorausgeht,  also  in  der  zuerst  aufgeführten 
sub  a.  Caccini,  Crüger  und  Herbst  kennen  sie  allein.  (B  11.)  Nur 
Cavaliere  (B   IIa)    notiert    einen    Doppelschlag,    der    mit    der  Hauptnote 


')    Vgl.   Dannreuther  a.   o.   O.      S.    Jll. 


18  Erster  Teil. 

beginnt,  in  Form  einer  Quintole.  Zur  Verbindung  zweier  Hauptnoten, 
einer  der  wichtigsten  Funktionen  dieser  Figur,  wurde  er  in  dieser  Periode 
offenbar  noch  nicht  verwendet.  Er  hat  jetzt  seinen  vorzüglichsten  Sitz 
in  der  Schlußformel,  weshalb  ihn  auch  Herbst  „Cadentia"  nennt. 

Die  römische  Oper  und  Monteverdi. 

Für  die  fernere  Entwicklung  des  Verzierungswesens  bleiben  zu- 
nächst noch  die  italienische  Oper  und  Kantate  in  erster  Linie  maßgebend. 
Nachdem  die  Anschauungen  der  Hellenisten,  die  von  der  „nobile  sprezzatura" 
des  Gesanges  zugunsten  der  Sprachdiktion  ausgingen,  überwunden 
waren,  nachdem  das  junge  Musikdrama  sich  den  Errungenschaften  der 
alten  Kunst  erschlossen  und  so  das  musikalische  Element  nicht  nur  in 
der  musikalischeren  Deklamation  des  Rezitativs,  sondern  auch  in  Auf- 
stellung und  Fortbildung  der  Arien-,  Lied-  und  Variationenformen  zur 
führenden  Stelle  berufen  hatte,  erscheint  naturgemäß  auch  das  Melisma 
als  melodisches  Element,  als  Ergänzung  und  Abrundung  der  Melodie- 
führung überhaupt.  Die  Kleingeister  der  römischen  und  florentinischen 
Schule,  wie  Francesca  Caccini,  gebrauchen  die  vokalischen  Elemente  in 
diesem  Sinne.  Erst  die  größeren  Geister,  Landi  und  Monteverdi  dringen 
zu  einer  höheren  Auffassung  durch.  Sie  zeigen  sich  auch  auf  diesem 
Gebiete  als  Dramatiker.  In  ihren  Opern  ist  das  Strelen  unverkennbar, 
die  vokalischen  Tonformeln  auf  die  Bestimmung  zurückzuführen,  die 
Stimmung  zu  vertiefen,  die  Affekte  zu  verstärken  und  charakterisierend 
oder  tonmalend  zu  wirken.  Aus  Landis  „Santo  Alessio"  sind  ausgreifende 
Koloraturen  fast  gänzlich  verbannt,  nur  in  einem  Falle,  auf  den  ich  noch 
zu  sprechen  komme,  geht  das  Rezitativ  in  ein  jubelndes  Melisma  aus. 
Nicht  anders  erfaßt  der  reifere  Monteverdi  die  Aufgabe  der  Diminution. 
Hatte  er  sich  noch  im  Orfeo,  in  instrumentaler  Hinsicht  nicht  anders  als 
in  der  Gestaltung  des  Gesangspartes,  an  die  ältere  madrigaleske  und 
florentinische  Schreibweise  angelehnt,  so  hat  er  sie  in  den  letzten 
dramatischen  Werken,  dem  „Ritorno  oVUlisseu  und  der  „Incoronazione  di 
Poppen"  überwunden,  und  sucht  nun  sein  vorzüglichstes  Ausdrucksmittel 
im  Sprachgesang,  und  gewählter  Harmonik.  Melismatische  Dehnungen 
dienen  ihm  in  erster  Linie  zur  Charakterisierung  der  Stimmung,  dort  wo 
Inhalt  und  Empfindung  über  das  Deklamatorische  hinauswachsen.  Wenn 
Poppea  am  Ziele  ihrer  Wünsche,  zur  Kaiserin  erhoben,  dem  Nero  dankt 
und  ihr  die  Worte  versagen,  ihr  Glück  auszusprechen,  so  schildert  das 
Monteverdi  in  kleinen,  von  Pausen  unterbrochenen,  lebhaften  Figuren, 
die  fühlen  lassen,  wie  stark  bewegt  sie  ist.1)     Wenn  Nero  den  erwünschten 

l)  Vergl.  des  Verf.  Studien  zur  Gesch.  der  ital.  Oper,  Bd.  II,  S.    193. 


Erster  Teil.  19 

Tod  des  Seneca  erfährt,  offenbart  sich  seine  nnd  seiner  Freunde  teuflische 
Freude  in  einem  an  charakteristischen  Gängen  überaus  reichen  Duette,1) 
und  wo  Drusilla  glaubt,  Ottones  und  ihrer  Rache  an  Poppea  sicher  zu 
sein,  da  entlädt  sich  ihre  triumphierende  Genugtuung  in  einer  weitaus- 
ladenden Passagie  im  dritten  Teile  der  Arie.2)  Daneben  führen,  das  darf 
nicht  verschwiegen  werden,  aber  auch  Monteverdis  Opern  noch  so  manche 
Koloraturen  mit  sich,  die  mehr  äußerlich  bewegt,  als  ausdruckvermögend 
geraten.  Glaubten  nun  so  ausgesprochen  dramatische  Talente  solchen 
Nebenwerks  nicht  ganz  entbehren  zu  können,  so  wird  es  nicht  wunder- 
nehmen, wenn  wir  dort,  wo  dramatische  Rücksichten  zurücktreten,  die 
Melismatik  überhaupt  als  Charakterisierungsmittel  erst  in  zweiter  Linie 
treffen,  generell  aber  als  melodische  Yerbrämung.  Mit  dem  Zurücktreten 
des  dramatischen  Elementes  in  der  Oper,  insbesondere  in  der  letzten 
Periode  der  römischen  Operngeschichte,  also  in  den  vierziger  Jahren  des 
Jahrhunderts,  mit  dem  Ueberwiegen  lied-  und  arienmäßiger  Gebilde  über 
das  Rezitativ,3)  gewinnt  die  weltliche  Kantate,  wie  sie  Carissimi  und 
Luigi  Rossi  pflegten,  einen  so  erheblichen  Einfluß  auf  die  Oper,  daß  man 
bis  zum  Einsetzen  der  Yenetianer  kaum  noch  von  einem  wesentlichen 
Unterschied  der  Gattungen  sprechen  kann.  Rossis  Opern,  auch  die  der 
florentiner  Brüder  Melani,  stehen  unter  dem  Einfluß  der  Kantate.  Und 
so  auch  die  Behandlung  des  Melismas.  Auf  seine  Behandlung  in  dieser 
Kunstform  komme  ich  unten  im  Zusammenhang  zu  sprechen. 

Betrachten  wir  nun  die  Passaggie  dieser  Zeit  selbst,  so  dürfen  wir 
feststellen,  daß  sie  erheblich  an  Rundung  und  Sanglichkeit  gewonnen  hat. 
Sie  paßt  sich  den  Bässen  geschickter  an,  vermeidet  ermüdende  Aus- 
dehnung, sucht  rhythmische  Abwechslung  durch  Benutzung  trochäischer 
und  jambischer  Rhythmen  neben  gleichwertigen  Noten.  Auch  in  der 
Zusammenstellung  verschiedener  Notenwerte,  in  der  Kombination  beispiels- 
weise von  Sechzehntel  und  Zweiunddreißigstel  sucht  sie  zu  wirken,  ferner 
durch  wiederholte,  gehauchte  Noten,  Bewegungen  um  eine  Prinzipalnote 
in  Form  von  Doppelschlägen,  Pralltriller  und  Schleifer.  Erwähnen  muß 
ich  noch  die  Folge  von  Duolen  in  der  Melodiebildung,  die  in  dieser 
Periode  ihren  Ausgang  nimmt  und  manch  reizenden,  meist  liedförmigen 
Satz  fundiert.4)  Ferner  ist  derjenigen  Tonfiguren  zu  gedenken,  die  musik- 
technischen Motiven  ihre  Berechtigung  entnehmen.  Es  kommt  nämlich 
jetzt  schon  vor,  daß  die  Stimme  mit  einem  Instrument  in  Beziehung  tritt. 

1)  Vergl.  d.  Verf.  Studien  zur  Gesch.  d.  ital.  Oper,  S.    140  fr. 

2)  Ebenda  S.   156  fr. 

8)  Vergl.  d.  Verf.  Gesch.  d.  ital.  Oper,  Bd.  I,  S.  86. 

4)  Vergl.  d.  Verf.  Stud.  z.  ital.  Oper,  Bd.  I,   S.   72,    Anh.  S.   165,  S.  34  u.  Anhang 
S.  279. 

2* 


20  Erster  Teil. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  wird  das  Konzertieren  mit 
Streich-  und  Blasinstrumenten  häufiger,  aber  schon  jetzt  finden  sich  An- 
sätze einer  konzertierenden  Schreibweise,  so  in  Monteverdis  Incoronazione 
dl  Poppca.1)  Das  konzertierende  Instrument,  wohl  ein  Violoncello,  stellt 
ein  bewegtes  Thema  auf,  die  Singstimme  antwortet  in  Engführung: 


Splen-dor 


Endlich  habe  ich  noch  der  Koloratur  in  tonmalerischer  Funktion  zu  ge- 
denken. Die  Tonmalerei  der  Frottola,  des  Madrigals  und  der  Motette 
bezog  sich  einmal  auf  die  Schilderung  äußerer,  dann  aber  auf  diejenige 
innerer,  seelischer  Vorgänge.2)  Unter  den  zahlreichen  Mitteln  spielt  das 
Melisma  die  wichtigste  Rolle.  Nun  ist  hier,  worauf  m.  E.  noch  nicht 
scharf  genug  hingewiesen  wurde,  zu  unterscheiden  zwischen  einer  aus 
der  Anlage  des  Ganzen  geschöpften  Malerei,  und  der  unterstreichenden 
Illustration  eines  Wortes,  wie  lieta,  vioo  oder  vento,  pioggia,  fiamma  etc.,  die 
dann  zur  Tonspielerei  ausartet,  wenn  der  Zusammenhang  des  Gedichtes  und 
die  entsprechende  kompositorische  Anlage  mit  ihr  disharmoniert.  Diese 
Art,  Textworte  herausgreifend  musikalisch  zu  schildern,  gehört  in  solchem 
Grade  zum  Rüstzeug  musikalischer  Gestaltung,  daß  sie  auch  in  der 
Lyrik  germanischer  von  Italien  beeinflußter  Meister  eine  große  Be- 
deutung erlangt.  Hans  Leo  Haßler  ist  hierin  ganz  Italiener.  Bei  ihm 
wie  bei  seinen  Vorbildern  überwiegt  die  äußerliche,  an  das  Textwort 
geklammerte  Tonmalerei.  Auch  der  Sologesang  des  17.  Jahrhunderts, 
selbst  in  germanischen  Ländern 3y\  erblickt  in  der  Koloratur  tonmalende 
Qualitäten  dieser  Art,  doch  mehren  sich  die  Fälle,  in  denen  sich  melis- 
matische  Tonreihen  mehr  als  Interpretation  eines  aus  dem  Zusammenhang 
nur  besonders  hervorgehobenen  Begriffes,  also  als  wirkliche  Situations- 
oder Stimmungsmalerei  erweisen,  sei  es,  daß  sie  nunmehr  frei  aus  dem 
Gehalt  des  Gedichtes  und  der  kompositorischen  Anlage  selbst  resultieren, 
sei  es,    daß  sie  noch    an    ein  Wort,    eine   Textwendung   anlehnen.     Wenn 


!)  Vergl.  d.  Verf.  Gesch.  d.   ital.  Oper.     Bd.  II,   S.  89. 

2)  Peter  Wagner:  „Das  Madrigal  u.  Palestrina",  Viertelj.  Sehr.  f.  Musikw.  1892, 
S.  434  ff.,  und  R.  Schwartz  „Hans  Leo  Hassler  unter  dem  Linfluss  der  italienischen  Madriga- 
listen", ebd.   1893,  S.   11,  ff. 

8)  Vgl.  Huggens  Partodia  Musique  et  Musiciens  au  XVII  Siecle,  Correspondance  et 
oeuvres  musicals  de  Constant  Huggen  par  Jonckboet  et  Land  S.  CCLXXIX,  auch  Denk- 
mäler deutscher  Tonkunst,  Bd.   22,  insbesondere  S.  9,    II,    12. 


Erster  Teil.  21 

im  dritten  Akte  von  Landis  „Santo  Alessio"  nach  dem  Heimgang  des 
Helden  die  Religione  auffordert,  der  Freude  über  Alessios  Eingang  in 
den  Himmel  Ausdruck  zu  geben,  so  knüpft  zwar  die  weitausladende 
freudige  Passnggie  an  das  Wort  „eanto"  an,  deckt  sich  aber  gehaltlich 
mit  dem  stofflieben  Inhalt  und  der  musikalischen  Gestaltung  (C  1  a), 
überhaupt  bewahrt  Landi  auch  in  dieser  Hinsicht  ein  sonst  nicht  überall 
gefundenes  Feingefühl.  Wo  er  von  der  Koloratur  Gebrauch  macht,  ge- 
schieht es  stets  aus  dem  Bestreben  heraus,  die  Gesamtstimmung  zu  heben, 
nie  aber  um  ein  untergeordnetes  Detail,  oder  gar  ein  Wort  zu  illustrieren. 
Ein  vortreffliches  Beispiel  bietet  der  Schluß  des  Trinkliedes  des  Charon 
in  seinem  „Orfeo",  das  das  Behagen  des  als  gutmütigen  Polterers 
charakterisierten  Fährmannes  und  die  Wirkung  des  Lethetrankes  ungemein 
scharf  schildert.  Die  melismatische  Tonreihe  des  Schlusses  (C  1  b)  kenn- 
zeichnet sie  in  einem  Grade,  daß  man  meint,  den  Alten  hin-  und  her- 
schwanken zu  sehen,  worauf  der  Rhythmus  deutlich  hinweist.1)  Auch 
Monteverdi  versteht  es  meisterlich,  die  Situation  melismatisch  zu  gestalten.2) 
Einen  hübschen  komischen  Effekt  erzielt  er  im  „Ritorno  cV Ulisse" ,  wo 
der  Freier  Iro,  ein  Schwelger  und  Feinschmecker,  sich  durch  den  Tod 
seiner  Kumpane  um  seine  kulinarischen  Genüsse  gebracht  sieht.  Sein 
Wehklagen  ist  ganz  ernsthaft  gemeint,  aber  natürlich  mußte  die  Situation 
komisch  gestaltet  werden.  Ungemein  realistisch,  die  äußersten  Grenzen 
des  musikalisch  Zulässigen  streifend,  führen  wiederholte  Doppelschläge 
über  einen  langen,  florentiner  Triller  auf  einer  Note,  hier  natürlich  nicht 
kunstgerecht  gehaucht,  sondern  als  marcato  auszuführen,  in  ein  wirkliches 
Lachen  über,  das  mit  den  Worten  „cacle  in  riso  naturale"  anbefohlen 
wird.  Daß  diese  Tonbewegungen  auf  das  Wort  „riäa"  fallen,  bedeutet 
hier  natürlich  keine  bloße  Wortunterstreichung,  da  sie  dem  Verlaufe  des 
Gesanges  und  dem  textlichen  Inhalt  konform  sind.  (C  1  c.)  Dagegen 
ist  auch  bei  den  hervorragendsten  Geistern  jene  äußerliche  Art  der 
melismatischen  Tonmalerei  noch  immer  gebräuchlich.  Im  besten  Falle 
setzt  sie  sich  mit  dem  dichterischen  Inhalt  und  seiner  musikalischen  Wieder- 
gabe nicht  in  Widerspruch,  hebt  also  in  dem  einen  Wort  nur  einen 
Hauptgedanken  hervor.  So  wenn  Monteverdi  in  der  Incoronazione  di 
Poppea    dort,    wo  Ottavia  an  Jupiter    die  Frage   richtet,    wo    seine  Blitze 


J)  Vgl.  d.  Verf.   Gestb    d.  ital.  Oper.      Bd.  I,  S.  46  u.  Anhang,  S.   201. 

2)  Instrumentale  Tonmalerei  ist  bei  ihm  höchst  selten.  Im  „Combattimento  di 
Tancredi  e  Clorenda"  wird  das  Stampfen  des  Pferdes  —  moto  del  cavallo  —  geschildert 
mit  dem  zehnmal  wiederholten  Rhythmus  z>  [SSJ  ^  j— j  auf  dem  D-dur-Akkord  des  Continuo 
und  der  Geigen.  Dagegen  finden  sich  in  der  instrumentalen  Musik  vielfach  tonmalende 
Wendungen,  welche  auf  Uebertragung  von  Vokalsätzen  auf  die  Laute  oder  andere  Instrumente 
beruhen,  und  zwar  bereits  im   16.  Jahrhundert. 


22  Erster  Teil. 

seien,  den  ungetreuen  Nero  zu  strafen,  (C  1  d)  auf  nfulminiu  dreimal 
wiederholte  absteigende  Gänge  legt,  den  herabfahrenden  Blitz  zu  illustrieren. 
Auch  die  Schilderung  von  Vorgängen  aus  der  Natur  (C  1  e:  die  Euretti 
fordern  die  Vögel  auf,  Orfeos  Geburtstag  durch  ihren  Gesang  zu  feiern, 
C  1  f :  der  Flug  der  Furien)  läßt  sich  ästhetisch  rechtfertigen.  Dagegen 
sind  jene  madrigalesken  Wendungen  störend,  die  entweder  zum  Verlaufe 
des  Stückes  keinen  Zusammenhang  suchen,  oder  gar  zu  ihm  in  Wider- 
spruch geraten.  Selbst  Monteverdi  ist  diesem  alten  Brauch  noch  unter- 
worfen. Wo  im  „Ritorno  d' Ulisse"  bei  der  ersten  Begegnung  des  Helden 
mit  Telemach  der  Sohn  seine  Zweifel  an  der  Identität  des  Fremdlings 
mit  dem  Vater  äußert  und  ausruft  „tanto  Ulisse  non  vale,  o  scherzano  gli 
Del;  oppwr  mago  tu  sei"  wird  dem  Wort  „scherzano"  eine  leicht  hüpfende 
Fioritur  untergelegt,  die  hier,  an  dem  Wendepunkt  des  Dramas,  ganz 
unbegreiflich  erscheint,  wenn  man  nicht  weiß,  wie  tief  die  alte  Tonmalerei 
des  Madrigals  Wurzel  gefaßt  hatte.     (C  1  g.) 

Jenen  stereotypen  Formeln,  die  sich  bereits  seit  Zacconi  aus  der 
ununterschiedenen  Menge  der  Diminutionen  herausgehoben  hatten,  be- 
gegnen wir  nun  immer  wieder.  Zunächst  werden  sie  regelmäßig  aus- 
geschrieben. Der  Vorschlag  erscheint  einmal  trochäisch  betont,  mit  dem 
Baß  zusammenfallend,  häufiger  zu  ihm  konsonierend  als  in  der  Dissonanz. 
In  dem  Beispiel  C  2  a  ist  die  kurze  Note  konsonantisch,  so  daß  man 
sie,  harmonisch  angesehen,  garnicht  als  Hilfs-,  sondern  als  Hauptnote  be- 
trachten wird.  Rhythmisch  freilich  bleibt  sie  ein  Vorschlag.  In  C  2  b 
ist  das  Sechzehnteil  es  harmonisch  ein  dissonierender  Vorschlag  zu  dem 
d  als  Quint  des  g-moll  Dreiklangs.  In  C  2  c  und  d  bedeuten  die  Noten 
f  und  c  gleichfalls  dissonierende  Vorschläge.  Dort  ist  der  Vorschlag 
nicht  mensuriert  notiert,  eine  Schreibweise,  die  um  diese  Zeit  ganz  ver- 
einzelt dasteht.  Der  jambische  Vorschlag,  also  der  zeitlich  voraus- 
genommene, bedeutet  jetzt  nicht  mehr  lediglich  eine  Antizipation  der  Silbe, 
sondern  eine  zwischen  den  Hauptnoten  eingeschobene  Hilfsnote,  die  ent- 
weder die  erste  Hauptnote  wiederholt  (C  2  e)  oder  auch  ein  anderes 
Intervall  benutzt,  immer  aber,  wie  auch  die  Mehrzahl  der  Vorschläge 
der  klassischen  Periode  schreitet  sie  zur  Hauptnote  im  Sekundenintervall 
(C  2  f).  Aber  auch  ganz  frei  eintretende  Vorschläge  finden  sich.  Die 
Theorie  des  18.  Jahrhunderts  verbietet  sie,  wie  wir  sehen  werden,  völlig, 
da  sie  den  Vorschlag  als  Verbindung  betrachtet,  doch  hat  sich  die  Praxis 
niemals  an  diese  Vorschrift  gebunden.  Auch  Monteverdi  benutzt  ihn 
vielfach  sehr  wirksam.     (C  2  g.) 

Der  Gebrauch  der  Nachschläge  ist  der  alte  geblieben.  Sie  dienen 
auch  jetzt  als  durchgehende  Noten,  gewissermaßen  wie  zierliche  Ornamente 
zwischen  die  Pfeiler  der  Melodie  eingefügt.     (C  3  a — d.)     Sie  finden  sich 


Erster  Teil.  23 

als  einfache,  wie  als  doppelte,  im  Rezitativ  wie  in  der  Arie.  Besonders 
instruktiv  ist  unser  Beispiel  C  3  c.  Zwischen  den  Hauptnoten  fis,  d,  b 
des  vorletzten    Taktes    stehen    die    ornamentalen  Noten    es  als  Nachschlag 

nach  fis,  c  als  Vorschlag   zu  b. 

Eine  erhöhte  Bedeutung  gewinnt  jetzt  der  Schleifer.  Noch  in  der 
florentinischen  und  in  der  römischen  Oper  bis  1640  ist  er  selten.  Aber 
Luigi  Rossi  und  Monteverdi  in  seinen  letzten  Werken,  machen  häufig 
von  ihm  Gebrauch.  Der  Rhythmus  zweier,  schnell  zum  Haupttone  auf- 
steigender oder  von  oben  zu  ihm  absteigender  Noten  heißt  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  allgemein  lombardische  Manier.  Er  ge- 
winnt später,  schon  bei  Stradella,  auch  in  der  Instrumentalmusik  eine  so 
große  Verbreitung,  daß  unzählige  Arienthemen  auf  ihm  beruhen.  Moderner 
Musiksinn  könnte  ihn  auf  den  Ausdruck  besonderer  Energie  oder  Ent- 
schlossenheit beziehen,  aber  die  alte  Rhythmik  versteht  ihn  in  einem 
anderen  Sinne.  Er  ist  ihr  lediglich  melodieschmückend  und  spricht  einen 
besonderen  Affekt  garnicht  an.  Das  gilt  für  unsere  Periode  sowrohl,  wie 
für  die  zweite  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts,  bis  in  die  Zeit  Bachs,  Händeis 
hinein.  Im  Anhang  C  4  a — c  einige  Beispiele  aus  der  römischen  Oper. 
Der  drei-  und  viernotige  Schleifer  verschwindet  später  aus  der  Vokal- 
musik, behauptet  sich  aber  in  der  instrumentalen  und  ist  in  Glucks  Opern 
besonders  häufig. 

Die  anderen  Tonformeln,  trillo,  tremolo  und  groppo  bleiben  in  An- 
wendung. Allmählich  verliert  sich  die  Bezeichnung  trillo  für  den  schnell 
wiederholten  Ton  und  gewinnt  die  moderne  Bedeutung.  Das  Zeichen  t 
oder  tr  in  den  Partituren  des  17.  Jahrhunderts  nach  dem  Erlöschen  der 
alten  florentiner  Schule  bedeutet  überall  den  Sekundentriller.1)  Ver- 
schwindet auch  der  gehauchte  Triller,  so  bleibt  doch  eine  kürzere  Folge 
gehauchter  Noten  gleicher  Tonhöhe  bis  tief  in  das  18.  Jahrhundert  hinein 
in  Hebung,  besonders  in  der  Passaggie.  Der  groppo  wird  stets  aus- 
geschrieben. Der  Doppelschlag  erscheint  nunmehr  als  selbständige,  vom 
groppo  losgelöste  Figur,  in  ausgeschriebenen  Noten.  Auch  der  einfache 
und  doppelte  Pralltriller    wird    gerne  verwendet.      (Beispiele   C   5,  6,  7.) 

Die  italienische  Kantate. 

Neben  das  einstimmige  von  einem  oder  mehreren  Instrumenten  be- 
gleitete Madrigal  war  frühzeitig  die  Kantate  getreten.  Ihren  textlichen 
Inhalt    entnimmt    sie    fast    ausschließlich    der   Erotik.      Liebesglück    und 


J)  Missverstanden  hat  mich  Hess,    Heinz,   die  Opern  Alessandro  Stradellas.     Publ.  d. 
1.  M.-G.,   2.  Folge  Heft  3,  S.  38. 


04  Erster  Teil. 

Liebesleid  wird  in  ungezählten  Varianten  besungen.  Die  musikalischen 
Formen  der  Vokalmusik  wurden  auf  diesem  Gebiet  der  Kammermusik 
gleichzeitig  mit  denen  der  Oper  ausgebaut.  Auf  ihm  sich  zu  betätigen 
verschmähte  kein  Dramatiker.  Für  einen  kleinen  Kreis  gebildeter  Musik- 
freunde und  Dilettanten  bestimmt,  rechnete  die  Kantate,  anders  als  die 
Oper,  auf  intime  Wirkungen.  Hier  durfte  so  manches  ausgesprochen 
werden,  was  auf  dem  theatralischen  Schauplatz  unverstanden  oder  miß- 
gedeutet werden  mußte.  Die  Kantate  lediglich  als  die  kompositorische 
Vorfrucht  der  Oper  anzusehen,  geht  nicht  an.  Sie  wurde  ein  selbständiges, 
aber  dem  musikalischen  Gourme  vorbehaltenes  Kunstgenre.  Ihr  Einfluß 
auf  die  Oper  ist  überall  nachweisbar,  und  zwar  nicht  durchaus  in  einem 
ihr  günstigen  Sinne.  Man  vermochte  nämlich  nicht  immer  die  Gattungen 
und  ihre  stilistischen  Eigenarten  zu  scheiden,  und  führte  der  Oper 
kantatengemäße  Bildungen  zu,  die  einer  ernsthaften  musikdramatischen 
Prüfung  nicht  Stand  zu  halten  vermochten.  Diesem  Verfahren  kam  die 
in  der  späteren  römischen  und  der  venezianischen  Oper  nach  Cavalli  zur 
Herrschaft  gelangte  Anschauung  über  die  Beziehung  von  Wort  und  Ton, 
Handlung  und  Musik  entgegen.  Dem  Eindringen  kantatengemäßer  Formen 
setzte  sie  kaum  noch  Widerstand  entgegen.  Und  so  sehen  wir,  um  uns 
auf  unser  Gebiet  zurückzubegeben,  das  Eindringen  melismatischer  Ton- 
formeln,  in  absoluter  Bestimmung,  also  losgelöst  von  einer  dichterischen 
Anregung  zur  Charakteristik  oder  Tonmalerei,  von  der  Kantate  aus  in  die 
Oper  und  das  Oratorium  sich  vollziehen. 

In  der  Kantate  nämlich  hat  die  vokalisierende  Formel  von  vornherein 
eioe  weitere  Funktion  erfüllt,  als  in  der  Oper.  War  sie  hier,  noch  bei 
Monteverdi,  ein  ungemein  wertvolles  Mittel  der  Charakteristik,  das  bei 
dem  niedrigen  Stande  der  orchestralen  Technik  garnicht  zu  entbehren 
war,  so  konnte  sie  dort,  wo  es  sich  nicht  um  Zeichnung  von  Charakteren 
oder  Schilderung  von  Vorgängen,  sondern  lediglich  um  die  Entfaltung 
allgemeiner  Affekte,  wie  der  Liebe,  der  Trauer,  des  Zornes,  handelte, 
von  vornherein  durch  die  Linienführung  und  die  ihr  innewohnende 
melodische  Kraft  wirken;  sie  brauchte  keine  besondere  Beziehung  zum 
Text  zu  suchen  und  durfte  als  Ausdrucksmittel  rein  musikalischer  Art, 
als  Melodiebestandteil  selbst  eintreten. 

Verfolgen  wir  diesen  Vorgang  durch  die  Literatur  der  italienischen 
Kantate.  Man  ist  gewohnt,  sich  unter  ihr  ein  aus  einer  Reihe  von  Strophen 
gebildetes  Poem  vorzustellen,  das  sich  musikalisch  in  Arien  und  Rezitative 
gliedert.  Dem  ist  aber  nicht  so.  Zwar  weist  die  Kantate  am  Ausgange 
des  17.  Jahrhunderts  diese  Form  nicht  selten  auf.  In  ihrer  Entstehungs- 
und Glanzzeit,  vorzüglich  der  des  Carissimi  und  Luigi  Rossi,  aber  sind 
die  formalen  Bildungen  ungemein  mannigfache,  und  Arien  —  im  späteren 


Erster  Teil.  25 

die  Rezitative  unterbrechen,  kommen  niemals  vor.  Aber  auch  später, 
im  Ausgange  des  Jahrhunderts,  erscheinen  neben  der  Arie  auch  überall 
andere  Gebilde,  wie  denn  A.  Scarlatti  vielfach  das  Strophenlied  benutzt. 
Die  älteste  unter  den  Namen  cantate  oder  cantade  ed  arie  veröffentlichten 
Sammlungen  vor  Carissimi  überschreiben  jeden  Gesang  mit  einer  der 
Bezeichnungen:  cantade,  arte,  sonetto  oder  madrigale.  Zwischen  cantade, 
arie  und  sonetto  lassen  sich  unterscheidende  Merkmale  musikalischer  Art 
nicht  feststellen.  Es  sind  durchweg  Strophengesänge.  Die  Weise  wird 
entweder  wiederholt  oder  unter  Beibehaltung  des  Basses  variiert,  wie  das 
in  der  Oper  seit  Agazzaris  „Eumelio"  der  Brauch.  Eine  Vereinigung 
der  Strophen  zu  einer  höheren  Einheit  wird  nicht  versucht.  Dagegen 
sind  die  Madrigale  so  durchkomponiert,  daß  jeder  Strophe  eine  andere 
Melodie  entfällt,  wie  in  den  älteren  Solomadrigalen  des  Peri,  Caccini  etc. 
So  geartet  sind  die  Cantate  ed  arie  a  voce  sola  des  Ales.  Grandi1)  von 
1620  und  die  „Musiche  varie"  des  Ferrari  von  1637 1).  Einen  Fort- 
schritt weisen  die  Kantaten  des  Mannelli  von  16361)  insofern  auf,  als  sie 
in  durchaus  geschiedene  Teile  zerfallen,  und  jede  Strophe  eine  dem  text- 
lichen Gehalt  entsprechende  Behandlung  erfährt.  Sie  vereinigen  reizvoll 
Rezitative  und  melodisch  ariose  Elemente  in  der  Form  der  späteren 
venezianischen  Operngesänge.  Einen  weiteren  Schritt  zu  einer  feineren 
Differenzierung  tut  Cazzati,  Maurizio,  in  seiner  „Arie  ed  Cantate" 
von  16491).  Neben  der  alten  Yariationenform,  die  als  „aria"  bezeichnet  ist, 
weist  diese  Sammlung  bereits  Gesänge  auf,  die  völlig  durchkomponiert,  sogar 
nach  Takt  und  Tempo  (adagio,  allegrö)  gegliedert  und  von  Seccorezitativen 
durchsetzt  sind.  Auch  die  Yariationenform  erfährt  eine  Yerbesserung 
dadurch,  daß  die  neue  Strophe  nun  nicht  mehr  lediglich  in  Yarianten 
erscheint,  denen  ein  rein  musikalisches  Abwechslungs-  und  Steigerungs- 
prinzip zugrunde  liegt,  sondern  sich  zu  einer  Yeränderung  der  Grund- 
formel in  dem  Sinne  ausbaut,  daß  ihr  der  poetische  Yorwurf  maßgebend 
ist,  so  daß,  wo  er  mit  der  ersten  Strophe  übereinstimmt  oder  ähnliche 
Affekte  aufweist,  auch  die  erste  Melodie  beibehalten  wird.  Regelmäßig 
ist  aber  die  Yariationenform  überhaupt  nicht  konsequent  durchgeführt, 
vielmehr  die  letzte  Strophe  auf  eine  neue  Weise  gelegt,  indem  etwa 
drei  Strophen,  auf  dieselbe  Weise  in  Yariationen  behandelt,  eine  vierte 
auf  eine  neue,  als  Abgesang  folgt. 

Schloß  die  Melismatik  der  ältesten  Kantate  noch  an  die  des  Madrigals 
an,  so  beschreitet  Cazzati  auch  hier  eigene  Wege.  Dort  war  sie  üppig, 
dem  Wunsche  die  Stimme    in  bravouröse  Wendungen  zu  überführen  be- 


')  btadtbibliothek  Breslau.    Vgl.  Bohn,  Bibliographie  der  Musikwerke  etc.  unter  Gxandi, 
Ferrari,  Mannelli  und  Cazzati. 


26  Erster  Teil. 

stimmt,  so  daß  die  kleinen  Formen  unter  ihrer  Last  schier  zu  unterliegen 
drohten;  hier  ist  sie  mit  weiser  Sparsamkeit  auf  ein  schönes  Maßhalten 
zurückgeführt.  Ihre  Funktion  ist  durchweg  eine  melodische,  in 
zweiter  Linie  erst  eine  charakterisierende  oder  tonmalende.  Es  herrscht 
also  das  umgekehrte  Verhältnis,  als  in  der  älteren  römischen  Oper  und 
bei  Monteverdi. 

Carissimi  und  Luigi  Rossi,  die  Hauptvertreter  der  älteren  Kantate, 
bereichern  diese  Formen.  Auch  bei  ihnen  ist  jene  Aneinanderreihung 
von  Rezitativen  und  Arien,  der  späteren  Zeit,  nicht  zu  finden.  Die  ge- 
schlossenen Formen  bewegen  sich  ausschließlich  in  Liedform.  Daneben 
pflegen  sie  noch  die  Mischung  rezitativer  und  arioser  Elemente.  Es 
lassen  sich  etwa  folgende  Typen  feststellen:  1.  Jede  Strophe  erhält  einen 
eigenen,  liedförmigen  Satz,  der  tonisch  ausgeht.  Die  Struktur  innerhalb 
der  Strophe  ist  bald  ein  zwei-,  bald  ein  dreiteiliger  Liedsatz,  oder  be- 
schränkt sich  auf  eine  acht-  oder  sechzehntaktige  Periode,  selbst 
auf  eine  nur  fünf  bei  acht  Takte  umfassende  Phrase.  Zuweilen  schließt 
die  letzte  Strophe  dominantisch  und  leitet  zur  Wiederholung  der  ersten 
Strophe  auf  die  gleiche  Melodie  über:  a  b  c  a.  2.  Die  Strophen  erhalten 
nur  zwei  Melodien,  so  daß  die  dritte  Strophe  wieder  auf  der  ersten,  die 
vierte  auf  der  zweiten  erklingt:  a  b,  a  b,  a  b.  3.  Bei  einer  größeien 
Anzahl  Strophen  werden  nur  drei  auf  je  eine  neue  Weise  gesungen,  nun 
die  erste  Strophe  auf  die  erste  Melodie  wiederholt,  dann  die  vierte  und 
fünfte  auf  die  Melodien  der  zweiten  und  dritten  Strophe,  melodisch  meist 
leicht  verändert  gelegt,  und  endlich  mit  einer  Repetition  der  ersten  Strophe 
auf  die  alte  Weise  geschlossen:  ab  c  ab  c  a.  4.  Diese  Form  erscheint 
auch  so,  daß  die  vierte  und  fünfte  Strophe  neuen  musikalischen  Inhalt 
bekommen,  also:  a  b  c  a  d  e  a.  5.  Geschlossene  Sätze  wechseln  mit  Rezi- 
tativen ab.  Oft  herrschen  diese  so  sehr  vor,  daß  es  nur  einmal  zu  einer 
geschlossenen  Liedform  kommt.  Zusammengehalten  werden  diese  Ge- 
bilde durch  ein  dem  Rezitativ  eingefügtes  Thema,  das  die  Wesenheit  des 
Empfindungsgehaltes  musikalisch  festlegt,  und  an  das  dann  regelmäßig 
auch  der  Liedsatz  thematisch  anknüpft.  Um  ein  Beispiel  zu  geben:  In 
der  Kantate  des  Carissimi:  „Piangete,  aure,  ho  perduto  ü  mio  benul)  er- 
scheint ein  solches  Hauptthema: 


£EE£feEE 


-1 j 0 fl_# 1 1 , 1  . 


pian  -  ge  -  te,  au  -  re,  pian  -  ge     -     -     -     te 

wiederholt,    auf   anderen  Tonstufen,    und   im  Liedsatz    selbst    in    der  Er 
Weiterung: 


*)  Gevaerts  Kantatensammlung,    Bibl.  du  Conservat.  royal  de  Bruxelles. 


Erster  Teil.  27 


ma  -  te, 


An  anderer  Stelle  wechseln  liedförmige  Sätze  mit  Rezitativen  ab,  die 
dort  aus  dem  Secco  ins  Ariose  übergehen,  wo  sich  ein  gehobener  Aus- 
druck einstellt.  Auch  in  dieser  Form  wird  dem  Streben  nach  einer  Zu- 
sammenfassung und  Konzentrierung  durch  Wiederholung  des  Satzes,  der 
den  dichterisch  und  musikalisch  wichtigsten  Gedanken  enthält,  Rechnung 
getragen.  Wie  im  modernen  Liede  verläuft  also  die  Bewegung  in  einem 
Kreise.  Nicht  bei  Carissimi,  wohl  aber  bei  Rossi,  erscheint  die  da  capo- 
Arie  der  älteren  Form,  die  in  allen  Teilen  tonisch  ausgeht. 

Yokalisierende  Wendungen  treten  in  allen  diesen  Formen  in 
erster  Linie  melodieschmückend,  und  melodievarierend  auf,  aber  auch, 
allerdings  erst  in  zweiter  Linie  charakterisierend  oder  tonmalend,  endlich 
auch  als  Schlußbildungen.  Carissimi  ist  überall  sichtlich  bemuht,  sie  der 
Form  nach  Substanz  und  Ausdehnung  anzupassen  und  aus  der  poetischen 
Grundlage  gewissermaßen  herauszuholen.  Seine  Liedsätze  überlastet  er 
nirgends,  ja  nicht  wenige  entbehren  jeden  Schmuckgesanges  und  wirken 
in  ihrer  syllabischen  Einfachheit  wie  ein  Lied  der  neueren  Kunst.  Wo 
sich  die  Formen  weitern  und  dem  Ariensatz  nähern,  da  lagern  wohl 
auch  vokalische  Tonformeln  einmal  breiter  aus.  In  richtiger  Unter- 
scheidung ernster,  pathetischer,  und  heiterer,  freudiger  Stimmungen  be- 
schränkt er  sie  dort  auf  das  Nötigste  und  gönnt  ihnen  hier  einen  weiteren 
Spielraum.  Luigi  Rossi,  dem  es  in  der  Oper  nur  darum  zu  tun,  den 
Ohren  durch  reizvolle  Melodien  zu  schmeicheln,  sind  solche  ästhetischen 
Erwägungen  fern.  Seine  Koloraturen  der  Kantate  sind  wahllos,  über- 
reich, ohne  kritische  Einsicht  verwendet  und  überwuchern  vielfach  Ge- 
danken und  Formen.  Aber  sie  haben  den  Yorzug  wirklicher  Gesanglich- 
keit, sie  sind  geschmeidiger  als  die  des  Carissimi,  bei  dem  wir  nicht 
selten  über  die  holprigen  Gänge  des  alten  Caccini-Stils  stolpern. 

Die  tonmalenden  und  charakterisierenden  Melismen,  die  hier  im 
Rezitativ  wie  in  den  geschlossenen  Formen  auftreten,  beruhen  auf  Wort- 
malerei. Yon  ihnen  wurde  bereits  bei  der  Oper  gehandelt,  ihren  Ausbau 
zur  Situationsschilderung  werden  wir  dort  weiter  verfolgen.  Dagegen  muß 
ich  jetzt  noch  der  Kadenzbildungen  gedenken,  die  gerade  in  der  Kantate 
ihre  erste  Ausbildung  erfahren  zu  haben  scheinen.  Die  Oper  pflegt  sie 
erst  in  der  venezianischen  Periode,  und  die  Annahme,  sie  sei  von  der 
Kantate  aus  in  sie  übergegangen,  liegt  nahe.  Bei  Carassimi  und  Luigi 
Rossi  tritt  das  Bestreben  hervor,  die  Schlüsse  durch  melismatische 
Wendungen  zu  befestigen,  und  zwar  regelmäßig  nach  erfolgtem  tonalen 
Ganz-  oder  Halbschluß.      Die    letzten  Textworte   werden  wiederholt  und 


28  Erster  Teil. 

zwischen  ihnen  und  dem  vorangegangenen  Schluß  eine  mehr  oder  weniger 
lange  Koloratur  eingeschaltet,  oder  auch  dem  letzten  Textwort  selbst 
untergelegt.  Diese  Bildungen  sind  von  Interesse,  weil  sie  später  in 
Kantate  und  Oper  zu  einer  selten  fehlenden  Erweiterung  des  Ariensatzes 
führen.  Sie  werden  allmählich  länger  und  wachsen  schließlich  zu  einer 
Coda  aus.  Noch  in  der  Händeischen  Zeit,  auch  in  seinen  Oratorien  und 
Opern  finden  wir  sie  wieder.  Zu  ihnen  treten  dann  noch  die  freien,  vom  Takt 
emanzipierten  Kadenzen  auf  dem  Quartsextakkord  der  Finalklausel.  Im 
Anhang  gebe  ich  einige  Kadenzen  aus  Kantaten  des  Carissimi,  C  8  a — c. 
—  Erweiterungen  durch  Koloraturen  innerhalb  der  Liedform  kommen 
einmal  vor,  um  bei  der  Wiederholung  der  Melodie  auf  einer  anderen 
Strophe  zu  variieren,  was  Rossi  besonders  liebt,  dann  aber  dort,  wo  ein 
Wort  oder  eine  Wendung  der  Dichtung  zur  tonmalerischen  Behandlung 
reizt.  So  ist  die  Erweiterung  in  dem  C  8  d  mitgeteilten  dreiteiligen 
Liedsatz  offenbar  auf  die  Beziehung  zu  dem  Worte  „corri"  zurück- 
zuführen, während  diejenige  in  der  Kantate  „Quanto  crechdo"  des  Luigi 
Rossi  (C  8  e)  nur  aus  dem  Wunsche  zu  verändern  und  der  Stimme 
Gelegenheit  zu  einer  melodischen  Koloratur  zu  geben  resultiert. 

Die  Bedeutung  der  älteren  Kantate  für  unseren  Gegenstand  dürfte 
hiermit  erschöpft  sein.  Im  weiteren  Verlaufe  unserer  Betrachtungen 
werden  wir  noch  auf  ihre  Fortbildung  durch  A.  Stradella,  A.  Scarlatti, 
Legrenzi  u.  A.  zu  sprechen  kommen. 

Die  Oper  nach  1645. 

Schon  in  der  letzten  Periode  der  römischen  Oper  bei  Yittori  und 
Luigi  Rossi  war  der  Schwerpunkt  des  musikalischen  Dramas  immer  mehr 
nach  der  musikalischen  Seite  hin  verschoben  worden.  Monteverdi  und 
sein  Schüler  Cavalli  hatten  dieser  Bewegung  noch  einmal  einen  Damm  ent- 
gegenzuwerfen vermocht,  ohne  sie  aber  auf  die  Dauer  aufhalten  zu  können. 
Mit  Marc.  Antonio  Cesti  ergibt  sich  auch  die  venezianische  Oper;  die 
Florentiner  Atto  und  JacoboMelani  segeln  bereits  mit  vollen  Segeln  in  dem 
behaglichen  Strome  der  Arienoper.  Die  neapolitanische  Oper  mit  Francesco 
Provenzale  wird  in  diesem  Geiste  inauguriert.  Wenn  Kretzschmar  sagt:1) 
„Dem  feinen  Geschmack  und  geschärften  Urteil  des  venezianischen 
Publikums  entging  keine  Eigentümlichkeit  im  Ausdruck,  keine  neue 
Wendung,  im  Sinne  oder  in  der  Form,  auch  kein  Versehen,  keine  Unge- 
schicklichkeit", so  gilt  dies  über  die  Venezianer  hinaus  für  das  ganze 
Opernwesen  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts.  Das  Interesse  war 
in  solchem  Grade  auf  den  Sologesang  konzentriert,  daß  der    Chor  immer 


!)  Viertelj.  Sehr.  f.  Musikw.   1892. 


Erst«  Teil.  29 

mehr  zurücktritt,  und  der  mehrstimmige  Einzelgesang,  das  Ensemble, 
unausgebildet  bleibt.  Und  rechnete  noch  Cavalli  mit  der  Wucht  des 
dramatischen  Ausdrucks,  vorzüglich  im  Rezitativ,  so  liegt  schon  bei  Cesti, 
den  Spätvenezianern  Provenzale  und  Alessandro  Scarlatti,  je  mehr  die 
geschlossene  Form  vor  dem  Sprachgesang  prävaliert,  die  Entscheidung 
in  der  gesanglich  schön  gestalteten  Arie,  aber  auch  in  der  Grazie  der 
technischen  Ausführung,  und  der  geschickten  Einfügung  der  ornamentalen 
Zutaten.  Die  Oper,  einmal  auf  diese  Bahnen  gedrängt,  wird  nun  der 
Sammelplatz  eines  glänzenden  Sängerkreises,  dem  zu  dienen  selbst  den 
hervorragendsten  Musikern  die  wichtigste  Aufgabe  erscheint.  Diese 
Periode,  etwa  die  Jahre  1650 — 17*20  umfassend,  also  auch  die  Jugend- 
und  besten  Mannesjahre  Bachs  und  Händeis,  hat  die  vokale  Melismatik 
bis  zur  höchsten  Steigerung  hinangeführt. 

Mehr  als  je  war  Italien  der  Brennpunkt  des  musikalischen  Lebens, 
und  da  die  Sänger  für  Oper  und  Konzert  fast  ausschließlich  aus  diesem 
Lande  verschrieben  wurden,  mußten  selbst  die  größten  Meister  des  Aus- 
landes, wie  Händel  in  England,  sich  ihren  Gewohnheiten  fügen.  Nur 
die  Franzosen  und  unser  J.  S.  Bach  blieben  in  gewissem  Sinne  unabhängig. 

Die  Venezianer. 

Die  musikalische  Aufgabe  der  Melismatik  erfassen  die  Venezianer 
in  weiterem  Sinne  als  Monteverdi.  Diente  sie  ihm  in  erster  Linie  zur 
Charakteristik,  so  wird  sie  ihnen  nunmehr  auch  ein  wesentliches  Element 
der  Melodiebildung  und  Thematik  selbst.  Sie  fungiert  dann  musikalisch 
selbständig,  ohne  Beziehung  zur  Situation,  zu  den  Affekten  anzustreben 
und  zwar  in  den  geschlossenen  Formen  ebenso,  wie  im  Rezitativ,  dort 
wo  es  in  melodische  Wendungen  übergeht.  Diese  hier  stark  hervor- 
tretende Bestimmung  des  vokalisierenden  Elementes  der  Melodiebildung 
dürfte  mitbestimmt  worden  sein  von  dem  nunmehr  reicheren  Gebrauche 
der  Instrumente,  insbesondere  der  Violinen,  die  vielfach  das  Thema  vor- 
anschicken oder  es  dem  Gesang  folgen  lassen.  Die  Komponisten  denken 
nun  nicht  mehr  rein  vokal,  gestalten  vielmehr  so,  daß  Stimme  und 
Instrumentenspiel  zu  ihrem  Rechte  kommen.  Betrachten  wir  das  Bei- 
spiel aus  Cavallis  „Egisto"  (D  1),  so  wird  die  gleichzeitig  gesangliche 
und  instrumentale  Bestimmung  des  Themas  sofort  klar.  Aber  auch  im 
Verlaufe  des  Gesanges  an  Nebenstellen,  also  abseits  der  Hauptthemen, 
treten  nun  überall  lediglich  melodisch  gemeinte  Koloraturen  hervor,  nicht 
nur  in  lebhaften  Allegri,  sondern  selbst  in  getragenen  breiten  Sätzen. 
Ich  verweise  als  Beispiel  auf  den  Gesang  „Delizie  contente"  im  „Giasone" 
des  Cavalli.1)     Wo  im  Rezitativ    die  Sprachdiktion    in  Melodie   übergeht, 

l)  Publ.  d.  Ges.  f.   Musikfoischung.     Bd.    12,  S.    19  ff. 


30  Erster  Teil. 

stellen  sich  überall  gerne  Melismen  ein.  In  dem  gewaltigen,  an  Größe 
und  Kraft  des  Aasdrucks  kaum  wieder  erreichten  Aufruf  der  Creusa1) 
„Enea,  Eneau  in  der  nDidoneu  schließt  der  erste  Abschnitt  mit  einer 
absteigenden  Vckalise  auf  „piatige".  (D  2.)  Bei  Cavalli  herrscht  immer- 
hin noch  eine  weise  Ökonomie  in  der  Anwendung  melodischer  Ton- 
formeln, dagegen  zeigt  uns  Cesti  ein  weiteres  Anwachsen  und  Zunehmen 
üppiger  Tonphrasen,  die  in  ihren  barocken  Formen  die  schlichte  Gliederung 
zu  überdecken  gerade  so  bestimmt  erscheinen,  wie  die  überreichen  figür- 
lichen Dekorationen  der  Fassaden  profaner  und  kirchlicher  Bauten  jener 
Zeit  den  Grundriß. 

In  der  Anwendung  der  Koloratur  im  Dienste  der  Charakteristik 
und  Tonmalerei  schließen  die  venezianischen  Dramatiker  an  Monteverdi 
an.  Auch  sie  gehen  von  der  madrigalesken  Anlehnung  an  das  Wort 
aus,  dringen  aber  doch  schon  nicht  selten  zu  einer  Gestaltung  vor,  die 
auf  den  Affekt  selbst,  ja  auf  die  Gesamtsituation  ein  helles  Licht  wirft. 
Im  Rezitativ  wie  in  der  Arie  verfehlen  sie  selten  die  Gelegenheit,  einzelne 
Worte  melismatisch  zu  illustrieren,  sei  es  für  äußere,  sei  es  für  seelische 
Vorgänge.2)  Im  „Giasone"  beklagt  Delfa  die  Vergänglichkeit  des 
Schönen  in  einem  getragenen  Gesang  in  E-moll.3)  Die  Worte  „rotino" 
und  yjugace"  veranlassen  die  Einführung  zweier  Tonformeln,  die  sich  nur 
auf  die  Beziehungen  zu  ihnen  deuten  lassen.  In  der  zweiten  Strophe 
kehren  sie  wieder,  hier  auf  Worte,  denen  sie  nicht  entsprechen.  (D  3.) 
Es  drängt  sich  hier  eine  Parallele  zwischen  der  gleichnisreichen  Sprache 
der  Literatur  und  der  Musik  jener  Zeit  auf.  Wie  dort  bilderreiches 
Nebenwerk  den  Gedanken  überwuchert,  so  liebt  es  die  Tonkunst,  das 
Wesentliche  mit  einer  Fülle  von  Einzelheiten,  nebensächlichen  Zutaten 
zu  umhüllen.  Wenn  Cesti  im  „Prencipe  generoso"  den  Triface  versichern 
läßt:  „Wenn  in  dem  Meere  eines  widerspenstigen  Schicksals  sich  der 
Sturm  erhebt,  darf  man  die  Hoffnung  nicht  verlieren",  lehnt  die  musikalische 
Behandlung  an  das  sprachliche  Gleichnis  an,  illustrieit  die  Worte  „torbido" 
und  nprocellaa  in  weiten  Gängen,  die  über  neun  Takte  von  den  sieben- 
undzwanzig Takten  des  Gesanges  einnehmen,  und  gibt  dem  Vordersatze 
mit  dem  Gleichnis  vierzehn  Takte,  bis  der  sprachliche  Hauptsatz,  der 
den  eigentlichen  Gedanken  bringt,  einsetzt.  (D  4.)  Ja,  man  kann  sagen, 
das  Bedürfnis,  tonmalerisch  zu  wirken,  bestimmt  geradezu  die  Form  und 
führt  zu  Erweiterungen,  die  die  Verhältnisse  der  natürlichen  Gliederung 
verschieben.     Wir   haben    hier    die  Anfänge    einer    für    die    spätere  Zeit 


*)  Mitgeteilt  vom  Verf.     Monatsh.  f.  Musikgesch.    1893,  S.  64fr. 

2)  Beispiele  in  der  Neuausgabe  v.  Cestis  „la  Dori".     Publ.  d.  Ges.  f.  Musikforschung, 
Bd.  12,  und  Neuausgabe  v.  Cestis  „Porno  d'oro",  Denkmäler  d.  Tonkunst  in  Oesterr.,  Bd.  2  —  5. 

3)  Publ.  d.  Ges.  für  Musikforschung,  Bd.   12,  S.  54. 


Erster  Teil.  31 

bedeutungsvollen  Formgebung,  auf  die  ich  später  bei  A.  Scarlatti  wieder 
zurückkomme. 

Zur  wirklichen  Charakteristik  durch  tonmalende  Melismen  er- 
heben sich  die  Venezianer  in  vielfach  recht  gelungener  Weise.  Kretzschmar 
verweist  auf  die  Arie  des  Borea  in  der  „Eritrea"  des  Cavalli.  Ich  möchte 
noch  in  erster  Linie  die  bukolischen  Szenen  hervorheben.  Im  „Eyisto" 
desselben  Meisters  schließt  an  den  Prologo  eine  stimmungsvolle  Morgen- 
szene an,  in  der  Livio  und  Clori  den  Yögeln,  Blumen  und  Lüften  zu- 
singen, liier  breiten  sich  überall  die  reizendsten  Tongänge,  wie  duftige 
helle  Schleier  über  den  Untergrund  einer  zarten  köstlichen  Melodie  aus.1) 
Sie  sind  es,  die  dieser  Idylle  einen  frischen  Naturhauch  zuführen.  Ferner 
ist  es  der  Affekt  einer  gehobenen  Stimmung,  der  Freude,  des  Triumphes, 
der  sich  allerwegs  in  langen  Passaggien  entlädt,  oft  das  Rezitativ  durch- 
setzend, wie  in  der  vierten  Szene  des  ersten  Aktes  von  Cavallis  „Ciro", 
als  der  Elmira  Ciro  angemeldet  wird.  (D  5.)  Zuweilen  konzertieren 
die  Instrumente  mit  der  Singstimme.  Ein  prachtvolles  Stück  weist  die 
sonst  schwächere  „Erismena"  des  Cavalli  auf  in  dem  „  Vittoria,  Vittoria" 
des  Agrippa  (Akt  1,  Szene  5),  dessen  Thema  fast  notengetreu  mit  dem 
gleichnamigen,  weltberühmten  Gesang  des  Carissimi  übereinstimmt.  Hier 
folgt  die  erste  Violine  den  Gängen  der  Baßstimme  in  Duodezimen,  also 
eine  schon  der  venezianischen  Oper  geläufige  Kombination,  welche  die 
neapolitanische  Schule  von  ihr  übernahm.     (D  6.)2) 

Konstruktiv  erbaut  sich  die  Passaggie  auch  jetzt  auf  der  Tonleiter 
und  ihren  Ausschnitten,  nimmt  natürlich  auch  andere  Intervalle,  wie 
Terzen-  und  Quartenschritte  auf,  mischt  ihr  auch  Terzengänge  ein,  und 
benutzt  die  wiederholte  gehauchte  Note  gleicher  Tonhöhe,  die  Nachschlags- 
und Doppelschlags-Bewegungen.  In  Arpeggien  geht  sie  dort  über,  wo 
kriegerische  Rufe  erklingen,  iudem  dann  die  Stimme  die  tromba  nachahmt.3) 

Die  Manieren  bilden  ein  wesentliches  Rüstzeug  des  melismatischen 
Figurenwerkes  der  Venezianer.  Der  Vorschlag,  also  eine  kurze,  vor  der 
Hauptnote  eingeschobene  Note  erscheint  nunmehr  fast  ausnahmslos 
in  jambischer  Form,  also  vorweggenommen  und  unbetont,  vorzüglich 
bei  den  Schlüssen,  und  zwar  so,  daß  er  harmonisch  die  Auflösung  der  vor- 
angegangenen Hauptnote  bildet,  so  daß  nur  die  sprachliche  Verbindung  mit 
der  zweiten  Hauptnote  ihn  rhythmisch  als  Vorschlag  charakterisiert. 
(D  7  a,  b.)   Doch  finden  sich  bereits  zahlreiche  kurze  Noten,  die  wirklich  als 


1)  Mitget.  v.  Verf.  i.  d.  Monatsheften  f.  Mus.-Gesch.   1893,  S.  95. 

2)  Eine    ähnlich    gestaltete   Arie    in    Ceslis  „Pomo  d'oro".     Denkmäler    der   Tonk.  i. 
Oesterr.,  Bd.  2,    S.  50  ff. 

3)  Ein  Beispiel:     Publ.  d.  Ges.  f.  Musikforschung,  Bd.   12,  S.   104. 


32  Erster  Teil. 

Nebennoteo,  lediglich  ausschmückend  eintreten,  also  wirklichjambische  kurze 
Vorschläge,  natürlich  stets  mensuriert  notiert,  und  zwar  stets  absteigend, 
wie  ja  auch  diese  Figur  der  klassischen  Zeit  in  der  Regel  sich  abwärts 
bewegt,  häufig  als  obere  Sekunde  (D  7  c  und  d),  also  bereits  ganz  den 
von  den  Theoretikern  des  18.  Jahrhunderts  aufgestellten  Regeln  konform, 
sehr  häufig  auch  in  der  der  klassischen  Zeit  geläufigen  Funktion,  Terzen- 
schritte zu  überbrücken.  (D  7  e.)  Wie  Monteverdi  gebrauchen  die 
Yenezianer  frei  eintretende  Vorschläge  im  Rezitativ  bei  Ausrufen  des 
Schmerzes,  der  Klage.  Sie  sind  dann  immer  leitereigen  zum  Basse  und 
die  Hauptnote  Dissonanz,  mildern  also  ihre  Härte  und  betonen  den 
schmerzlich  klagenden  Affekt.  (D  7  f.)  Das  gelingt  Cavalli  besonders 
gut  in  dem  erwähnten  Monologe  der  Creusa,  wo  sie  ausruft:  „Wenn  du, 
Enea,  gehst,  wer  bleibt,  den  süßen  Ascanio,  unseren  Sohn,  zu  behüten."1) 

Trochäische,  kurze  Noten,  vor  der  Hauptnote  eingeschaltet,  sind 
ungemein  selten.  In  Cestis  „Porno  d'orou  kann  ich  nur  ganz  wenige  nach- 
weisen. In  der  Arie  der  Alceste  ne  questa  ad  ogn'ora"  könnte  man  sie 
als  Auflösung  der  vorhergehenden  Dissonanz  betrachten,  wenn  nicht  eben 
die  rhythmische  Stellung  als  These  diese  Wirkung  aufhöbe.  (D  7  g.) 
Einen  wirklich  dissonierenden  trochäischen  Vorschlag  finde  ich  in  dem 
Gesänge  der  Alceste  „o  teneri  sensi"2)  am  Schluß,  wo  das  Achtel  g  der 
Altstimme  mit  dem  Quartsextakkord  auf  a  dissoniert  (D  7  h).  Jeden- 
falls bildet  der  trochäische  Vorschlag  bereits  in  dieser  Periode 
eine  seltene  Ausnahme  gegenüber  dem  jambischen,  der  uns  fast 
auf  jeder  Seite  begegnet.  Dies  festzustellen  ist  von  Wichtigkeit,  weil  das 
18.  Jahrhundert  mit  Agricola  uud  Ph.  Em.  Bach  einen  energischen  Kampf 
gegen  diese  Art  der  Vorschläge  eröffnet. 

Der  Nachschlag  erscheint  als  einfacher  und  als  doppelter.  (D  8  a — e.) 
Der  Doppelschlag  tritt  auch  hier  in  zwei  Formen  auf,  einmal  mit  der 
Vorschlagsnote  beginnend,  sodaß  die  Hauptnote  den  zweiten  und  vierten 
Ton  bildet  (D  9  a),  und  mit  der  Hauptnote  einsetzend,  hauptsächlich  als 
Kadenzformel  (D  9  b,  c).  Auch  in  den  Passaggien  spielt  er  eine  große 
Rolle.  (D  9  d.)  Der  Schleifer  in  zwei  Noten  ist  auch  hier  bereits 
nachweisbar.  Wir  hatten  ihn  bei  Monteverdi,  vorzüglich  bei  Luigi  Rossi 
als  beliebtes  Ornament  nachgewiesen.  Auch  hier  tritt  er  in  dieser  Funktion 
wiederholt  auf,  noch  nicht  aber,  wie  später,  schon  bei  Stradella,  als 
Bestandteil  der  Themenbildung.  (D  10.)  Der  durch  das  Zeichen  t  an- 
gedeutete Triller,  der  hier  natürlich  stets  die  Sekundenbewegung  bedeutet, 
vervollkommnet    das   reiche    Arsenal    der    melismatischen    Tonreihen    der 


*)  Vergl.  Monatsh.  f.  Musikgesch.    1893,  S.  66. 

2)  Denkmäler  d.  Tonk.  i.  Oesterr.     Bd.  3,  S.  41   und  47. 


Erster  teil.  $£ 

Venezianer.  In  der  Kadenz  hat  er  seinen  vorzüglichsten  Sitz.  Ganz- 
und  Halbschlüsse  figurativ  zu  beleben,  war  auch  der  römischen  Oper  und 
Monteverdi  nicht  fremd;  sie  begnügen  sich  mit  kurzen  melismatischen 
Formeln.  Cavalli  und  Cesti  beginnen  nun  nach  dem  Yorbilde  der 
Kantaten  des  Carissimi  und  Luigi  Rossi  die  Schlüsse  ausgiebiger  zu 
gestalten.  Einmal  bereiten  sie  ihn  gerne  durch  ausgedehnte  melodische 
Formeln  vor,  ja  sie  hängen  dem  tonalen  Abschluß  eine  melismatisch  ge- 
staltete Coda  an.  Dann  aber  schmücken  sie  überdies  noch  die  Final- 
formel selbst  mit  zierenden  Bewegungen,  überall  natürlich  unter  strikter 
Einhaltung  der  Taktbewegung.  Wir  stehen  hier  also  bereits  vor  den 
beiden  Haupttypen  der  Kadenz  der  neapolitanischen  Schule  und  der  alt- 
klassischen Kunst  Bach-Handels.  Als  Zierrat  der  Kadenz  selbst  dienen 
Doppelschlag,  Schleifer  und  Triller.  (D  10.)  Auch  Halbschlüsse  werden 
zuweilen  mit  melodisch  zerlegter  Oberstimme  gebildet  (D  10c  aeolischer 
Halbschluß).  Zuweilen  finden  sich  auch  vollständig  ausgeschriebene 
Kadenzen  auf  der  liegenden  Dominante,  wie  im  Prologo  von  Cavallis 
„Egisto".  (D  11.)  Der  Wunsch,  die  Schlüsse  zu  befestigen,  tritt  hier 
überall  in  Erscheinung  und  führt  einmal  dazu,  nach  eingetretenem  Ganz- 
schluß eine  Coda  einzulegen,  und  dann  die  letzten  Worte  nochmals  auf 
eine  mehrtaktische  Phrase  anzuführen,1)  dann  aber  dem  eigentlichen  Schlüsse 
eine  mehr  oder  weniger  ausgedehnte  melismatische  Schlußformel  voraus- 
zuschicken.2) Beide  Arten  der  Kadenz,  sowohl  die  vorbereitende,  als 
auch  die  der  Finalklausel  eingeschaltete,  übernehmen  die  Neapolitaner  so- 
wohl, wie  auch  Händel. 

Alessandro  Stradella. 

Den  Venezianern  nahe  stehen  Alessandro  Stradellas  Opern. 
Ich  kann  mich  hier  darauf  beschränken,  auf  die  Ausführungen  Heinz 
Heß's  hinzuweisen.  Eigentümlich  ist  seiner  Melodiebildung  die  reiche 
Verwendung  des  Schleifers,  auf  dem  „die  sinnliche  Weichheit  von 
Stradellas  Melodik  vorzüglich  beruht".  Mit  seiner  Passaggie  verfolgt  er 
wenigstens  regelmäßig  einen  künstlerischen  Zweck,  wenn  auch  nur  den 
äußerlicher  Charakterisierung  zur  Hervorhebung  einzelner  Begriffe.  Je- 
doch dringt  er  bereits  dazu  vor,  ein  Stück  ganz  auf  tonmalerischer  Basis 
zu  errichten.      Die   Passaggie   tritt   dann   nicht    unvermittelt   auf,   sondern 


*)  Beispiele:  Publ.  d.  Ges.  f.  Musikforschung,  Bd.  12,  S.  162  und  Denkmäler  der 
Tonkunst  i.  Oesterr.,  Bd.  3,  S.   141   am  Ende. 

2)  Vergl.  Denkmäler  a.  o.  O.     S.  24  am  Ende  u.  S.  27,  System  4. 

8)  »Die  Opern  Alessandro  Stradellas«.  Publ.  d.  I.  M  -G.,  Beihefte  2.  Folge  III. 
Leipzig   1906,  S.  32  ff. 

3 


34  Erster  Teil. 

thematisch.1)     Originell   ist    seine  Verwendung    der  Passaggien    und  Ver- 
zierungen im  Dienste  parodistischer  Komik. 

Die  Neapolitaner. 

Francesco  Provenzale. 

Auf  Francesco  Provenzale  und  seine  dramatischen  Werke  hat 
zuerst  Rolland2)  hingewiesen.  Eine  genauere  Prüfung3)  hat  mir  die  Ueber- 
zeugung  verschafft,  daß  wir  in  ihm  nicht  nur  den  ersten  bedeutenden  Meister 
Neapels,  sondern  geradezu  das  Haupt  seiner  Schule  zu  begrüßen  haben. 
In  der  Ausgestaltung  der  Arienform  insbesondere  bereitet  er  vor,  was 
Scarlatti  vollendete.  Seine  Melodik  der  seriösen  Teile  zeigt  eine  außer- 
ordentliche Kraft  der  Gestaltung,  eine  gewisse  Schwermut,  eine  tief  ernste, 
oft  rührende  Weichheit  der  melodischen  Substanz.  Ganz  eigenartig  ist  er 
im  komischen  Stil.  Die  Ansätze  der  venezianischen  Oper  hat  er  in  genialer 
Weise  ausgebildet,  und  die  Arien  dieses  Stils  sind  unübertreffliche  Vor- 
bilder nicht  nur  für  Scarlatti,  sondern  für  die  komische  Oper  der 
Italiener  überhaupt  geworden.  Kaum  hat  ihn  Scarlatti  hier  selbst  in 
seinen  glücklichsten  Stunden  erreicht.  In  ihrer  sprudelnden  Laune  und 
Frische,  in  ihrer  glücklichen  formalen  Abrundung  gemahnen  sie  selbst 
an  Mozart.  Seine  Stellung  zur  Melismatik  entspricht  der  Größe  des 
Mannes.  Nie  und  nirgends  erniedrigt  er  sie  zu  handwerklicher  Virtuosität, 
ein  Vorwurf,  von  dem  Scarlatti  durchaus  nicht  überall  freizusprechen 
ist.  Sie  artet  nie  zur  leeren  Formel  aus,  bleibt  stets  ausdrucksvoll,  dem 
Geiste  des  Musikstücks  angemessen,  mag  es  nun  ernst  getragen,  oder 
heiter  und  ausgelassen  sein,  und  erhebt  sich  zuweilen  zu  eindringlichster 
Vertiefung  der  Stimmung.  Stellidaura  —  in  der  Stellidaura  vendicata,  1678 
—  liebt  Armidoro.  Orismondo,  der  Fürst,  stellt  ihr  nach,  sodaß  jener 
seine  Liebe  geheimhalten  maß.  In  einem  Duette  kündet  Stellidaura  ihre 
Besorgnis,  Armidoro  sucht  sie  zu  trösten.  Ahnungsvolle  Bangigkeit  liegt 
über  dem  Ganzen.  Wie  prächtig  hat  der  Komponist  diese  Stimmung  in 
dem  Melisma  wiedergegeben.  (D  12  a.)  Man  beachte  die  unge- 
wöhnlichen Schritte  der  verminderten  Terzen  und  übermäßigen  Quarten. 
In  ähnlicher  Weise  äußert  Armidoro  seine  Liebesqual  (D  12  b),  später 
seine  Eifersucht  (D  12  c),  als  er  einen  Brief  der  Geliebten  zu  Gesicht 
bekommt,  den  er  an  den  Nebenbuhler  gerichtet  glaubt.  Auch  Energie 
und  Entschlossenheit  charakterisiert  Provenzale  in  ausgezeichneter  Weise 


*)  Vergl.  Hess  a.  o.  O.     S.  38. 

2)  Histoire  de  l'Opera  avant  Lully  et  Scarlatti,   Paris   1895. 

3J  Vergl.  d.  Verf.  Aufsatz   »Provenzale  als  Dramatiker«.     Sammelbd.  d.  I.  M.-G.  VII, 
60G. 


Erster  Teil.  35 

in  melodischen  Tonformeln.  Stellidaura  stürzt  in  des  Fürsten  Zimmer, 
ihre  Rache  an  dem  Frevler,  der  ihren  Geliebten  zu  töten  versucht  hat, 
zu  nehmen.  Ohne  Rezitativ  setzt  sie  sofort  mit  einer  Arie  ein,  deren 
energische  Rhythmik  an  Händel  gemahnt.  (D  12  d.)  Freilich  konserviert 
Provenzale  neben  dieser  höheren  Gattung  auch  die  alte,  an  das  Wort 
gebundene  Tonmalerei,  aber  in  durchaus  maßvoller  Weise.  Die  kleinen 
Verzierungen  übernimmt  er,  ohne  hier  wesentlich  Neues  hinzuzufügen. 
Deshalb  werden  einige  Beispiele  im  Anhange  genügen,  ihn  auf  diesem 
Felde  kennen  zu  lernen.  (D  12  e — o.)  Unter  D  12  m  teile  ich  einen 
Echoeffekt  mit,  der  sich  bereits  in  dieser  Periode  häufig  findet. 

Alessandro  Scarlatti. 

Alessandro  Scarlatti,1)  dem  hier  mit  Rücksicht  auf  sein  An- 
sehen, die  große  Zahl  seiner  Werke  und  auf  seinen  Einfluß  in  der  ge- 
samten Musikwelt  ein  größerer  Raum  bewilligt  werden  muß,  gehört  zu 
denjenigen  Erscheinungen  in  der  Geschichte  der  Musik,  die  in  dem  Aus- 
bau vorgefundener  Formen,  in  der  Entfaltung  fruchtbarer  Keime  der 
Vergangenheit  ihre  Bedeutung  haben.  Neue  Gesichtspunkte  hat  er  dem 
musikalischen  Schaffen,  und  dem  musikalischen  Drama  insbesondere,  nicht 
eröffnet.  Er  lenkt  ohne  Besinnen  in  jene  von  seinen  Vorgängern  be- 
tretenen Pfade  ein  und  verfolgt  sie  bis  an  das  Ende  seiner  Schaffens- 
zeit. Scarlattis  Entwicklung  zeigt  keine  Abkehr,  wie  diejenige  der 
großen  deutschen  Meister  Händel  und  Gluck.  Er  bleibt  der  Opern- 
lieferant der  großen  italienischen  Städte,  bemüht,  dem  Geschmacke  des 
Publikums  zu  entsprechen.  Scarlatti  war  eine  durchaus  lyrische  Natur. 
Er  schließt  deshalb  an  die  Bewegung  an,  die  sich  in  Venedig  durch 
Cesti,  in  Neapel  durch  Provenzale,  seinen  Lehrer,  und  in  Rom  durch 
Luigi  Rossi  vorbereitet  hatte.  Dramatisch  zu  gestalten,  wie  Cavalli, 
war  ihm  versagt.  Für  den  Ausbau  der  Oper  als  Drama  hat  er  nicht 
nur  nichts  geleistet,  ihr  vielmehr  den  Weg  nach  dieser  Richtung  auf 
Jahrzehnte  hin  verlegt.  Aber  die  musikalische  Technik  verdankt  ihm 
viel.  Das  Harmoniesystem  der  Klassiker  hat  er  geradezu  geschaffen,  die 
musikalischen  Formen  in  Symphonie  und  Arie  in  ungeahnter  Weise  be- 
reichert und  bis  ins  feinste  Detail  hinein  ausgearbeitet.  Seine  orchestrale 
Instrumentation  ist  weit  reicher  als  die  seiner  Vorgänger,  die  Stimm- 
führung weit    sorgfältiger    und  fesselnder,    dazu   kommt  sein  schier  uner- 


l)  Ich  bemerke,  dass  ich  eine  grosse  Anzahl  Partituren  Scarlattischer  Opern  der 
Bibliotheken  von  Neapel,  Rom  (Cecilia),  Florenz  und  Modena  durchgesehen  habe.  Den 
Bestand  der  französischen  und  belgischen  Bibliotheken  kenne  ich  leider  nicht.  Erst  nach 
Niederschrift  dieses  Abschnittes  kam  mir  Dents  Buch  »A.  Scarlatti«  zu  Händen.  Sein  Inhalt 
konnte  mich  nicht  zu  Aenderungen  meiner  Ansicht  bestimmen. 

3* 


3fi  Erster  Teil. 

schöpflicher  Reichtum  an  melodischen  Gedanken  und  die  Fähigkeit, 
Stimmung  und  Situation  durch  prägnante,  charakteristische  Themen  zu 
erfassen  und  mit  einem  Ruck  ins  hellste  Licht  zu  setzen.  Seine  Ent- 
wicklung in  dieser  Hinsicht  hat  sich  allmählich  vollzogen.  Vergleicht 
man  seine  Frühopern,  etwa  den  „Prigioniero  fortunato"  oder  „Dal  male 
il  bene":  mit  seinen  letzten  Arbeiten,  dem  „Cambise"  und  „Tigrane",  so 
erkennt  man  wohl  noch  dieselbe  melodische  Grundlinie,  aber  formal,  in 
der  Ausgestaltung  der  Arie,  in  der  Instrumentation,  vor  allem  aber  in 
der  Erschöpfung  der  poetischen  Grundlage  läßt  dieser  Vergleich  er- 
kennen, wie  weit  er  sich  in  den  vierzig  Jahren  seines  Schaffens  vorwärts 
geschoben  hat.  Das  Aufgebot  an  Mitteln  wird  stetig  größer,  die  In- 
strumentation wohlklingender  und  komplizierter;  die  Vorliebe  für  die  Be- 
teiligung konzertierender  Instrumente  nimmt  zu,  die  Arie  gewinnt  an 
Ausdehnung,  insbesondere  durch  Ausdehnung  des  ersten  Teiles,  die 
harmonischen  Beziehungen  der  einzelnen  Teile  zu  einander  werden  mannig- 
facher, die  Harmonik  kühner,  die  melodische  Phrase  selbst  gewandter 
und  ausdrucksvermögender. 

Diente  in   der  römischen  Oper,    bis  zu    Luigi  Rossi,  bei  Monte- 
verdi   und  auch    bei  seinem  Lehrer  Provenzale  die  melismatische  Ton- 
formel in  erster  Linie    als  Ausdrucksmittel,    in  tonmalendem  Sinne,    oder 
als  Ausfluß  eines  gesteigerten  seelischen  Gefühles,    so  schlägt  sich  Scar- 
latti    hierin    ganz   auf    die    Seite    Cestis  und  der  Kantatenkomponisten. 
Der  Übergang  aus  dem  syllabischen  in    den  melismatischen  Gesang    will 
nicht  mehr,  wie  bei  jenen,    etwas  Besonderes  sagen,    eine  poetische  Idee 
verkörpern,  ein  Wort  hervorheben,  oder  einer  Stimmung  Ausdruck  geben, 
die    der    syllabische  Gesang    nicht    erschöpfen  konnte.      Wohlverstanden, 
das  Melisma  dient  auch  bei  ihm  noch  den  Zwecken  der  Charakteristik,  aber 
es    wird    ihm,    wie    seinen    Schülern    und    Nachfolgern    ein    wesentlicher 
Bestandteil   der    Melodie    selbst.       Nicht    nur    werden    die    Arienthemen 
selbst  schon  ohne  jeden,  aus  der  Poesie  resultierenden  Anlaß  melismatisch, 
ja  ziergesanglich    gestaltet  (E   1),    es    dient    auch    als  thematisches  Hilfs- 
mittel zur  Verarbeitung  und  zur  Vollziehung  modulatorischer  Uebergänge. 
Die  Arie  „Amanti,  piangete"   in  der  „Griselda"  (E  2)  beginnt  in  g-moll, 
wendet  das  Thema  nach  d-dur,    geht    dann  nach  d-moll,    mit  dem  Sext- 
akkord auf/,  und  sucht  seinen  ersten  Halbschluß  in  a-dur.     Zur  Modu- 
lation von  d-moll  nach    a-dur  wird    ein   langes  —  übrigens  sehr  schönes 
—  Melisma    benutzt,    das  eben    nur    diese   musikalische  Funktion  erfüllt, 
in  der  Poesie  und  Wortunterlage  („consolateoi")  keine  Rechtfertigung  findet. 
Die  Passaggie    ist    um    ihrer    selbst    willen    da,    sie  bedarf  keiner 
der    Poesie    entnommenen    Begründung.       Daß    mit    der    Ablösung    der 
vokalisierenden    Phrase    von    der    poetischen    Unterlage    in    dramatischer 


Erster  Teil.  37 

Hinsicht  eine  abschüssige  Bahn  betreten  wurde,  zeigt  sich  bei  Scarlatti 
in  erschreckender  Deutlichkeit.  Nicht  als  ob  es  Scarlatti  an  musik- 
dramatischem Sinn  gänzlich  gefehlt  habe,  ist  er  doch  noch  bestrebt  nach 
dem  Muster  Monteverdis  wenigstens  den  einzelnen  Szenen  einen  inneren 
Zusammenhang  zu  wahren,  wenn  er  Motive,  ja  ganze  Arien  wiederholen 
läßt,  wie  in  der  sechsten  Szene  des  ersten  Aktes  in  „Honesta  negli  amori" 
und  mehrfach  in  der  „  Teodora  Aiujusta".  Aber  die  Umrissung  der 
Charaktere,  die  Einbeziehung  der  Handlung  in  die  musikalische  Ge- 
staltung wird  vernachlässigt,  und  nur  das  Rezitativ,  vielfach  bis  zum 
Secco  abgeschwächt,  hält  den  Faden  des  Verlaufes  in  der  Hand,  die  Arie 
dagegen,  auf  deren  Ausbau  der  musikalische  Nachdruck  liegt,  entspricht 
wohl  der  jeweiligen  Situation  und  den  die  Handlung  beherrschenden 
Affekten,  versäumt  aber  nicht  selten  den  Anschluß  an  das  Ganze  und 
bedeutet  dann  mehr  einen  unliebsamen  Stillstand,  als  eine  Klarlegung  der 
Handlung  oder  Vertiefung  der  Charakteristik.  Innerhalb  dieser  Grenzen 
freilich  erhebt  sich  Scarlatti  nicht  selten,  wo  die  poetische  Anregung 
ihn  fortreißt,  zu  mächtiger  und  zwingender  Größe  des  Ausdrucks. 
Im  „Cambise"  und  „Tigrane",  Opern  seiner  letzten  Schaffensperiode,  ins- 
besondere, ragen  einige  Gesänge  zu  wahrhaft  großer  Tragik  empor  und 
gehören  melodisch  und  harmonisch  zum  Erhabensten,  was  uns  die 
italienische  Kunst  geschenkt  hat.  Aber  überall  erscheinen  doch  auch 
Bildungen,  die  erkennen  lassen,  daß  selbst  nur  eine  musikalische  Er- 
schöpfung des  Arientextes  —  ganz  abzusehen  von  der  dramatischen  Be- 
ziehung zum  Ganzen  —  garnicht  mehr  Endzweck  dieser  Musik  ist,  daß  es 
vielmehr  auf  Füllung  der  Form  mit  musikalisch  schön  gestalteten  Ge- 
danken, unabhängig  von  der  poetischen  Unterlage,  in  erster  Linie  an- 
kommt. Ist  noch,  vorzüglich  in  den  langsamen  Sätzen,  in  der  Strophen- 
arie, also  dort,  wo  kein  Da  capo  vorliegt,  für  die  die  Frühoper  „Onestä 
negli  amori"  besonders  gelungene  Muster  aufweist,  ein  schönes  Gleich- 
gewicht zwischen  Poesie  und  Musik  gewahrt,  so  tritt  dort,  wo  die  Form 
zu  Dehnungen  und  Textwiederholungen  zwingt,  dort  besonders,  wo  ein 
ganz  kurzer  Text  von  etwa  vier  Versen  zu  einer  weitausgebauten  drei- 
teiligen Arie  aufgebauscht  ist,  ein  rein  sinnliches  Musizieren  hervor,  das 
keine  geistige  Anlehnung  an  die  Worte  mehr  sucht.  Dann  sinkt  das 
Wort  herab  zum  Träger  des  physischen  Stimmtones,  eine  geistige  Be- 
deutung fehlt  ihm  ganz  oder  doch  fast  völlig.  Als  Beispiel  solcher,  bis 
zur  Tonspielerei  herabsinkender  Wendungen  wähle  ich  eine  Arie  aus  dem 
„Prigionero    fortunato",    also    einem    Frühwerke,    (E  3)1)    und    die    Arie 


1)  Schon  in  einer    seiner   ersten  Opern,    der   »Teodora  Augusta«,    kommen  solche  ab- 
normen Bildungen  vor. 


38  Erster  Teil. 

„quando  tiranno  Amore  tra  lacci  prende  un  core,  Valletta  e  lo  lusinga7  ma 
scempio  pol  non  fa"  aus  „Griselda".  (Wenn  die  allmächtige  Liebe  ein  Herz 
in  Fesseln  schlägt,  so  drückt  sie  es  nieder,  oder  schmeichelt  ihm,  aber  sie 
vermag  nicht  es  zu  verwüsten),  wo  die  fade  Koloratur  auf  dem  liegenden 
Basse  sich  besonders  unangenehm  zur  Sentenz  in  Widerspruch  setzt.  (E  4.) 
Der  Aufschwung  des  konzertierenden  Instrumentenspiels,  der 
in  den  letzten  Dezennien  des  17.  Jahrhunderts  in  Italien  einsetzte,  konnte  auf 
die  Oper  nicht  ohne  Einfluß  bleiben.  Wie  die  römische  Oper  in  der 
ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  sich  mit  der  bewährten  Kunst  der 
Polyphonie  befruchtet  hatte,  so  erleben  wir  jetzt  wiederum,  daß  der  Oper 
von  außerhalb  neue  Anregungen  zugeführt  werden.  Scarlattis  Stellung 
zum  Drama  war  von  vornherein  so  geartet,  daß  er  ein  musikalisches 
Element  einzuführen  bereit  sein  mußte,  das  ihm  eine  erwünschte  Ab- 
wechslung und  eine  Steigerung  musikalisch-schöner  Ausdrucksformen  ge- 
stattete. So  benutzt  er  denn  unbedenklich  konzertierende  Soloinstrumente, 
insbesondere  die  Violine,  die  Yioletta  d'amore,  das  Violoncello  und  die 
Tromba,  und  es  entstehen  unter  seiner  geschickten  Hand  wundervolle 
Kombinationen  mit  der  Singstimme,  so  lange  die  Eigenart  des  instrumentalen 
und  gesanglichen  Partes  gewahrt  wird.  Aber  die  Rivalität  führt  auch  zu 
einer  erhöhten  Anspannung  der  Leistungen  der  Singstimme.  Den  Ton- 
reihen der  Soloinstrumente  zu  entsprechen,  diente  der  melismatische  Ge- 
sang. Hier  wird  nun  vielfach  die  Grenze  des  gesanglich  Zulässigen  und 
Schönen  überschritten  und  die  Singstimme  in  der  Nachahmung  in- 
strumentaler Gänge  zu  Wendungen  gezwungen,  die,  selbst  von  der 
bravourösesten  Technik  unterstützt,  als  Ausartungen  empfunden  werden 
müssen.  Dies  tritt  besonders  in  Erscheinung,  wo  die  Tromba  konzertiert. 
Dieses  Instrument  dient  auch  bei  Scarlatti  vorzugsweise  Stimmungen 
kriegerischer  Entschlossenheit,  wirkt  aber  auch  dort,  wo  ein  seelischer 
Kampf  auszufechten  ist.  Einen  solchen  schildert  die  Arie  „ondeggiateu  im 
„Prigionero  fortmiato"  (E  5)  bei  den  Worten  gran  battaglia  m'accende  nel 
cor.  Die  Stelle  ist  auch  tonmalerisch  charakteristisch,  worauf  ich  noch 
später  zu  sprechen  komme.  Hier  diene  sie  nur  als  Beispiel,  wie  weit 
dieser  große  Meister  des  Kunstgesanges  vom  rechten  Wege  abweicht,  wenn 
er  die  Stimme  zu  einem  Wettkampfe  mit  einem  Instrumente  zwingt,  bei 
dem  es  schließlich  nur  auf  die  stärkste  Lungenkraft,  also  eine  rein 
physische  Leistung,  ankommt.  Glücklicherweise  sind  solche  Ausschreitungen 
nicht  allzu  häufig.1) 


1)  Im  »Tigrane«  ist  der  Triumphzug  der  Tomiris  mit  einem  Aufgebot  reicher  Mittel 
ausgestattet,  durch  Sopransolo,  vierstimmigen  Chor,  konzertierende  Oboe  und  D-Trompete. 
Hier  bewahrt  Scarlatti  eine  weise  Zurückhaltung;  der  Stimme  ist  nichts  Unschönes  oder  auch 
nur  instrumental  Gedachtes  zugemutet. 


Erster  Teil.  39 

Ich  erwähnte  bereits,  daß  Scarlattis  Behandlung  des  Orchesters 
eine  weit  reichere  und  sorgfältigere  ist,  als  die  seiner  Vorgänger.  Er 
vertraut  ihm  nicht  selten  schon  die  musikalische  Charakteristik  an,  und 
zwar  schon  in  der  ersten  Zeit  seiner  Wirksamkeit.  Wenn  in  der  „Amazone 
guerriera"  von  1689  Alvida  sich  verraten  glaubt  und  ausruft:  »all'  armi, 
o  cor  tradito,  voglio  veudicarti",  so  hätte  jeder  andere  Meister  früherer 
Zeit  sie  ihren  Zorn  in  raschen  energischen  Passaggien  sich  entladen  lassen. 
Hier  aber  verharrt  sie  in  syllabischer  Deklamation,  DreiklaDgsschritte 
bevorzugend,  und  die  Instrumente,  jedenfalls  das  Streichquartett  schildert 
in  bewegten  unruhigen  Gängen,  welcher  Sturm  in  ihrem  Herzen  tobt. 
Und  solche  Bildungen  treffen  wir  fast  in  jeder  seiner  Opern.  Daß  mit 
ihnen  ein  wesentlicher  Fortschritt  angebahnt  war,  ist  nicht  zu  verkennen. 
Indessen  übte  die  regere  Beteiligung  des  instrumentalen  Körpers,  ins- 
besondere die  erweiterte  und  sorgfältigere  Aussetzung  der  Ritornelle,  auch 
gewisse  nachteilige  Rückwirkungen  auf  den  Gesang  aus,  eine  Erscheinung, 
die  wir  bereits  bei  den  Venezianern  beobachtet  haben.  Scarlatti  denkt 
seine  Themen  nicht  immer  mehr  rein  vokal,  stellt  vielmehr  zuweilen  ein 
instrumentales  Thema  im  Ritornell  auf,  mit  dem  sich  dann  die  später  mit 
ihm  einsetzende  Singstimme  abfinden  muß.  Dann  kommt  es  wohl  vor, 
daß  ihr  Tonwendungen  entfallen,  die  nicht  gesanglich,  sondern  instrumental 
klingen;  die  Grenze  des  gesanglich  Zulässigen  wird  dann  vielfach  ebenso 
überschritten,  wie  in  der  Konkurrenz  mit  konzertierenden  Instrumenten. 
Als  Beispiel  wähle  ich  eine  Arie  aus  der  »Teodora  Augusta".  (E  6.)  Die 
spätere  neapolitanische  Schule  ist  von  diesem  Verfahren  gleichfalls  nicht 
frei.  So  sehr  Händel  von  ihr  beeinflußt  erscheint,  die  Unterscheidung 
vokalen  und  instrumentalen  Stils  hat  er  überall  festgehalten. 

Daß  gegenüber  einer  solchen  erweiterten  Bedeutung  der  melis- 
matischen  Passaggie  ihre  der  älteren  Oper  eigene  Bestimmung,  tonmalend 
oder  charakterisierend  zu  wirken,  zurücktreten  mußte,  ist  klar;  denn  ist 
sie  das  musikalische  Ohr  in  diesem  —  also  melodischem  —  Sinne  zu 
hören  gelehrt,  so  wird  seine  Empfänglichkeit  für  ihre  Beziehung  zur 
poetischen  und  dramatischen  Substanz  abgeschwächt.  In  der  Tat  tritt 
denn  auch  bei  Scarlatti  die  eigentliche  Wortmalerei,  also  das  Streben, 
ein  einzelnes  Wort  musikalisch  zu  illustrieren,  zurück  und,  wo  sie  statt- 
hat, regelmäßig  nicht  bloß  als  Äußerlichkeit,  sondern  im  Einklang  mit 
dem  musikalischen  Erfassen  des  Ganzen.  Dann  erscheinen  wohl  auch  im 
Rezitativ  ausdruck vermögende  Passaggien  auf  Worte  wie  folgore,  ondeygiare, 
b-ospirare,  tempeate  und  andere.  Im  „Tigraneu  beginnt  ein  von  den 
Streichern,  ohne  Cembalo  begleitetes  Rezitativ  mit  einer  rollenden  Figur 
auf  folgore.  (E  7.)  Sehr  häufig  werden  bereits  die  Streichbässe  des 
Continuo    oder  ein    konzertierendes  Instrument    herangezogen,    kräftigere 


40  Erster  Teil. 

Farben  aufzutragen.  In  einer  Arie  der  Oper  „Clearco  in  Negroponte" 
fällt  der  Baß  der  Streichinstrumente,  wo  die  Gesangsstimme  das  Wort 
yjempeste"  ausspricht,  in  eine  rollende,  Donner  und  Sturm  andeutende 
Sechzehntelbewegung,  auch  hier  durchaus  im  Geiste  der  Anlage  des 
ganzen  Stückes,  während  die  Singstimme  im  Orgelpunkt  einen  Ton  fest- 
hält, bis  dann  nach  erfolgtem  Schluß  die  Singstimme  dieselbe  Passaggie 
wiederholt  und  der  Baß  lediglich  begleitet.  (E  8.)  Die  weitere  Begriffs- 
bestimmung des  Melismas  bei  Scarlatti  ist  es,  wie  angedeutet,  die  ihn 
zwingt,  dort,  wo  er  auf  ton-  oder  stimmungmalende  Effekte  ausgeht,  zu 
kräftigeren  Mitteln  zu  greifen,  wo  die  ältere  Oper  mit  weit  einfacheren 
auskommen  konnte.  Er  baut  denn  auch  öfter,  wie  bereits  vor  ihm  in  ver- 
einzelten Fällen  Stradella,  ein  Tonstück  vollständig  auf  ton- 
malerischer Grundlage  auf,  wobei  Instrumente  und  Gesang  zusammen- 
wirken. Ich  wies  bei  den  Venezianern  bereits  darauf  hin,  daß  die 
Vorliebe  für  die  Tonmalerei  dahin  führte,  schildernde  Worte  der  Text- 
unterlage, wie  ondeggiate,  susurrate  zum  Ausgangspunkt  der  Anlage  des 
Stückes  zu  machen,  auch  wenn  der  poetische  Inhalt  garnicht  auf  eine 
Schilderung  äußerer  Vorgänge,  sondern  auf  einen  seelischen  Effekt  hinaus- 
läuft. Während  aber  dort,  bei  den  Venezianern,  diese  tonmalerischen  Elemente 
noch  nicht  restlos  im  Ganzen  aufgehen,  gelingt  es  Scarlatti  nicht  selten, 
den  tonmalerischen  Inhalt  mit  dem  seelischen  Affekt  zu  einem  einheitlichen 
Ganzen  zu  verschmelzen.  Freilich  nicht  überall.  Vielfach  kontrastieren 
auch  bei  ihm  die  auf  Tonmalerei  angelegten  Floskeln  zu  dem  eigentlichen 
textlichen  und  musikalischen  Inhalt,  oder  suchen  wenigstens  keinen  intimeren 
Zusammenschluß.1)  Dagegen  ist  er  dort  besonders  erfolgreich,  wo  er 
den  Schmerz  oder  die  Sehnsucht  eines  liebenden  Herzens  in  einem 
bukolischen  Bilde  veranschaulicht,  wozu  ihm  eine  textliche  Wendung,  oft 
nur  ein  Wort  die  Handhabe  bietet.  Dann  tragen  die  musikalischen  Natur- 
schilderungen, wie  das  Murmeln  der  Lüfte,  das  Plätschern  der  Quelle, 
die  Entfaltung  der  seelischen  Vorgänge,  also  den  wesentlichen  Inhalt. 
Sie  sind  dann  nicht  mehr  eine  künstliche  Drapierung,  sondern  ein  gut 
gewähltes  Milieu.  Reinhard  Keiser  wird  hier,  wie  wir  sehen  werden, 
von  Scarlatti  glücklich  beeinflußt.  Ich  teile  (E  9  u.  10)  zwei  Stellen 
aus  analog  behandelten  Szenen  im  „Prigionero  fortanato  und  „Tigrane" 
mit.  Dort  ist  der  Wunsch  zweier  zum  Duette  vereinigten  Liebender: 
Quelle  und  Weste  mögen  die  Blumen  vor  der  Glut  ihrer  Liebestreue 
schützen,  hier  die  Vorstellung:  Das  Lüftchen  trage  die  Worte  zu:  es  ist 
süß  für  die  Liebe  zu  sterben,  in  tonmalerisch  ausgebildeten  Stücken  an- 

*)  Was  bei  Händel  immer  der  Fall.  Man  betrachte  beispielsweise  nur,  wie  in  der  Arie 
Josuas  »Weil  Kidrons  Bach«  der  tonmalende  erste  Teil  zu  dem  Mittelsatz,  dem  Träger  des 
eigentlichen  Gedankens  harmoniert. 


Erster  feil.  41 

sprechender  Grazie  und  bestechenden  Liebreizes  verkörpert.  Besonders 
dieses  (E  9)  glänzt  durch  harmonische  Feinheiten  und  veranschaulicht 
höchst  realistisch  durch  seine  Sechzehnteilbewegungen,  an  denen  die 
Streicher  und  die  Stimmen  partizipieren,  das  leise  Geräusch  der  die 
Blätter  des  Haines  bewegenden  Lüfte.  Fein  empfunden  ist  es,  wenn  dort, 
wo  das  Wort  „morire"  zum  ersten  Male  ausgesprochen  ist,  die  malerischen 
Bewegungen  plötzlich  aufhören  und  die  Charakteristik  in  sospiri,  Atem- 
pausen, durch  hörbares  Atmen  ausgefüllt,  gelegt  wird.  In  dem  Duett 
aus  „Priyionero  fortunato"  (E  10)  ist  das  Echo  zu  reizenden  Effekten  ver- 
wandt, indem  eine  zweite  Stimme  die  Tonphrase  der  ersten  im  fianissimo 
wiederholt.  Immerhin  ist  diese  Art  der  musikalischen  Naturschilderung 
verschieden  von  der  germanischen,  bei  Bach  bereits  nachweisbaren,  aber 
erst  durch  Weber,  Schubert  und  Mendelssohn  gepflegten.  Diese 
projiziert  in  das  Naturbild  das  seelische  Empfinden.  Ein  berühmtes 
Beispiel  ist  das  ariose  Rezitativ  in  Bachs  Matthäus-Passion:  „am  Abend 
da  es  kühle  ward".  »Was  aus  diesen  Tonreihen  uns  anhaucht,  ist  nicht 
zunächst  die  religiöse  Empfindung  des  Friedens  und  der  Erlösung,  mit 
welcher  der  Text  sich  beschäftigt.  Es  ist  Abendstimmung;  jene  EmpfinduDg 
kommt  erst  durch  Vermittlung  derselben  musikalisch  zur  Geltung.  In 
das  Naturbild  wird  hineingefühlt,  was  an  dieser  Stelle  die  christlichen 
Herzen  bewegt.«1)  Händel  fußt  hier  auf  italienischer  Kunst.  Er  ent- 
nimmt zwar  den  Vorgängen  in  der  Natur  musikalische  Motive;  sie  aber 
zu  einem  Spiegelbilde  seelischer  Affekte  auszugestalten,  liegt  ihm  fern. 
Mystisches  Versenken,  wie  es  der  Naturromantik  der  deutschen  Lyrik 
eigen,  lag  außerhalb  seines  Ideenkreises. 

Wie  die  Venezianer,  so  verlegt  auch  Scarlatti  nicht  selten  die 
Deutung  seelischer  Vorgänge  in  melismatische  Gänge  der  Singstimme, 
wobei  er  regelmäßig  an  eine  textliche  Wendung,  wie  dolor,  gioia,  dolce, 
anknüpft.  Doch  befleißigt  er  sich,  wie  bei  den  tonmalenden  Passaggien, 
im  Zuge  der  Gesamtanlage  zu  verbleiben,  sodaß  die  Unterstreichung  nicht 
als  Fremdkörper  störend  empfunden  wird.  Auch  standen  ihm  bereits 
eine  entwickeltere  Harmonie  und  reichere  orchestrale  Mittel  in  solchem 
Grade  zur  Verfügung,  daß  er  diese  alten  Auskunftsmittel  vielfach  dort 
entbehren  konnte,  wo  sie  früher  geboten  waren.  So  mischt  er  wohl  auch 
gelegentlich  die  Farben  harmonischer  und  melismatischer  Mittel  zur 
Schärfung  des  Ausdrucks.  Wo  im  „Clearco  in  Negroponte"  in  der  Arie 
„Dooe  mi  trasse"  von  „crudo  dolor"  die  Rede  ist,  vereinigt  er  Singstimme 
und  Instrumente  zu  einer  Modulation,  die  durch  ihre  chromatischen  Fort- 
schreitungen wie  ein  schmerzlicher  Aufschrei  wirkt.    (E  11.)    Auch  längere 


')  Ph.  Spitta,  „J.  S.  Bach",  Bd.   2,   S.  390. 


42  Erster  Teil. 

Tonreihen  schildern  gerade  solche  Affekte  des  Schmerzes  vielfach  un- 
gemein plastisch.  (E  12.)  Für  diese  Art  der  Charakterisierung,  die 
noch  in  der  Bach-Händelschen  Kunst  eine  Rolle  spielt,  war  ihm  sicherlich 
Provenzale  vorbildlich. 

Bedeutungsvoller  noch  als  solche  Verwendungen  des  Melismas  sind 
für  die  Entwicklung  der  Musik  gerade  auf  dem  Gebiete  der  Tonmalerei 
diejenigen  Gesänge,  die  auf  melismatischen  Formeln  so  beruhen,  daß  sie 
die  Gesamtcharakteristik  des  Stückes  bestimmen.  Um  ein  jedermann 
bekanntes  Beispiel  herauszugreifen,  erinnere  ich  an  die  Arie  des  Harapha 
in  Händeis  „Samson":  „Nein,  solch  ein  Kampf!".  Sie  erbaut  sich  auf 
martellierten  Passaggien  der  Baßstimme,  die  keine  schildernden  Zutaten, 
sondern  Ingredienzien  des  Stückes  ausmachen,  das  in  ihnen  seinen  Mittel- 
punkt sucht.  Scarlatti  gelangt  zu  dieser  höchsten,  und  ästhetisch  be- 
rechtigsten  Form  der  Koloratur  sehr  selten.  Ich  kann  aus  dem  mir  zu- 
gänglichen Material  nur  eine  Arie  aus  der  »Teodora  Augusta"  anführen: 
„frangerö  questi  ritorti",  (E  13),  wo  die  Entschlossenheit  des  gefangenen 
Orismondo,  seine  Fesseln  zu  brechen,  durch  Passaggien  veranschaulicht 
ist,  um  die  sich  die  anderen  Teile,  als  um  ihren  Mittelpunkt,  gruppieren. 

Daß  die  vokalisierenden  Tonformeln  auf  die  Form  selbst  Einfluß 
gewinnen,  erklärt  sich  aus  ihrer  soeben  dargelegten  Bedeutung.  Sie  führt 
naturgemäß  zur  Erweiterung  der  Glieder,  sodaß  der  Vorder-  im  Ver- 
hältnis zum  Nachsatz,  oder  umgekehrt,  oder  daß  ganze  Teile  zu  anderen 
in  ihrer  Ausdehnung  vielfach  eine  Verschiebung  der  Proportionen  auf- 
weisen. Scarlatti  geht  sogar  im  Streben  nach  Charakteristik  so  weit, 
die  Arienform  zu  alterieren.  Der  Arie  „AI  girär  cVun  suo  bei  guardou 
im  „Tigrane"  ist,  das  girare  zu  veranschaulichen,  eine  weit  ausholende 
Koloratur  vorgelagert,  deren  Schlußteil  noch  von  zwei  Violetten  und 
Cellosolo  wiederholt  wird,  bevor  das  Thema  der  Arie  einsetzt,  in  der 
auf  jene  nicht  mehr  zurückgegriffen  wird.     (E   14.) 

Das  Bestreben  der  venezianischen  Schule,  die  Schlüsse  zu  be- 
festigen, tritt  bei  Scarlatti  noch  kräftiger  hervor.  Vorzugsweise  hängt  er 
dem  Ganzschluß  in  der  Tonica  eine  Coda  an,  indem  er  entweder  die  schluß- 
bildende Phrase  wiederholt,  verbotenus,  erweitert,  oder,  etwa  durch  Höher- 
legung der  Singstimme,  verändert,  oder  indem  er,  häufiger,  noch  zwischen 
diese  beiden  Schlüsse  eine  kolorierte  Wendung  einschiebt.  Zuweilen 
geht  die  erste  Schlußphrase  in  einen  Trugschluß  aus.  Diejenigen  Kadenzen, 
in  denen  er  melismatische  Formeln  anführt,  zerfallen  in  zwei  Gruppen. 
In  der  ersten,  der  vorherrschenden,  erfolgt  zunächst  Ganzschluß,  an  den 
sich  eine  mehr  oder  weniger  ausgedehnte  Tonformel  anschließt,  die  wohl 
auch  fremde  Tonarten  aufsucht  und  entweder  tonisch  abschließt  (E  15) 
oder  in  die  Dominante  ausgeht,    von  der  aus,    mittels  Wiederholung    der 


Erster  Teil.  43 

Phrase,    die    den    ersten   Ganzschluß    herbeiführte,    nun    die   Tonica  finalis 
erreicht   wird.     (E   16.)      Mehr    den  Charakter    einer   Coda   nimmt   diese 
Formel  dort  an,   wo  nach  dem  Ganzschluß  noch  einmal  eine  melodische, 
der  Thematik    des    Stückes  fremde  Phrase,    mit    Unterlegung   der  letzten 
Textworte  erscheint.     (E  17.)     Die  zweite  Gruppe  besteht  aus  denjenigen 
Kadenzen,  die  sich  auf  der  Dominante  mit  einer  vokalischen  Fioritur  fest- 
setzen,   und   dann,    mit  Wiederholung   der  letzten  Textworte,    zur  Tonica 
übergehen.     (E  18  und  19.)     Dann  tritt  der  kadenzierende  Charakter  der 
Phrase  noch  besonders  durch  das  Schweigen  des  Continuo  hervor.     Hier 
haben  wir  diejenige  Kadenz  der  Altklassiker  vor  uns,  die  sie  vorbereitend 
nennen  und  die   Händel  und  Bach  meist  nur  andeuten  und  in  der  Aus- 
führung den  Sängern  überlassen.     Wir  können  also  feststellen,  daß  diese 
Arten  der  Kadenz  der  Bach-Händelschen  Musik  bei  Scarlatti  und,  wie 
wir    sehen  werden,    bei    der    älteren    neapolitanischen  Schule    überhaupt, 
vielfach  ausgeschrieben  worden  sind.    Sie  alle  sind  an  den  Takt  gebunden. 
Agricola  berichtet,   man  habe  vor  1710  überhaupt  keine  andere  gekannt. 
Bis  zu  diesem  Termine  begnügten  sich  die  Sänger,  die  Endschlüsse  selbst 
durch  Manieren  unter  Einhaltung    des  Taktes   zu  verzieren.     Yom  Takte 
emanzipierte,    in    der  Mehrheit    thematisch,    also  dem  Inhalt  des  Stückes 
angelehnte  Kadenzen  einzulegen,  ist  erst  nach  diesem  Termine  üblich  ge- 
worden.     Daß    aber  bereits    Scarlatti    bisweilen    auf  eine    dem  Sänger 
freigestellte  Kadenz  gerechnet    hat,    beweisen  solche  Stellen,  in  denen  er 
sie  nur    durch    wenige  Noten  andeutet   und    durch    ein  hinzugefügtes  „ad 
arbitrio"    der   Vervollständigung    des   Ausführenden    überweist.      (E  20.) 
Im  Einklang  mit  dem  bewundernswerten  Reichtum  seiner  motivischen 
Gedanken,    der    ihm    gestattet,    ungezählte  Arien  mit  immer  neuen,    sich 
selten    wiederholenden  Themen    zu   erfinden,    steht    die    rhythmische  und 
melodische  Mannigfaltigkeit    der    Melismen    Scarlatti s   im  Allegro,    wie 
im  Largo,    in  der  Siziliana   wie  im  3/2-  und  4/4-Takt.      Freilich  ist,    wie 
auch  die  Formen  sich  in  einem  kleinen  Kreise  bewegen,  und  die  Dacapo- 
Arie  nur    in    der  Ausdehnung    der   Teile  und  in  ihrer  harmonischen  Be- 
ziehung der  Unterteile  zu  einander  Varianten  aufweist,  ein  gewisses  Gleich- 
maß der  Grundstimmung  überall  zu  verfolgen.     Kriegerische  Stimmungen 
z.  B.  werden  allemal  durch  Tromben  in  Fanfarentönen  und  konzinne  Be- 
handlung   der  Melismatik    angedeutet.      Auch    auf   anderen    Stimmungs- 
gebieten läßt  sich    das  nachweisen.      Mit  Vorliebe    verwendet  Scarlatti 
Triolen  im  geraden  Takt.    In  dem  Beispiel  (E  21)  ist  die  Bewegung  eine 
charakterisierende  (g audio).    Wir  hatten  in  Beispiel  E  9  Punkte  über  den 
Noten    gefunden;    daß    sie  staccato   bedeuten,    erhellt    aus    einer    anderen 
Stelle    derselben  Oper,    wo    über    den  Punktzeichen    ausdrücklich   staccato 
vorgeschrieben    ist.      (E  22.)      Es    steht  somit   fest,    daß    diese    Art    der 


44  Erster  Teil. 

Yokalisation  bereits  der  älteren  neapolitanischen  Schule  geläufig  war.  Aus 
den  theoretischen  Schriften  ist  sie  nämlich  erst  für  spätere  Dezennien  nach- 
weisbar.1) Unsere  Stelle  erinnert  daran,  wie  sehr  noch  Mozart  auf  dem 
Gebiete  des  koloristischen  Gesanges  von  der  neapolitanischen  Schule  ab- 
hängig ist.  Auch  er  gebraucht,  wie  jene,  das  Staccato  an  Stellen,  die  ein 
heroischer  Affekt  trägt,  wie  er  in  unserem  Beispiel  vorliegt. 

Arpeggierte  Passaggien  mit  Zerlegung  der  Grundharmonie,  denen 
wir  bei  Cesti  vereinzelt  begegnen,  werden  in  dieser  Periode  häufiger  an- 
gewendet. In  unserem  Beispiel  E  23  ist  auf  die  Yiola  als  ergänzende 
Stimme  gerechnet,  die  nur  durch  ein  System  in  Blanco  angedeutet  ist. 
Eine  Verquickung  von  Arpeggien  und  Terzensprüngen  finden  wir  in  E  24. 

Scarlatti  verwendet  kleine,  also  nicht  mensurierte  Noten  noch 
nicht  zur  Bezeichnung  der  Vorschläge,1)  ebensowenig  die  in  seiner 
Zeit  bereits  üblichen  Zeichen  für  Pralltriller  und  Doppelschlag,  schreibt 
diese  Manieren  vielmehr  entweder  in  Noten  aus  oder  verläßt  sich  für  ihre 
Ergänzung  auf  die  Ausführenden.  Der  Vorschlag  erscheint  auch  jetzt 
wiederum  weitaus  häufiger  in  jambischer  Form,  weit  seltener  trochäisch 
betont,  und  häufiger  in  der  Konsonanz  als  in  der  Dissonanz.  Wenn 
dissonierende  Vorschläge  selten  anzutreffen  sind,  so  erklärt  sich  das  aus 
einer  Eigentümlichkeit  des  Systems  der  älteren  Generalbaßniederschrift, 
die  es  vermied,  schroffe  Dissonanzen  auszuschreiben,  als  ob  sie  das  Auge 
verletzen  könnten.  In  der  Anbringung  dissonierender  Vorschläge  hat 
also  Scarlatti  vorzüglich  auf  die  ergänzende  Tätigkeit  des  Sängers  ge- 
rechnet, doch  haben  wir  immerhin  einige  Beispiele  ausgeschriebener 
dissonierenden  Vorschläge.  Unsere  Beispiele  E  25 — 27  zeigen  die  kleinere 
kürzere  Note  auf  der  Arsis,  die  längere  auf  der  Thesis,  jene  als  Dissonanz, 
diese  als  Auflösung  in  der  harmonischen  Funktion,  welche  die  Theoretiker 
des  18.  Jahrhunderts  beschreiben,  in  E  26  und  27  in  der  beliebten  Form 
der  Terzenverbindung.     E  28  zeigt  die  seltene  Spezies  des  betonten  Vor- 


*)  Die  italienischen  Theoretiker  des  17.  Jahrhunderts  erwähnen  das  Staccato  über- 
haupt nicht.     Muffat  „Florilegium  secundum"  spricht  von  Staccamento,  Disjunctio,  Detachement. 

2)  In  Frankreich  war  der  Gebrauch  der  kleinen  Noten  für  den  Vorschlag  bereits 
längere  Zeit  eingebürgert.  Loulie  spricht  bereits  von  ihr  im  Jahre  1698,  und  Janowska  im 
,,Clavis  ad  Thesaurum",  Prag  1701  berichtet:  „Quod  Galli  tunc  aut  similes  modos  (sc. 
accentus)  per  notulas  minori,  quam  aliae  substantiales  sint  positae,  typo  locatos  denotent 
ita  tarnen,  ut  eae  ad  computum  tactus  non  veniant  quod  in  operis  eorum  videre  est."  In 
Italien  kann  ich  sie  vor  17 14  nicht  nachweisen.  Aus  diesem  Jahre  stammt  eine  Partitur 
d.  K.  K.  Holbibl.  in  Wien:  „L'Atenaide,  poesia  del  Apostolo  Zeno,  musica  atto  I  del 
Maria  Antonio  Ziani,  II  atto  del  Antonio  Negri,  III  atto  del  Antonio  Caldara,  gl'intermezzi 
e  la  licenza  del  Franc.  Conti."  Ziani,  noch  der  alten  Schule  angehörend,  verschmäht  die 
Hilfsnote  und  ihre  Zeicher,  Caldara  und  Neri  als  die  Jüngeren  gebrauchen  sie.  Es  ist  die 
älteste  italienische  Partitur,    in  der  ich    nicht    mensurierte  Noten    als  Vorschlagszeichen  fand. 


Erster  Teil.  45 

schlags,  E  29  einen  veränderlichen  langen  Vorschlag,  einen  Vorhalt. 
Nachschläge  kommen  überall  als  doppelte  und  einfache  vor.  (E  30.) 
Vor-  und  Nachschlag  werden  durch  Bogen  und  Textunterlage  genau 
unterschieden.  Der  Doppelschlag  erscheint,  wie  bei  den  Venezianern, 
entweder  mit  der  Vorschlagsnote  beginnend,  oder  mit  der  Hauptnote  ein- 
setzend, in  der  ersteren  Form  auch  bereits  zur  Verbindung  zweier  Haupt- 
noten. (E  31,  32.)  Den  Schleifer,  den  wir  bei  Luigi  Kossi  und 
Stradella  in  Uebung  finden,  benutzt  Scarlatti  auffallend  selten.  Von 
der  gehauchten  wiederholten  Note  macht  er  vielfach  Gebrauch,  freilich 
nicht  mehr  als  Triller,  sondern  als  Teil  der  Passaggie.  (E  33.)  Die 
Triller  sind  überall  durch  das  Zeichen  t  oder  tr  angedeutet. 

Giovanni  Legrenzi. 

Unter  den  späteren  Venezianern  möchte  ich  hier  noch  des  als  Kirchen- 
komponisten berühmt  gewordenen  Giovanni  Legrenzi  gedenken,  als 
eines  feinsinnigen  Vertreters  des  Einzelgesanges  in  Oper  und  Kantate. 
Ich  glaube  nicht  zu  übertreiben,  wenn  ich  seine  Kantaten,  die  er  unter 
dem  Titel  „Echt  di  rwerenza"  1678  im  Druck  herausgab,1)  als  die  höchste 
Leistung  auf  diesem  Kunstgebiet  überhaupt  bezeichne.  Hier  vereinigen 
sich  alle  Vorzüge  italienischer  Grazie,  edelster  gesanglicher  Schönheit, 
Wärme  und  Liebreiz  der  Melodie  mit  der  gediegenen  Arbeit  des  ge- 
wiegten Kontrapunktisten.  Und  der  Genuß  an  diesen  kleinen  Meister- 
werken wird  uns  nicht  vergällt  durch  jene  schablonenhafte,  die  poetische 
Form  und  den  Gedanken  erdrückende  musikalische  Formenbestimmung, 
wie  sie  sich  bereits  zu  seiner  Zeit  festgesetzt  hatte.  Denn  er  paßt  die 
Formen  noch  der  Textunterlage  sinngemäß  an  —  nicht  gestört  durch  den 
Ueberschwang  schönrednerischer  vokalischen  Floskeln,  an  falscher  Stelle 
angebrachter  Koloraturen,  und  kindischer,  dem  Wort,  nicht  dem  Zusammen- 
hange entlehnter  Tonmalereien.  Auch  seinen  Opern,  in  höherem  Grade 
dem  „Totila"  von  1677  als  dem  „Giustiuo"  von  1683, 2)  kann  ich  gleiche 
Vorzüge  nachrühmen,  obwohl  ihnen,  bei  aller  Schönheit  im  einzelnen, 
doch  die  überzeugende  dramatische  Kraft  im  Erfassen  der  übrigens  durch- 
aus interessanten  Texte  fehlt. 

Agostino  Steffani. 

Nächst  Alessandro  Scarlatti  ist  es  Agostino  Steffani,  der  für 
unseren  Gegenstand  schon  dadurch  von  vorzüglicher  Bedeutung  wird,  weil 
er  auf  Händel   auch  durch  persönlichen  Verkehr   Einfluß    ausgeübt  hat. 

')  Echi  di  riverenza    Di  Cantate    e  Canzoni  Agli  applausi    festeggianti    negli  Himenei 
delle  Altezze  Sereniss.  Di  Marianna,  Archiduchessa  d'Austria  e  Giov.  Guglielmo,  Bologna  1678. 
2)  Partituren  und  Libretti  in  der  Marciana,   Venedig. 


46  Erster  Teil. 

Wir  haben  es  hier  in  erster  Linie  mit  dem  Opernkomponisten  zu  tun. 
Das  Kammerduett,  auf  dem  sein  Ruhm  vorzüglich  beruht,  scheidet  für 
unsere  Betrachtungen  aus,  weil,  wie  Mattheson  betont,  hier  zwar  auch 
eine  Arie,  aber  ganz  anderen  Schlages  vorliegt:  „denn  sie  siehet,  nebst 
einer  angenehmen  Melodie  auf  ein  fugiertes,  oder  konzertierendes  und 
sonderbar-harmoniöses  Wesen". 

Das  Urteil  Neißers1)  „Steffani  stünde  hoch  über  seinen  Zeit- 
genossen durch  die  stark  ausgeprägte  Individualität  seiner  Persönlichkeit", 
dürfte  nur  auf  dem  Gebiete  des  Kammerduetts  zutreffend  sein.  Als 
Opernkomponist  steht  er  hinter  dem  älteren  Scarlatti  und  Keiser 
zurück.  Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  diese  meine  Ansicht  des  ausführlicheren 
zu  begründen.  Daß  Steffani  im  Dramatischen  von  diesen  Meistern 
übertroffen  wird,  behauptet  schon  mit  Recht  Chrysander.2)  Steffani 
betrachtet  noch  in  weit  höherem  Maße  die  Oper  als  eine  Reihe 
von  Gesangsstücken.  Entscheidend  für  seine  Beurteilung  bleibt  so- 
mit die  Frage  nach  der  musikalischen  Qualität  der  Arie  und  des 
Rezitativs.  Eine  besondere  Originalität  nun  habe  ich  hier  nicht  finden 
können.  Der  Melodiebildung  ist  nicht  jene,  dem  Scarlatti  eigene,  den 
Gesamtinhalt  treffende  Prägnanz  gegeben,  sie  kann  auch,  mit  einigen  Aus- 
nahmen, an  Schönheit  der  Linienführung  nicht  mit  dem  Neapolitaner  ver- 
glichen werden.  Was  aber  Steffani  auszeichnet,  und  deswegen  widme  ich 
ihm  hier  eine  längere  Betrachtung,  ist  die  meisterhafte  Behandlung 
der  Singstimme.  Gesanglich  zu  denken  war  den  Italienern  jener  Zeit  in 
Fleisch  und  Blut  übergegangen,  aber  doch  sahen  wir,  wie  Scarlatti 
die  Grenzen  des  menschlichen  Organes  nicht  überall  einhält,  wo  ihn  der 
Wunsch,  zu  charakterisieren  hinreißt,  oder  ihm  die  Konkurrenz  mit  den 
Instrumenten  gefährlich  wird.  Dem  Steffani  aber  führt  der  Sänger  die 
Feder.  Er  vertritt,  wie  kaum  ein  anderer,  die  vornehmste  Gesangs- 
praxis seiner  Zeit.  Da  ist  alles  der  Mechanik  der  Stimme  genehm, 
Koloratur  und  Manieren  wie  von  der  geübtesten  Menschenstimme  gewisser- 
maßen improvisiert.  Sein  Einfluß  auf  Händel  ist  hier  ganz  offensichtlich. 
Zwar  hätte  diesen  sein  gesunder,  stets  auf  den  Ausdruck  gerichteter 
Musiksinn  vor  Ausschreitungen  Scarlattischer  Art  bewahrt,  aber  die 
Feinheit  gut  italienischer  Gesangskunst  verdankt  er  nicht  zum  mindesten 
dem  Vorbilde   des  Steffani. 

Allerdings  hat  die  Betonung  des  Gesanglichen  in  Steffanis  Kunst 
auch  ihre  bedenklichen  Seiten.  Das  zeigt  sich  vornehmlich  im  Rezitativ. 
Scarlatti  hatte,  sicher  zum  Vorteil  der  dramatischen  Wirkung,  auf 
koloristische  Phrasen    hier  in    der  Regel  verzichtet.     Steffani  bevorzugt 

J)  Servio  Tullio,  eine  Oper  aus  dem  Jahre  1685,  von  Ag.  Steffani.     Leipzig  1902.    S.  13. 
2)  G.  F.  Händel,   Bd.   1,  S.  311  ff. 


Erster  Teil.  47 

sie  gerade  hier  wiederum,  wie  er  denn  auch  weit  häufiger  wie  der 
Neapolitaner  in  Oestis  Manier  den  Sprachgesang  durch  ariose  Stellen 
ablöst.  Die  Passaggien  im  Rezitativ  verwendet  er  einmal  lediglich 
melodisch,  regelmäßig  am  Abschluß,  dann  aber  tonmalend  in  alter  Manier 
an  ein  Wort  angeschlossen,  oder  eine  seelische  Stimmung  charakterisierend. 
Jene  hat  nur  den  Zweck,  den  Sprachgesang  zu  unterbrechen  und  die 
Bravour  des  Sängers  zu  zeigen,  diese  kennzeichnet  den  Affekt  zuweilen 
in  recht  anschaulicher  Art.1)  E  34  gebe  ich  den  Anfang  eines  Rezitativs2), 
in  dem  beide  Formen  auftreten.  Prächtig  ist  der  Schmerz  der  Klagenden 
in  dem  Melisma  auf  nal  pianto  mio"  geschildert.  Zuweilen  eröffnet  er 
sogar  das  Rezitativ  mit  einer  tonmalenden  Wendung,  wenn  ein  Textwort 
dazu  einladet  (E  35),  regelmäßig  aber  schließt  er  es  mit  einer  Formel, 
die  entweder  nur,  wie  das  die  Regel,  den  Schluß  befestigen  soll,  oder 
aber  ausnahmsweise  den  Gedankengang  des  Ganzen  gewissermaßen  zu- 
sammenfaßt. (E  36.)  Bedenkt  man  nun,  daß  auch  die  Arie  selbst  noch 
im  wesentlichen  auf  jene  gesanglichen  Mittel  der  Charakteristik  ange- 
wiesen war,  so  wird  man  inne,  daß  ihre  Überführung  in  das  Rezitativ 
jene  um  einen  guten  Teil  ihrer  Wirksamkeit  bringen  mußte.  So  hat  denn 
auch  die  von  Steffani  beliebte  Behandlung  der  rezitativen  Teile  nicht 
Schule  gemacht,  und  Händel  hat  sich  ihm  hier  nicht  angeschlossen. 

Die  vokalisierenden  Wendungen  in  der  Arie  selbst  beruhen  auf 
ähnlicher  ästhetischer  Grundlage  wie  diejenigen  der  Zeitgenossen.  Sie 
sind  entweder  melodischer  Natur,  wollen  also  nur  eine  wohlgestaltete 
Tonphrase  aufstellen,  oder  nehmen  auf  den  Text  Bezug,  indem  sie  Stimmung 
und  Affekte  betonen  und  ausmalen.  Hier  zeigt  Steffani  eine  selbst  in 
jener  Zeit  des  schönen  Gesanges  seltene  Meisterschaft  in  der  Flüssig- 
keit der  Gänge  und  in  der  Fähigkeit,  die  Stimme  ins  beste  Licht  zu 
setzen,  und  zwar  nie  auf  Kosten  des  Satzbaues  und  der  Symmetrie  der 
Glieder,  oder  unter  Beugung  ihrer  natürlichen  Leistungsfähigkeit  im  Wett- 
kampfe mit    konzertierenden  Instrumenten.3)      Wohl  ist,    wie    ich  Neißer 


1)  Ich  bemerke,  dass  auch  die  Ästhetik  des  18.  Jahrhunderts  sehr  wohl  zwischen 
Wortmalerei  und  Affektschilderung  unterschied,  So  führt  Marpurg  „Kritische  Briefe"  1763, 
98.  Brief,  §  23,  S.  267  aus:  „Wenn  man  in  der  Singstimme  einzelne  Worte  an  dergleichen 
Malereyen  teilnehmen  lässt,  wie  solches  manchmal  in  Arien  und  Ariosos  geschieht,  so  muss 
fürs  erste  das  zu  malende  Wort  eine  Ursache  oder  Wirkung  von  dem  zu  Grunde  liegenden 
Affekte  charakterisieren,  und  also  dem  Affekte  wesentlich  seyn.  Z.  E.  das  Wort  weinen, 
wenn  von  der  Reue  etc.  die  Rede  ist.  Fürs  andere  muss  die  Nachahmung  zu  keinen  selt- 
samen, lächerlichen,  ungeschickten  uüd  der  menschlichen  Stimme  unwürdigen  Wendungen  in 
der  Melodie  Gelegenheit  geben." 

2)  Manuscript  21204  d.  K.  Bibl.,   Berlin  Nr.  10.     Vergl.  auch  Neisser  a.  o.  O.,  S.  85. 

3)  Vergl.  Neisser  a.  o.  O,  S.  108,  wo  eine  Anzahl  von  Beispielen  die  Schreibweise 
Steffanis  veranschaulicht. 


48  Erster  teil. 

zugebe,  seine  Koloratur  in  seinen  späteren  Werken  üppiger  wie  in  den 
früheren,  zu  wirklichen  Ausschreitungen  läßt  er  sich  aber  auch  dort  nicht 
hinreißen.  Eine  Eigentümlichkeit  seiner  Kolorierung  bilden  schnell  auf- 
steigende Tonleitern,  die  zwei  Hauptnoten  verbinden.  Man  begegnet 
ihnen  überall,  auch  in  ernst  getragenen  Stücken.  In  unserem  Beispiel 
E  37  ist  die  Trostlosigkeit  eines  jeder  Hoffnung  beraubten  Herzens  im 
breiten  dreiteiligen  Takte  geschildert.  Selbst  hier  verbinden  die  lang  ge- 
haltenen Töne  rasch  aufsteigende  diatonische  Gänge.  Ich  halte  das  Bei- 
spiel für  typisch  und  glaube,  daß  Steffani  hier  nur  niedergeschrieben 
hat,  was  sonst  die  Sänger  zuzusetzen  pflegten.1) 

Die  Kadenzen  Steffanis  gleichen  denen  Scarlattis.  Auch  sie  setzen 
entweder  tonisch  (E  38)  oder  dominantisch  (E  39)  ein  und  schließen  mit  einer 
kurzen  syllabischen  Phrase  unter  Wiederholung  der  letzten  Textworte.  Nicht 
selten  verlegt  er  die  Kadenz  in  die  abschließende  Phrase  selbst,  so  daß 
das  Ganze  mit  einem  Melisma  endet.  Diese  Form  nähert  sich  der  großen 
Kadenz  nach  1710  dann  besonders,  wenn  sie  dominantisch  auftritt. 

Giov.  Batt  Bononcini  und  Marc.  Antonio  Bononcini. 

Zu  den  gefeiertsten  Künstlern  der  älteren  neapolitanischen  Schule 
gehört  Giov.  Battista  Bononcini,  dem  es  eine  Zeitlang  glückte, 
sich  in  London  neben  Händel  zu  behaupten.  Seine  Qualitäten  hat 
Chrysander2)  zutreffend  gekennzeichnet.  Die  Gesänge  seiner  für  London 
geschriebenen  Hauptwerke  »Astarte"  und  „Griselda",  auch  die  Kantaten, 
die  er  1721  dem  König  Georg  widmete,3)  weichen  von  der  üblichen 
italienischen  Schreibweise  in  solchem  Grade  ab,  daß  ich  geneigt  bin, 
nicht  wie  Chrysander,  eine  Eigentümlichkeit,  besser  eine  Schwäche  seiner 
Kunst  aus  ihnen  zu  folgern,  sondern  vielmehr  eine  bewußte  Anpassung 
an  den  Geschmack  der  Londoner  Hörer.  Formal  sind  diese  Ge- 
sänge zwar  in  der  üblichen  drei-  und  zweiteiligen  Form  gehalten;  be- 
trachtet man  aber  die  Melodiebildung  und  den  Verlauf  innerhalb  der 
Sätze,  so  erkennen  wir,  daß  hier  Lieder  vorliegen,  denen  die  altgewohnte 
Form  schlecht  und  recht  angepaßt  ist.  Und  wo  einmal  ein  Thema  in 
Scarlattis  Manier  aufgestellt  wird,  fällt  die  Fortführung  bald  wieder 
in  den  Liedton  zurück.  Wenn  Bononcini,  der  doch  bewiesen  hatte, 
daß  er  fähig  sei,  die  großen  Formen  wie  andere,  minderbegabte,  zu 
handhaben,  diesen  kleineren  Gebilden  sich  zuwandte,  so  gibt  es  hierfür 
nur  die  Erklärung,   daß  ersieh  einmal  Händel  in  der  Handhabung  jener 


*)  Chrysander  schreibt  einen  solchen  Gang  vor  im  Messias:  „Wie  lieblich  ist  der  Boten 
Schritt",  Takt  8.     Klavierauszug  Seiffert,  S.  99. 

2)  G.  F.  Händel  II,   S.  58  ff  u.  65  ff. 

3)  Cantate  e  Duetti,  London   1721,  K.  Bibl.  Berlin. 


Erster  Teil.  49 

nicht  gewachsen  fühlte,  dann  aber,  daß  das  englische  Publikum  an  diesen 
Gefallen  fand.     Und  mit  dieser  Geschmacksrichtung  stand  er  nicht  allein. 
Bevorzugte  doch  die  deutsche,  richtiger  die  italienische  Oper  in  Deutsch- 
land, selbst  Namen  von  gutem  Klang,  wie  ßontempi  und  Per  an  da,  das 
Lied    im    hohen  Grade,    und    hatte    doch    sein    Bruder    Marc  Antonio 
Bononcini    im  Jahre  1696    in  Neapel    mit    einer  Oper   dieser  Gattung: 
nil  trionfo   dl  Camilla*    einen    solchen  Erfolg  errungen,    daß  sie  bald  die 
beliebteste  Oper  wurde,    1698  in  Venedig,  1706  in  Wien,   ja  noch  1726 
in  London  Wiederholungen    erlebte,1)    und  ihre  Arien   1706    von  Walsh 
unter  dem  Titel:  Songs  in  tlie  New  Opera  call  d'Camüla  gedruckt  wurden. 
Daß    sich    ein    italienischer  Komponist    der   Mode,    oder    den    nationalen 
Gepflogenheiten    klug    anzupassen    verstand,    war    nichts    Neues.      Hatte 
doch  selbst   der    große  Cavalli,    auf  der  Höhe  seines  Ruhmes,    sich  die 
Einlage  von  Tänzen  in  seinen  für  Paris  bestimmten  „Ercole"  gefallen  lassen, 
ja  in  der  Thematik  und  Behandlung  der  Einzelgesänge  dem  französischen 
Liedstil  —  sehr  zum  Nachteil    des  Ganzen    —    Konzessionen  gemacht.2) 
Aber  früher  hatte  man  Lied-  und  Arienstil  zu  trennen  gewußt,  und  jedem 
eine  individuelle  Behandlung  zuerkannt.    Das  Lied  der  älteren  italienischen 
Oper    ist    melodisch    schlicht    gestaltet,    auch     die    Kantate    Scarlattis 
differenziert  es  durchaus  von  arioser  Behandlung.    Hier  aber  in  den  Gesängen 
des    Bononcini    verknüpfen    sich    unnatürlich    liedmäßige    Thematik  mit 
arioser  Form  und  Aufputz.     Die  Formen  der  Arie  sind  für  diese  kleinen, 
meist   anmutigen,    aber    nirgends  in    die  Tiefe  gehenden  Themensubstrate 
viel  zu  weit;  wir  sehen  sie  gewissermaßen  wie  unter  einem  Vergrößerungs- 
glase, können  das  Ganze  nicht  mehr  überblicken,  und  haften  am  Einzelnen, 
dessen    Mängel     desto    schärfer    hervortreten.       Die    Uebertragung    des 
kolorierten  Stils    auf    diese  liedmäßigen  Gebilde    erhöht  noch    die  In- 
kongruenz zwischen  Form  und  Gehalt.    Das  mußten  auch  die  Bononcinis 
empfinden.      Aber  sie  durften    nicht  wagen,    die  gute  Laune  der  Sänger 
zu  mißachten.      Hingen  sie  doch  von    ihnen  in  noch  höherem  Grade  ab, 
als    Händel.      Und    so    behängen    sie    denn    ihre    kleinen    Gebilde    mit 
melismatischem    Schmuck,    der    selbst    das    einfachste,    an    das  Volkslied 
angelehnte  Thema  erdrückt.     E  40  steht  ein   solcher  Liedanfang,  der  die 
Melodie  in  Triolen  zersetzt.    Regelmäßig  folgt  dem  Abschluß  des  Themas 
eine  Koloratur,  die  fast  ebenso  lang  ist,  wie  das  Thema  selbst.     (E  41.) 
Auch    die  Kadenzbildung    ist    weit  ausgiebiger,    als    es  die  Substanz  er- 
tragen   kann.      (E  42,  43.)      Diese    Beispiele    geben    ein    typisches  Bild 


')  In  der  Partit.  des    Brüsseler  Konservatoriums    ist   übrigens  Giovanni  Bononcini  als 
Musiker  genannt. 

2)  Kretzschmar:    »Die  venet.  Oper«    etc..     V.  Jahrsch.  f.  Musikvv.,    p.   1892,  S.   54  R. 

4 


50  Erster  Teil. 

dieser  Kompositionstechnik,  besser  als  der  von  Chrysander1)  mitgeteilte 
Gesang  „Per  la  Gloria",  der  ausnahmsweise  die  liebliche  Melodie  für  sich 
selbst  sprechen  läßt,  ohne  entstellende  Koloraturen  einzufügen.  Dort  wo 
Giov.  Bononcini  sich  auch  inhaltlich  an  die  italienische  Kunst  an- 
schließt, hält  er  in  der  Melismatik  eine  mittlere  Linie  ein.  Er  behandelt 
dann  Singstimme  und  Instrumente  in  durchaus  geschmackvoller  Weise, 
und  weiß  auch  konzertierende  Instrumente  zu  reizenden  Kombinationen 
heranzuziehen.  E  44  gebe  ich  ein  Beispiel  aus  „Griselda6\  wo  die  Oboe 
die  Singstimme  in   anmutigen  Tongängen  umrankt. 

Eine  auch  bei  andern  Meistern  beliebte  Art  der  Charakteristik  finde 
ich  zuweilen  bei  Bononcini,  nämlich  die  Andeutung  der  trennenden 
Entfernung  durch  weite  Tonsprünge.  In  der  Kantate  „Morte  peggior 
c  lontananza"2)  wird  dieser  Begriff  durch  melismatische  Sprünge,  bis  zur 
Dezime,  durchaus  nicht  äußerlich,  sondern  im  Zuge  der  Anlage  des 
Stückes  geschildert.  Aehnlich  benutzt  Legrenzi3)  für  diesen  Zweck  ver- 
minderte Quintenschritte. 

Ant.  Lotti  und  Ant.  Caldara. 

Noch  habe  ich  zweier  Meister  zu  gedenken,  die  in  Deutschland  an 
den  Hochburgen  italienischer  Kunst,  in  Dresden  und  Wien  ihre  größten 
Erfolge  errangen  und  in  ihrer  Heimat  zu  den  ersten  Yertretern  der  Oper, 
der  Kantate  und  der  geistlichen  Musik  gehörten:  des  Lotti  und  Caldara. 
Jener  ist  ein  durchaus  ernster,  maßvoller  und  erfindungsreicher  Komponist, 
der  auf  dem  Gebiete  der  kirchlichen  Musik  insbesondere,  unstreitig  einen 
ersten  Platz  unter  seinen  Kompatrioten  einnimmt,  dieser  zwar  auch  ein 
gediegener  Meister  kirchlicher  und  instrumentaler  Musik,  aber  als  Dra- 
matiker oberflächlich  und  dem  seichtesten  Geschmack  der  Mode  Untertan. 
Ihre  Stellung  in  der  Behandlung  der  Melismatik  korrespondiert  durchaus 
mit  dieser  Allgemeincharakteristik.  Lotti  bewahrt  auch  hier  eine  gewisse 
edle  Einfachheit.  Auch  er  betrachtet  die  vokalischen  Tonformeln  als 
Substrat  der  Melodik,  als  Mittel  der  Charakteristik  und  Tonmalerei,  be- 
nutzt sie  zur  Verbindung  der  Teile  und  zur  Kadenzbildung.  Aber  das 
geschieht  überall  im  Sinne  der  guten  musikalischen  Technik  der  Zeit,  mit 
großem  Geschick  in  der  Behandlung  der  Stimme,  der  er  weder  Kon- 
zessionen in  bravouröser  Hinsicht  macht,  oder  zugunsten  konzertierender 
Instrumente  Unnatürliches,  oder  auch  nur  instrumental  Gedachtes  zumutet. 
In  die  alte  Art  der  Tonmalerei  verfällt  er  selten  und  geht  an  Gleich- 
nissen   oder  Wortbildungen,    die    zu    einer  tonmalenden  Gestaltung    auf- 

*)  A.  o.  O.  II,   S.   79. 

2)  Kantatensainmlung,  Ms.  der  K.  ibBl.  Berlin,   Landsberg  35. 

•')  Ecfai  di  tiverenza. 


Erster  Teil;  51 

fordern,  in  Verfolgung  des  dichterischen  Hauptgedankens,  nicht  selten 
vorüber,  und  wo  er  zur  Tonmalerei  schreitet,  vertraut  er  die  malenden 
Bewegungen  entweder  ganz  dem  Instrumentalkörper  (E  45,  lästiger  Sturm 
stört  nicht  das  Schiff  eines  weisen  Steuermannes),  oder  er  läßt  ihn  in 
hervorragender  Weise  an  ihnen  partizipieren.  Sein  Verfahren  gleicht  also 
dem  Händeis.  In  der  Kantate  „Ru&signolo,  che  nel  duoLo^V)  (E  46) 
einem  Klagelied  unglücklicher  Liebe,  gibt  der  Ruf  der  Nachtigall  die 
tonmalerische  Hülle,  im  Mittelsatz  der  der  Taube.  Überall  im  Ritornell 
und  in  der  Begleitung  sind  es  die  Instrumente,  Oboen  und  Fagotte  im 
ersten,  Violinen  und  Violen  im  zweiten  Teil,  die  mit  den  Melismen  der 
Stimme  die  zartesten  Farben  zu  einem  reizenden,  feinschattierten  bukolischen 
Bilde  mischen,  vergleichbar  jenen  berühmten  Kombinationen  lieblicher 
Landschaft  und  Staffage,  wie  sie  aus  Watte  aus  Tafeln  bekannt  sind. 
Wo  es  gilt,  den  Affekten  der  Entschlossenheit,  der  Rache,  des  Zornes 
zu  Hilfe  zu  kommen,  legt  auch  er,  wie  es  der  Brauch  der  Zeit,  der 
Stimme  feurige  rollende  Passaggien  bei.  E  47  ein  Beispiel  aus  Alessandro 
Severo,  wo  der  Begriff  „beleidigte  Treue"  wirksam,  wenn  auch  zu  lang- 
atmig charakterisiert  ist.  In  der  Kantate  zeigt  sich  bei  ihm  zuweilen, 
selbst  in  den  liedförmigen  Sätzen  eine,  auch  bei  anderen  Italienern  nach- 
weisbare Erweiterung  der  Form  durch  die  Koloratur.  Wenn  der  Satz 
„sentir  quel  Jicoco,  in  cui  godendo  io  morott  zu  einem  zehntaktigen  ersten 
Teile  benutzt  wird,  so  wird  das  durch  eine  Koloratur  von  fünf  Takten 
auf  „godendo"  erreicht. 

Lottis  Kadenzbildung  beruht  auf  denselben  Gesetzen  wie  die  seiner 
Zeitgenossen.  Auch  er  befestigt  die  Schlüsse  durchweg  durch  aus- 
geschriebene Kadenzen,  entweder  durch  Wiederholung  der  letzten  Phrase, 
oder  häufiger  durch  Passaggien  nach  vorangegangenem  tonischen  Ganz-, 
Halb-  oder  Trugschluß,  oder  dominantischen  Einschnitt.  Die  Kadenz 
hält  sich  dann  im  Kreise  der  Tonica  oder  Dominante.  Meist  hat  sie 
keine  thematische  Beziehung  zur  Substanz  der  Arie,  entspricht  aber  viel- 
fach rhythmisch  den  vorangegangenen  melismatischen  Gängen  des  Stückes. 

Chromatische  Tonschritte,  wie  wir  sie  in  den  elegischen  Gesängen 
des  17.  Jahrhunderts  bei  Cavalli,  Melani,  Stradella  und  anderen  im 
Baß,  vielfach  obstinat,  finden,  scheint  man  anfangs  der  Singstimme  nicht 
zugetraut  zu  haben.  Im  Anfang  des  18.  Jahrhunderts,  mit  dem  Fort- 
schreiten der  gesangstechnischen  Virtuosität  schreitet  man  dazu,  diatonische 
Gänge  durch  chromatische  Fortschreitungen  zu  unterbrechen.  Legrenzi, 
Lottis  Lehrer,  zerlegt  einmal2)  zur  Illustration  des  Wortes  „piango"  auf- 


x)  Als.  d.  K.  Bibl.  Berlin,    13210. 
2)  Echi  di  riverenza   1678. 

4* 


52  Erster  Teil. 

steigende  Sextakkorde  so,  daß  Baß  und  Sopran  chromatisch  aufwärts 
steigen.  (E  48.)  In  Lottis  obengenannten  Kantaten  finde  ich  gleich- 
falls tonmalend  einen  abwärts  geführten,  chromatischen  Gang.  (E  49.) 
Das  alles  sind  zunächst  nur  Ansätze;  erst  eine  weit  spätere  Zeit  führte 
diese  schwierigste  aller  Passaggien  nicht  nur  als  reinen  Schmuckgesang 
ein,  wie  regelmäßig  Rossini,  sondern  auch  im  Dienste  des  Ausdrucks, 
wie  Mozart  in  den  Konzertarien  Nr.  1  und  6,  Beethoven  in  der  Konzert- 
arie „ah  perjido"  und  später  Bellini  in  der  „Normet"  und  in  den  „Puritemi". 
Caldara  verdankt  seinen  Ruhm  in  erster  Linie  kirchlichen  Kom- 
positionen. Sein  Cruzifixus  zu  sechzehn  Stimmen  und  seine  Psalmen x) 
sichern  ihm  die  Unsterblichkeit.  Als  Opernkomponist  kann  ich  ihm  eine 
entsprechende  Stellung  nicht  einräumen.  Als  Vizekapellmeister  des  kaiser- 
lichen Hofes  zu  Wien  war  er  genötigt,  sich  seinen  Neigungen  dienstbar 
zu  erweisen.  Wien  legte  mehr  als  jede  andere  Pflegestätte  italienischer 
Kunst,  schon  seit  Cestis  Zeiten,  auf  äußeren  Glanz,  auf  prachtvolle 
Inszenierung  und  virtuose  gesangliche  Ausführung  das  größte  Gewicht. 
Händel  holte  sich  hier  seine  vorzüglichsten  Gesangskräfte.  Mit  diesen 
Verhältnissen  werden  war  zu  rechnen  haben,  wenn  wir  Caldaras  Opern 
richtig  beurteilen  wollen.  Zugute  kam  ihm  einerseits  der  reichere 
instrumentale  Apparat,  unheilvoll  ward  ihm  der  Zwang,  auf  die  Bravour 
und  Kehlfertigkeit  der  Sänger  Rücksicht  nehmen  zu  müssen.  Daß  ein  so 
reich  begabter,  ernster  Musiker  einem  so  ausschweifenden  und  sinnlosen 
Koloraturstil  die  Hand  bot,  läßt  sich  kaum  anders  als  durch  den  Hinweis 
auf  jene  Verhältnisse  erklären.  Für  seine  Behandlung  der  Arienform  möge 
ein  drastisches  Beispiel  genügen.  In  der  Oper  „I  dne  Dittatori"  von  1726 
lautet  der  Text  einer  Arie:  „fiero  labbro  e  ciylio  austero  non  si  aecorda  col 
pensiero  ne  col  cor  della  beltä",  stolze  Lippen  und  ernste  Brauen  stimmen 
nicht  zum  Gedanken  und  Herzen  der  Schönheit  (E  50).  Hier  entartet 
die  Koloratur  auf  beltä  mit  ihren  hüpfenden  Rhythmen  zur  Solfeggie,  eine 
Beziehung  zum  Textinhalte  ist  gar  nicht  mehr  zu  entdecken.2)  Um  den 
Melismen  solche  Ausdehnung  zu  geben,  greift  er  zur  Sequenzbildung,  die 
ja  auch  andere  Meister,  aber  maßvoller  anwenden.  Ein  knapper  Gedanke 
wird  hingeworfen  und  fünf-,  ja  sechsmal  auf  anderen  Stufen  wiederholt 
(E  51).  Daß  selbst  Benedetto  Marcello,  der  größte  Kontrapunktist 
Italiens,  der  geistreiche  Kritiker  des  damaligen  Opern wesens,3)  dieselbe 
Technik   pflegt,   überdies   zuweilen,   wie   unser  Beispiel   E  52   erwTeist,   in 

1)  Vgl.  Krctzschmar  „Führer",  II.  Abt,  erster  Teil,  S.  320. 

2)  Auch  der  unter  seinem  Einfluss  schreibende  J.  G.  Reuter  produziert  mehr  oder  weniger 
tolle  Bravourarien.  Vgl.  L.  Stollbrock:  „Leben  und  Wirken  des  K.  K.  Hofkapellmeisters 
J.  G.  Reuter",   Viertelj.-Schr.  f.  Musikw.  1892   S.  295   ff. 

3)  leatro  alla  moda    1722. 


Erster  Teil.  53 

recht  unsanglicher  Art,  zeugt  wiederum,  daß  Theorie  und  Praxis  sich  nicht 
immer  decken.  Im  konzertierenden  Stile  geht  Caldara  bis  zur  völligen 
Unsanglichkeit.  Wenn  Lotti  oder  Händel  einmal  der  Singstimme,  was 
übrigens  selten  geschieht,  instrumentale  Melodien  geben,  so  geschieht  es 
sicher  eines  kontrapunktischen  Zweckes  wegen,  also  mit  einer  gewissen 
Berechtigung.  Caldara  aber  zwingt  die  Stimme  zu  instrumentalen 
Wendungen  in  kindischer  Spielerei,  so,  wenn  er  ihr  aufgibt,  mit  dem 
Fagotte  zu  wetteifern  (E  53).  Als  eine  der  gröbsten  Ausschreitungen 
dieser  Art  dürfte  der  Versuch  gelten,  die  Stimme  mit  dem  Wirbel  der 
Trommel  unisono  zu  halten,  wie  es  Leonardo  Yinci  wagt  (E  54),  ein 
Komponist,  der  überhaupt  die  Bestimmung  des  kolorierten  Gesanges  ganz 
verkennt,  wrenn  er  ihn  in  die  banalsten  Solfeggien  und  Tonwendungen  über- 
führt, die  mit  Ausdruck  und  Charakteristik  nicht  das  geringste  gemein  haben. 

Leonardo  Leo. 

Leonardo  Leo  gehört  mit  seinen  reiferen  Leistungen  bereits  in  die 
Periode  der  zweiten  neapolitanischen  Schule,  schon  der  Form  der  Arien 
nach,  die  nunmehr  eine  Zweiteilung  des  Hauptteiles  erfährt,  indem  der 
erste  Schluß  in  der  Dominante  oder  weiteren  Verwandten  der  Haupttonart 
sucht,  und  der  zweite,  nach  Wiederholung  des  Hauptthemas,  neuen 
thematischen  Inhalt  einführt  und  den  Schluß  entweder  tonisch  oder  in 
der  Dominante  macht.  Gegenüber  diesen  Gebilden  erscheinen  die  Arien 
Scarlattis  klein  und  kurz  gefaßt.  Was  Leo  mit  der  alten  Zeit  verbindet 
und  ihn  zum  Vorläufer  derjenigen  Neapolitaner  macht,  die  wiederum  eine 
mehr  dramatische  Behandlung  betonen,  ist  sein  Streben  nach  Schilderung 
bedeutender  seelischen  Zustände,  mit  der  er  es  ernst  meint.  Ihr  paßt  er 
die  koloristische  Behandlung  der  Formen  an.  Doch  auch  er  verfällt  den 
Schwächen  des  italienischen  Opernwesens.  Da  finden  sich  vielfach  störende 
Floskeln,  die  weder  dem  Gedicht,  noch  der  musikalischen  Gesamtanlage 
anstehen.  Wenn  er,  um  ein  Beispiel  zu  wählen,  in  der  „Ülimpiade"  seinem 
Helden,  der  versichert,  er  werde  stolz  seinen  Weg  gehen,  „portando  in 
fronte  quel  caro  nome  impresso,  come  mi  sta  nel  core"  auf  sta  eine  spielerische 
Passaggie  zuteilt,  die  alle  Sängerkünste,  wie  Triller,  Echi,  kurze  Vorschläge, 
und  zwar  ungebräuchlicherweise  von  unten,  aufweist,  so  wird  sie,  wie  die 
zahlreichen  Schwestergebilde,  als  störende  bravouröse  Einlage  empfunden 
(E  55).  Immerhin  muß  man  anerkennen,  daß  er  der  großen  Oper  solche 
Bravourpassaggien  sparsamer  einfügt,  als  dort,  wo  es  ihm  darauf  ankommt, 
alle  Künste   der  Gesangstechnik   springen   zu   lassen.1)     Überall  bildet  er 

*)  Wie  in  der  Festa  teatrale  „le  Nozze  di  Psiche  con  Amore",  die  gelegentlich  der 
Hochzeitsfeierlichkeiten  des  Königs  von  Neapel,  1734,  m  San  Carlo  zur  Aufführung  kam. 
Ms.  d.  K.  Bibl.  zu  Berlin. 


54  Erster  Teil. 

weitausgreifende  Kadenzen  in  der  oben  geschilderten  Form.  Wie  schon 
Scarlatti  eröffnet  er  zuweilen  die  Arie  mit  einer  dem  Sänger  freigestellten 
Kadenz,  worauf  ein  ad  arbitrio  über  den  wenigen  ausgeschriebenen  Noten 
hindeutet  (E  56). 

Emanuele  Astorga. 

Schließlich  muß  ich  noch  eines  Meisters  gedenken,  dessen  Ruhm  auf 
nur  einem  Werke  steht,  seinem  Stabat  mater,  des  Emanuele  Astorga. 
Seine  Kantaten  —  Opern  seiner  Arbeit  sind  bisher  nicht  bekannt  geworden  — 
wiegen  leicht.1)  Sie  bieten  angenehme,  wohlklingende  Musik,  gehen  aber 
kaum  irgendwo  in  die  Tiefe.  Schon  die  Textwahl  zeigt,  daß  es  ihm  um 
intime  Unterhaltungsmusik  zu  tun  war,  denn  sie  wendet  sich  an  erotische 
Empfindungen,  hütet  sich  aber,  pathetisch  zu  werden.  Bemerkenswert  ist 
die  feinsinnige,  vom  Zeitgebrauch  emanzipierte  Behandlung  des  Melismas, 
das  überall  äußerst  sparsam,  in  kurzen  Wendungen,  in  melodischer  Funktion, 
selten  tonmalend  verwendet  ist. 

Das  italienische  Oratorium. 

Es  erübrigt  noch  einen  Blick  auf  den  Einzelgesang  des  Oratoriums 
der  Italiener  zu  werfen.2)  Glaubt  Bontempi3)  die  stilistische  Eigenart 
des  Oratoriums  gegenüber  der  Oper  dahin  präzisieren  zu  können,  daß 
einmal  hier  der  Chor  fehle,  dann  aber  dort  den  Sologesängen  eine  kunst- 
vollere Setzart  entspreche,  so  steht  diese  Unterscheidung  bereits  für  die 
Zeit,  um  welche  sie  vorgenommen  wurde,  also  um  1662,  nicht  im  Ein- 
klänge mit  den  tatsächlichen  Verhältnissen  und  entbehrt  für  die  Folge- 
zeit jeder  Berechtigung.  Denn  einmal  fehlte  es  in  den  großen  Opern 
durchaus  nicht  immer  an  Chören,  wie  sie  denn  in  Scarlattis  Spät- 
werken vielfach  eintreten,  das  Oratorium  selbst  beschränkte  ihre  Tätigkeit  so 
sehr,  daß  sie  hier  fast  nicht  mehr  bedeuteten,  als  an  der  Oper.  Dann 
aber  kann  man  von  einem  kunstvollen  Stil  im  Oratorium  wohl  in  Bezug 
auf  den  mehrstimmigen  Einzelgesang  sprechen;  aber  auch  er  bildet  kein 
unterscheidendes  Merkmal;  denn  auch  zahlreiche  Opern,  wie  die  des 
Legrenzi  und  Steffani,  führen  Ensemblesätze,  vorzüglich  Duette  von 
durchaus  kunstvoller  Arbeit  mit  sich.  Für  den  Einzelgesang  aber  kann 
ich  einen  wesentlichen  Unterschied  der  Behandlung  nicht  feststellen. 
Weder  das  begleitete  Rezitativ  „das  edelste  Stück  italienischer  Kunst" 
(Kretzschmar),    noch  die  Arie    selbst  zeigt  gegenüber  der  Oper  Wesens- 


l)  Ich  urteile  nach  den  Sammlungen  seiner  Kantaten  auf  den  Bibliotheken  von  Berlin 
und  München. 

5)  Das  zutreffendste  Urteil  über  dieses  Kunstgebiet  bei  Kretzschmar:  »Führer  durch 
den  Konzertsaal«,  IT,   2. 

3)  Einleitung  zum    »Paride«    1662. 


Erster  Teil.  55 

Verschiedenheit.  Nur  in  der  sorgfältigeren  Behandlung  der  Begleitungs- 
stimmen und  den  längeren  Yor-  und  Nachspielen,  wie  sie  besonders 
Caldara  einführt,    hat    das  Oratorium    vor    der    Oper  einen   Vorsprung. 

Carissimi  und  Lnigi  Rossi. 

Die  Melismatik  des  italienischen  Oratoriums  korrespondiert  denn 
auch  im  wesentlichen  mit  ihrer  Behandlung  in  der  zeitlich  parallel  gehenden 
dramatischen  Musik.  Und  das  schon  bei  Carissimi.  Im  Gegensatz  zur 
Kantate  steht  er  hier  noch  auf  dem  Standpunkt  der  älteren  römischen 
Oper.  Seine  Kolorierungen  wollen  regelmäßig  der  Dichtung  nachfühlen 
und  ihre  Stimmungen  in  Musik  umsetzen,  während  sie  selten  rein  melodisch 
gemeint  sind.  Das  erstreckt  sich  auch  auf  die  Partien  des  Historicus, 
die,  wie  Bachs  Rezitative,  musikdramatische  Deklamationen  vorstellen 
und  bestimmt  sind  durch  die  Gefühle  und  Leidenschaften,  die  darin  an- 
gedeutet werden  sollen  x)  Deshalb  wird  auch  bei  ihm  das  Rezitativ  des 
Historicus  streckenweis  rein  musikalisch,  wo  er  es  unternimmt,  Seelen- 
zustände  zu  veranschaulichen,  wie  in  nJepIitau,  wo  die  Freude  der  Tochter 
über  die  siegreich  aus  dem  Feldzug  zurückkehrenden  Ihrigen  ausgedrückt 
ist.2)  Überall,  wo  es  gilt,  Affekte  der  Freude  zu  illustrieren,  erscheinen 
größere,  frisch  bewegte  Passaggien,  wenn  im  nludicium  Salomonisa  die 
echte  Mutter  ihre  Genugtuung  über  Salomonis  Urteil  ausspricht,  oder 
wenn  die  Genossen  Baltazars  ihren  Übermut  austoben.3)  Eigen  ist  ihm 
die  aus  Terzensprüngen  gebildete  Passaggie,   die  im   nIudicium   Salomonis* 

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auf  das  Durchschneiden  des  Schwertes,  dann  später,  wo  Salomo  Gott 
um  Erleuchtung  bittet,  daß  er  ein  gerechtes  Urteil  fälle,  bei  dem  Wort 
„discernere*,  auf  ein  scharfes  Erkennen  der  Wahrheit  hindeutet,  endlich  im 
„Jonas"  das  Brausen  des  Sturmes  wiedergeben  will.  Daß  diese  Bewegungen 
gesanglich  unbequem,  wußte  der  Meister  sicherlich;  denn  in  der  Kantate 
habe  ich  solche  Wendungen  nirgends  getroffen.  Aber  im  Oratorium 
steht  ihm  die  Plastik  des  Ausdrucks  höher  als  Glätte  und  leichte  Aus- 
führbarkeit. 

Mit  dem  Zurücktreten  des  dramatischen  Elements  in  der  Oper,  mit 
dem  Erstarken  der  hier  und  in  der  Kantate  entwickelten  Formen,  vor- 
züglich des  strophischen  Liedes  und  der  Arie,  rezipiert  auch  das  Oratorium 


')   Vgl.  Heuss,  Bacb-Jahrb.    1904,    »Bachs  Rezitativbehandlung«,   S.  85  ff. 

2)  Chrysanders  Ausgabe    der   Kant.  Carissimis,    Bd.   2    der  Denkmäler  der  Tonkunst. 

3)  Vgl.  insbes.  a.  o.  O.,   S.   54  fr. 


56  Erster  Teil. 

diese  Bildungen  und  unterliegt  bald  dem  Einfluß  jener  Kunstgattungen 
um  so  eher,  als  die  Dichter  ihre  Handlungen  immer  öfter  dem  dramatischen 
Zuge  ihrer  Zeit  anpaßten,  und  die  betrachtenden  Oratorien,  die  an  Ca  valier  e's 
Rappresentazione  anlehnten,  immer  mehr  zur  Ausnahme  wurden. 

Giulio  Allessandri. 

So  gerät  bereits  Giulio  Alessandris  »Santa  Francesca  Romana"  in 
die  Bewegung,  die  Cesti  in  der  Oper  inauguriert  hatte.  Wortmalerei  und 
melodische  Koloraturen,  Arien  mit  konzertierender  Trompete  (E  57),  auch 
die  Grundformen  der  Gesänge  sind  die  der  venezianischen  Oper.  Nur 
die  Person  der  heiligen  Francesca  erscheint  ihm  zu  verehrungswürdig, 
auch  ihren  Part  mit  schönrednerischen  Wendungen  zu  beladen.  Er  ist 
vielmehr  syllabisch  behandelt,  und  wo  sich  einmal  ein  Melisma  einstellt, 
hat  es  eine  erkennbare  Beziehung  zum  Text,  während  die  andern  Handelnden, 
auch  ihr  Sohn  Battista  sich  in  üppigen  Tonformeln,  wie  wir  sie  aus  Cestis 
Porno  d'oro  kennen,  nicht  genug  tun  können,  und  das  selbst  an  Stellen, 
wo  die  religiös-moralisierende  Sentenz  sie  auch  für  diesen  Standpunkt 
auszuschließen  scheint,  wie  in  der  Arie  des  Battista:  e  tormente  ogni 
<jioir,    che  per  metä    il  Ciel   non  ka,    e  martir,  se  hm  par  felicita.     (E  58.) 

Caldara. 

Es  kann  nicht  meine  Aufgabe  sein,  diesen  Assimilationsprozeß  hier 
im  einzelnen  zu  verfolgen.  Stradella,  A.  Scarlatti  und  Caldara 
haben  ihn  vollzogen.  Wer  die  Unabhängigkeit,  die  Größe  Hand  eis  als 
Oratorienkomponisten  verstehen  will,  der  studiere  die  zahlreichen  Partituren 
Caldaras  der  K.  Hofbibliothek  hrWien.  Erst  der  wird  den  erhabenen 
Geist  dieses  Heros  zu  würdigen  lernen,  der  sieht,  auf  welche  Abwege  selbst 
ein  Komponist  geraten  konnte,  dem  wir  die  würdigste  Kirchenmusik  jener 
Zeit  verdanken.1)  Ich  will  nicht  in  Abrede  stellen,  daß  diese  Oratorien 
auch  Gesänge  würdiger  Haltung,  ja  wirklich  frommer  Stimmung  auf- 
weisen; so  die  Arie  der  Maddalena  »pompi  inutili"  in  dem  betrachtenden 
Oratorium  »Maddalena  a  piedl  di  Christo"  (1713),  oder  die  erste  Szene  in 
nla  morte  d'Abel"  (1732).  Was  aber  wollen  sie  besagen  gegenüber  der 
überwältigenden  Mehrzahl  jener  im  geschmacklosesten  Barock  gehaltenen 
und  in  der  Flachheit  einer  jedem  religiösen  Empfinden  ab-  und  der 
seichtesten  Tonspielerei  zugewandten  Handwerksmusik  verlaufenden 
Bildungen.  Wie  in  der  Oper  so  mußte  Caldara  auch  hier  einmal  auf 
die  musikalische  Halbbildung  seiner  Hörer,  dann  aber  auf  die  Eitelkeit 
der  Gesangsvirtuosen  Rücksicht  nehmen.  Daß  sie  ihn  zu  so  traurigen 
Ausschreitungen  verführten,    bezeugt,    welch  geringe   Vorstellung  von  der 


J)  Denkmäler  der  Tonkunst  in  Oesterr.,  Bd.    13,    1.  Teil. 


Erster   Teil.  57 

Würde  der  Kunst  damals  in  Wien,  gerade  in  den  Kreisen  der  Gesellschaft 
herrschte.  Naturgemäß  empfinden  wir  sie  hier  noch  peinlicher,  als  in  der 
Oper,  vorzüglich  wenn  koloristische  Nichtigkeiten  Heiligen  oder  gar  Christus 
selbst  in  den  Mund  gelegt  werden.  Selbst  in  einem  seiner  gelungeneren 
Werke,  der  „Afaddalena  a  piedi  di  Christo",  das  nicht  selten  hoheitsvolle, 
ja  ergreifende  Töne  findet,  und  zur  Koloratur  nur  greift,  wo  die  „irdische 
Liebe"  den  Flitterglanz  des  Lebens  schildert,  maß  Christus  am  Schlüsse 
der  Phrase  „ride  il  viel,  gVastri  brillano,  e  piu  lucidi  sdntülano  sovra  un 
anima  che  piange"  (Es  lacht  der  Himmel,  die  Gestirne  glänzen  und  strahlen 
glänzender  noch  herab  auf  eine  Seele,  die  klagt)  ein  langes  Melisma  aus- 
führen, das  nicht  einmal  diesem  Gedanken,  geschweige  denn  der  erhabenen 
Person  Christi  ansteht  (E  59).  Daß  es  ihm,  hier  wie  an  anderen  Stellen 
ähnlicher  Art,  nur  um  die  Zurschaustellung  der  technischen  Fertigkeit 
seiner  Sänger  zu  tun  war,  wollen  wir  zu  seinen  Gunsten  annehmen,  und 
dürfen  es  daraus  schließen,  daß  er  doch  nicht  selten  feinfühlig  und  treffend 
durch  vokalische  Tongänge  zu  charakterisieren  weiß,  die  weder  durch  ihre 
Ausdehnung  noch  melodisch  ins  Bravouröse  verfallen,  sondern  wirklich  im 
Dienste  des  Ausdrucks  stehen,  wofür  ich  E  60  ein  Beispiel  aus  demselben 
Oratorium  anführe,  das  eine  prächtige  Schilderung  des  Wortes  „pene" 
enthält.  Solch  gelungenen,  im  Rahmen  des  Ganzen  gehaltenen  Malereien 
gegenüber  stehen  aber  zahlreiche  nur  an  das  Wort  angelehnte  —  bei 
Caldara  wie  bei  anderen  Italienern  — ,  die  nicht  bloß  zur  Würde  des 
Gegenstandes,  sondern  geradezu  zum  Sinne  des  Satzes,  der  zur  Yertonung 
steht,  disharmonieren.  Die  Arie  des  Pharisäers  Levi  im  „Gesü  presentato 
nel  Tempio"  (azione  sacra,  1735)  spricht  den  Gedanken  aus:  Der  Eifer 
deines  Hauses  und  deines  Ruhmes,  o  höchster  Gott,  zittert  (freme)  in 
meinem  Herzen.  Ganz  ohne  inneren  Zusammenhang  mit  ihm  entfallen 
dem  Worte  freute  tremolierende  Noten  in  den  Geigen  und  kleine  in  der 
Sequenz  wiederholte  melismatische  Phrasen  in  der  Singstimme,  ein  Beispiel 
übrigens  für  viele,  daß  nunmehr  auch  der  orchestrale  Apparat  tonmalend 
herangezogen  wird  (E  6*1).  Caldaras  Melismen  haben  überhaupt  in  dieser 
Funktion  der  eigentlichen  Wortmalerei  selten  die  Fähigkeit  wirklicher 
Gestaltungskraft.  Sie  vermögen  kaum  irgendwo  eine  Vorstellung  des  zu 
Schildernden  zu  erwecken  und  entgleisen  aus  dem  Charakteristischen  ins 
Galant-Spielerische.  Wo  er  im  „Morte  oVAbel"  versucht,  das  Wort  „torbido" 
in  dem  Ausspruch  der  Eva,  die  Kain  vor  Eifersucht  warnt:  „Was  soll 
aus  dem  Fluß  in  seinem  langen  Laufe  werden,  wenn  er  schon  an  der 
Quelle  so  unruhig  (torbido)  schäumt"  zu  illustrieren  —  übrigens  der  Sentenz 
ganz  bedeutungslos  —  so  kommt  es  trotz  des  Aufgebotes  konzertierender 
Violinen,  der  Viola  und  des  Cellos  doch  nur  zu  einem  anmutigen  Tonspiel, 
ohne  daß  der  beabsichtigte  Effekt  erreicht  wird  (E  62). 


58  Erster  Teil. 

Mein  Urteil  über  das  italienische  Oratorium  und  seine  Stellung  zur  vokalen 
Ornamentik  kann  ich  mit  diesem  Hinweis  abschließen.  Es  hat  hier  seine 
Stelle  in  erster  Linie  gefunden,  um  die  Großtaten  eines  Bach  und  Händel 
ins  rechte  Licht  zu  setzen.  Mit  dem  Maßstab  der  zeitgenössischen  italienischen 
Produktion  gemessen    erscheinen    sie   noch  höherragend,    noch    erhabener. 

Die  Manieren  der  älteren  neapolitanischen  Schule. 

Während  ältere  Komponisten,  deren  Lernjahre  noch  ins  17.  Jahr- 
hundert fallen,  wie  AI.  Scarlatti,  und  selbst  noch  Händel,  überwiegend 
an  der  alten  Notierungsmethode  festhalten,  beginnt  die  jüngere  Generation 
nunmehr  die  kleinen  Ornamente  durch  kleingeschtiebene,  nicht  in  den  Takt 
eingeteilte  Noten,  oder  durch  Zeichen  über  dem  System  anzudeuten.  Damit 
gelangte  ein  in  Frankreich  bereits  im  17.  Jahrhundert  geübter  Brauch  auch 
in  Deutschland  und  Italien  zur  Annahme.  Einige  Autoren  schwanken  in 
der  Methode,  bald  die  Verzierungen  auslassend,  wo  wir  sie  erwarten,  bald 
sie  in  Mensuralwertcn  ausschreibend,  bald  die  kleine  Note  und  Zeichen 
wählend.  Auch  in  der  nächsten  Epoche,  also  noch  Tosis  Lehrwerk, 
gehen  die  Systeme  noch  nebeneinander  her,  wie  denn  Händel  meist  in 
der  alten  Manier  notiert,  zuweilen  aber  doch  auch  einen  Vorschlag  mit 
der  kleinen  Note  andeutet,  während  Bach  überall  ausgiebig  von  ihr  und 
den  Zeichen  Gebrauch  macht. 

Es  ist  hier,  wo  es  sich  noch  nicht  darum  handelt,  die  Bewertung  der 
kleinen  Note  festzustellen,  nur  von  Interesse  zu  erwähnen,  daß  den  Italienern 
um  und  nach  Scarlatti  der  unbetonte,  jambische  Vorschlag  weit 
geläufiger  ist,  als  der  betonte  trochäische,  gegenüber  der  Behauptung 
Pli.  Em.  Bachs  und  Agricolas,  er  sei  stets  in  dieser  Weise  auszuführen. 
Beispiele  erübrigen  sich,  da  jede  Seite  der  Partituren  dieser  Epoche  für 
unsere  Behauptung  zeugt.  Wohl  finden  sich  auch  zahlreiche  kurze  betonte 
Noten,  in  ausgeschriebenen  Werten,  aber  nicht  in  der  Funktion  der  Vor- 
schläge, sondern  als  Hauptnoten,  Leitereigen  zum  Baß,  während  die  längere 
Note  den  Durchgang  vorstellt.  Der  zweinotige,  rasche  und  betonte 
Schleifer,  von  dem  Scarlatti  selbst  seltener  Gebrauch  macht,  rückt  in 
dieser  Periode  zu  einer  der  beliebtesten  Figuren  auf,  so  daß  er  nicht  nur 
im  Melisma  eine  große  Rolle  spielt,  sondern  das  Thema  selbst  bestimmt. 
Ungezählte  Arien  beruhen  in  ihrer  Thematik  geradezu  auf  ihm.  Bach 
benutzt  ihn  häufiger  noch  als  Händel,  so  daß  man  sagen  kann,  daü  er 
eine  Eigenart  seiner  Rhythmik  vorstellt.  Der  Doppelschlag  behält  seine 
Bedeutung.  ]  Läufig  erscheint  nunmehr  der  Kettentriller,  also  eine  Folge  von 
Trillern  auf  ansteigenden  Noten,  die  natürlich  mit  der  oberen  Hilfsnote  ein- 
setzen und  meist  einen  doppelten  Nachschlag  hinter  sich  haben.  Händel  ver- 
steht, diese  Figur  auch  dem  Zwecke  der  Charakteristik  dienstbar  zu  machen. 


Erster  Teil.  fr>(,) 

Kapitel  IL 
Die  französische  Theorie  nnd  Praxis. 

Bedeutung  der  Lehre  für  die  französische  Kunst 
und  ihr  Einfluß  im  Auslande. 

Sahen  wir  uns  für  die  italienische  Ornamentik  darauf  beschränkt, 
aus  den  Werken  der  praktischen  Musik  die  Begriffe  zu  abstrahieren,  so 
bieten  uns  hier  zahlreiche  theoretische  Werke  französischer  Autoren  einen 
Einblick  in  das  Verzierungswesen  ihrer  Kunst.  Für  die  dem  Gegenstand 
beigemessene  Bedeutung  spricht  nicht  allein  die  Zahl  der  einschlägigen 
theoretischen  Werke,  sondern  auch  der  Umfang  und  die  Ausführlichkeit 
der  Erörterungen.  Bacilly  setzt  in  den  „remarques  curieuses"  von  1669 
an  die  Spitze  des  12.  Kapitels  »des  ornements  du  chant"  den  Satz,  daß, 
gleichwie  im  allgemeinen  zwischen  la  beaute  und  Vagrement  unterschieden 
werde,  so  auch  im  Gesänge  ein  Stück  schön  sein  und  doch  nicht  gefallen 
könne,  wenn  es  nicht  mit  den  nötigen  „orTiements?  ausgeführt  werde. 

Es  bedarf  einer  Rechtfertigung,  daß  ich  die  französische  Lehre  vor 
der  deutschen  abhandle.  In  Wahrheit  hat  sich  Deutschland  in  diesem 
Jahrhundert  bis  tief  ins  18.  Jahrhundert  hinein  wesentlich  rezipierend 
verhalten  und  untersteht  italienischem  und  noch  mehr  französischem 
Einflüsse  in  solchem  Grade,  daß  von  einer  Selbständigkeit  noch  nicht 
gesprochen  werden  kann.  Gingen  doch  die  besten  deutschen  Meister  ins 
Ausland,  sich  die  fremde  Art  an  Ort  und  Stelle  anzueignen.  Froberger 
zog  in  den  fünfziger  Jahren  nach  Paris  in  der  ausgesprochenen  Absicht, 
die  Manieren  und  den  Geschmack,  welchen  Galot  und  Gaultier  für  die 
Laute  aufgebracht  hatten,  dem  Klavier  anzupassen.1)  Georg  Muffat 
weilte  gleichfalls  sechs  Jahre  in  Paris,  um  Lullys  Schreibweise  und 
Verzierungswesen  kennen  zu  lernen,  wurde  später  Schüler  Pasquinis  in 
Korn  und  schaffte,  wie  er  sich  ausdrückt,  so  den  gemischten  Geschmack, 
und  selbst  noch  Quantz  meint,  den  Franzosen  hätten  wir  die  Manieren 
zu  verdanken. 

Ursprung  der  französischen  Ornamentik. 
Das  Volkslied. 

Die  französische  Ornamentik  darf  als  uralte  Wesenheit  des  Volks- 
liedes betrachtet  werden.  Keine  Frage,  daß  von  ihm  aus,  unabhängig 
vom  italienischen  stilo  rappresentatioo,  der  Kunstgesang,  die  Airs,  beeinflußt 
ward,  wenngleich  mit  der  fortschreitenden  Beliebtheit  der  italienischen 
Musik,    etwa  von   1645,    dem  Aufführungsjahr    von  Luigi  Rossis  Orfeo, 


l)  Fleischer.    „Denis  Gaultier."    Viertel-jahischr.  für  Musikwiss.  1886. 


fiO  Erster  Teil. 

an,  auch  italienischer  Einfluß  sich  geltend  machte.  Berichtet  doch  Bacilly,1) 
daß  Bailly,  der  bereits  am  Anfange  des  17.  Jahrhunderts,  also  zu  einer 
Zeit,  wo  die  italienische,  neue  Kunst  noch  keine  Verbreitung  gefunden 
hatte,  lebte,  als  Erfinder  der  Ornamentik  zu  betrachten  sei.  Das  ist  nun 
nur  in  dem  Sinne  zu  verstehen,  daß  er  es  war,  der  sie  in  den  Kunstgesang 
eingeführt  habe.  Ohne  Vorbild  kann  er  nicht  gewesen  sein,  und  daß  das 
in  erster  Linie  nur  das  Volkslied  gewesen  sein  kann,  ergibt  sich  einmal 
aus  seiner  großen  Verbreitung  und  Beliebtheit  im  16.  Jahrhundert,  dann 
aber  aus  dem  Fehlen  jedes  anderen  Kunstgebildes,  an  das  er  sich,  wie 
die  Italiener  an  das  kolorierte,  mehrstimmig  gedachte  und  solistisch  aus- 
geführte Madrigal,  hätte  anlehnen  können;  denn  an  eine  direkte  Übertragung, 
etwa  aus  dem  gregorianischen  Gesang  oder  dem  kontrapunktischen  Gesang 
älterer  Zeit,  wird  man  nicht  zu  denken  haben. 

Auf  den  Reichtum  der  ornamentalen  Melodik  des  französischen  und 
bretonischen  Volksliedes,  und  auf  die  bewußte  Anlehnung  der  jungen 
Kunstgesangschule  des  17.  Jahrhunderts  an  sie,  hat  bereits  Weck  erlin2) 
hingewiesen.  Tiersot3)  schließt  sich  auf  Grund  einer  ausgezeichneten  und 
tiefreichenden  Kenntnis  der  chansons  seiner  Heimat  dieser  Anschauung  an. 
Unter  Zurückweisung  der  von  Fetis  vertretenen  Ansicht,  orientalische 
Einflüsse  hätten  sich  hier  geltend  gemacht,  vindiziert  er  der  Melismatik 
des  Volksliedes  seine  autochthone  Eigenart.  So  weit  möchte  ich  nun  freilich 
nicht  gehen.  Bei  den  weit  reichenden  Beziehungen  des  alt-gregorianischen 
Gesanges  zum  Volkslied,  bei  der  vielfach  nachweisbaren  Rezeption 
gregorianischer  Elemente  durch  das  Volkslied4)  erscheint  auch  für  die 
Entwicklung  auf  französischem  Boden  ein  ähnlicher  Prozeß  mindestens 
wahrscheinlich.  Seine  weitere  Verfolgung  gehört  nicht  hierher;  denn 
jedenfalls  war  er  bereits,  als  das  Volkslied  seinen  Einfluß  auf  den  künst- 
lerischen Sologesang  zu  äußern  begann,  längst  abgeschlossen.  Auf  die 
Ornamente  des  Volksgesanges  näher  einzugehen,  liegt  gleichfalls  außerhalb 
der  Aufgabe  dieser  Arbeit.  Es  genügt  unter  Verweisung  auf  Tiersots 
angeführtes  Werk  festzustellen,  daß  alle  jene  Verzierungen,  denen  wir  in 
der  Folge  begegnen  werden,  hier  vorbereitet,  ja  zum  Teil  vollständig 
entwickelt  sind. 

Einfluss  der  Instrumentalmusik. 

Aber  der  Volksgesang  allein  war  es  nicht,  der  den  französischen 
Kunstgesang   beeinflußte.      Die    Instrumentalmusik    hat    auch    hier,    genau 

1)  a.  o.  O. 

2)  Neue  Ausgabe  von  Cambeits  „Pomone". 

3)  Ilistoire  de  la  chanson  populaire  en   France,   Paris    1889 

4)  Fleischer,   Sammeln,  d.  Int.  Mus.-G.  1899. 


Jirster  Teil.  61 

so  wie  in  Italien,  der  älteren  Schwester  vorgearbeitet.  So  wie  wir  für 
die  italienische  Musik  im  16.  Jahrhundert  in  Italien  festzustellen  hatten, 
daß  die  jung  erblühte  instrumentale  und  konzertierende  Musik  für  die 
Ausgestaltung  des  Diminutionswesens  von  hervorragender  Bedeutung  ge- 
worden, so  ist  auch  auf  französischem  Boden  zur  selben  Zeit  instrumentale 
Kunst,  insbesondere  das  Lautenspiel,  für  das  Verzierungswesen  im  Ge- 
sänge mitbestimmend  geworden,  wobei  hier  unerörtert  bleiben  kann,  in- 
wiefern sie  wiederum  von  der  älteren,  kontrapunktischen  Musik  beeinflußt  war. 

Port  de  voix.     Mersenne  und  Bacilly. 

Wir  wenden  uns  nun  der  Darstellung  des  Yerzierungswesens  zu, 
wie  es  uns  die  Theoretiker  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  überliefern, 
und  beginnen  mit  derjenigen  Verbindung,  die  sie  als  port  de  voll-  be- 
zeichnen. Sprachlich  bedeutet  sie,  wie  das  italienische  Portamento:  Tragen 
der  Stimme,  also  jene  Verbindung  zweier  Töne,  die  in  allmählichem  An- 
beziehungsweise  Abspannen  der  Stimmbänder  erreicht  wird,  im  Gegen- 
satze zum  Legato  als  ihrer  plötzlichen  Umstellung.  Es  ist  zu  prüfen, 
ob  auch  damals  dieser  sprachliche  Begriff  sich  mit  dem  musikalischen 
deckte.  Die  italienischen  Quellen  kennen  das  Portamento  in  diesem  Sinne 
nicht,  aber  in  Frankreich  entspricht  tatsächlich  zunächst  der  sprachliche 
Begriff  dem  musikalischen.  Mersennes1)  Definition  des  port  de  ooiu 
bestätigt  das.  Unter  Verweisung  auf  sein  Beispiel  führt  er  aus:  enfin  la 
roi.r  .sc  coule  et  passe  de  re  ä  mi}  comme  si  eile  tlrait  le  re  apres  -soij,  et 
qii'elle  coniinuast  ä  rempllr  tout  V Intervalle  ou  degre  de  re  ä  ml  par  une  suite 
non  Interrompue  et  (///'eile  rendist  ses  deux  sons  Continus,  und  an  anderer  Stelle 
heißt  es:  en  montant  doueement  et  com  nie  par  an  mowoement  continu  jusque 
ä  Vaecord  re  (nämlich  von  ut)  Die  hier  geschilderte  Verbindung  kann 
nur  im  Sinne  unseres  Pm'tamento  gemeint  sein.  Gleichzeitig  entnehmen 
wir  aber  dem  Beispiel  (Anhang  F  I,  1),  daß  eine  Diminution  der  ge- 
schriebenen Noten  erfolgte,  indem  das  letzte  Viertel  der  ersten  ganzen 
Note  zu  einer  Wiederholung  des  Tones  und  gleichzeitig  als  Ansatz  zum 
Hinauftragen  der  Stimme  benutzt  ward.  Mersenne  erläutert  dies:  afin 
de  signifier  que  la  wuc  doit  passer  de  ut  ä  re  (s.  Beispiel)  en  frappant 
legerement  le  re  (die  Silbe)  sur  le  .sott  Put,  et  en  montant  doueement  etc. 
(wie  oben).  Es  ist  mithin  zweifellos,  daß  sich  im  port  de  ooix  zwei  Be- 
griffe vereinigen,  das  Hinauftragen  der  Stimme  zu  einem  höheren  Intervall 
—  hier  im  Ganz-  oder  Hulbton  —  und  die  Zerlegung  der  ersten  Note 
in  zwei,  so  daß  ihr  ein  Viertel  abgezogen  wird  und  einer  Hilfsnote  dient, 
die  auf  dem  Text  der  nächsten,  also   zweiten  Hauptnote  auszusprechen  ist. 


)   Harmonie  universelle,   Paris    1636. 


62  Erster  Teil. 

Es  entsteht  somit  ein  jambischer  Vorschlag.  Nimmt  man  noch  von  den 
von  ihm  mitgeteilten  Diminutionen  der  Airs  de  Boesset  Einsicht,  welche  zahl- 
reiche ports  de  ooix  enthalten  (Anhang  G  1),  so  stellt  sich  heraus,  daß  die 
eigentlich  sekundäre  Teilung  der  ersten  Hauptnote  hier  zur  Hauptsache 
wird.  Freilich  mag  auch  hier  noch  die  Verbindung  eine  portamentale 
gewesen  sein,  aber  der  Verlauf  der  Darstellung  wird  uns  belehren,  daß 
das  begriffliche  Moment  des  port  de  ooiv,  des  Tragens  der  Stimme,  schließlich 
hinter  dem  Nebenbegriff,  der  Diminution,  des  Vorschlags,  zurücktritt. 
Schon  bei  Bacilly  beginnt  diese  Verschiebung.  Zwar  geht  auch  er  noch 
von  der  portamentalen  Verbindung,  als  der  begrifflich  richtigen,  aus,  (et 
assurement  le  mot  mesme  porte  la  signification%  est  le  transport  qui  *e  fait 
pur  un  coup  de  gosier  oVune  note  inferieure  ä  une  mperieure),  und  an  anderer 
Stelle  erläutert  er  die  Verbindung  durch  den  port  de  voix  von  mi  zu  fa 
Diesis  dahin,  daß  das  dazwischen  liegende  fa  naturale  gestreift  werde, 
was  nur  durch  ein  schweres  Portament  zu  erreichen  ist,  und  endlich  heißt 
es  an  dritter  Stelle:  il  ne  faüt pas  simplement  glisser  nonchallemiment  le  coup 
de  gosier,  et  qui  nomme  rudesse,  ce  qui  doit  appeler  fermete,  aber  die  nun 
folgende  Klassifikation  erweist  die  Zulassung  von  Verbindungen  neben 
der  eben  geschilderten  portamentalen,  die  auf  einen  Vorschlagsrhythmus 
ohne  Tragen  der  Stimme  hinauslaufen.  Er  unterscheidet  nämlich  1.  port 
de  ooix  plein,  das  schwerste  Portamento,  stets  von  einem  tieferen  Ton  zu 
einem  höheren,  aber  in  allen  Intervallen.  Die  tiefere,  erste  Hauptnote 
ist  auszuhalten,  aber  im  letzten  Teil  bereits  für  die  nächste  Silbe  und 
den  coup  de  gosier,  das  Hinauftragen  der  Stimme,  zu  verwenden.  Nach- 
dem die  höhere  Note  erreicht  ist,  wird  sie  angegeben,  wiederholt  und 
ausgehalten.  Das  Beispiel  ist  im  Anhang  rekonstruiert.1)  (F  I,  2  a.)  2.  Im 
demy  pnrt  de  ooix  ist  die  Verbindung  eine  leichtere,  wahrscheinlich  unserm 
legato  entsprechend:  le  coup  de  gosier  se  fait  aoe.c  moins  de  jermete  et 
beaueoup  plus  delicatement.  Die  obere  Note  wird  nur  ganz  leicht  nach 
der  Verdoppelung  angegeben  und  ausgehalten.  3.  Le  Port  de  ooi.r  glisse 
oder  Coule,  gleich  dem  port  de  oolr  perdu  sub  4.  als  Unterart  des  de///// 
port  de  ooi.r  behandelt,  teilt  gleichfalls  die  erste  Hauptnote  in  zwei  Noten 
kleineren  Wertes  und  beläßt  der  oberen,  zweiten  Hauptnote  den  vollen  Wert. 
Auch  scheint  hier  ihre  Verdoppelung  nicht  einzutreten.  (F  I,  2  b.)  4.  Der 
port  de  ooi.r  perdu  gibt  der  Hilfsnote  einen  Teil  des  Wertes  der  ersten 
und  den  größten  Teil  des  Wertes  der  zweiten  Note,  während  diese  selbst 
erst  ganz  am  Schlüsse  eintritt,  ähnelt  also  unserm  Vorhalt,  dem  ver- 
änderlichen Vorschlag  des    18.  Jahrhunderts.     (Anhang  F  I,  2  c.)     Diese 


J)  Die  Sammlungen  der  Airs,    auf  die   Bacillys  Buch  überall  hinweist,    sind  nicht  auf- 
findbar. 


Erster  Teil.  63 

Zerlegungen  und  Verbindungen  statuiert  Bacilly  zwischen  allen  Inter- 
vallen, nur  ascendendo,  sodaß  die  der  ersten  Hauptnote  abgezogene  Hilfs- 
note den  Vorschlag  bildet.  Nur  bei  Terzen  soll  die  dazwischen  liegende 
Sekunde  als  Hilfsnote  dienen.     (Anhang  F  I,  2  d.) 

Für  unsere  Untersuchung  ist  vor  allem  die  Tatsache  von  Interesse, 
dalj  hier  die  Vorschlagsnote  überall  jambisch  erscheint,  ja  geradezu 
als  zeitliche  Antizipation  behandelt  ist;  selbst  der  Vorhalt  als  port  de  voiv 
perdu  erweitert  sich  auch  auf  Kosten  der  ersten  Hauptnote. 

Für  die  weiteren  subtilen  Unterscheidungen  Bacillys  haben  wir 
heute  kein  Verständnis  mehr,  aber  geschichtlich  wertvoll  ist  uns  die 
Parallele  zur  italienischen  Kunst  des  Sologesangs.  Noch  in  weit  höherem 
Grade  als  dort  führt  die  Reizlosigkeit  der  mageren  Melodik  der  älteren 
kunstgesanglichen  Produktion  zu  einer  raffinierten  Vortragskunst,  zu  einer 
alle  geraden  Linien  in  eine  Unsumme  von  Kurven  auflösenden  Melismatik. 
Lehrreich  sind  in  dieser  Hinsicht  die  von  Mersenne  mitgeteilten  Ver- 
änderungen einer  Arie  von  Boesset  durch  Billy  und  Moulinie,  sowie 
die  Verzierungen  Bacillys  in  seinen  Melanges  d'atrs  von  1671  und  seinen 
Receuils  de  hait  livres  de  chansons  pour  boire  von  1699  (wohl  eine  spätere 
Auflage),  aus  denen  ich  einige  Stellen  im  Anhang  mitteile.  (G  1 — 3.) 
Sie  zeigen,  daß  sich  auch  hier,  ebensowenig  wie  bei  den  Italienern,  Theorie 
und  Praxis  ganz  decken.  Der port  de  voix  kommt  überall  auch  abwärts 
vor,  aber  nur  zwischen  Sekunden  und  Terzen.  Die  Praxis  scheint  bei 
weiteren  Intervallen  längere  und  ausfallendere  Passaggien  vorgezogen  zu 
haben.  Den  port  de  ooix  gestattet  Bacilly,  wie  auch  andere  Verzierungen, 
nur  auf  langen  Silben,  in  unserm  Sinne  betonte  Silben,  wobei  er  davon 
ausgeht  (troisieme  partie  chapitre  premier),  daß  das  Französische  gleich 
dem  Lateinischen  kurze  und  lange  Silben  unterscheide.  Diese  Be- 
schränkung auf  betonte  Silben,  und  somit  auf  betonte  Taktteile,  wird  von 
der  Theorie  und  Praxis  eingehalten.  Deklamatorisch  ist  ihr  damit  über 
die  deutsche  Musik  ein  erheblicher  Vorsprung  gesichert. 

Jean  Roussean. 

Bei  Jean  Rousseau,  Methode  claire,  certaine  et  /adle  pour 
apprendre  ä  chanter,  Amsterdam  1678,  ist  die  ursprüngliche  Bedeutung 
des  Tragens  der  Stimme  aus  dem  port  de  eoi.e  gänzlich  ausgeschaltet. 
Die  Ausfälle  Bacillys  gegen  seine  Gegner,  welche  sich  bereits  zu  dieser 
Begriffsbestimmung  bekannten,  lassen  daraufschließen,  daß  die  Umgestaltung 
des  ursprünglichen  Begriffs  sich  seit  Mersennes  Zeiten  allmählich  voll- 
zog. Die  Gegner  Bacillys  und  Rousseau  selbst  betrachten  diese  Ver- 
zierungen nur  noch  rhythmisch,  als  Verbindung  selbst  ist  das  schlichte 
Legato    vorausgesetzt.       Harmonische     Beziehungen    lassen    sie    gänzlich 


f)4  Erster  Teil. 

außer  acht.  Unterbegriffe  kennt  Rousseau  nicht,  er  spricht  schlechthin 
vom  poH  de  üoir,  in  dem  Sinne  einer  Zerlegung  einer  Note  in  zwei 
kleineren  Weites,  von  denen  die  zweite,  die  Hilfsnote,  mit  der  folgenden 
Note  auf  der  ihr  entfallenden  Silbe  verbunden  wird.  Ferner  kann  die 
erste  Note  ihren  Wert  behalten,  im  Werte  der  nächsten  noch  einmal  an- 
gegeben und  mit  der  folgenden  auf  der  ihr  entfallenden  Silbe  verbunden 
werden.  Dort  liegt  ein  jambischer,  hier  ein  trochäischer  Vorschlag  vor. 
(Anhang  F  I,  3.)  Dabei  geht  er  aber  als  Regel  von  jenem  aus,  dieser 
soll  nur  statthaben  nach  einer  kurzen  Note  und  vor  einer  zweimal  längeren, 
also  nach  einem  Achtel  und  vor  einer  Minima,  nach  einem  Sechzehntel 
und  vor  einem  punktierten  Viertel.  Daß  hier  eurhythmische  Gründe 
maßgebend  sind,  ist  nicht  zu  verkennen.  Die  zeitliche  Antizipation  des 
Vorschlags  und  die  so  entstehende  Häufung  kurzer  Noten  dünkt  ihn  als 
zu  schroffer  Gegensatz  zum  anschließenden  langen  Ton.  Man  sieht,  wie 
ungemein  sorgfältig  auch  ästhetisch  abgewogen  wurde.  Der  jambische 
Vorschlag,  den  er  im  strengen  Zeitmaß  und  Rhythmus  und  nur  vor  der 
Thesis  auf  betonten  Silben  wünscht,  deckt  sich  mit  demjenigen  Bacillys. 
Auch  er  ist  nur  zwischen  aufsteigenden  Noten  zulässig;  nur  wenn  der 
Baß  gesungen  wird,  dürfen  sie  sur  les  cadences  auf-  und  abwärts  zwischen 
Quarten  und   Quinten  angebracht  werden.     (Anhang  F  I,  3.) 

Etieune  Loüli6. 

Einen  weiteren  Ausbau,  der  der  vorausgreifenden  Praxis  gerecht  wird, 
erfährt  unsere  Lehre  in  Loulies  Elements  ou  Pr'mcipes  de  musique 
von  16üG.  Seit  J.  Rousseaus  Zeit,  erfahren  wir,  war  es  üblich  ge- 
worden, Verzierungen  in  kleinen,  in  den  Takt  eingeteilten  Typen  zu 
notieren.  Les  petits  sons  se  marquent  pur  des  notes  (Dun  plus  petit 
charactere.  Von  dem  Begriff  des  pctit  son  geht  er  aus,  er  ist  ihm  uu 
son  plus  foible,  c'est  ä  dire  moins  fort  ou  cVune  moindre  dwree  que  les 
untres  sons  ....  toujours  lie  avec  une  note  ordinuire,  avec  luqueile  est 
lie  .  .  .  eile  (lu  note')  u  Je  son  d'uue  degree  (tu  posee,  also  eine  vor  der  Haupt- 
note eingeschobene  Hilfsnote  geringerer  Dauer  und  schwächer  als 
jene  anzugeben  und  mit  ihr  leguto  zu  verbinden,  als  Sekunde  sowohl, 
als  in  anderen  Intervallen  zulässig.  Ihren  Wert  entnimmt  sie  zuweilen 
der  vorhergehenden  Note,  zuweilen  der  Hauptnote.  Die  Beispiele, 
auf  die  er  verweist  (Anhang  FI,  4  a,  b  und  c)  zeigen,  1.  den  jambischen, 
2.  den  trochäischen  Vorschlag,  3.  den  Nachschlag,  alle  von  oben. 
Unter  diese  so  entwickelten  Begriffe,  die  sich  mit  den  Vorschlägen  und 
Nachschlägen  der  klassischen  Periode  decken,  fallen  vier  Unterbegriffe, 
port  de  voixy  Coule,  Chute  und  Accent;  wohl  verstanden:  sie  erschöpfen 
durchaus    nicht   sämtliche  Arten    der   petits   sons,    sondern    figurieren    hier 


Erster  Teil.  65 

nur   als   die   besonders  üblichen  Typen.     Der  port  de  voiv   (Anhang  F  I, 
4  d  —  g)    deckt    sich    etwa    mit    dem   port   de   voLc  glisse    ou    Coule    des 
Bacilly,    genauer  mit  demjenigen    des   J.  Rousseau.     Auch  hier  ist  er, 
wenigstens    zwischen    Sekunden,    ausnahmsweise    trochäisch    betont    zuge- 
lassen.    Die  Hilfsnote    ist    auch    hier   stets    die    untere  Sekunde,    also    die 
Wiederholung  der  ersten  Hauptnote  zwischen  Sekunden  und  des  dazwischen 
liegenden  Tones  bei  Terzen.  —   Descendendo  heißt  die  Figur  Coule  (;)).  (Anhang 
FI,  4  h — p.)   Bacillys  Lehre,  daß  der  port  de  voix  nur  aufwärts  möglich  sei, 
und  Rousseaus  Beschränkung,  welche  die  Praxis  längst  überwunden  hatte, 
ist  nun  auch  in  der  Theorie  aufgegeben.     Der  Coule  erscheint  aber  nicht 
nur    als    die    obere  Sekunde    der    Hauptnote    zwischen    allen   Intervallen, 
sondern    auch    als    Wiederholung     der    ersten    Hauptnote    (o — p),    sodaß 
beispielsweise   die  Hilfsnote    zwischen   Terzen    z.  B    g  und  e  ebensogut  /' 
als  y  lauten  kann.     Der  Coule  ist   nur  jambisch  notiert.     La  Chute  (An- 
hang F  I,  4  q — s)  ist  eine  Antizipation  der  zweiten  Note,  die  bereits  auf 
dem  letzten  Viertel  der  ersten  angegeben  wird  (^>).     Der  Accent  ist  unser 
Nachschlag.    (Anhang  F  I,  4  t — w.)   Von  beiden  Formen  wird  gleich  unten 
die   Rede   sein.     Louliös  Lehre  bedeutet   also    eine  Erweiterung.     Nach 
ihm  können  Vorschlagsnoten  (petits  sons)  überall  eintreten,   von  oben  und 
unten,  zwischen  allen  Intervallen,  jambisch    und  trochäisch,    entweder  als 
Sekunden    von   unten    und    oben,    oder    springend    als  Wiederholung    der 
ersten  Hauptnote.     Es  erübrigt  noch,   aus    den  bisher  erwähnten  Quellen 
den    Begriff   des    „accent"   festzustellen.      Er    stellt    überall    einen    Nach- 
schlag vor,  bei  Mersenne  sowohl,  der  ihn  accent  plaiutif  nennt  und  nur 
als  höheren  Halbton  einführt,    wie  bei  Bacilly,    der  von  „aspiration*  in 
gleicher  Bedeutung  spricht  und  ihn  zuläßt  zwischen  Noten  gleicher  Tonhöhe, 
oder    als  Verbindung    zu   einer   tieferen  Note,    auch    in  Kombination    mit 
dem  doublement  du  gosier,  der  gehauchten,  wiederholten  Note.    Die  Aus- 
führung ist  überall  als  sehr  rasch,  vite,  bei  Bacilly  als  beaucoup  plus  eourt, 
und    als   leichte   Verbindung    der    Hauptnoten    bestimmt     (communicabion 
de  Vune  ä  Vautre).     Das  Zeichen  ist  ein  senkrechter  Strich  zwischen  den 
Hauptnoten.      Bei   Loulie    fällt    die  Beschränkung    des    Gebrauchs    und 
er  erscheint  zwischen  allen  Intervallen,   aufwärts  und  abwärts,    aber  stets 
als  die   höhere  Sekunde    der   ersten  Hauptnote.      (Anhang  F  I,    4  t — w.) 
Der  Accent,    den   Monteclair   (Principe*  de  musique  1736)   erwähnt,   ist 
nicht  nur  ein  Erheben  der  Stimme  um  einen  Ganz-  bezw.  Halbton,  sondern 
ein    Ausdrucksmittel    besonderer    Art.       Uaccent    est    une    aspiration    ou 
eleoation  douloureuse  de  la  voix,   gui  se  pratique  plus  souoent  dans  les  airs 
plaintifs,  que  dans  les  airs  tendres;   il  ne  se  fait  jamais  dans  les  airs  gays, 
ni  dans  ceux,  oui  expriment  la  colere.    II  se  forme  dans  la  poitrine  par  une 
espece  de  sanglot  ä  l'extremite  d'une  note  de  longue  <luree,  ou  forte,  en  faisant 

5 


66  Erster  Teil. 

un  peu  sentir  le  degre  immediatement  au  clessus  de  la  note  accentuee.  (J)  Es 
stellt  dieser  Accent  nicht  so  sehr  eine  Verzierung  vor  als  einen  gesang- 
lichen Effekt,  ein  schluchzerähnliches  Heben  und  Abbrechen  und  Zurück- 
fallen auf  denselben  Ton  —  denn  nur  zwischen  Tönen  gleicher  Tonhöhe 
ist  er  statthaft.  Übereinstimmend  definierten  den  Begriff  noch  Berard1) 
und  Jean  Jacques  Rousseau.2)  Dagegen  anerkennt  Monoclair  eine 
andere  Form  des  Nachschlags  als  La  Chute.  Unter  diesem  Namen  be- 
griff Loulie*  eine  jambische  Vorschlagsform,  indem  die  zweite  Hauptnote 
antizipiert  und  die  Silbe  der  zweiten  Note  bereits  auf  ihr  ausgesprochen 
wird.  (Anhang  F  I,  4  q.)  Hier  bei  Monteclair  liegt  gleichfalls  eine 
Antizipation  der  zweiten  Note  vor,  die  jedoch  auf  der  Silbe  der  ersten 
Hauptnote  ausgesprochen  wird,  sodaß  ein  Nachschlag  entsteht.     (Anhang 

FI,  5  a  und  b.) 

I/Affillard. 

Eine  Quelle,  die  nicht  unerwähnt  bleiben  darf,  ist  l'Affillard's 
Prlnclpes  tres  faciles  pour  bien  apprendre  la  musique.  Paris  1697. ^  Seine 
Verzierungen  sind  in  solchem  Grade  komplizierter  als  die  der  bisher  er- 
wähnten Lehrer,  daß  man  an  eine  instrumentale  Bestimmung  glaubte, 
spräche  nicht  der  Titel  des  Buches  für  die  gesangliche.  Sein  port  de  voix 
(FI,  5c)  schiebt  zwischen  die  jambische  Vorschlagsnote  und  die  Hauptnote 
einen  auf  die  Thesis  fallenden,  kurzen  Pralltriller  ein,  wie  ihn  d'Anglebert 
als  Pitiee,  Chambonnieres  und  Le  Begue4)  als  Pincement  ver- 
zeichnen, und  wie  er  sich  auch  in  Couperin's  Pleces  de  clavecin  von  1713 
wiederfindet.  Eine  ähnliche  Kombination  des  alten  port  de  voix  mit  den 
Pince  steht  bei  Rameau,  Pleces  de  clavecin  von  1731, 5)  aber  richtiger  als 
port  de  voix  et  pince  bezeichnet.  Affillards  port  de  voix  double  (FI,  5  d) 
entspricht  dem  demy  port  de  voix  des  Bacilly  zwischen  Terzen.  Sein 
Accent,  in  kleinen  Noten  mit  Bogen  an  die  Hauptnote  angeschlossen, 
deckt  sich  mit  dem  Begriff  Louli^s.  Nur  die  Zeichen  variieren,  hier  ein 
senkrechter  Strich,  dort  ein  Häkchen. 

Monoclair, 

Daß  die  von  Loulie  entwickelten  Begriffe  in  der  französischen 
Vokalmusik    zu    dauernder  Geltung    gelangten,    beweist    die   Erläuterung 

1)  L'art  du  chant  1755:  L'accent  est  une  petite  inflexion  de  voix,  qu'on  fait  du  gosier. 
L'accent  demande,  qu'apres  avoir  soutenu  ou  enfle  le  son,  qu'on  fasse  monter  le  Larynx  d'un 
degre  ou  d'une  demi  degre,  et  qu'on  fasse  sortir  l'air  interieur  par  les  levres  de  la  glotte 
avec  une  douceur  extreme,  afin  de  caresser  le  son  de  la  derniere  notte. 

2)  Dictionnaire  de  musique   1782    unter  Acent. 

8)  Das  Werk  ist  in  meinem  Besitz.  Dannreuter  Bd.  I,  S.  83/84  benutzt  die  Aus- 
gabe von   1705. 

4)  S.  Dannreuter  a.  o.  O.    S.  95,  102,  106. 

5)  Ebenda,  S.  106. 


Erster  Teil.  67 

dieser  Materie  in  den  1736  —  also  38  Jahre  später  veröffentlichten  — 
„Principes  de  musique  de  Michel  Pignolet  Monteclair".  Seine  Definition 
des  Coule,  Port  de  voiv,  Chute  und  Accent  deckt  sich  mit  derjenigen 
Louli^s  beinahe  völlig.  Conti  ist  ihm  der  jambische  Vorschlag  von  oben, 
der  seinen  Sitz  vorzüglich  zwischen  Terzen  habe,  aber  auch  zwischen 
anderen  Intervallen  vorkomme,  und  zwar  entweder  als  die  obere  Sekunde 
der  Hauptnote,  oder  als  Wiederholung  der  vorhergehenden  Hauptnote, 
ganz  wie  bei  Loulie\  Stets  ist  die  Hauptnote  die  betonte  (peilte  notte, 
qui  se  lie  avec  la  notte  forte  sur  laqueUe  il  faut  couler).  (Anhang  F  I,  5  e.) 
Wem  es  etwa  einfiele,  absteigende  Terzen  jedesmal  durch  den  Couli  zu 
verbinden,  den  warnt  sein  Verbot,  ihn  dort  anzuwenden,  wo  sich  der 
Affekt  des  Zornes  oder  auch  nur  eine  beschleunigte  Bewegung  findet. 
Das  Zeichen  für  den  (Joule  ist  eine  kleine  Note  oder  ein  Bindebogen. 
Der  fort  de  voix  entspricht  dem  Coule  zwischen  aufsteigenden  Noten,  ins- 
besondere in  Halbtonschritten,  das  Zeichen  sei  die  kleine  Note  oder:  ♦/  Auch 
diese  Verzierung  erscheint  hier  nur  jambisch,  die  Hauptnote  ist  immer 
betont  (iiotte  forte).  Der  trochäische  port  de  voix,  den  noch  Loulie 
anerkennt,  ist  also  ganz  eliminiert  und  hat  dem  jambischen  Vorschlag 
Platz  gemacht.     (F  I,  5  f.) 

Wir  können  also,  ohne  noch  in  weitere  Details  einzugehen,  fest- 
stellen: Der  Port  de  voix  und  seine  Unterarten  bedeuten  ursprünglich, 
der  sprachlichen  Bezeichnung  konform,  das  Tragen  der  Stimme,  und  die 
zur  leichteren  und  genaueren  Ausführung  bestimmte  Zerlegung  der  ersten 
Note  in  zwei  Noten,  deren  zweite,  die  Nebennote,  auf  die  der  zweiten 
Hauptnote  entfallende  Silbe  antizipiert  wird.  Im  Verlauf  der  Entwicklung 
tritt  dann  die  ursprünglich  wesentliche  Eigenschaft  des  Hinautschleifens 
zurück  hinter  der  sekundären,  der  syllabischen  Antizipation,  und  wir  er- 
halten so  den  jambischen  Vorschlag,  wie  er  in  allen  Werken  der  prak- 
tischen Gesangsmusik  als  port  de  voix  zu  finden  ist.  Nur  nebenher  er- 
wähnen einige  Gesangsschriftsteller  auch  der  trochäischen  Form,  also  des 
Vorschlags  auf  der  Thesis.  Später  verschwindet  diese  Form  völlig. 
Wir  haben  also  davon  auszugehen,  daß  der  port  de  coix  und  Coule 
der  Franzosen  einen  kurzen,  jambischen  Vorschlag  vorstellt,  der 
auf  die  Arsis  fällt,  während  die  Hauptnote  der  Thesis  verbleibt. 

Instrumentalmusik, 

Anders  in  der  Instrumentalmusik.  Schon  aus  den  Beispielen,  die 
Dannreuter1)  aus  Chambonniere,  d'Anglebert  und  Couperin  aus- 
zieht,, ergibt  sich,  daß  die  Verzierungen  im  allgemeinen  vorzugsweise  ihren 
Wert  der  Hauptnote  entnehmen,  auch  der  port  de  voiv  und  seine  Unterarten. 

!)  a.  o.  O. 

5* 


68  Erster  Teil. 

Der  Letztgenannte  schreibt  in  der  J'art  de  toucher  le  clavecin"  von  1717 
ausdrücklich  vor:  il  faut,  que  la  petite  note  perdue  oVun  port  de  roi.v 
ou  d'une  coule  frappe  avec  la  harmonie,  c'est  ä  dire  dans  le  tems, 
qvCon  devroit  toucher  la  note  de  valeur,  qui  la  mit.  Ja  bei  Rameau 
verdichtet  sich  diese  Verzierung  zum  Vorhalt.1)  Entscheidend  aber 
ist  eine  von  Dannreuter  gar  nicht  beachtete  Quelle,  Georg  Muffats 
Suaoioris  harmoniae  'Instrumentalis  Hyporchematicae  Florilegmm  secun- 
dum  von  1698,2)  das  Werk  zwar  eines  deutschen  Komponisten, 
das  aber  die  „Lullianische  Geigenmanier"  in  ausführlicher  Vorrede  aus- 
einandersetzt, also  in  diesem  Sinne  als  französischen  Ursprungs  gelten  darf. 
Vorschläge  und  Nachschläge  subsumiert  er  dem  Begriff  Accentuation, 
italienisch:  Accentuatione,  französisch:  V accentuation,  und  unterscheidet: 
1.  vorgesetzte  Accenti,  unsere  Vorschläge,  entnehmen,  wie  die  Beispiele 
ergeben,  ihre  Zeit  allemal  der  Hauptnote,  sind  also  trochäisch,  gleichviel 
ob  sie  als  Praeaccentus  fpre-accento,  suraccent),  welche  „den  nächsten 
oberen",  oder  als  Subsumptio  (soüo-accento,  sousaccent),  welche  „den 
nächsten  unteren",  oder  als  Insultura  (saltorello,  sursautj,  welche  „umb 
einen  Sprung  entlegenen  clavern  versetzt",  auftreten.  2.  Nachgesetzte 
Nachschläge,  als  Superficies  „gemeiniglich  accentus  (accento,  superfice)  so  den 
nächsten  Schlüssel  hinauf,  remisslo  (calamento,  relächement)  so  den  nächsten 
hinab  und  Disjectio  (dispers ione,  dispersion)  so  den  springenden  nochmals 
zufüget".  Das  Zeichen  des  Doppelstrichs  deutet,  je  nach  der  Stellung 
links  oder  rechts  des  Bogens,  auf  den  Vor-  bezw.  Nachschlag  und  durch 
die  Stellung  im  Notensystem  auf  die  einzuschiebende  Note.  Es  wird 
also  in  der  Instrumentalmusik  darauf  ankommen,  ob  ein  Accent  schlecht- 
hin, also  ein  Nachschlag,  oder  ein  vorgesetzter  Accent,  Vorschlag  vor- 
liegt. Dieser  ist  in  der  Regel  trochäisch.  Der  port  de  voivy  Adminiculatio 
italienisch:  Vappoggiatura  —  wir  begegnen  hier  zum  ersten  Mal  dieser 
später  allgemein  gebräuchlichen  Bezeichnung  des  Vorschlags  —  ist 
Muffat  nur  ein  Spezies  des  Genus:  Accent.  Die  erste  Note  wird  vor  der 
zweiten  auf  der  Thesis  kurz  wiederholt,  übereinstimmend  mit  der  Manier 
Louli^'s  und  J.  Rousseau's.  Ich  erwähnte  bereits  oben,  daß  die  in  der 
Instrumentalmusik  durchaus  vorherrschende  trochäische  Ausführung  des ^>°rt 
de  voix  und  seiner  Unterarten  dahin  führte,  der  Hilfsnote  den  gleichen,  selbst 
einen  längeren  Wert  zuzuerkennen,  als  der  Hauptnote,  sodaß  in  unserm 
Sinne  ein  Vorhalt  entsteht.  So  gibt  schon  d'Anglebert3)  in  der  Verzierung: 
Chute  ou  port  de  eoi.e  <>n  montant  ou  descendant  der  Hilfsnote   den   gleichen 


2)  Siehe  Dannreuter  a.  a.  O.  Seite  106. 

2)  Neuausgabe  in  den  Denkmälern  dei   Tonkunst  für  Osterreich. 

3)  Pieces  de  clavecin  von   1689.     Dannreuter  a.  o.  O.,  I  S.  96. 


Erster  Teil.  69 

Wert  wie  der  Hauptnote.  Ebenso  Dieupart1)  und  Rameau2)  deutet  an, 
daß  die  gleich  lange  Hilfsnote  sogar  noch  liegen  bleiben  und  klingen  müsse, 
wenn  die  Hauptnote  angeschlagen  sei.  Nun  haben  wir  zwar  kein  aus- 
drückliches Zeugnis,  daß  auch  in  der  Gesangsmusik  der  Begriff  des 
port  de  voi.v  in  dieser  Weise  erweitert  worden  wäre,  aber  die  praktische 
Musik,  insbesondere  die  Opern  Rameaus,  lassen  keinen  Zweifel,  daß 
man  bereits  in  den  dreißiger  Jahren  des  18.  Jahrhunderts  im  französischen 
Kunstbereiche  dem  port  de  voix  zwei  Begriffe  subsumierte,  einmal  den 
älteren  der  kurzen,  jambischen  Yorschlagsnote,  dann  aber  einen  neuen, 
offenbar  aus  der  instrumentalen  Musiklehre  entlehnten,  des  langen,  ver- 
änderlichen Vorschlags  oder  Vorhalts.  Es  hat  sich  also  in  Frankreich 
längst  vor  dem  Eintreten  der  pädagogischen  Bewegung  in  Deutschland 
jene  unglückliche  Verquickung  zweier  durchaus  heterogenen  Begriffe, 
nämlich  des  melodieschmückenden,  harmonisch  indifferenten  Vorschlags, 
und  des  harmonieverändernden,  des  veränderlichen  Vorschlags,  vorbereitet, 
die  auf  die  deutsche  Lehre  so  verwirrend  einwirken  sollte. 

Der  Triller,  Cadence. 

Unsere  Betrachtungen  des  Trillers,  TrewbUment  oder  Cadence  — 
schlechthin  so  genannt  nach  dem  üblichen  Gebrauch  des  Trillers  in  der 
Kadenz  —  lassen  sich  kürzer  fassen.  Übereinstimmend  bezeichnen  die 
Quellen  diese  Verzierung  als  eine  wiederholte  Sekundenbewegung  von 
oben,  die  mit  der  oberen  Hilfsnote  beginnt  (F  II,  1  a,  b),  im  Gegensatz 
zum  Triller  der  Italiener,  der  damals  noch  in  florentinischer  Art  als  Folge 
gleichhoher,  gehauchter  Noten  galt,  wie  Mersenne  ausdrücklich  berichtet. 
Der  lange  Triller  erscheint  vorbereitet  oder  sofort  eintretend,  avec  ou  mm 
appui  (F  II,  1,  c-k).  Diese  Vorbereitung  (preparation,  appui)  besteht  aus 
der  oberen  Hilfsnote,  die  zuweilen  auch  antizipiert  eintritt  (F  II,  1  c,  d). 
Der  Triller  soll,  bis  er  die  gewünschte  Schnelligkeit  erreicht,  zunächst 
durch  einen  oder  mehrere  langsame  Schläge  des  Kehlkopfes  vorbereitet 
wrerden,  eine  gesangstechnisch  wohl  zu  erklärende  Einführung.  Die  wieder- 
holte, langsame  Trillerbewegung,  namentlich  in  punktierter  Form,  wie  sie 
Brossard3)  unter  dem  italienischen  Namen  ribattuta  di  gola  und  Loulie 
notieren,  ist  eins  der  wirksamsten  Mittel,  die  für  den  Triller  unerläßliche, 
oscillierende  Bewegung  des  Kehlkopfes  zu  finden.4)  Daneben  erscheint 
auch  der  Triller  unvorbereitet.     Während    die   Mehrzahl   der  Autoren  die 


')  Suites  de  clavecin,  Dannreuter,  S.  138. 

2)  Pieces  de  clavecin,    1 73 1,  Dar.nreuler,  S.  106. 

3)  Dictionnaire  de  musique. 

4)  StockhauseDs  Methode,  S.  92. 


70  Erster  Teil. 

Wahl  zwischen  beiden  Formen  dem  Geschmack  des  Ausführenden  über- 
lassen, unterscheidet  Rousseau  in  feiner  Weise,  sodaß  man  auf  den  ge- 
meinen Gebrauch  überhaupt  schließen  kann.  Die  Vorbereitung  entfalle  in 
Arien  heiteren  Stils,  wie  im  Menuett,  auch  in  allen  dreiteiligen  Taktarten; 
jedenfalls  darf  der  appui  hier  nur  ganz  leicht  sein,  dann  zwischen  steigenden 
und  Noten  gleicher  Tonhöhe.  Die  Cadence  avec  appui  mit  Antizipation 
haben  ihren  Sitz,  wo  man  von  einer  kürzeren,  höheren  zu  einer  tieferen 
Note  herabsteige,  die  mehr  als  das  doppelte  jener  gelte.  Die  ästhetische 
Unterscheidung  interessiert  vorzüglich.  Sie  ist  auch  heute  durchaus 
berechtigt;  denn  die  langsame  Entrollung  des  Trillers  läuft  sicherlich 
einer  heiteren  Grundstimmung  zuwider,  die  vielmehr  durch  den  energischen, 
gleich  gestalteten  Triller  gewinnt.  Die  Anzahl  der  Trillerschläge  bestimmt 
sich  nach  der  Länge  der  Noten  (Loulie:  ä  proportion  de  la  duree  de  la 
note  tremblee)  und  der  Fertigkeit  des  Ausführenden.  Mersenne  setzt  sie 
in  Zahlen,  4 — 16,  über  die  Hauptnote.  Der  Abschluß  des  Trillers  scheint 
regelmäßig  durch  einen  Nachschlag  erfolgt  zu  sein,  wenigstens  geht 
Bacilly  hiervon  als  der  Regel  aus,  wenn  er  den  Triller  in  drei  Bestandteile 
zerlegt,  die  Vorbereitung,  den  eigentlichen  battement  du  gosier  und  la  fi/i, 
qui  est  une  liaison,  qui  se  faxt  du  tremblement  avec  la  note,  sur  laquelle  on 
veut  tomber,  par  le  moyen  d'une  autre  note,  touchee  fort  legerement.  Trillere 
man  auf  mi  (fa  mi)  und  gehe  zum  re  oder  ut  als  Schlußnote,  so  sei  re  die 
Nachschlagsnote  (F  II,  1  b),  doch  kann  unter  Umständen  der  Nachschlag 
ausbleiben,  wofür  einige  Fälle  angeführt  sind.  Loulie'  faßt  den  Triller 
als  eine  Wiederholung  des  Coule  auf  und  notiert  ihn  entsprechend  in 
punktierten  Werten  (F  II,  1  h-k).  Trotzdem  ist  die  Bewegung  gleichmäßig 
zu  denken.  Er  sondert  den  Triller  ohne  appui,  auf  den  wir  sogleich  bei 
Besprechung  der  kurzen  Trillerform  zurückkommen,  und  mit  Vorbereitung. 
Hier  fällt  die  Wiederholung  der  Hilfsnote  nach  der  Präparation  auf,  offenbar 
eine  sehr  verbreitete  Manier,  da  Bacilly  weitläufig  gegen  sie  polemisiert 
und  sie  ausschließlich  der  Instrumentalmusik  überlassen  wissen  will.  Eine 
recht  anschauliche  Lehre  gibt  Montöclair.1)  Seine  langen  Trillerformen 
nennt  er  tremblement  appuye,  subit  und  double.  Die  Untereinteilungen  beziehen 
sich  auf  die  Eröffnung  und  den  Abschluß.  Die  Bewegung  selbst  ist  überall 
die  gleiche,  nämlich  eine  rasche  Sekundenbewegung  von  oben,  die  mit  der 
oberen  Hilfsnote  einsetzt.  Auch  er  anerkennt  nur  den  Triller  von  oben, 
denjenigen  von  unten  also,  den  mit  der  Hauptnote  auf  der  Thesis  ein- 
setzenden, und  die  Terzen-  und  Quai tentriller  verwirft  er  ganz  (F  II,  11). 
Der  tremblement  appuye  verlangt,  daß  man  ihn  gut  stütze  (appuyer)9  schlage 
(battre)  und  endige   (terminer).    Unter  stützen  oder  vorbereiten  fpreparer) 


*)  Methode  pour  apprendre  la  musique,    1700  und  Nouvelle  methode   1709  (1736). 


Erster  Teil.  71 

versteht  er  das  Verweilen  auf  der  oberen  Hilfsnote,  deren  Dauer  abhängt 
von  dem  Werte  der  Hauptnote  und  dem  Zeitmaß;  zuweilen  deute  man  die 
Hilfsnote  an  (F  II,  1  m).  Der  Abschluß  der  Figur  erfolge  bald  durch  die 
chute,  bald  durch  den  tour  du  gosier3  Doppelschlag  (F  II,  1  m-o),  eine 
Form,  welche  derjenigen  der  klassischen  italienischen  und  deutschen  Schule 
sich  nähert.  Der  tremblement  subit  formt  sich  ohne  appui  und  hat  mehr 
im  Rezitativ,  denn  in  der  Arie  seinen  Sitz.1)  (Zeichen  im  Anhang  F  II,  1  p) 
Der  tremblement  double  (t)  ähnelt  dem  Triller  raddoppiato  der  Italiener  und 
dem  deutschen  Doppeltriller  des  Tosi  und  Agricola  (F II,  1  q-r),  nur 
daß  die  französische  Form  auch  hier  den  appuy  vorausschickt;  dann  aber 
läßt  sie,  wie  dort,  einen  frei  eintretenden  Doppelschlag  folgen  und  schließt 
die  Hauptnote  und  den  Triller  an. 

Die  kürzeren  Triller,  also  der  einfache  und  doppelte  Pralltriller,  wie 
ihn  die  Italiener  übten,  sind  auch  der  französischen  Schule  geläufig. 
Mersenne  spricht  von  einem  Triller  in  zwei  Schlägen  und  Bacilly, 
nicht  ganz  klar,  von  einem  tremblement  fort  conti  et  fort  presse,  qui  se  fait 
du  fond  de  la  gorge.  Sicherer  läßt  sich  seine  double  cadence  bestimmen, 
einmal  als  unser  Doppelpralltriller  fen  montant  sur  une  note  au  dessous), 
dann  auch  als  wiederholte,  gehauchte  Note  (en  rebattant  sur  la  mesme). 
Sein  tremblement  etouffe  ist  wohl  ein  Pralltriller  mit  Antizipation  der  Hilfs- 
note. Während  J.  Rousseau  des  kurzen  Trillers  gar  nicht  gedenkt,  gibt 
ihm  Loulie  zwei  Formen,  als  tremblement  simple,  ein  Doppelpralltriller 
(Anhang  F  II,  2  a),  und  martellement,  im  Sinne  der  klassischen  Schule 
Ph.  Em.  Bachs  und  Agricolas  ein  Mordent,  also  eine  Sekundenbewegung, 
die  mit  der  betonten  Hauptnote  beginnt,  die  untere  Hilfsnote  anfügt  und 
mit  der  Hauptnote  endigt,  und  zwar  als  martellement  simple,  ein  Schlag, 
double,  zwei  Schläge,  triple,  drei  Schläge  (F  II,  2  b).  Die  Zeichen  ersieht 
man  aus  den  Beispielen  im  Anhang.  Monteclair  kennt  zwei  kurze  Triller- 
formen. Der  tremblement  feint  beginnt  gleichfalls  mit  der  ausgehaltenen, 
oberen  Hilfsnote  als  appuy  und  schließt  ihn  statt  mit  dem  langen  Triller 
(au  Heu  de  battre  longtemps)  mit  einem  petit  coup  de  gosier,  dont  le  battement 
est  presque  imperceptelle.  Das  Beispiel  (F II,  2  c)  zeigt  nicht  die  Ausführung, 
sondern  nur  das  Zeichen:  ~t~  Wahrscheinlich  handelt  es  sich  um  den 
Pralltriller,  wie  ich  ihn  im  Anhang  ausgeschrieben  habe.  Als  Unterart 
geschieht  noch  Erwähnung  der  Einschiebung  einer  Note  über  dem 
Appui  und  dem  Abschluß  mit  dem  tour  du  gosier.  Die  Ausführung  ist 
nicht  notiert,    dürfte   aber   derjenigen  im  Anhang   entsprechen  (F  II,  2  d). 


*)  Sehr  bedauerlich,  dass  Monteclair  grade  diese  Form  nicht  genauer  definiert.  Denn 
das  Zeichen  für  diesen  Triller  findet  sich  auf  jeder  Seite  der  französischen  Opernpartituren  des 
17.  und   18.  Jahrhunderts! 


72  Erster  Teil. 

Der  Pince  entspricht  dem  Martellement  LoulieV.  Auch  hier  der  Mordent 
der  Klassiker,  der  mit  der  Hauptnote  beginnt.  Die  Verbindung  dieser 
Figur  mit  dem  Port  de  voix  (II,  2  e)  war  in  Frankreich  ebenso  üblich, 
wie  in  der  deutschen  und  italienischen  Gesangsmusik  die  Verbindung  des 
Vorschlages  mit  dem  Pralltriller.  Monoclair  meint  sogar,  le  port  de  voix 
ed  toujours  accompagne  du  pince,  was  wohl  kaum  wörtlich  zu  nehmen  ist. 
Jedenfalls  war  es  sehr  gebräuchlich,  dem  Vorschlag  noch  den  Mordent 
anzufügen. 

Auch  jetzt  müssen  wir  den  Verzierungen  der  instrumentalen  Musik 
ein  Wort  gönnen.  Der  Triller  der  Instrumentalisten  beginnt  gleichfalls 
stets  mit  der  oberen  Hilfsnote,  ist  also  auch  hier  eine  Bewegung  nach 
unten.  Nur  Couperin1)  notiert  ihn  als  ein  tremblement  appuije,  der  mit 
der  oberen  Hilfsnote  beginnt,  dann  aber  mit  der  Hauptnote  auf  der  Thesis 
einsetzt  und  die  obere  Hilfsnote  auf  der  Arsis  folgen  läßt. 2)  Der  Pince, 
der  gleichbenannten  Figur  des  Monteclair  und  dem  Martellement  des 
Loulie  entsprechend,  setzt  mit  der  Hauptnote  ein  und  gesellt  sich  der 
unteren  Hilfsnote  bei,  ist  also  gleichfalls  eine  absteigende  Figur.  Der 
Triller  kommt  als  langer  wie  als  kurzer  Triller  vor,  aber  nicht  mit  weniger 
als  3 — 4  Schlägen,  als  Pince  simple  mit  einem  Schlage,  als  Pince  continu 
als  fortgesetzte  Bewegung.  Letztere  ist  in  der  Gesangsmusik  —  bis  auf  eine 
von  Agricola  und  Hiller  erwähnte  Kombination  des  Trillo  raddoppiato  — 
nicht  rezipiert,  auch  die  klassische  Zeit  kennt  ihn  nicht.  G.  Muffat,3) 
der  hier  wiederum  für  die  Lullysche  Geigenmanier  die  wichtigste  Quelle 
bedeutet,  verwirrt  die  klaren  Begriffe,  die  wir  oben  gegeben.  Die  Unter- 
scheidung zwischen  dem  echten  mit  der  oberen  Hilfsnote  einsetzenden 
Triller  und  dem  von  der  Hauptnote  ausgehenden  Pince  fehlt  bei  ihm. 
Sein  Semitremulus  (il  Pizzico  o  mezzo  trillo,  le  pincement  ou  tremblement 
coupe  (F  II,  2f)  beginnt  mit  der  Hauptnote,  schließt  die  untere  Hilfsnote 
an  und  wiederholt  den  Schlag,  der  einfache  Mordent  besteht  aus  einem 
Schlage.  Schon  die  Benennung  und  die  Gleichstellung  der  Begriffe, 
Pincement  und  Tremblement,  zeigen,  daß  er  hier  nicht  gründlich  vorgegangen 
ist.  Sein  Volltriller  (Anhang  F  II,  2  g)  il  trillo,  tremblement  ou  fredon 
„fangt  von  der  nächsten  oberen  an  und  hört  in  seiner  gezeichneten  Clavis 
auf".  Die  Beispiele  zeigen  den  Triller  Couperins,  den  ich  oben  erwähnte. 
Er  beginnt  mit  dem  appui  and  läßt  dann  die  Hauptnote  betont  eintreten 
und  die  Hilfsnote  sich  unbetont  anfügen.  Die  weit  häufigere  Form,  welche 
die  Hilfsnote  betont,  kennt  er  nur  in  Verbindung  mit  einem  abschließenden 
Doppelschlag. 

*)  L'art  de  toucher  le  clavecin  von   17 17. 
2)  Dannreuter  a.  o.  O.  Seite  104. 
8)  a.  o.  O. 


Erster  teil.  7H 

Der  gehauchte  Triller,  halancement. 

Der  florentinische  Triller,  also  die  gehauchte  WiederholuDg  derselben 
Note,  bleibt  nach  wie  vor  ein  beliebter  Effekt  des  Kunstgesanges  in 
Italien  wie  in  Frankreich,  nur  der  Name  wechselt.  In  Italien  vertauschte 
man  die  Begriffe  tremulo  und  trillo.  Die  wiederholte  Note,  der  eigentliche 
//■/I/o,  wird  später  tremulo  genannt.  Daß  die  Franzosen  diese  Manier  von 
den  Italienern  entlehnt  haben,  darauf  deutet  Mersenne's  Besprechung 
der  Manieren  Caccinis.  Aber  nicht  unwahrscheinlich  ist,  daß  auch  hier 
der  üerre  casse,  ein  Yibrato  der  Laute,  das  Mersenne  beschreibt,  von 
Einfluß  gewesen  ist.1)  Den  Violinspielern  ist  er  geläufig.  Der  Engländer 
Christof  Simpson2)  erwähnt  seiner  als  dose  shake,  und  Bacilly  meint, 
der  Violinbogen  vermöge  den  doublement  du  gosier  -s/n-  la  mesme  note  sehr 
gut  wiederzugeben.  Auch  diese  Figur  will  er,  dem  stets  die  Verschmelzung 
von  Wort  und  Ton  voransteht,  langen  Silben  vorbehalten.  Sie  bestehe  in 
einer  kaum  merklichen  Wiederholung  der  Hauptnote,  si  prompte  ment,  qu'ä 
peine  on  apercoit,  si  la  notte  est  double.  Dieses  „animer"  trage  viel  zur 
Belebung  des  Gesanges  bei.  An  die  Verdoppelung  kann  sich  ein  Accent, 
Nachschlag  oder  Triller  anschließen.  Louliö,  Affilard  und  Monteclair 
kennen  denselben  Begriff  unter  dem  Namen  halancement.  Ihre  Definition 
ist  gesangstechnisch  von  Bedeutung,  weil  sie  beweist,  daß  diese  wieder- 
holten Noten  nicht  etwa,  wie  Manuel  Garcia  irrtümlich  annimmt,  als 
Martettato,  sondern,  wie  Stockhausen  lehrt,  gehaucht  ausgeführt  wurden: 
Lex  balancepients  sont  deux  oa  plusieurs  petites  aspiratlons  douces  et  lentes, 
qui  se  fönt  sur  une  notte  saus  en  changer  le  son  (Loulie)  und:  il  fant, 
que  la   voix  fasse  plusieurs  petittes  aspirations  (Monteclair). 

Die  Notierung  ist  auch  hier  nicht  mensuriert.  Brossard3)  gibt  die 
Form  des  Caccini -Trillers  und  bemerkt,  in  Frankreich  heiße  er  für  die 
Instrumente  tremulo,  es  sei  aber  der  echte  Triller  der  Italiener.  Er  wünscht 
ihn  mit  zunehmender  Geschwindigkeit  ausgeführt.  In  der  Klaviermusik 
scheint  die  Bebung  durch  den  Triller  und  Pince  ersetzt.  (F  III,  a-c.) 
Das  Beispiel  des  Monteclair  deutet  auf  die  tonmalerische  Funktion  der 
Bebung  —   motu  est  terra!  —   wie  wir  sie  bei  Carissimi  fanden. 

Der  Doppelschlag,  tour  de  gosier. 

Der  italienischen  Praxis,  die  aus  der  Zerlegung  des  Groppo  in  seine 
Teile,  Triller  und  Doppelschlag,  den  letzteren  als  selbständige  Verzierung 
gewann,  folgt  die  französische  nach.     Doch  erst  Loulie  kennt  die  Figur 


*)   Vergl.  Fleischer,  Viertelj. -Schrift  für  Musikw.   1886,  S.  69. 

2)  Dannreuter,  a.  o.  O.  T,  S.  67. 

3)  a.  o.  O. 


74  Erster  Teil. 

als  tour  de  gosier,  als  deplacemerd  du  premier  son  du  dernier  coule  du  tremblement, 
que  Von  met  tone  tierce  plus  bas.  Das  Zeichen  sei:  »o.  (F  IY,  a  und  b.)  Der 
Doppelschlag  der  Franzosen  ist  im  Sinne  der  klassischen  Lehre  ein  ver- 
bindender, nämlich  ein  zwischen  zwei  Hauptnoten  eingeschobener.  Affillard 
subsumiert  denselben  Begriff  unter  double  cadende  coupee.  (F  IV,  c.) 
Hier  jedoch  alteriert  die  Verzierung  den  Wert  der  folgenden  Note,  deren 
erste  drei  Vierteile  sie  für  ihre  Endnote  okkupiert,  im  Gegensatz  zur 
sonstigen,  auch  klavieristischen  Praxis,  in  der,  soweit  ich  übersehe,  der 
Doppelschlag  streng  im  Zeitmaß  der  verzierten  Hauptnote  verbleibt.  Als 
Lullysche  Geigenmanier  verzeichnet  Muffat  die  Involution  oder  Ein- 
wickelung,  mit  dem  Zeichen  <*o  als  eine  Art  „Confluenz",  d.  h.  Verbindung 
mehrerer  Noten  unter  einem  Bogen,  „welche  drei  Claves  gleichsamb  in 
einem  Creyss  zuweilen  einfach  (F  IV,  d),  zuweilen  mit  einem  Triller 
umwickelt"  (F  IV,  e).  Beide  Formen  geben  verbindende  Doppelschläge 
in  ungleichen  Notenwerten,  wie  sie  die  Klavieristen  seltener  gebrauchen. 
Auch  Monoclair  kennt  nur  den  verbindenden  Doppelschlag  ohne  Alteration 
des  Wertes  der  Hauptnote,  also  im  Sinne  der  gemeinen  Praxis,  somit  fehlt 
auch  bei  ihm  die  Hauptgattung  des  italienischen  und  deutschen  Doppel- 
schlages, nämlich  die  Zerlegung  einer  Hauptnote  in  vier  oder  fünf  Noten, 
wie  sie  Agricola  und  Bach  als  vorzüglichste  Typen  erwähnen.    (F  IV,  f.) 

B^rard. 

Den  Abschluß  der  theoretischen  Werke  dieser  Epoche  bildet  Berards 
Part  du  chant  von  1750,  das  unsere  Lehre  ausführlich  behandelt,  indessen 
durch  den  Mangel  an  Notenbeispielen  ebenso  sehr  an  Wert  einbüßt,  als 
ßlanchets1)  Vart  sur  les  principes  philosophiques  du  chant.  Der  port  de  voiv 
erscheint  auch  hier  als  Vorschlag  zwischen  aufsteigenden  Sekunden,  der 
port  de  coi.r  feint  dagegen  läßt  sich  als  eine  Figur  bestimmen,  welche  die 
Hilfsnote  aushält,  anschwellt  und  die  Hauptnote  erst  ganz  am  Ende  angibt, 
also  dem  veränderlichen  Vorschlage  der  Klassiker,  dem  Vorhalt,  entspricht. 
Wiederum  ein  Beweis,  daß  auch  auf  französischem  Kunstgebiet  die  Ver- 
quickung der  Begriffe  Vorschlag,  port  de  voix,  und  Vorhalt,  veränderlicher 
Vorschlag,  stattgefunden  hat.  (F  V,  a.)  Der  Coule  stimmt  mit  der  gleichen 
Verzierung  der  andern  Autoren  überein,  der  Accent  ist  ein  Nachschlag 
mit  der  oberen  Hilfsnote.  he  fl<(tte  ou  balance  ist  nicht  wie  bei  Monoclair 
eine  Folge  wiederholter  Noten,  sondern  ein  pince,  also  ein  Mordent,  wie 
denn  auch  Jean  Jacques  Rousseau2)  diese  Figur  unter  dem  Namen 
flatle  notieit.   (F  V,  b.)   Die  Triller  teilt  er  in  solche  mit  und  ohne  appui, 

J)  Er  nennt  in  der  Vorrede  Berard  einen  Betrüger  und  bezeichnet  sich  als  den  eigent- 
lichen Verlasser  jenes  Werkes. 

2)  dictionnaire  de  musique. 


Erster  Teil.  75 

jene  wieder  in  cadences  appuieett  und  prempiUes,  sodaß  dort  die  Hilfsnote  in 
gradem  Takt  die  Hälfte,  in  ungradem  Takt  ein  Drittel  der  Zeit  der  Haupt- 
note entnimmt,  hier  die  Hilfsnote  sofort  zur  Hauptnote  übergeht,  diese 
dann  kurz  ausgehalten  und  getrillert  wird.  Die  cadence  motte  gleicht  der 
cadence  subite  des  Monteclair,  sie  setzt  sofort  mit  der  Trillerbewegung 
ein;  die  double  cadence  dieser  Autoren  hat  mit  dem  tremblement  double  des 
Monteclair  nichts  gemein,  sie  verweilt  auf  dem  ersten  martellement,  dann 
folgt  eine  punktierte,  allmählich  rascher  werdende  Bewegung,  die  schließlich 
in  die  möglichst  rasche  Folge  von  Trillerschlägen  übergeht.  La  demie  cadence 
011  le  coup  de  gorge  ähnelt  dem  tremblemeni fin  des  Monteclair.  Man  ver- 
weilt schwellend  und  abschwellend  auf  der  oberen  Hilfsnote  und  fügt  alsdann 
des  der/iier.s  martettements  an,  qui  continuent  Vessence  de  cet  agrement. 

Jean  Jacques  Rousseau. 

Ich  erwähnte  bereits  Jean  Jacques  Rousseaus  dictionnaire  de 
musique.  Seine  Definitionen  sind  mehr  als  knapp,  und  der  Beispiele  nur 
wenige.  Der  Accent  (F  V,  c)  stellt  wie  bei  Louliö  eine  Erhebung  der 
Stimme  um  einen  Ton  vor,  wobei  unentschieden  bleibt,  ob  als  Nachschlag 
zur  ersten,  oder  Vorschlag  zur  zweiten  Hauptnote.  Der  (Joule  ist,  wie 
üblich,  ein  jambischer  Vorschlag  von  oben.  (F  V,  d.)  Seine  cadence  (Anhang 
F  V,  e)  trillert  von  der  Hauptnote  aus  nach  oben,  weicht  also  nicht  bloß 
von  der  üblichen  Gesangsmanier,  sondern  auch  von  dem  Triller  der 
instrumentalen  Musik  ab.  Sein  port  de  eoix  ist  ein  trochäischer  Vorschlag 
von  unten,  dem  ein  flaue  angeschlossen  wird.  (Anhang  F  V,  f.)  Der  port 
de  üoix  Jette  (F  V,  g)  stellt  einen  Vorhalt  vor,  der  zwischen  sich  und  die 
kurz  abgefertigte  Hauptnote  einen  flotte  einschiebt.  Die  Figur  ähnelt  dem 
port  de  ooid'  simple  des  Couperin1)  und  der  Kombination  von  port  de  mix 
und  pince,  die  Rameau2)  aufschreibt.  Von  Bedeutung  ist  auch  hier  die 
Umwandlung  der  kurzen  jambischen  Note  in  einen  in  den  Wert  der  zweiten 
Hauptnote  verlegten  Vorhalt. 

Passaggien. 

Über  Passaggien  und  ihre  Anwendung  äußert  sich  nur  Monoclair. 
Sie  seien  „arbüraires"  und  ihre  Anbringung  unterliege  dem  Geschmack  und 
der  Fertigkeit  des  Ausführenden.  In  der  Vokalmusik  seien  sie  weniger 
gebräuchlich  denn  in  der  instrumentalen,  wo  heute  das  italienische  Vorbild 
zur  Entstellung  der  schlichten  Melodie  und  zu  oft  lächerlichen  Variationen 
geführt  habe.     Der  unvergleichliche  Lully  ziehe  die  Melodie,  die  schöne 


1)  Pieces  de  clavecin  von   17 13.    Dannreuter  I,  S.  100. 

2)  Pieces  de  clavecin  von  1736.    Dannreuter  a.  o.  O.,  S.  106. 


7(>  ■  Erster  Teil. 

Modulation,  die  Wahrheit  des  Ausdrucks,  die  natürliche  und  edle  Ein- 
fachheit, der  Lächerlichkeit  der  Passaggien  und  jener  wunderlichen  Musik 
vor,  deren  vermeintliches  Yerdienst  nur  in  Verrenkungen  (ecarts),  in  ent- 
stellten Modulationen,  Härten  der  Akkorde,  in  Lärmen  (fraccut)  und  in  der 
Verwirrung  (conjusion)  bestehe.  Man  kann  Monteclair  in  diesem  Urteil 
nur  beistimmen,  liest  man  die  uns  erhaltenen  Veiänderungen,  die  ich  im 
Anhang  (G  1 — 3)  mitteile.  Abgeschmackteres  ist  wohl  kaum  je  ersonnen 
worden,  als  die  Varianten,  die  dort  Moulinie  mit  den  Arien  Boessets 
vorgenommen  hat,  in  denen  die  einfache  Linie  des  Gesanges  von  einem 
Knäuel  verwirrter,  holpriger,  kaum  übersehbarer  Fäden  umsponnen  erscheint. 
Kein  Zweifel,  daß  uns  hier  wirklich  die  Art  überliefert  ist,  in  der  die  Gesangs- 
künstler der  Zeit  mit  den  Originalen  verfuhren,  aber  unmöglich  konnte  selbst 
im  Zeitalter  des  Barock  solche  Unnatur  auf  die  Dauer  bestehen. 

Lullys  Ornamentik. 

Und  doch  ist  selbst  die  dramatische  Musik  Lullys  und  seiner 
Schüler  von  dem  Einfluß  der  französischen  Hausmusik  nicht  unberührt 
geblieben,  der  neben  dem  italienischen  Vorbilde  deutlich  zu  Tage  tritt. 
Wohl  war  Lully  bestrebt,  dem  lebhaften  dramatischen  Empfinden  der 
Franzosen  entgegenzukommen,  sicherlich  geht  er,  wie  man  immer  wieder 
hervorheben  muß,  den  Textworten  mit  ängstlicher  Treue  nach,  und  doch 
ist  die  Form  seiner  Gesänge  von  denen  der  älteren  Venezianer  nicht 
wesentlich  unterschieden,  denn  auch  sie  besteht  in  jener  eigenartigen 
Mischung  sprachdeklamatorischer  und  arioser  Wendungen  und  Koloraturen. 
Er  hält  sich  nur  mehr  an  Cavallis  Manier,1)  freilich  ohne  seine  Plastik 
des  Ausdrucks  zu  erreichen,  und  vermeidet  den  Wreg,  den  Cesti  ein- 
schlug, der  bereits  auf  das  Arienwesen  der  Neapolitaner  hinführte.  Der 
Einfluß  Cavallis  ist  in  ihm  überall  lebendig,  das  zeigt  sich  vornehmlich 
in  der  Behandlung  der  Koloratur.  Er  macht  von  ihr  in  rein  melodischem 
Sinne  selten  Gebrauch,  und  dann  nur  in  ganz  kurzen  Wendungen  (G  4),  ver- 
wendet sie  auch,  aber  selten,  als  Themensubstrat  oder  als  Themenfortführung 
(G  5,  6).  An  ihrer  tonmalerischen  Verwendung  hält  er  indessen  fest,  und  zwar 
vorherrschend  in  der  älteren  Form  der  Wortunterstreichung.  Worten  wie  voler, 
tormere,  courom,  victoire  gibt  er  überall  die  aus  der  italienischen  Praxis  be- 
kannte Zeichnung  (G  7,  8).    Darüber  hinaus  legt  er  bereits,  also  längst  vor 


!)  Kretzschmar's  Ansicht  „Die  Corrspondance  litteraire  als  musikgeschichtliche  Quelle", 
Jahrb.  d.  Mus.-Bibl.  Peters  1903,  S.  84:  die  Behauptung  Fetis,  dass  Lully  sich  an  Cavalli 
gebildet  habe,  sei  nicht  zu  verstehen,  ist  mit  seinen  eigenen  Ausführungen  in  der  Viertelj.- 
Schr.  f.  Musikw.  1902,  S.  34  nicht  recht  zu  vereinigen,  wo  er  richtig  bemerkt,  dass  Cavallis 
Rezitative  „reich  mit  kleinen  nriosen  Einigen,  ab  und  zu  auch  mit  Koloraturen  versehen  seien". 


Erster  Teil.  77 

Scarlatti,  ein  Tonstück  geradezu  tonmalerisch  an,  wenn  er  z.  B.  im 
nRolandu  eine  Arie  auf  weit  ausladenden  Passaggien  aufbaut,  die  der 
Freude  des  Finders  eines  der  Königin  verlorengegangenen  kostbaren 
Armbandes  zum  Relief  dienen  (G  9).  Das  sind  durchaus  italienische  Ein- 
flüsse, aber  auch  der  Praxis  der  französischen  Airs  hat  er  sich  durchaus 
nicht  entzogen.  Zwar  vermeidet  er  ihre  Diminutionen,  und  daß  sie  der 
Sänger  nicht  zusetzte,  dafür  sorgten,  wenigstens  zu  seinen  Lebzeiten,  die 
zahlreichen  Proben,  die  jeder  Aufführung  vorangingen.  Aber  im  Rezitativ 
treffen  wir  überall  auf  Zeichen,  die  Verzierungen  andeuten,  und  zwar  in 
den  älteren  Drucken  auf  den  Buchstaben  f,  in  den  gestochenen  Partituren 
und  Handschriften  auf  ein  Kreuz.  Daß  jenem  Zeichen  t  die  Bedeutung 
des  Trillers  bezw.  Pralltrillers  oder  Mordents  eigen,  ist  ohne  weiteres 
klar.  Was  bedeutet  aber  jenes  andere  Zeichen?  Lajarte1)  meint,  dies 
Zeichen  sei  die  Verzweiflung  aller  Musikphilologen.  Die  Unkenntnis 
seines  Wertes  sei  um  so  bedauerlicher,  als  es  von  dem  Meister  geradezu 
verschwenderisch  gebraucht  sei.  Wir  haben  aber  mehr  als  ein  Zeugnis 
für  seine  Deutung.  Einmal  dasjenige  des  Monteclair,  dessen  oben 
Erwähnung  geschehen,  demzufolge  es  ein  tremblement  -subit,  also  jeden- 
falls eine  ganz  kurze,  rasche  Trillerform  anzeigt;  dann  aber  eine  Be- 
merkung im  III.  Uwe  der  Sammlung:  XXII  livres  de  chansons  pour 
danser  et  pour  boire.  B  D  B  (Bacillys  Zeichen),  Paris  1663,2)  wo  es 
heißt:  ,Je  vom  dornte  setdement  ((eis,  que  fy  ay  adjouste  de  petits  croix  pour 
marquer  (es  tremblements.  Endlich  versteht  auch  Börard3)  unter  diesem 
Zeichen  die  cadence  precipitee,  nach  seiner  Definition  gleichfalls  eine  kurze 
Pralltrillerform.  Indessen  wird  doch  aus  der  Lektüre  Lully  scher 
Rezitative  klar,  daß  das  Zeichen  des  Kreuzes  doch  nicht  stets  dieselbe 
Auflösung  als  kurzer  Triller  vorstellt.  Zunächst  kann  als  unzweifelhaft 
angenommen  werden,  daß  es  in  den  Ganzschlüssen  überall  einen  Volltriller 
mit  appui  bedeutet,  gilt  doch  auch  das  Zeichen  t  für  beide  Formen. 
Dann  aber  scheint  doch  an  zahlreichen  Stellen  selbst  die  kürzere  Triller- 
form so  sehr  gegen  den  Sinn  zu  sprechen,  daß  ich  mich  dafür  entscheiden 
möchte,  das  Zeichen  umfasse  auch  den  Vorschlag,  den  (Joule  Monteclairs. 
Diese  Annahme  hat  eine  Stütze  darin,  daß  der  französische  Triller  mit 
der  oberen  Hilfsnote  einsetzt,  und  es  somit  nahelag,  das  Zeichen  des 
Trillers  auch  für  seinen  ersten  Teil  allein  zu  verwenden.  Notiert  doch 
Loulie  (F  2  h)  den  treniblenieut  double  ohne  appui  geradezu  als  Wieder- 
holung  dieser  Rhythmen. 


*)  Vorwort     zur     Oper     „Thesee"     in     den     Chef    d'ocuvres     classiques     de     l'Opcra 
iraneais,  S.  3. 

2)  Bibl.  du  Conservatoire  de  Musique  de  Bruxelles. 

3)  L'art  du  cbant,  Paris   1755,  S.    115   und    145. 


78  Erster  Teil. 

Nach  unserer  Darlegung  der  Yerzierungsformen  der  Airs,  nach  der 
oben  festgestellten  Stellung  Lullys  zu  dem  italienischen  Koloraturwesen, 
erscheint  es  nicht  mehr  als  unwahrscheinlich,  daß  auch  er  dem  Rezitativ 
eine  solche,  unserem  Gefühl  unerträgliche,  der  Sprachdiktion  und  seinen 
eigenen  Anschauungen,  die  das  Rezitativ  an  die  Hebung  und  Senkung 
des  gesprochenen  Wortes  anlehnen,  konträre  Form  gegeben  hat.  Zweifellos 
hat  er  wenigstens  von  den  kleinen  Trillerformen  und  von  dem  Vorschlag 
im  Rezitativ  ausgiebigsten  Gebrauch  gemacht. 

Die  Koloratur  nach  Lully, 

Die  spätere  Zeit  ging  in  der  koloristischen  Behandlung  des  Rezitativs 
und  der  Arie  aber  weit  über  Lully  hinaus.  Lesen  wir  die  Bearbeitungen 
Berards,1)  so  finden  wir  die  Yerzierungsformen  der  Airs  in  das  theatralische 
Rezitativ  und  die  Arie  übernommen,  und  durch  eigens  erfundene  Zeichen 
angedeutet.  Ich  wähle  als  Beispiel  ein  Rezitativ  aus  Lullys  „Atys"  und 
ersetze  die  Zeichen  durch  die  Begriffe,  die  sie  angeben,  ein  Air  des 
Campra  aus  „Tanerede",  1702,  und  den  Anfang  einer  Arie  aus  Mondon- 
ville's  „Titon  et  l' Aurare".  Die  Originalstimme  ist  bei  jenen  nach 
Lajartes  Ausgabe,  hier  nach  dem  alten  Druck  selbst,  hinzugefügt  (G  10 
bis  12).  Diese  Beispiele  sind  ungemein  lehrreich  für  den  Einfluß  der 
alten  französischen  Hausmusik  auf  die  Oper.  Wir  sehen,  daß  in  völligem 
Widerspruch  zu  der  immer  wieder  verlangten  Einfachheit  des  dramatischen 
Gesanges,  ihm  die  alten  Tonformeln  in  üppigster,  ja  geradezu  verun- 
staltender Form  eingefügt  wurden.  Es  vollzieht  sich  also  in  Frankreich 
ein  ähnlicher  Prozeß  wie  in  Italien.  Das  ausgehende  17.  und  der  erste 
Teil  des  18.  Jahrhunderts  fördert  selbst  in  dem  Lande,  in  dem  durch 
Lullys  Vorgehen  bis  in  die  Zeiten  Glucks  die  Vereinigung  von  Musik, 
Handlung  und  Wort  als  gleichberechtigte  Teile  der  Oper  angestrebt 
wurde,  ein  Manierenwesen,  das  mit  diesen  Bestrebungen  in  unvereinbarem 
Widerspruch  steht.  Wie  in  Italien  das  Ueberwuchern  der  Passaggien 
vielfach  zu  einer  Abkehr  der  musikalischen  Gestaltung  von  den  Postulaten 
des  Dramas  führt,  so  zersetzen  in  Frankreich  die  Tonformeln  und  Manieren 
der  Airs  die  schlichte  Gliederung  der  Gesänge,  die  immer  noch  einen 
musikdramatischen  Ausgang  zu  nehmen  bemüht  sind.  Wie  Italien  die 
Heimat  der  Passaggien  und  Kadenzen,  so  Frankreich  der  Boden, 
auf  dem  die  Manieren,  jene  stereotypen  kleinen  Tonformeln,  er- 
wuchsen, die  auch  in  der  Musik  der  großen  Periode  der  deutschen  Musik 
von  Händel-Bach  bis  Haydn-Mozart-Beetho ven  eine  so  bedeutungs- 
volle Rolle  spielen. 


1)  A.  o.  O.     Anhang. 


Erster  Teil.  79 

Kapitel  III. 
Die  deutsche  Theorie  und  Praxis. 

Die  zweite  Hälfte    des    17.  Jahrhunderts    und   das  18.  Jahrhundert 
bis  zur  vollen  Entfaltung    des  Bachschen   und  Händeischen  Geistes  ist 
eine  Zeit    der  Vorbereitung,    der    Sammlung,    und    der  Verarbeitung  des 
vom  Auslande  eingeführten  Stoffes  in  deutsches  Geist-  und  Empfindungs- 
leben.     Die    hervorragendsten  Geister   dieser  Zeit,    wie  Keiser  auf  dem 
Gebiete   der  Oper,    Froh  berger    und    Buxtehude    auf  demjenigen  des 
Orgelspiels,    eröffnen  die  Vorhallen,    durch    welche  jene    größten  Meister 
deutscher  Musik  hindurchschreiten  mußten.     Für   unseren  Gegenstand  ist 
die  Abhängigkeit    von    italienischen,    und    in    noch    höherem  Grade    von 
französischen  Einflüssen    eine    bedeutende.      Wo    auch    nur    von  ihm  die 
Rede  ist,    finden  sich  Verweise  auf  fremde  Vorbilder.     Zwei  Richtungen 
gehen    nebeneinander    her.       Während     die     einen     vorherrschend     über 
italienische  Manieren    berichten,    wie    Printz,    unterstehen    andere    mehr 
französischer  Art.      Bei  keinem  aber  ist  ausschließlich    die  eine  oder  die 
andere  Richtung  maßgebend.     Es  findet  auf  deutschem  Boden  eine  Ver- 
quickung   beider    Stile    statt.      Selbst    die    Terminologie    weist    bald    auf 
französischen,    bald    auf  italienischen  Ursprung  hin.      Die  Lehren    selbst 
schöpfen  die  Deutschen  zumeist  aus  Nachrichten,    die  praktische  Musiker 
aus  der  Fremde  mitgebracht  hatten,  nicht  aus  den  Quellen  selbst.     Denn 
anders  läßt  es  sich  kaum  erklären,  daß  auf  sie  nirgends  hingewiesen,  die 
Namen  bekannter    ausländischer  Theoretiker    verschwiegen    werden.      So 
wird  auch  die  unklare,    unbestimmte  Fassung    der  Definitionen,    und  die 
Incongruenz  der  Begriffe,    die    unter    demselben  Namen  erscheinen,    ver- 
ständlich.    Jeder  glaubt  allgemein  Gültiges  zu  lehren  und  bringt  doch  nur 
die  Lehre  eines  Meisters  oder  eines  kleinen  Kreises.     Dazu  kommt  der 
Mangel  an  klarem  Erfassen    dieses    so  schwierigen  Stoffes,    der  lediglich 
musikalisch,    philologisch    wenig    gebildeten  Männern    auch    garnicht    zu- 
getraut werden  kann,  sowie  die  Unklarheit  und  Unbeholfenheit  des  sprach- 
lichen Ausdrucks,    die    die  Interpretation    ungemein    erschwert.      Spätere 
Quellen  hier  heranzuziehen,    also  etwa  Walters  Musiklexikon    von  1732 
für  das  Verständnis  von  Kuhn  aus  Verzierungslehre,  wie  das  der  Heraus- 
geber seiner  Klavierwerke  in   den  Denkmälern   der  Tonkunst  tut,  ist  doch 
sehr  bedenklich,    da  schon    wenige  Jahrzehnte  genügen,    um  andere  An- 
schauungen   und    Lehren    festzulegen,    die    auf    eine    zurückliegende  Zeit 
nicht  mehr  passen  wollen. 

Von  der  bisher  wesentlich  rhythmischen  Betrachtung  der  Manieren 
zu  einer  auch  die  harmonischen  Verhältnisse  berücksichtigenden  ist 
bei    den   Deutschen  jetzt    noch  keine  Rede,    und  kann  auch  bei  dem  da- 


80  Erster  Teil. 

maligen  Stande  der  Theorie  noch  nicht  erwartet  werden.  Bleibt  doch 
selbst  noch  Tosi  in  jener  älteren  Anschauung  befangen.  Erst  das 
Rameausche  System  vermochte  die  Verzierungslehre  auf  die  höhere  Stufe 
einer  Rhythmik  und  Harmonik  gleichmäßig  umfassenden  Anschauung  zu 
erheben. 

Aus  all  diesen  Gründen  darf  man  den  Wert  der  aus  den  Werken 
deutscher  Schriftsteller  dieser  Periode  abgeleiteten  Lehren  und  Begriffs- 
bestimmungen nicht  hoch  anschlagen.  Völlige  Aufklärung  über  das  Ver- 
zierungswesen werden  sie  uns  nicht  bringen.  Deshalb  werde  ich  auf  sie 
im  folgenden  nur  insoweit  eingehen,  als  es  zum  Verständnis  der  Theorie 
des   18.  Jahrhunderts  nach  Tosi  notwendig  erscheint. 

Wolfgang  Caspar  Printz. 

Wolfgang  Caspar  Printz1)  fußt  auf  italienischen,  in  dem  Lande 
ihrer  Herkunft  selbst  vielfach  überwundenen  Begriffen.  In  der  ihm  eigenen 
Umständlichkeit,  die  von  Gründlichkeit  weit  entfernt  ist,  definiert  er  im 
Kapitel  V  „Von  den  Figuren":  „Eine  Figur  ist  in  Musicis  ein  gewisser 
Modulus,  so  entstehet  aus  einer,  oder  auch  etlicher  Noten  Diminution  und 
Zerteilung",  und  teilt  sie  in  klingende  oder  schweigende  (?),  jene  wieder 
in  einfache  und  zusammengesetzte.  Einfache  seien  entweder  gehende,  als 
accentus,  tremolo,  groppo,  circolo  mezzo,  tirata  mezza,  bleibende,  als  die 
bombi  oder  Schwärmer,  oder  springende,  als  xalto  sempllce  und  saltl  composti, 
als  ftgura  corta,  messanza  und  figura  susplrans,  oder  schwebende  als  trillo. 
und  trilletto,  zusammengesetzte,  muß  man  ergänzen,  sind  Vereinigungen 
solcher  einfacher  Figuren  zu  Gruppen. 

Sein  Accento-Begriff  ist  immer  noch  der  Crügers  und  Herbsts, 
also  noch  nicht  zum  Nachschlag  der  Franzosen  abgeklärt  (H  1  a),  nur 
die  Beschränkung  auf  die  Noten  der  nächsten  Linie,  bezw.  des  nächsten 
Spatium  deutet  auf  eine  Annäherung  an  die  französische  Bestimmung. 

Der  Tremolo  ist  ihm,  wie  den  Florentinern,  Herbst  und  C rüger 
eine  Sekundenbewegung,  und  zwar  mit  der  Hauptnote  beginnend  nach 
oben  oder  unten.  (H  1  b.)  Seine  Definition:  „ist  ein  scharfes  Zittern  der 
Stimme  über  einer  größeren  Note,  so  die  nächste  Clavem  mitberühret" 
deckt  sich  fast  wörtlich  mit  derjenigen  des  Herbst.  Unter  Trillo  verstellt 
er  folgerichtig:  „ein  Zittern  der  Stimme  in  einer  Clave",  also  die  wieder- 
holte, aspirierte  Note  des  Caccini,  der  Trilletto  die  ihm  entsprechende 
Verkürzung.  Dagegen  löst  er  den  Groppo  in  seine  Bestandteile  auf  und 
versteht   unter  ihm   seinen   abschließenden  Teil,  eine  „lauffende  Figur,  so 


x)  Compendium  musicae  signatoriae  et  modulaloiiae,  das  ist  kurzer  Begriff  etc. 
Dresden  1689.  Die  Ausführungen  in  den  anderen  Werken  Printz's  decken  sich  mit  denen 
im  CompemUum. 


Erster  teil.  81 

sich  überwaltzet,  wie  eine  Kugel,  daher  sie  auch  den  Namen  hat  (Waltze), 
formiret  im  Schreiben  einen  Halbkreis  und  bestehet  in  vier  geschwinden 
Noten,  deren  erste  und  dritte  einerlei,  die  andere  und  vierte  unterschiedene 
Stellen  haben."  (H  1  c.)  Den  mit  der  oberen  Hilfsnote  einsetzenden,  frei 
eintretenden  Doppelschlag,  die  double  cadence  der  Franzosen,  nennt  er 
circolo  mezzo,  er  „formieret  im  Schreiben  einen  Halbkreis  und  bestehet 
in  vier  geschwinden,  ordentlich  gehenden  Noten,  deren  andere  und  vierte 
einerlei,  die  erste  und  dritte  unterschiedene  Stellen  haben."  Er  kommt  in 
steigender  (Intendens)  und  fallender  Bewegung  (Remittens)  vor  (H  1  d). 
Dieser  Art,  dem  Rercittens,  liegt  der  Doppelschhig  der  Theoretiker  des 
18.  Jahrhunderts  und  seine  Varietäten  zugrunde;  wir  sind  ihm  bereits  in 
der  italienischen  Praxis  begegnet.  Die  anderen  Doppelschlagbewegungen 
scheiden  später  als  Stereotypen  aus.  Während  sich  in  der  ganzen  Ent- 
wicklung unserer  Lehre  das  Streben  zeigt,  zu  vereinfachen,  die  Zahl  der 
Manieren  zu  verringern  und  generelle  Begriffe  durch  Varietäten  eines 
Begriffes  zu  ersetzen,  differenziert  Printz  noch  in  der  alten  italienischen 
Weise,  indem  er  eine  Anzahl  Figuren,  die  sonst  schlechtweg  als  Passaggien 
gelten,  unter  eigenen  Begriffen  aussondert  und  benennt,  wie  die  tirata  mezza, 
eine  Folge  von  vier  auf-  oder  absteigenden  Noten  (H  1  d),  den  salto  semplice, 
„eine  Silbendehnung  durch  ein  springendes  Intervall"  (H  1  f),  salti  composti, 
ein  Arpeggio  in  „vier  geschwinden  Noten  und  dreyen  Sprüngen"  (11  1  g). 
Für  die  Passaggie  bleibt  demnach  nur  übrig,  Avas  nicht  unter  diese 
Begriffe  fällt  (H  1,  h-m).  Hier  ebenso  wie  bei  den  anderen  deutschen 
Theoretikern  vermissen  wir  jede  ästhetische  Erüiterung.  Es  fehlt  die 
Beziehung  der  Manieren  zur  Sprache,  wie  sie  Bacilly  im  17.  und  Berard 
im  18.  Jahrhundert  umständlich  erläutern.  Die  deutsche  Musik  dieser  Zeit 
läßt  uns  denn  auch  erkennen,  daß  von  einer  Übertragung  französischer 
Grundsätze  in  dieser  Hinsicht  keine  Rede  ist.  Das  sprachliche  Gefühl, 
insbesondere  das  Verständnis  für  Stärke  und  Schwäche  der  Silben  ist 
wenig  entwickelt,  und  so  werden  denn  auch  die  Manieren  lediglich  unter 
musikalischen   Gesichtspunkten  angebracht. 

Thomas  Balthasar  Janowska. 

Wichtiger  und  instruktiver  erscheint  des  Böhmen  Thomas  Balthasar 
Janowska  „Clavis  <id  tltesawmm  magnae  artis  musicae"  von  1701.  Obwohl 
er  als  Gewährsmann  Kuhnaus  „Neue  Klavierübung",  sowie  Johann 
Caspar  Fischer  (wohl  „Musikalisches  Blumenbüschlein")  nennt,  steht  er 
doch  auf  der  Grundlage  der  französischen  Ornamentik.  Zur  Interpretation 
von  Kuhn  aus  mehrdeutigen  Erklärungen  der  Accentzeichen  ist  aber  dieses 
Werk  vorzüglich  brauchbar.  Sein  Zeichen  für  „Einfall,  laüne:  lapms,  cd 
casus,   (int   rectius  hie  ad   rem,   accentus"  ist:  -^  und  *^  sowie   die   Doppel- 

6 


&2  Erster  Teil. 

striche  //,  also  diejenigen  Kuhn  aus.  Bei  ihm  aber  beziehen  sie  sich  in 
erster  Linie  auf  den  Gesang.  Der  Accent,  durch  den  einfachen  Strich 
angedeutet,  bedeutet  einen  betonten  Vorschlag,  der  Doppelstrich  einen 
Nachschlag.  Jener  ist  stets  die  obere  oder  untere  Sekunde  zur  Hauptnote, 
dieser  die  Vorwegnahme  und  Verdoppelung  der  zweiten  Hauptnote  selbst. 
Heißen  also  die  notierten  Noten  c  und  h,  so  wird  hier  das  h  bereits  vor 
der  Hauptnote  angeschlagen  bezw.  gesungen,  seinem  Werte  nach  aber  dem  r, 
also  der  ersten  Note  abgezogen.  Die  Figur  entspricht  also  der  Chute 
des  Loulie.  Der  VorschlagsbegrifF  ist  hier  sehr  eng  gezogen,  er  beschränkt 
sich  auf  Sekundenintervalle  von  oben  oder  unten;  als  Wiederholung  der 
ersten  Hauptnote  in  anderen  Intervallen,  wie  die  Franzosen  ihn  anerkannten, 
ist  er  ausgeschaltet.  Wichtig  aber  ist  seine  zeitliche  Bestimmung. 
Er  entnimmt  seinen  Wert  stets  der  folgenden  Hauptnote,  an  die  er 
angebunden  wird.  War  aber  diese  Form  bisher  auf  einen  wirklich  kurzen 
Vorschlag  beschränkt  und  bildete  somit  einen  Trochäus,  so  wird  er  hier 
auch  als  langer  Vorschlag,  Vorhalt  statuiert,  denn  es  heißt:  observari  hie 
etiam  potest,  quod  Uli  priores,  Descendentes  aut  Aseendentes,  tarn  Majores,  quam 
Minores  Acc&rdus  aut  ad  Notam  Accessus  sequenti  notae  feri  medietatem  valoris 
quoad  tempus  rapiant.  Wir  begegnen  also  dem  veränderlichen,  langen 
Vorschlag  der  Theorie  des  18.  Jahrhundeits,  also  einer  nicht  mehr  lediglich 
ornamentalen,  sondern  harmoniealterierenden  Note.  Freilich  ist  jetzt  noch 
von  seiner  harmonischen  Beziehung  nicht  die  Rede.  (Beispiele  H  2  a, 
leider  ohne  Auflösung.) 

Als  Verzierungsform  nennt  Janowska  ferner  den  Circuitus,  einen 
der  Hauptnote  angehängten  Schleifer  (H  2  b),  den  (Joule,  vorzuglich  als 
klavieristische  Verzierung,  übereinstimmend  in  Zeichen  und  Ausführung 
mit  Chambonnieres,  La  Begues,  d'Angleberts  Coule  sur  un  tierce, 
Coup^rin  und  Dieupart  (H  2  c).1)  Triller  und  Tremolo  decken  sich 
mit  den  Begriffen  der  Franzosen.  Der  Triller  beginnt  auch  ihm  mit  der 
oberen  Hilfsnote  (H  2  d).  Den  Tremolo  definiert  er  als:  „vocis  alieujus  in 
unisono  crebra  repetitio",  also  die  wiederholte  Note  Caccinis.  Schwieriger 
scheint  sein  Mordent  zu  bestimmen,  für  den  er  keine  Resolution  gibt. 
Er  führt  nur  an,  er  sei  mit  dem  Triller  identisch,  „excepto,  quod  morden* 
ad  sui  (actione m  inferiorem  vocem  adhibeat,  cum  contra  trilla  (sie!)  super iorem 
requirat".  Hieraus  ließe  sich  folgern,  der  Mordent  habe,  wie  der  Triller 
mit  der  oberen,  mit  der  unteren  Hilfsnote  begonnen.  Betrachtet  man 
aber  das  Beispiel  (H  2  e),  so  sieht  man,  daß  er  einen  Mordent  im  Sinne 
Agricola-Bachs  meint,  nämlich  eine  einfache  oder  doppelte  Sekunden- 
bewegung,   die  mit  der  Hauptnote    beginnt    und   die    untere  Sekunde  als 


')  \'er«.'J.  Dannreuter  a.  o.  O. 


Erster  Teil.  83 

Hilfsnote  einfügt.  Denn  das  Thema  des  Beispiels  kann  nur  mit  der 
Tonica  d,  nicht  mit  dem  unteren  Hilfston  eis  einsetzen.  Hier  tritt  das 
Zeichen  ~  zum  ersten  Male  als  eigentliches  Mordentzeichen  auf,  während 
die  Franzosen,  und  noch  Rameau,  mit  ihm  den  wirklichen,  mit  der 
oberen  Hilfsnote  beginnenden  Triller  meinen. 

Johann  Caspar  Fischer. 

Auch  Johann  Caspar  Fischer  verwendet  es  in  diesem  Sinne;  wo 
er  es  mit  einem  senkrechten  Strich  durchkreuzt,  meint  er  den  Mordent. 
Die  deutschen  Theoretiker  des  18.  Jahrhunderts  gebrauchen  die  Zeichen 
in  ähnlichem  Sinne    für    den  Pralltriller  (~)    und   Mordent  (*>)    (H  g  3). 

Fährmann. 

Ein  ergötzliches  Kapitel  der  Verzierungslehre  liefert  Fuhrmann 
mit  seinem  anonym  veröffentlichten  „Musikalischen  Trichter"  von  1706, 
in  seiner  kernigen  Sprache  und  seinen  treffenden  Anmerkungen  zu  den 
musikalischen  Unsitten  seiner  Zeit.  Am  Ende  der  Abhandlung  „von 
allerhand  uitiis,  so  ein  künstlicher  Sänger  meiden  muß"  klagt  er,  es 
grassiere  die  Seuche  unter  den  Musikern  „immer  noch  einmal  soviel  Noten 
und  Manieren  zu  machen,  als  auff  dem  Papier  stehen.  Wenn  ein  solch 
flüchtiger  Mercurius  nach  seiner  Caprice  alles  hinten  und  vorn,  unten  und 
oben  durch  die  Diminution  verschwäntzet  und  zergliedert,  so  wird  nicht 
nur  der  Text  offt  unvernehmlich,  und  der  Kontrapunkt  in  der  Komposition 
verhuntzet,  sondern  müssen  daraus  notwendig  (sonderlich  in  einem  voll- 
stimmigen Stücke)  vltia  compositionis  erfolgen".  Das  sei  besonders  uner- 
träglich, wenn  eine  Stimme  mehrfach  besetzt  sei,  wie  denn  „der  unver- 
gleichliche Herr  Buxtenhuden  zu  Lübeck  nicht  zwei-  oder  drei-,  sondern 
gerne  zwanzig-  und  dreißigfach,  und  wohl  noch  mit  mehr  Personen 
besetzte.  Allein  all  diese  Instrumentisten  müssen  ihm  auch  keine  Note 
oder  Punkt  verrücken,  oder  änderst  streichen,  als  er  ihnen  vorgeschrieben. 
Ja,  so  sollte  es  sein  und  klinget  dann  alles  sogleich  als  wäre  es  eines". 
Die  Zustände  musikalischer  Anarchie  in  Italien,  von  der  Tosi  für  den 
Sologesang  berichtet,  herrschten  also  in  Deutschland  gleichfalls  über  den 
Sologesang  hinaus  auch  im  Orchesterspiel.  Die  den  Italienern  geläufige 
virtuose  Improvisation,  ein  Erbteil  des  16.  Jahrhunderts,  war  also  mit 
der  neuen  Kunst  zugleich  zu  uns  gedrungen.  Man  hält  es  heute  kaum 
für  denkbar,  daß  sogar  eine  Mehrheit  von  Spielern  einen  Part  auszuzieren 
sich  vermaß.  Welch  ein  unerträgliches  Durcheinander  muß  da  zutage 
gefördert  worden  sein,  wie  tief  muß  der  Brauch  gewurzelt  haben,  wenn 
es  einer  auszeichnenden  Hervorhebung  bedarf,  daß  Buxtehude  ihn  ver- 
boten, und  offenbar  doch  auch  nur  mit  Rücksicht  auf  seine  besonders 
starke  Besetzung. 


84  Erster  Teil. 

Fahrmanns  Terminologie  and  begriffliche  Bestimmung  der  Manieren 
weicht  wiederum  nicht  unerheblich  von  derjenigen  seiner  Landsleute  ab. 
Italienische  und  französische  Praxis  bestimmen  sie  und  ergeben  ein  wenig 
einheitliches  Bild.  Die  Vorschlagrhythmen  kennt  er  einmal  unter  dem 
Namen  accenti  in  trochäischer  Form.  Das  Beispiel  H  4  a  dient  ihm 
gleichzeitig  dazu,  den  Nachschlag  zu  beschreiben,  indem  er  meint,  der  Accent 
könne  am  Anfang  und  Ende  einer  Note  gebraucht  werden;  auch  können 
alle  Gesänge  mit  einem  Accent  im  Semitonio  unter  dem  ersten  Clave 
angefangen  werden,  was  sich  die  späteren  Theoretiker,  besonders  Agricola 
ausdrücklich  verbitten.  Doch  bleibt  diese  Form  bei  ihm  beschränkt  auf 
den  Fall  „wenn  die  Stimme  sanfft  und  schnell  hinauf  oder  herab  in  der 
Sekunde  oder  Terz  steiget".  Er  statuiert  also  den  trochäischen  Vorschlag 
überhaupt  nur  als  Sekundenvorschlag  von  oben  oder  unten,  wenn  die 
Hauptnoten  nicht  weiter  als  eine  Sekunde  oder  Terz  von  einander  ent- 
fernt sind.  Von  einer  allgemeinen  Zulassung  dieser  Manier  ist  auch  bei 
ihm  keine  Rede,  ebensowenig  wie  bei  Louliö,  der  den  Port  de  üoLc  in 
trochäischer  Form  sogar  nur  zwischen  aufsteigenden  Sekunden  bei  Halb- 
tönen zuläßt.  Dagegen  tritt  der  jambische  Vorschlag  als  antlcipatione 
ddla  sillaba  ohne  Einschränkung  auf,  obwohl  er,  fügt  er  hinzu,  „bey  der 
Terzia  im  Steigen  und  Fallen  am  besten  angehet".  Unser  Beispiel  (H  4  b) 
zeigt  die  Uebereinstimmung  mit  Louliös  Port  de  voix  aufwärts,  dem 
Coule  abwärts  und  Muffats  ..Superficies;  gemeiniglich  accentus".  Wie  wenig 
klar  Fuhrmann  denkt,  zeigt  Definition  und  Beispiel  seiner  Anticipatione 
della  nota:  „ist,  wenn  man  von  einer  Note  unter  einer  Silbe  der  folgenden 
Note  auch  etwas  zuleget,  so  bey  der  Sekunde  im  Steigen  und  Fallen  am 
füglichsten  kommet".  Aus  diesen  Worten  ist  eine  Anschauung  kaum  zu 
gewinnen.  Das  Beispiel  (H  4  c)  zeigt  zwei  gänzlich  verschiedene  Ver- 
zierungsformen, auf  den  Silben  „wert"  und  „(Him)mel"  Nachschläge,  die 
folgende  Note  antizipierend,  auf  den  Silben  „den"  und  (er)„ben"  mit  der 
Hauptnote  gleichlange  Vorschläge. 

Konnten  wir  feststellen,  daß  die  Begriffe  Triller  und  Tremolo  in 
Italien  im  Sinne  der  römischen  Schule  angenommen  worden  waren,  so 
wirft  Fuhrmann  wieder  alles  durcheinander.  Zu  seiner  Entschuldigung 
führt  er  an,  er  habe  vergeblich  eine  von  allen  Musikern  gebilligte  Unter- 
scheidung zwischen  trillo  und  trilletto,  zwischen  tremolo  und  tremoletto 
gesucht.  „Die  Musikanten  sind  in  vielen  Dingen  so  einig,  als  Simsons 
Brand-Füchse,  so  mit  den  Schwäntzen  zwar  zusammengekuppelt,  aber  doch 
mit  den  Köpfen  getheilet."  Sein  Triller  (H,  4  d)  ähnelt  dem  tremblement 
appuye  des  Couperin  und  dem  tremblet?ient  ou  fredon  des  Muffat.  Er 
beginnt  mit  der  Hauptnote  und  nimmt  die  obere  Hilfsnote  auf  der  Arsis 
hinzu,    der   trilletto   (11,  4  e)   ist   dieselbe   Figur   im  Halbton-Intervall    mit 


Erster  Teil.  85 

einem  abschließenden  Doppelschlage.  Für  jenen  gibt  er  als  Zeichen  fr, 
für  diesen  t.  Der  tremolo  (II,  4  f)  ist  ihm  eine  Halbtonbevvegung  nach 
unten,  die  mit  der  oberen  Hilfsnote  beginnt,  der  tremoUtto  die  Bebung 
(H,  4  g).  Die  Gestaltung  seiner  Triller  bezeugt  eine  vollständige  Ver- 
kennung aller  in  der  Praxis  und  Theorie  geübten  Gesetze.  Der  Sänger 
wird  stets  den  Triller  nach  unten  schlagen,  so  daß  die  höhere  Note  auch 
die  betonte  ist,  und  so  fanden  wir  denn  auch  bisher  in  den  wirklich 
vokalischen  Anweisungen  den  Triller  stets  mit  der  oberen  Hilfsnote  ein- 
setzend geformt.  Fuhrmann  verwechselt  also  hier  die  instrumentale 
Verzierung  des  Tremolo,  tremblement  ou  fredon  des  Muffat,  mit  dem 
echten  Gesangstriller,  den  er  überhaupt  nur  als  tremolo  im  Halbton  zuläßt. 
Sein  Groppo  (H,  4  h)  und  Circolo  (H,  4  i)  decken  sich  mit  den  gleich- 
benannten Begriffen  des  Printz.  Arpeggierte  Figuren  erwähnt  er  unter 
dem  Begriff  Messanza  und  Salto,  seine  Tirata  und  Passagio  sind  die  üblichen 
Läufe,  wie  sie  unsere  Darstellung  wiederholt  nachgewiesen. 

Wolfgang  Michael  Mylins, 

Eine  gewisse  Übereinstimmung  mit  Fuhrmanns  Lehren  erweisen 
Wolfgang  Michael  Mylius's  „Rudimenta  musices"1),  1686.  Accent  ist 
auch  ihm  der  Vorschlag,  gleichmäßig  in  trochäischer  und  jambischer  Form, 
aber  nur  von  der  Linea  zum  Spatio  und  umgekehrt,  also  als  Sekunde. 
Das  erste  Beispiel  (H,  5  a)  zeigt  trochäische,  das  zweite  (H,  5  b)  jambische 
Rhythmik.  Unter  dem  Begriff  Anticipatione  della  sillaba  subsumiert  er 
den  kurzen  jambischen  Vorschlag  ohne  Einschränkung,  aber  mit  der 
Bemerkung,  daß  er  bei  der  Sekunde  häufiger  sei,  als  bei  andern  Inter- 
vallen, im  Steigen  und  Fallen  (H,  5  c).  Die  Anticipatione  della  nota 
umfaßt,  wie  bei  Fuhrmann,  die  Begriffe  Nachschlag  und  Vorschlag 
(H,  5  d).  Endlich  erscheint  hier  eine  auch  an  anderen  Orten  erwähnte 
Verzierungsform:  das  Cercar  della  nota,  identisch  mit  dem  Accent,  als 
obere  und  untere  Sekunde  überall  jambisch  (H  5  e).  Die  gleichen  Begriffs- 
bestimmungen gibt  Beyer,  Johann  Sam.2) 

Fehlte  es  schon  in  den  ausländischen  Stätten  des  Musiklebens  an 
einer  Konzentration  des  Stoffes,  vermochte  nicht  einmal  der  Theoretiker 
dort  Allgemeingültiges  von  der  Praxis  einzelner  zu  scheiden,  so  kann  man 
dem  auf  das-  Ausland  angewiesenen  deutschen  Lehrer  keine  Vorwürfe 
machen,  wenn  er  es  unterließ,  das  Material  zu  sichten  und  Allgemein- 
gültiges von  Sondermeinungen  zu  scheiden.  Aber  unbegreiflich  bleibt  es 
doch,  daß  jeder  wirklich  glaubte,  im  Besitz  einer  allgemein  gültigen  Lehre 
zu    sein,    und    als    Gesetz    hinstellt,    was    doch    nur    partikulare    Geltung 

!)  Fünftes  Stück.     „Von  der  lieblichen,  artigen  und  zierlichen  Singart." 
2)  Anweisungen  zur  Singekunst,    1703. 


86  Erster  Teil. 

beanspruchen  kann.  Nur  Fuhrmann  läßt  die  Wahrheit  durchblicken, 
wo  er  über  die  Vielköpfigkeit  der  Musiker  klagt,  freilich  ohne  die  nötigen 
Konsequenzen  zu  ziehen. 

Die  deutsche  Praxis, 

Kirchliche   Kantate. 

Es  hat  einige  Jahrzehnte  gewährt,  ehe  die  deutsche  Kunst  aus  ihrer 
Anlehnung  an  den  neuen  italienischen  Stil  zur  Selbständigkeit  erstarkte. 
Das  deutsche  Musikschaffen  kam  in  erster  Linie  der  kirchlichen  Kantate, 
der  Passion  und  dem  Liede  zustatten.  War  bei  den  Italienern  des 
ausgehenden  17.  Jahrhunderts  die  Entfaltung  der  Menschenstimme,  das 
Gestalten  aus  ihrer  Naturanlage  heraus  bestimmend,  so  ist  sie  dem 
Deutschen  in  erster  Linie  das  Mittel  poetisch-musikalischer  Darstellung. 
Die  deutschen  Meister  gehen  von  der  Orgel  aus,  und  so  ist  ihr  Gesangsstil 
wesentlich  instrumental,  durch  die  Orgel  beeinflußt.  Dem  Ausdruck 
religiöser  Lyrik  gerecht  zu  werden,  mußte  die  Stimme  in  der  geistlichen 
Kantate  ihren  persönlichen  Charakter  aufgeben  und  zum  Instrument  werden, 
das  wie  die  Orgel  vorzüglich  geeignet  ist,  allgemeine  Empfindungen  dieser 
Art  auszulösen.  In  der  Passion  dagegen  durfte  die  persönliche,  dramatische 
Eigenart  der  Stimme,  wie  sie  die  Italiener  behandelten,  erhalten  werden. 
Die  Melismatik  der  geistlichen  Kantate  der  Deutschen  arbeitet  mit  dem- 
selben Material  wie  die  Italiener  in  Oper  und  Kantate,  aber  sie  untersteht 
doch  überall  dem  Zwange  der  oben  erörterten  Bedingungen.  Ihre 
melodische  Funktion  in  der  Verbindung  der  Hauptnoten  durch  Manieren, 
Duolen,  kleine  Gänge  ist  keine  andere  als  dort,  sieht  man  von  einer  gewissen 
Eckigkeit  und  Steifheit  ab,  die  jener  instrumentalen  Denkweise  gedankt 
wird.  Können  doch  noch  Bachs  Einzelgesänge  auch  dort,  wo  die  Form 
die  ältere  deutsche  verläßt  und  italienisch  wird,  ihre  instrumentale  Herkunft 
nicht  verleugnen.  Auch  die  tonmalerischen  Wendungen  der  italienischen 
Vorbilder,  sei  es  als  Wortunterstreichung,  sei  es  als  Stimmungsschilderung, 
finden  sich  wieder.  Auf  das  rein  Gesanglich-Schöne,  auf  das  Ausleben 
der  Stimme  in  melodischen  Tonreihen  mußte  diese  Kompositionsgattung 
verzichten.  Die  ältere  norddeutsche  Schule  der  Tun  der,  Ahle  und 
Weckmann  vermeidet  denn  auch  bravouröse  Technik  fast  völlig.  Aus 
der  erhöhten  Teilnahme  der  Instrumente  ergibt  sich  oft  eine  kontrapunktische 
Behandlung  der  Singstimme,  die  dann  eben  nur  eine  Stimme  des  mehr- 
stimmigen Satzes  vorstellt.1)  Ganz  in  italienischer  Art  fungiert  zuweilen 
das  Melisma  in  der  Themenbildung2)  als  Verkörperung  seelischer  Zustände, 


i)  Vgl.  zum  Beisp.  Denkmäler  deutscher  Tonkunst,  Bd.    16,  S.  6. 
2)  Zum  Beisp.  bei  Tunder  a.  o.  O.,  Bd.  3,  S.  8. 


Erster  Teil.  87 

wie  der  Freude,  des  Jubels,  auf  Worten  wie:  Allelujah,  canitur,  Preis  etc., 
seltener  äußerer  Vorgänge,  also  eigentlich  tonmalend.  Die  jüngere  Schule, 
vorzüglich  Buxtehude  in  seiner  Abendmusik,  unterscheidet  sich  von  dieser 
Behandlung  nicht  wesentlich.  Auch  sie  vermeidet  es,  sich  an  Bilder  und 
Vergleiche  substanzieller  Art  anzulehnen,  ja  geht  der  Versuchung  vielfach 
aus  dem  Wege,  wo  jeder  Italiener  ihr  unterlegen  wäre.1)  Auch  ihm  ist 
die  immerhin  reichlich  verwendete  Koloratur  im  wesentlichen  Verstärkung 
des  musikalischen  Gefühlslebens.  Auch  hier  ist  der  Ausgang  von  der 
Orgeltechnik  zu  suchen.  Der  Gesang  ist  auch  hier  durch  das  Ausdrucks- 
vermögen dieses  Instrumentes  hindurchgegangen.  Anders  liegen  die  Ver- 
hältnisse in  den  Kantaten  des  süddeutschen  Meisters  J.C.Kerl,  bei  dem 
italienischer  Einfluß  überwiegt,  und  dem  hervorragend  geschulte  Gesangs- 
kräfte zur  Verfügung  standen.  Seine  koloristische  Behandlung  der  Stimme 
ist  reichlich  und  üppig  und  entspricht  dem  glänzenden,  prunkhaften  Kultus 
der  Jesuitenkirchen  Süddeutschlands.2) 

Das  Lied, 

Im  einstimmigen  Liede  geht  sein  wichtigster  Vertreter  Heinrich 
Albert  bald  über  die  Monodien  der  Italiener  weit  hinaus.  Albert  lehnt 
einmal  an  den  protestantischen  Choral  an,  „aber  ohne  seine  schwer- 
fällige Kadenzierung  und  gedankenlosen  Respekt  vor  dem  Reim".  Seine 
Harmonie  verfügt  über  die  Mannigfaltigkeit  der  alten  Kirchentöne,  seine 
Rhythmik  über  die  Beweglichkeit  und  die  Wechseleffekte  der  Mensural- 
periode.3) Dann  aber  pflegt  er  neben  den  mehr  liedmäßigen  Gebilden 
auch  die  Form  der  Solokantate  „und  benutzt  das  Prinzip  der  Kantate, 
den  genauen  Anschluß  des  Tones  ans  einzelne  Wort,  auch  für  strophische 
Lieder  und  führt  in  sie  das  Rezitativ  und  die  Koloratur  ein".  In  der 
stilistisch  der  Kantate  genäherten  „Arie"  spielt  denn  auch  die  Koloratur 
eine  gewichtige  Rolle  sowohl  in  der  Bestimmung  die  Noten  zu  verbinden,4) 
als  auch  als  Melodieträger5)  in  der  Themenbildung6),  in  tonmalender 
Funktion7)  und  in  der  Kadenz.8)  Natürlich  treffen  vielfach  in  einer  Ton- 
bewegung mehr  als  eine  dieser  Funktionen  zusammen.  Beurteilt  man 
sie  unter  dem  Gesichtspunkt  einer  Zeit,   die  noch  dem  Diminutionswesen 

*)  Vergl.  zum  Beisp.  a.  o.  O.,   Bd.    14,  S.  32. 

2)  Das  Nähere  bei  Sandberger:  Denkmäler  der  Tonkunst  in  Bayern,  Bd.  IL 
8)  Denkmäler  deutscher  Tonkunst,  Bd.  XII,  Einl.  S.   18   (Kretzschmar). 
4)  a.    a.    O.,    S.    11.      „Vatertreu",     eine   vei bindende   Doppelschlagsbewegung,    S.    62 
„seufzen",  .Nachschläge  etc. 

5ß  Zum  Beisp.  a.  a.  O.,  S.   12  „Herzen",  S.   17   „fliehet"  und  „liebet". 
G)  Ebenda  S.   11    ,,Auf  mein  Geist",  S.  83    „O  wie  mögen",    S.  95    „O  der  Göttin". 
7)  ebenda  S.  9  „Lauf",    S.   51   „Sing'  in  meiner  Saiten  Werk",  S.  83   „Freuden"  etc. 
8;  Ebenda  S.  9  „hören",  S.    12  „ergehen",  S.   20  „unbewusst",   S.   96  „Göttin". 


88  Erster  Teil. 

eines  Zacconi  und  Bovicelli  nahestand,  vergleicht  man  sie  mit  den 
Kompositionen  eines  Otavio  Durante,  Caccini  und  Fr.  Severi  so 
kann  man  die  weise  Ökonomie  Alberts  nur  bewundern.  In  noch  höherem 
Grade  gilt  das  von  Kriegers  Arien.1) 

Es  läge  außerhalb  der  Aufgabe  dieser  Arbeit,  diesem  Gegenstand 
auch  bei  den  Deutschen  ins  einzelne  nachzugehen.  Auf  besonders 
charakteristische  Bildungen  und  Eigentümlichkeiten  hat  Kretzschmar2)  be- 
reits überall  hingewiesen.  Vorzüglich  für  die  in  die  Rezitative  der  Passionen 
des  Schütz  und  Sebastiani  eingelegten  melismatischen  Formeln,  die  auf 
eine  Vertiefung  seelischer  Affekte  oder  Tonmalerei  abzielen,  und  als  Vor- 
läufer ähnlicher  Gestaltungen  in  Bachs  Passionen  gelten  dürfen,  kann  ich 
mich  mit  diesem  Hinweis  begnügen.  Über  den  Einzelgesang  in  den 
Oratorien  aus  Händeis  Jugend,  sowie  in  denjenigen  Keisers,  Matthesons 
und  Telemanns  hat  sich  Bitter3)  geäußert.  Hier  stehe  nur  noch  eine 
kurze  Würdigung  desjenigen  Meisters,  in  dessen  Opern  der  deutsche 
Einzelgesang  vor  Händel  seinen  sichtlichen  Höhepunkt  erreichte,  schon 
um  seines  Einflusses  wegen,  den  er  auf  diesen  auszuüben  vermochte:  des 
Reinhard   Keiser. 

R.  Keisers  Opern. 

AI.  Scarlattis  und  R.  Keisers  künstlerischer  Werdegang  zeigen 
auffallende  Ähnlichkeit.  Beide  besaßen  eine  reiche  Phantasie  und  eine 
unerschöpfliche  Kraft  melodischer  Erfindung,  und  doch  sind  beide  hinter 
den  Erwartungen  zurückgeblieben,  zu  denen  sie  berechtigten.  Trotz  ihrer 
eminenten  Begabung  waren  ihre  Pläne  stets  nur  auf  das  Nächstliegende 
gerichtet  und  begnügten  sich  mit  dem  allmählichen  Ausbau  überkommener 
Formen;  die  Oper  und  ihre  Arie  blieben  ihr  Hauptfeld,  wenngleich  beide 
auch  als  Kirchenkomponisten  über  den  Durchschnitt  hinausragten.  Nicht 
der  bewußte  Wille  einer  musikalisch-dramatischen  Umgestaltung,  der  den 
minder  begabten  Lully  zum  Haupte  einer  neuen  Schule  werden  ließ, 
leitete  sie,  ihre  Bedeutung  erschöpfte  sich  —  das  oben  von  Scarlatti 
Angeführte  gilt  auch  für  Keiser  —  in  der  Förderung  des  harmonischen 
und  melodischen  Elements  und  der  reicheren  Gestaltung  des  Orchester- 
spiels.4) Scarlatti  ist  dem  Keiser  sichtlich  überlegen,  einmal  in  der 
Mannigfaltigkeit  der  Formen  —  seine  Arien  zeigen  eine  Abwechslung 
in    der   Gruppierung   der   Themen    und    der   harmonischen    Beziehung   der 

J)  Denkmäler  deutscher  Tonkunst,  Bd.  XIX  (Alfred  Heuss). 
2)  Führer  durch  den  Konzertsaal  II,    i. 

8)  Beiträge   zur  Geschichte   des  Oratoriums   insbesondere   S.  94,   99,   152  und   156. 
4)  Vgl.  Kleefeld    „Das    Orchester    der   Hamburger    Oper",     Sammelbd.    der   Internat. 
Musikgesellschaft,  Jahrg.  I. 


Erstei  Teil.  89 

Teile,  an  die  Keiser  nicht  heranreicht  — ,  dann  aber  in  der  Geschmeidigkeit 
und  Prägnanz  der  Themenbildung,  einer  weit  gesangsmäßigeren  Behandlung 
der  Stimme,  und  vor  allem  in  der  sinn-  und  sprachgemäßeren  Deklamation, 
die  wir  bei  Keiser  schmerzlich  vermissen.  Indes  überragt  der  deutsche 
den  italienischen  Meister  zweifellos  in  der  großen  Anlage  des  Tonstückes, 
in  der  Fähigkeit  durch  orchestrale,  sowie  durch  gesangliche  Mittel 
Stimmungen  zu  wecken,  und  psychische  Affekte  zu  erschöpfen.  Seine 
lyrischen  Szenen  erfüllt  der  Geist  Mozartscher  Grazie,  aber  größer  noch 
erscheint  er,  wo  er  pathetische  und  tragische  Aufgaben  zu  lösen  hat.1) 
Keiser  geht  in  seiner  Behandlung  der  Fiorituren  durch  die  Italiener 
hindurch,  aber  vielfach  über  sie  hinaus.  Auch  er  liebt  die  Wortmalerei, 
und  zwar  nicht  nur  in  der  Arie,  sondern  auch  im  Rezitativ,  worin  er 
sich  mit  Stefani  berührt.  Oft  genügt  ihm  ein  Textwort,  die  ganze 
Arie,  oder  einen  Teil  virtuos  koloristisch  zu  gestalten.  Ja,  er  geht  darin 
so  weit,  die  formalen  Grundlagen  zu  verändern  und  einen  Bruch  mit  der 
Gesamtanlage  zu  vollziehen.  Wo  Ormoena  in  der  Octavia2)  von  Neros 
Untreue  hört,  wird  dem  Mittelsatz  bei  den  Worten  „also  wanken  meine 
zweifelnden  Gedanken"  eine  siebentaktige  Koloratur  auf  „wanken"  vor- 
ausgeschickt, die  an  sich  recht  geschmacklos  gebaut,  die  Proportionen 
ganz  verschiebt.  Im  Adonis  von  1698  beklagt  Ennone  den  Tod  des 
Adonis  in  einem  prächtigen  Klagegesang: 

Klagt  ihr  Wälder,  klagt  mit  Schmertzen 

Klagt  Adonis  eure  Ruh, 

Der  in  euch  gewohnt  zu  schertzen  .  .  .  etc. 
Er  kann  sich  nicht  versagen,  das  Wort  „schertzen"  in  einer  von 
den  Violinen  in  Terzen  begleiteten,  der  ernsten  Stimmung  durchaus  nicht 
adäquaten  Koloratur  zu  illustrieren,  und  später,  als  ob  er  den  Faden 
ganz  verlöre,  in  eine  hüpfende,  mit  Pralltrillern  und  gehauchten  Noten 
gleicher  Tonhöhe  kokett  überladene  Fioritur  zu  übersetzen  (J  1  a).  Einer 
ähnlichen  ästhetischen  Ungeheuerlichkeit  macht  er  sich  im  „Croesusu 
schuldig.     Elmira  singt: 

Liebe  sag,  was  fängst  du  an? 

Soll  mein  Hertz  an   diesem  Knaben, 

Dem  ich  Atys  sehen  kann, 

Schmertzen  oder  Freude  haben? 
Diese  Yerse  baut  er  zur  dacapo-Arie  aus,  indem  er  den  dominantischen 
Mittelsatz  auf  dem  vierten  Yers  mit  ausgedehnten  Koloraturen  auf  „Freude" 

J)  Vgl.  die  ausgezeichnete  Charakteristik  R.  Keisers  durch  Kretzschmar :  „Das  erste 
Jahrhundert  der  deutschen  Oper",    Sammelb.  der  Intern.  Musikgesellsch.,  Jahrg.  III,  S.   286. 

2)  Supplemente,  enthaltend  Quellen  zu  Händeis  Werken,  Ausgabe  von  Keisers 
„Octavia"  (Seiffert),  S.  84. 


90  Erster  Teil. 

füllt  (J  1  b).  Der  Charakter  des  Ganzen  ist  damit  gänzlich  verschoben, 
der  Mittelsatz  entartet  zu  einer  Vokalise,  die  in  ihren  tändelnden,  leicht 
springenden  Figuren  nur  das  Wort  „Freude"  bezeichnet,  also  dem  Sinn 
der  Strophe:  der  Ungewißheit,  ob  ihr  Schmerzen  oder  Freuden  bevor- 
stehen, widerspricht.  Anderswo  ist  er  glücklicher;  wenn  er  in  einer 
komischen  Arie  des  Gelon  im  „Adonis": 

Und  wenn  ein  Weib  vom  Himmel  fiel, 

So  hat  sie  ihre  Mücke, 

Die  Schmeichelei,  der  süße  Mund, 

Ist  ohne  Grund  betrügen, 

Ihr  bestes  Spiel  ist  Lachen  voller  Tücke. 

durchaus  im  Liedton  bleibt  und  nur  am  Schluß  das  „Lachen"  mit  einem 
kurzen  Lauf  unterstreicht  (J  1  c),  im  „Masaniello"  den  „hohen  Geist 
der  strahlend  durch  die  Lüfte  streicht"  mit  der  Rakete  vergleicht  (J  1  d), 
oder  wenn  er  in  einem  Liebesduett  zwischen  Octavia  und  Nero1)  „kann 
dich  mein  Arm"  die  leichten  Liebeständeleien  in  ein  entzückendes  Ton- 
spiel der  Stimme  und  der  Oboe  umsetzt,  wobei  freilich  die  Sekunden- 
bewegung mehr  der  Technik  der  in  Terzen  gehaltenen  Oboe  als  der  mensch- 
lichen Stimme  entspricht. 

Indessen  erhebt  K eiser  die  Passaggie  über  die  Beschränkung  auf 
eigentliche  Wortmalerei  hinaus  zu  wahrer  Situationscharakteristik,  und 
zwar  einmal  noch  an  das  Wort  angelehnt,  aber  doch  die  Gesamtstimmung 
zusammenfassend,  dann  aber,  wo  er  Vorgänge  des  Naturlebens  mit  der 
Entfaltung  psychischer  Zustände  verbindet.  Für  jene  hat  er  vortreffliche 
Vorbilder  in  den  Venezianern  und  Stefani.  Sie  hat  denn  auch,  wie  dort, 
vorzugsweise  ihren  Platz  im  Rezitativ  pathetischen  Stils,  seltener  in  der 
Arie  (J  1  e,  f).  Hier  arbeitet  Keiser  mehr  im  Sinne  der  Italiener  mit 
laufenden,  rhythmisch  lebhaften  Gängen,  die  im  Fluß  des  Secco-Rezitativs 
durch  den  Gegensatz  wirken  sollen,  als  durch  außergewöhnliche  Intervallen- 
schritte, obwohl  auch  bei  ihm  zuweilen  weite  und  alterierte  Intervalle 
vorkommen.  Auch  in  der  Arie  trifft  man  zuweilen  solche  über  bloße 
Wortmalerei  hinausreichende  Tongänge,  die  den  Verlauf  des  Vorgangs 
oder  den  Affekt  des  Handelnden  treffen.  Ganz  besonders  reizvoll  aber 
sind  seine  Schilderungen  von  Vorgängen  in  der  Natur,  sei  es,  daß  er  den 
Gesang  der  Nachtigall  oder  das  Murmeln  der  Wellen,  oder  das  Säuseln 
sanfter  Winde  musikalisch  zu  fassen  sucht.  Ahnlichen  Bestrebungen  waren 
wir  auch  in  der  italienischen  Literatur  des  17.  Jahrhunderts  be- 
gegnet und  im   18.  Jahrhundert   reifen  diese  Ansätze  zu  den  anmutigsten 

')  a.  o.  O.,  S.  17. 


Erster  Teil.  91 

Gebilden.1)  Aber  Keiser  übertrifft  hier  seine  Vorbilder  sowohl  durch  die  ge- 
wählte Harmonik  und  die  sorgfältigere  Ausfeilung  des  instrumentalen  Partes, 
durch  die  treffende  Wahl  und  die  Abwechselung  der  konzertierenden 
Instrumente,  als  durch  die  dem  Zweck  völlig  unterworfene  Behandlung  der 
Singstimme,  die  nicht  davor  zurückscheut,  auch  einmal  an  das  instrumental 
erfundene  Thema  anzulehnen.  Diese  glänzende  Seite  von  K eisers 
Begabung  kann  nur  durch  eine  eingehende  Würdigung  seines  gesamten 
Schaffens  erschöpfend  erörtert  werden.2)  Hier  genüge  der  Verweis  auf 
einige  besonders  gelungene  Stellen  in  seinen  Opern3).  (J  1,  g-h.)  Ich 
brauche  nur  an  Händel  und  seine  berühmte  Nachtigallen arie  im  „AUegro 
e  Pensieroso"  zu  erinnern,  um  auch  für  dieses  Gebiet  K eisers  Einfluß  auf 
seine  Schreibweise  zu  betonen. 

Zwei  Eigentümlichkeiten  seiner  Passaggien  mögen  hier  noch 
hervorgehoben  sein.  Der  Einfluß  der  konzertierenden  Instrumente 
auf  die  Gestaltung  der  Gesangspassaggien  ist  bereits  oben  bei  den 
Italienern  besprochen  worden;  er  ist  auch  bei  Keiser  nachzu- 
weisen. Wie  ihnen  die  Oboe  und  Flöte  maßgebend  wurde,  erwähnte 
ich  bereits.  Die  Trompete  mit  ihren  langatmigen  Bravourstellen 
und  ihrer  Nachahmung  durch  die  Singstimme,  wie  sie  Scarlatti 
und  andere  pflegen,  scheinen  K eisers  Beifall  nicht  gehabt  zu  haben. 
Dafür  bestimmt  bei  ihm  die  Technik  anderer  Instrumente  nicht 
selten  den  Gesang.  So  läßt  er  in  der  Octavia  das  Hörn  ein  Thema 
anstimmen,  das  dann  die  Stimme  übernehmen  muß.4)  Zwar  geht  er  selten 
so  weit  wie  hier,  geradezu  unsanglich  zu  werden,  obwohl  auch  das 
vorkommt,  wie  denn  die  Figur  in  dem  Beispiel  aus  „Ulisseu  (J  1,  i) 
violinistisch  gedacht  ist  und  der  Singstimme  nicht  liegt.  Aber  das  Erfinden 
aus  der  Eigenart  und  Natur  der  Stimme  heraus  ist  ihm  nicht  Bedürfnis, 
er  dachte  und  komponierte  offenbar  nicht  selten  in  der  Weise,  daß  das 
Thema  instrumental  hingestellt  wurde,  und  die  Gesangsstimme  sich  dem  so 
festgestellten  Plane  einfügen  mußte,  ein  Verfahren,  dem  selbst  Scarlatti 
nicht  immer  aus  dem  Wege  ging.  Auch  der  Mangel  an  Bekanntschaft 
mit  hervorragenden  Gesangsvirtuosen  —  die  Hamburger  Oper  war  bekannt- 


1)  Eine  .entzückende  Nachtigallenarie  mit  zwei  Flöten,  zwei  Violinen  und  Bass  fand  ich 
in  Giovanni  Bonocinis  Trattenimento  per  Musica,  1704.  K.  K.  Hofbibl.  Wien.  Eine  ähnliche 
Arie  in  Lottis  Kantate.     Ms.  132 10  K.  Bibl.  Berlin. 

2)  Ein  umfangreiches  Material  hat  Dr.  Hugo  Leichtentritt  zusammengetragen,  das  leider 
bisher  nur  zum  geringsten  Teil  in  seiner  Dissertation :  Reinhard  Keiser  in  seinen  Opern  ver- 
öffentlicht ist. 

3)  Vgl.  auch  die  Neuausgabe  der  Octavia,  Händel  Supplementband :    „Wallet  nicht  zu  laut". 

4)  Ebenda  „La  Roma  trionfante". 


92  Erster  Teil. 

lieh  bierin  schlecht  bedacht1)  —  läßt  K eiser  nicht  zu  jener  höchsten 
Vollendung  der  der  damaligen  Oper  unentbehrlichen  Ausdrucksmittel  der 
Melismatik  gelangen.  Händel  mußte  auch  hier  bei  den  Italienern,  und 
Stefani  vorzüglich,  in  die  Schule  gehen. 

Eine  andere  Eigenschaft  Keiserscher  Fiorituren  besteht  in  dem 
Wechsel  der  rhythmischen  und  melodischen  Gliederung.  Er  beschränkt 
sich  nicht,  wie  viele  Italiener,  auf  sequentische  Wiederholungen  einer 
Phrase,  sondern  er  läßt  in  den  größeren  Melismen  einmal  Tonformeln 
abweichender  Melodik  und  Rhythmik  sich  ablösen,  und  belebt  dann  auch 
dort,  wo  er  an  einer  Grundformel  festhält,  durch  kleine  Verzierungen,  wie 
Pralltriller  und  Vorschläge.  Wenn  er  dadurch  einer  schablonenhaften  und 
geistlosen  Monotonie  entgeht,  so  unterliegt  er  andererseits  vielfach  der  Gefahr, 
den  Zusammenhang  mit  dem  Ganzen  zu  verlieren  und  die  melismatischen 
Formeln  in  solchem  Grade  zur  selbständigen  Vokalise  aufzubauschen,  daß 
sie  nicht  mehr  als  integrierender  Bestandteil  des  Organismus  empfunden 
werden,  wie  das  unsere  Beispiele  aus  „Adonis"  und  „Croesus"  erhärten. 

Die  Unfähigkeit  der  deutschen  Schule  des  17.  Jahrhunderts,  zu  einem 
natürlichen  Verhältnis  zwischen  der  sprachlichen  und  musikalischen  Diktion 
in  den  geschlossenen  Formen  vorzudringen,  macht  sich  in  Keisers  Opern 
und  Kantaten  vorzüglich  fühlbar.  Resultierte  sie  in  der  geistlichen  Kantate 
wie  noch  bei  Bach,  aus  der  instrumentalen,  orgelmäßigen  Denkweise,  so 
beruht  sie  hier  auf  dem  prinzipiellen  Übergewicht  des  rein  Musikalischen.2) 
So  verwendet  auch  Keiser  melismatische  Zerlegungen  und  Manieren  vielfach 
ohne  Rücksicht  auf  Iktus  und  Metrum,  sodaß  sie  recht  häufig  schwache 
Silben  oder  unbetonte  Worte  des  Satzes  stärker  hervorheben,  als  es  die 
Wort-    und   Satzbetonung    gestattet.3)     Neben    der   Minderwertigkeit   und 

1)  Erst  in  der  letzten  Zeit  verfügte  die  Hamburger  Oper  auch  über  hervorragende  Sänger, 
für  die  Keiser  Arien  schrieb,  wie  die  der  Analgida  in  seiner  „forza  della  virtü",  die  dasÄusserste 
an  Koloraturschwierigkeiten  und  an  Forderungen  des  Ausdrucks  enthalten,  was  es  in  der 
Geschichte  des  Musikdramas  überhaupt  gibt.  Kretzschmar,  Sammelb.  der  Internat.  Musik- 
Ges.  1902,  Heft  2. 

2)  Mattheson  hat  sich  in  seinem  „vollkommenen  Kapellmeister"  über  diese  Schwäche 
der  Komponisten  auch  noch  des  18.  Jahrhunderts  eingehend  ausgelassen.  Vgl.  Heinrich 
Schmidt,  Johannes  Mattheson,   Leipzig   1897,  S.  50  f. 

3)  Einige  Belege  zu  dem  oben  Gesagten  seien  hier  gegeben.  Aus  der  Octavia  wähle 
ich  folgende  Stellen:  Die  gesperrten  unbetonten  Silben  sind  durch  die  Verlegung  auf  den 
schweren  Taktteil  oder  durch  Manieren  gegen  das  sprachliche  Metrum  betont:  S.  15  ,,Ver- 
gnügen",  S.  16  ,, küssen",  S.  38  im  Rezitativ  „ansah'*,  ebenda  „Verworfene",  S.  49  Re- 
zitativ das  unbetonte  Wort  „nur"  auf  den  schweren  Takt  gelegt,  S.  62  la  saetta  e  fatale, 
wo  durch  Notenzerlegung  und  Schleifer  die  unbetonten  Silben  sprachwidrig  hervorgehoben 
sind,  S.  66  tritt,  wie  vielfach  auch  an  anderer  Stelle,  die  betonte  Silbe  „hol (den),  auf  dem 
zweiten  Achtel  des  ersten  Viertels  ein.  S.  68  entzündest,  S.  86  Treue;  die  letzte  Silbe 
durch  einen  trochäischen  Vorschlag  betont. 


Erster  Teil.  93 

Geschmacklosigkeit  der  Dichtungen  ist  die  schwülstige,  abscheuliche  Sprache, 
und  die  Unfähigkeit  der  Musiker,  auch  Keisers,  sie  zu  ihren  Tonreihen  in 
ein  metrisch  angemessenes  Verhältnis  zu  bringen,  ein  Hauptgrund,  der  die 
Hamburger  Oper  für  eine  Wiederbelebung  in  Gegenwart  und  Zukunft 
disqualifiziert.  Wir  haben  unter  solchen  Umständen  zu  bedauern,  daß 
dieser  Schatz  guter  Musik  unrettbar  verloren  ist. 

So  zahlreiche  Partituren  italienischen  und  deutschen  Ursprungs  ich 
auch  durchgesehen,  es  ist  mir  nicht  gelungen  auch  nur  eine  Arie  mit 
verändertem,  also  verziertem  da  ca^o-Satz  aufzufinden.  Selbst  wo  er,  wie 
sehr  häufig  bei  Scarlatti,  ausgeschrieben  wird,  stimmt  er  regelmäßig, 
abgesehen  von  einigen  Kürzungen  und  entsprechend  harmonischen  Ver- 
änderungen, mit  dem  ersten  Teil  überein.  Dagegen  entdeckte  ich  in  der 
Partitur  von  Keisers  „Diana  oder  der  sich  rächende  Cupido"  in  der 
offenbar  eingelegten  Arie  „Lontan  de  tuoi  bei  raiu  zwei  Kadenzen  (I,  2  a 
und  b)  und  zwar  die  eine  überleitend  vom  ersten  Teil  in  A-dur  zum 
zweiten  in  A-moll,  sodaß  hier  der  Quart-Sext-Akkord  auf  e  mit  kleiner 
Sext  eintritt,  dann  die  Kadenz  folgt,  die  mit  dem  A-moll  Dreiklang  endet, 
und  der  zweite  Teil  sofort  sich  anschließt.  Es  bleibt  also  der  mit  dem 
Kreuz  bezeichnete  Takt  aus,  während  er  bei  der  Wiederholung  aus- 
geführt und  dann  sofort  ohne  Kadenz  geschlossen  wird,  worauf  das 
Ritornell  in  A-dur  erklingt,  das  natürlich  beim  ersten  Mal  fortbleibt. 
Auch  der  zweite  Teil  zeigt  einen  kleinen  Anhang,  der  tonisch  in  e  ge- 
schlossen ist.  (J  2  b.)  Die  Hauptkadenz  ist  sehr  einfach,  thematisch  an 
die  Arie  angelehnt,  indem  sie  einige  Formeln  der  Arie  selbst  wieder- 
holt. Wie  wir  später  sehen  werden,  wurde  in  der  ersten  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts  die  Kadenz  regelmäßig  thematisch  gestaltet.  Erst 
später,  von  etwa  1750  an,  tritt  ihr  die  reine  Sängerkadenz  gleichberechtigt 
zur  Seite,  die  nur  die  Bedeutung  hat,  die  Arie  mit  einer  schön  gestalteten 
Phrase  ausklingen  zu  lassen,  und  dem  Sänger  Gelegenheit  zu  geben,  eine 
ihm  genehme  Bravour  zu  entfalten. 

Keiser  ist  wohl  der  erste  deutsche  Komponist,  der  Verzierungen, 
insbesondere  den  Vorschlag  vielfach  in  kleinen  Noten  ausschreibt.  Noch 
Kusser  braucht  sie  nicht,  Keiser  aber  schon  von  1698,  dem  Adonis 
an,  ohne  aber  mit  dem  alten  Brauch  sie  auszulassen,  oder  in  mensurierten 
W7erten  zu  notieren,  ganz  zu  brechen.  Die  Praxis  schwankt  auch  später: 
Händel  verschmäht,  mit  seltenen  Ausnahmen,  die  kleine  Note  ebenso  wie 
Scarlatti,  J.  S.  Bach  bedient  sich  ihrer  überall.  Keiser  verziert  so 
reichlich,  wohl  mit  Rücksicht  auf  sein  wenig  geschultes  Sängerpersonal, 
daß  kaum  wesentliche  Zusätze  —  immer  die  Veränderung  des  ersten 
Teils  als  da  capo  und,  die  Kadenz  ausgenommen  —  notwendig  er- 
schienen sein  dürften.    Ausgeschriebene  Vorschläge  erweisen   sich   regel- 


S4  Erster  Teil. 

mäßig  als  jambische,  die  kleinen  Noten  bedeuten  ihm  bereits  lange,  ver- 
änderliche, und  kurze,  unveränderliche  Yorschläge  zugleich.  Auf  ihre 
Interpretation  können  wir  erst  im  nächsten  Kapitel  eingehen.  Seine 
Triller  bezeichnet  er  überall  mit  t,  ohne  Unterscheidung  kurzer  und  langer 
Formen,  auf  die  kurze  Form  folgt  häufig  ein  doppelter  Nachschlag  (J  3  a). 
Die  Zusammenstellung  langer  Triller  mit  Nachschlag  zum  Kettentriller  ist 
ihm  ebenso  geläufig  wie  Händel.  Die  kleine  Note  vor  dem  Triller  be- 
deutet den  Einsatz  mit  der  oberen  Elilfsnote  als  Vorhalt,  also  den  Triller 
mit  appui  der  Franzosen.  Den  Schleifer  schreibt  er  bald  in  kleinen 
Typen,  bald  eingeteilt,  ohne  daß  eine  unterschiedliche  Ausführung  nach- 
weisbar wäre.  Häufig  gebraucht  er  die  gehauchte  Yokalisation  auch  zu 
tonmalerischen  Zwecken.     (J  3  b.) 


ZWEITER  TEIL. 

Die  Ornamentik  des  18.  Jahrhunderts  seit  dem 
Erscheinen  von  Tosis  „opinioni"  von  1723. 


Kapitel  I. 
Die  deutsche  Theorie. 

Die  erste  Gesangsschule,  alle  Gegenstände  des  Gesanges  umfassend, 
rührt  von  dem  Italiener  Pierfrancesco  Tosi  her.  Die  Verzierungslehre  ist 
hier  einer  ausführlichen  Würdigung  unterzogen.  Das  Werkchen  muß  eine 
außerordentliche  Autorität  besessen  haben,  denn  noch  1757  legte  es 
Johann  Friedrich  Agricola  seiner  „Anleitung  zur  Singkunst"  in  der 
Form  zugrunde,  daß  er  zunächst  eine  Übersetzung  des  italienischen 
Originals  gibt1)  und  dann  Erläuterungen  und  Zusätze  anfügt.  Durch  sie 
erhält  Tosis  Buch  erst  wahren  Wert;  denn  seine  unklare,  einer  zweifellosen 
Auslegung  hinderliche  Ausdrucks  weise,  der  Mangel  an  Notenbeispielen2) 
erschwert  uns,  die  wir  der  Praxis  der  Zeit  fernstehen,  die  Interpretation 
des  Textes  in  solchem  Grade,  daß  es  ohne  seine  deutsche  Übersetzung 
und  Agricolas  Zusätze  eine  erhebliche  Bereicherung  unseres  Wissens 
kaum  bedeutete.  In  folgendem  wird  deshalb  von  Agricolas  Über- 
setzung auszugehen  sein,  und  Tosis  Original  nur  wo  notwendig  heran- 
gezogen  werden. 

Die  Festlegung  der,  wie  wir  sahen,  so  bedenklich  schwankenden 
Praxis  war  ein  unabweisbares  Bedürfnis  geworden.  Nun  dürfte  es  aber 
kaum  zu  ihr  gekommen  sein,  wenn  nicht  der  Aufschwung  der  Kammer- 
musik gerade  in  Deutschland,  die  steigende  Beliebtheit  des  konzertierenden 
Violin-,  Flöten-  und  Klavierspiels  eine  theoretische  Literatur  des  Gegen- 
standes gefordert  hätte,  die  auf  die  Verzierungslehre,  als  einen  ihrer 
wichtigsten  Zweige,  nicht  verzichten  konnte.  So  kam  es,  daß  deutsche 
Musiker  zuerst  eine  literarisch-wissenschaftliche  Verarbeitung  einer  im 
Grunde  genommen  rezipierten,  Franzosen  und  Italienern  verdankten 
Lehre  vornahmen.     Agricolas  „Singekunst"  von   1757  war  Quantzens 


1)  Neuausgabe  des  ital.  Originals,   Neapel,    1904. 

2)  Die   englische  Ausgabe   von   1743    hat    einige  Beispiele,    die   aber  wohl   kaum   dem 
Verfasser  selbst  zu  danken  sind. 


96  Zweiter  Teil. 

„Versuch  einer  Anweisung,  die  Flöte  traversiere  zu  spielen",  17521) 
Ph.  E.  Bachs  „Versuch  über  die  wahre  Art,  das  Ciavier  zu  spielen",  17532) 
und  Leopold  Mozarts  „Versuch  einer  gründlichen  Violin-Schule",  1756 
vorausgegangen.  Das  Erscheinen  so  umfangreicher  Lehrbücher  für  die 
ausübende  Kunst  in  der  Folge  weniger  Jahre  beweist  das  Bedürfnis. 
Für  das  Generalbaßspiel  hatte  ihm  Heinichens  „Neu  erfundene  und 
gründliche  Anweisung"  von  1711  entsprochen.  Alle  diese  Werke  nun 
beschäftigen  sich  mit  den  Verzierungen,  ihrem  Wesen,  der  Kunst  sie 
anzubringen,  des  Veränderns  und  Kadenzierens  aufs  ausführlichste,  ja  man 
kann  sagen,  sie  stellen  sie  geradezu  in  den  Mittelpunkt  des  Systems.  Nur 
wer  glücklich  und  geschickt  auszuschmücken  und  zu  kadenzieren  verstand, 
konnte  als  echter  Virtuose,  gleichviel  ob  Instrumentalist  oder  Sänger  gelten. 
Diesen  Werken  schließt  sich  später  eine  umfangreiche  Literatur  in 
Deutschland  an.  Die  mehr  oder  weniger  ausführlichen  Anweisungen  in 
den  Lehrbüchern  oder  in  Einleitungen  zu  praktischen  Musikwerken  ent- 
nehmen, meist  ohne  Quellenangabe,  ihren  Inhalt  den  oben  angeführten 
Büchern.  Hierhin  gehören:  Paulsen,  Peter,  „Ciaviermusik  zu  ernsthaften 
und  scherzhaften  Liedern",  1766;  Löhlein,  Georg  Simon,  „Clavierschule", 
1773;  Hiller,  Johann  Adam,  „Anweisung  zum  musikalisch -richtigen"  und 
„Anweisung  zum  musikalisch-zierlichen  Gesang",  1780;  Petri,  „Anleitung 
zu  praktischer  Musik",  1782;  Bach,  Johann  Christoph,  „Musikalische 
Nebenstunden",  1787;  Wald  er,  „Anleitung  zur  Singekunst",  1788;  Türk, 
Daniel  Gottlieb,  „Clavierschule  oder  Anweisung  zum  Ciavierspiel  für 
Lehrer  und  Lernende,  1789;  Müller,  Aug.  Eberh.,  „Fortepianoschule", 
ohne  Datum   (etwa  1815). 

Wir  nähern  uns  der  Periode,  die  den  Reichtum  und  das  Über- 
gewicht der  deutschen  Musik  begründet  hat,  der  Zeit  J.  S.  Bachs  und 
Hand  eis,  und  somit  stehen  wir  vor  der  Frage,  einmal:  sind  wir  heute 
noch  in  der  Lage,  ihre  Werke  so  auszuführen,  wie  ihre  Schöpfer  sie  ge- 
hört haben?  und  wenn  wir  sie  bejahen:  erreichen  wir  mit  einer  solchen 
Exekution  den  wichtigsten  Zweck,  sie  in  ihrem  geistigen  Gehalte  dem 
Empfindungsleben  der  Gegenwart  näher  zu  rücken?  Es  ist  über  diese 
Fragen  viel  geschrieben  worden,  ohne  daß  es  zu  einem  Ausgleich  zwischen 
dem  philologisch-puristischen  Standpunkt  und  demjenigen  der  Praktiker 
gekommen  wäre.3)  Hier  habe  ich  mich  nur  über  das  Verzierungs- 
wesen der  vokalen  Musik  zu  äußern.  Ist  es  zum  Verständnis  und 
Genuß    des    alten    klassischen    Kunstwerkes    überhaupt    nötig    es    auszu- 

A)  Neuausgabe  A.  Schering,  Leipzig  1906. 
2)  Neuausgabe  W.  Niemann,  Leipzig  1906. 

8)  Siegfried  Ochs  hat  in  einem  Aufsatz  der  Allgemeinen  Musik -Zeitung  1903  Nr.  24 
im  Sinne  einer  modernen  Lösung  der  Frage  Stellung  genommen. 


Zweiter  Teil.  97 

schmücken,  oder  genügt  nicht  vielmehr,  das  zu  bringen,  was  die  Meister 
niedergeschrieben  haben?  Für  Bach  ist  die  Frage  leichter  zu  lösen,  als 
für  seine  Zeitgenossen.  Wie  oben  angedeutet,  bedingte  die  polyphone, 
harmonisch  komplizierte  Behandlung  seiner  Begleitung,  sowie  die  Ausge- 
staltung seiner  Arienform  eine  fast  lückenlose  Niederschrift  der  ornamentalen 
Zutaten.  Deshalb  kann  bei  ihm  von  wesentlichen  Veränderungen  nicht 
die  Rede  sein.  Ein  weites  Feld  der  freien  Interpretation  eröffnet  sich 
dem  modernen  Sänger  auch  hier,  wo  es  sich  um  die  Art  der  Ausführung 
seiner,  durch  Zeichen  oder  kleine  Noten  angedeuteten  Yerzierungen 
handelt.  Nur  aus  dem  Geiste  jener  Zeit  heraus,  der  sich  uns,  in  erster 
Linie  in  den  Schriften  der  Theoretiker,  offenbart,  darf  sie  einsetzen. 
Anders  liegen  die  Verhältnisse  bei  Händel,  der  ganz  auf  dem  Boden  der 
Italiener  stehend,  Yerzierungen,  und  nunmehr  auch  Kadenzen  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  dem  Ausführenden  überläßt.  Nun  bin  ich  der  Meinung, 
daß  wir  das  Recht  und  die  Pflicht  haben,  hier  nur  insoweit  zuzusetzen, 
als  die  melodische  Linienführung  es  wirklich  erheischt;  der  Beweg- 
grund der  alten  Sänger,  dem  selbst  Händel  nachgab,  durch  Fiorituren 
zu  glänzen,  muß  heut  fortfallen.  Jede  Verzierung  muß  den  Gang  der 
Melodie  verbessern  und  kann  in  unseren  Augen  nur  als  Ausdrucks- 
mittel bestehen,  nie  aber  als  äußerlicher  Aufputz.  Diesen  Standpunkt 
vertreten  auch  die  alten  Theoretiker,  wie  denn  Ph.  E.  Bach  ausführt: 
„sie  (die  Manieren)  helfen  den  Inhalt  der  Noten  erklären,  sie  geben  einen 
ansehnlichen  Teil  der  Gelegenheit  und  Materie  zum  wahren  Vortrag", 
und  Tosi  sagt  sehr  husch:  che  (sc.  iL  passo)  sia  prodotto  piü  dal  cuore, 
che  dalla  voce  per  insinuarsi  piü  facilmente  nell'intemo,  „mehr  die 
Empfindung  als  die  Stimme  müsse  die  Passaggie  vorbringen,  um  unser 
Inneres  desto  leichter  zu  rühren".  (Agricolas  Übersetzung.)  Die  Alten 
stecken  aber  so  tief  in  der  italienischen  Sängerpraxis,  ihre  Ohren  waren 
an  die  Überladung  durch  ruhelose  Bewegungen,  an  die  Umlegung  und 
Zerlegung  gerader  Linien  in  ungezählte  Rundungen  in  solchem  Grade 
gewöhnt,  wie  wir  aus  den  Bearbeitungen  Hillers  eigener  Arien  und 
solcher  italienischen  Meister,  die  allerdings  dem  „galanten",  nicht  dem 
, pathetischen"  Stile  angehören,  ersehen,  daß  ihnen  noch  als  ausdrucksvolle 
Verbrämung  gilt,  was  uns  heute  als  überflüssiges,  ja  schädliches  Beiwerk, 
als  Spielerei  einer  virtuosen  Kehle  erscheint.  Der  Maßstab  hat  sich  eben 
verschoben,  wir  hören  mit  anderen  Ohren  als  sie.  Selbst  eine  voll- 
ständig zuverlässige  Niederschrift  eines  der  größeren  Oratorien 
Händeis,  wie  es  unter  seiner  Leitung  gesungen  wurde,  könnte 
heute  für  uns  nicht  mehr  bilden,  als  ein  interessantes  Denkmal, 
eine  lehrreiche  Anleitung,  aber  den  Wert  eines  unverbrüchlichen 

7 


98  Zweiter  Teil. 

Kanon  könnte  sie  nicht  beanspruchen.1)  Nichtsdestoweniger  darf 
sich  die  freie  Auszierung  und  die  Ausführung  der  Verzierungen  nicht 
etwa  als  eine  lediglich  auf  modernem  Musiksinn  fußende  Zutat  äußerlich 
und  fremd  hinzugesellen,  sie  muß  den  Grundregeln  der  alten  Theoretiker, 
welche  die  Praxis  ihrer  Zeit  wiedergeben,  gerecht  werden,  und  nur 
soweit  eine  mehrfache  Deutung  möglich  ist,  wird  sie  die  einfachere,  sich 
unserem  mehr  syllabischen  als  melismatischen  Empfinden  nähernde  Form 
annehmen.  Eine  korrekte  Ausführung  der  vorgeschriebenen  Verzierungen 
sowohl,  als  eine  Ergänzung  der  melodischen  Linie  durch  Hinzufügung 
ausschmückender  Tonformeln,  setzt  die  Kenntnis  der  Verzierungslehre  der 
alten  Theorie  voraus.  Nur  aus  ihrem  Geiste  heraus  wird  sie  zu  gestalten 
sein,  stilgerecht  und  modern  zugleich.  Die  folgende  Entfaltung  der  Lehre 
hält  sich  in  erster  Linie  an  Tosi-Agricola  und  zieht  die  anderen  Autoren 
ergänzend  und  berücksichtigend  hinzu.  Wir  werden  sehen,  daß  sie  nicht 
selten  in  ihren  Meinungen  auseinandergehen;  dann  werden  uns  die  bisher 
gewonnenen  Resultate  gute  Dienste  leisten.  Unser  Stoff  zerlegt  sich  in  die 
Betrachtung  der  Manieren,  ihre  Ausführung  und  Anbringung,  der  Passaggien, 
der  Veränderungen  und  der  Ausschmückung  des  Rezitativs  und  der  Arie. 

A.    Die  Manieren. 

Allgemeines. 
Während  die  anderen  Autoren  sofort  mit  der  Behandlung  der  Manieren 
einsetzen,  eröffnet  Ph.  E.  Bach  seine  Lehre  mit  allgemeinen  Betrachtungen.2) 
Ihre  ästhetische  Bedeutung  erfaßt  er  dahin:  „sie  hängen  die  Noten  zusammen ; 
sie  beleben  sie;  sie  geben  ihnen,  wenn  es  nötig  ist,  einen  besonderen  Nach- 
druck und  Gewicht;  sie  machen  sie  gefällig  und  erwecken  folglich  eine 
besondere  Aufmerksamkeit;  sie  helfen  ihren  Inhalt  erklären;  es  mag  dieser 
traurig  oder  fröhlich,  oder  sonst  beschaffen  seyn  wie  er  will,  so  tragen  sie 
allezeit  das  ihrige  darzu  bey;  sie  geben  einen  ansehnlichen  Theil  der  Gelegen- 
heit und  Materie  zum  wahren  Vortrage;  einer  mäßigen  Composition  kan 
durch  sie  aufgeholfen  werden,  dahingegen  der  beste  Gesang  ohne  sie  leer  und 
einfältig,  und  der  kläreste  Inhalt  davon  allezeit  undeutlich  erscheinen  muß."3) 
Wir  ersehen  hieraus,  wie  bereits  oben  angedeutet,  daß  die  alte  Theorie 
die  Manieren  ästhetisch  als  Vortragseffekte  betrachtet;  sie 
kommen,  und  das  wiederholen  neben  Bach  auch  alle  anderen  Bearbeiter 
der  Lehre,  in  erster  Linie  der  Belebung  des  Vortrages  zustatten  und  sollen 
eben   nur   dann   und   dort  eintreten,   wo   sie  diese  Funktion  zu  verrichten 


1)  Ich  komme  später  auf  diesen  Gegenstand  noch  ausführlicher  zu  sprechen. 

2)  I.  Teil,  II.  Hauptstück,  I.Abteilung:  „Von  den  Manieren  überhaupt",  Neudruck  S.  24. 

3)  Vgl.  hierzu  auch  die  Vorrede  zu  Oden  mit  Melodien,    1761,  bei  Friedländer,  „Das 
deutsche  Lied  im    18.  Jahrhundert",   Bd.  I,  S.  168. 


Zweiter  Teil.  99 

• 
berufen  sind.    Das  immer  wieder  zu  betonen  geboten  die  Ausschreitungen 

der  Praxis,  von  denen  uns  vielfach  berichtet  wird.  Die  Yirtuosen-Sänger, 
denen  es  zunächst  darauf  ankam,  Beifall  zu  erringen,  betrachteten  die 
Einstreuung  der  Yerzierungen  durchaus  nicht  unter  diesem  Gesichtspunkte, 
sondern  als  die  Handhabe,  durch  ihre  Geläufigkeit  und  besonderes  Ver- 
mögen technischer  Fertigkeit  Aufsehen  zu  erregen.  Eine  gewisse  Nach- 
giebigkeit der  Produzierenden,  von  der  im  ersten  Teile  wiederholt  die  Rede 
war,  ihr  an  sich  berechtigtes  Eingehen  auf  die  Individualität  des  Vor- 
tragenden bestärkte  die  virtuosen  Ansprüche  und  ließ  sie  zu  kunstverderb- 
lichem Überm ute  ausarten.  Das  wirkte  naturgemäß  auch  auf  streng  gesinnte, 
ernste  Komponisten  zurück.  Um  gesungen  zu  werden,  um  die  Lust  der 
Sänger  zu  erwecken,  von  denen  sie  ja  in  der  Oper  in  weit  höherem  Grade 
abhängig  waren  als  heute,  beluden  sie  schon  die  Uraufzeichnungen  mit 
gefälligen  und  virtuosen  Zutaten.  Selbst  das  den  Dilettanten  vorbehaltene 
Lied  überwuchert  streckenweise  ein  gespreizter,  unnatürlicher  Kram  solcher 
äußerlichen  Zutaten,  gegen  den  eine  gesunde  Anschauung  zu  protestieren 
nicht  versäumte.1)  In  der  Oper  beobachten  wir  einen  ständigen  Kampf 
zwischen  Praxis  und  Theorie.  Aus  zahlreichen  Lehrbüchern,  Berichten 
und  Briefen  der  Zeit  wissen  wir,  daß  diese  die  Vereinfachung  und  Ein- 
schränkung der  Ornamentik  auf  die  Ergänzung  der  Melodie  und  auf  die 
Variation  gleichlautender  Phrasen  in  der  Wiederholung  anstrebt,  jene  aber 
in  ihr  das  Mittel  selbstsüchtiger  Zurschaustellung  koloristischer  Begabung 
erblickt.  Selbst  die  Freunde  des  virtuosen  Kunstgesanges  bekennen  sich 
theoretisch  immer  nur  zu  jenem  Standpunkte.  Der  Kapellmeister  und 
Komponist  Vincenzo  Manfredini2)  (1737  — 1799),  dem  eine  reiche 
Erfahrung  zur  Seite  stand,  ein  durchaus  gewiegter  Praktiker  und  Kenner 
des  Opernwesens  seiner  Zeit,  ein  Verteidiger  des  kolorierten  Stiles  und 
der  neapolitanischen  Schule  überhaupt  gegenüber  jener  neueren  des  Jomelli, 
Perez,  Traetta,  Haße  und  anderer,  die  von  der  Heerstraße  abwichen3), 
geht  auf  unseren  Gegenstand  ausführlich  ein.  Auch  er  verwirft  die  Melis- 
matik  überhaupt  für  diejenigen  Situationen,  welche  eine  kräftige  Sprach- 
diktion erheischen,  hält  sie  aber  mit  Berufung  auf  ältere  Meister,  wie 
Scarlatti,  Del  Sarto,  Vinci,  Gasparini,  Leo,  Porpora,  ja  merk- 
würdiger Weise  Fux  und  den  Sänger  Bernacchi  für  notwendig,  die 
allzuhäufige  Wiederholung  der  Textworte  zu  vermeiden  und  die  Stimme 
zu  zeigen.  Auch  bei  ihm  strenge  Zurückweisung  der  Koloratur  als  äußer- 
licher Aufputz  zugunsten  beifallssüchtiger  Sänger. 


»)   Vgl.  Friedländer,  a.  o.  O.,  I.  Bd.,    i.,  S.  168. 

2)  Regole  harmoniche,  o  sieno  precetti  ragionati  per  apprendere  i  principi  della  musica, 
Venezia  1775. 

8)  Vgl.  Kretzschmar :    „Zum  Verständnis  Glucks",  Jahrb.  der  Musikbibl.  Peters  1903. 

7* 


100  Zweiter  Teil. 

Für  uns  sind  diese  Anschauungen  umsomehr  verbindlich,  als  unser 
Musiksinn  durch  die  Entwicklung  der  Musik  im  19.  Jahrhundert  auf 
syllabischen  Gesang  erzogen  ist.  Wir  dürfen  also  weiter  gehen  als  die 
Alten.  Vieles,  was  den  Alten  noch  zusagte,  wird  uns  abstoßen.  Wir 
werden  uns  darauf  zu  beschränken  haben,  die  Melodie  abzurunden,  wo 
sie  eckig  erscheint.  Uns  Modernen  steht  die  Pflicht,  die  großen  Meister- 
werke des  18.  Jahrhunderts  dem  Empfinden  des  modernen  Hörers  zu 
erschließen,  höher  als  die  philologisch  gewissenhafte  Ausführung  im  Sinne 
der  Alten.  Wir  werden  daher  aus  dem  Bestreben  heraus  zu  verzieren 
haben,  daß  die  ästhetische  Wirkung  nicht  versage,  daß  die  melodische 
Linie  die  musikalisch  richtige,  unserem  Ohr  angenehme  Abrundung 
erhalte,  selbst  auf  die  Gefahr  hin,  einmal  anders  zu  verfahren,  als  der 
Geschmack  der  Alten  erforderte,  immer  die  Einhaltung  ihrer  wesentlichen 
Normen  vorausgesetzt,  die  von  den  unwesentlichen,  dem  Zeitgeschmack 
unterworfenen  zu  scheiden,  eine  Hauptaufgabe  dieser  Abhandlung  be- 
deutet. 

Aber  Ph.  E.  Bachs  Ausführungen,  von  denen  wir  ausgingen,  sind 
auch  geschichtlich  interessant,  und  für  die  Auslegung  der  üblichen  Zeichen 
von  Bedeutung.  Er  erzählt,  daß  die  Franzosen  besonders  sorgfältig  in 
der  Bezeichnung  ihrer  Stücke  gewesen,  und  die  Deutschen  ihnen  gefolgt 
seien,  sich  aber  größerer  Zurückhaltung  in  der  Anwendung  der  Zier- 
rate befleißigt,  und  so  auch  auf  jene  einen  mäßigenden  Einfluß  aus- 
geübt hätten.  Für  die  Klavieristen  liege  die  Sache  insofern  günstig,  als 
sie  gewisse  Kennzeichen  gegeben  hätten,  wodurch  die  Art,  ihre  Stücke 
zu  spielen,  deutlich  angedeutet  worden  sei.  Den  andern,  Sängern  also 
insbesondere,  werde  die  Lehre  von  den  Manieren  dadurch  viel  saurer, 
als  man  „durch  wenige  Zeichen  alles  andeuten  will"  und  so  seien  „viele 
undeutliche,  ja  falsche  Zeichen  entstanden,  sodaß  viele  Sachen  nicht 
gehörig  ausgeführt  werden".  Man  verwechsle  so  außerhalb  des  Klavier- 
spiels den  Mordent  mit  dem  Triller,  und  die  Wirkung  sei  oft  eine  recht 
unangenehme.  Bach  stellt  dann  fest,  daß  man  „bey  dem  heutigen 
Geschmack,  wozu  die  italienische  gute  Sangesart  ein  Ansehnliches  mit 
beygetragen  hat,  nicht  mit  den  französischen  Manieren  allein  auskommen" 
könne.  So  habe  er  denn  die  Manieren  mehr  als  einer  Art  zusammen- 
tragen müssen.  Die  beste  Manier  sei  diejenige,  welche  „auf  eine  geschickte 
Art  das  Propere  und  Brillante  des  französischen  Geschmackes  mit  dem 
Schmeichelhaften  der  welschen  Sangesart  zu  vereinigen  weiß".  Was  Bach 
hier  berichtet,  gilt  auch  für  Agricola  und  die  Lehrer  der  anderen 
Instrumente.  Auch  in  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  hatte  sich  eine 
feste  deutsche  Praxis  noch  nicht  entwickelt,  sie  war  stets  darauf  ange- 
wiesen,   an    fremden  Quellen    Ergänzung    und    Entscheidung    einzuholen. 


Zweiter  Teil.  101 

I.  Der  Vorschlag. 

a)  Begriff  and  Arten. 

Eine  bündige  Definition  dieses  Begriffes  sucht  man  vergeblich. 
Leopold  Mozart  sagt:  „Die  Vorschläge  sind  kleine  Nötchen,  die 
zwischen  den  gewöhnlichen  Noten  stehen,  aber  nicht  zum  Takte  gerechnet 
werden",  also  so  gut  wie  nichts  zum  Wesen  der  Sache.  Wir  sind  auf  die 
weitläufigen  Erörterungen  angewiesen,    aus    ihnen  den  Begriff  auszulösen. 

Gingen  die  bisher  angezogenen  Lehren  von  der  rhythmischen 
Alteration  der  Hauptnoten,  die  Franzosen  insbesondere  von  der  Zerlegung 
der  ersten  Hauptnote  beim  Port  de  voix  aus,  so  tritt  nun  eine  andere 
Betrachtungsweise  in  den  Vordergrund:  die  harmonische.  Der  Vorschlag 
gilt  Quantz1)  wie  Bach2)  „als  Aufhaltung  der  Harmonie".  Die  Vor- 
schläge, sagt  Bach,  „halten  die  Harmonie  auf,  welche  der  Grundnote 
eigentlich  zukommt",  und  Quantz  meint,  man  muß  „die  Vorschläge  mit 
der  Zunge  weich  anstoßen,  und  wenn  es  die  Zeit  erlaubt,  an  Stärke  des 
Tones  wachsen  lassen,  die  folgende  Note  aber  etwas  schwächer  daran- 
schleifen. Die  Art  der  Ausführung  wird  der  Abzug  genennet  und  hat 
von  den  Italienern  ihren  Ursprung".  Während  also  bisher  die  Vorschlags- 
note als  harmonisch  indifferente  Einschiebung  einer  Nebennote  zwischen 
zwei  Hauptnoten  fungierte,  erscheint  sie  hier  in  der  Funktion  einer 
harmonischen  Alteration.  Wie  oben  bei  der  Besprechung  der  französischen 
Instrumentalpraxis  ausgeführt  worden,  verwandelten  die  französischen 
Klavieristen  und  Violinisten  den  port  de  voix  in  eine,  der  älteren  Zeit  fremde 
Figur,  indem  sie  die  Hilfsnote  auf  der  Thesis  eintreten  ließen  und  ihr  die  Hälfte 
des  Wertes  der  Hauptnote  gaben,  was  bereits  auf  eine  harmonische  Auffassung 
hinweist.  Verfolgen  wir  aber  die  weiteren  Ausführungen  Quantz 's,  so  wird 
klar,  daß  sich  diese  harmoniealterierende  Eigenschaften  der  Vorschläge  nur 
auf  seine  anschlagenden,  welche  von  den  anderen  Autoren  veränder- 
liche, also  in  unserem  Sinne  lange,  genannt  werden,  beziehen,  die  auf  den 
Niederschlag,  also  die  Thesis  fallen,  während  seine  durchgehenden  — 
die  unveränderlichen,  kurzen  der  anderen  Autoren  —  nach  wie  vor 
lediglich  als  ausschmückende  Tonformeln  erscheinen,  denen  harmonische 
Bedeutung  nicht  beiwohnt.  Quantz  bezeichnet  diese  —  wie  wir  noch  sehen 
werden  jambisch  kurz  angewandten  Vorschläge  —  als  der  französischen 
Spielart  eigen,  aus  der  sie  stammen.  Die  Italiener,  wenn  wir  Quantz 
glauben  wollen,  nach  unserer  Darlegung  die  französischen  Instrumentalisten, 
erfaßten  also  als  eine  Verzierung  in  einer  kleinen  nicht  mensurierten  Note, 

*)  „Versuch",   VIII.  Hauptstück,  Neudruck  S.   28. 

2)  „Versuch",  II.  Teil,  Kapitel  25,  Neudruck  S.  22,  also  nicht  bei  der  eigentlichen 
sedes  materiae. 


102 


Zweiter  Teil. 


welche  harmoniealterierend,  in  der  Regel  als  Dissonanz  auftrat,  jene 
melodische  Ausschmückung  des  Vorhalts,  der  wir  in  unzähligen  Fällen  in 
der  Literatur  des  17.  Jahrhunderts  in  ausgeschriebenen  Werten  begegnen. 
Leider  erfahren  wir  nichts  über  die  Veranlassung,  welche  zu  einer  Ver- 
änderung dieser  Auffassung  des  Vorschlages  führte.  Wissen  wir  doch 
nicht  einmal  zuverlässig,  welche  Gründe  überhaupt  für  Einführung  der 
kleinen  Note  maßgebend  waren.  Einen  recht  plausiblen  Grund,  den 
eines  praktischen  Bedürfnisses,  führt  Leopold  Mozart  an.  „Man  könnte 
freylich  alle  die  absteigenden  Vorschläge  (gemeint  sind,  wie  der  Zusammen- 
hang und  das  Beispiel  ergeben,  die  veränderlichen,  langen)  in  große 
Noten  setzen  und  in  den  Takt  austeilen.  Allein,  wenn  ein  Spieler  darüber 
kömmt,  der  nicht  kennet,  daß  es  ausgeschriebene  Vorschläge  sind,  oder 
der  alle  Noten  zu  verkräuseln  schon  gewöhnet  hat  (sie)  wie  sieht  es  als- 
dann sowohl  um  die  Melodie,  als  Harmonie  aus?  Ich  wette  darauf,  ein 
solcher  schenket    noch    einen    langen  Vorschlag  dazu    und    spielet   also." 


Thema : 


t=; 


^^^ jj. 


Richtige  Ausführung: 


=3=£ 


1-4- 


iäSÜPgil 


Missverständliche  Ausführung,   wenn  die  Niederschrift  in  mensurierten  Werten  vorläge: 


Die  kleine  Note  hatte  also  den  Wert,  dem  Spieler  und  Sänger 
anzudeuten,  daß  eine  andere  Zutat  nicht  gewünscht  werde.  Teilte  man, 
wie  früher  die  Sitte,  die  Vorhaltsnote  in  den  Takt  ein,  so  lag  allerdings 
die  Gefahr  nahe,  daß  eine  Hinzufügung  die  beabsichtigte  Wirkung  der 
Aufhaltung  der  Harmonie  vereitle.  Aber  die  Nachteile  dieser  Schreib- 
weise liegen  auf  der  Hand.  Bedeutete  die  kleine  Note  bisher  eine 
wirkliche,  die  Melodie  verzierende,  für  die  Harmonie  indifferente  Aus- 
zierung,  so  sollte  sie  nunmehr  zwei  Herren  zugleich  dienen,  sie  sollte  nun 
diese  Art  und  gleichzeitig  jene  andeuten,  welche  auf  der  Alteration  der 
Stammharmonie  beruht.  Es  hätte  nahe  gelegen,  beide  grundverschiedenen 
Figuren  durch  Zeichen  zu  differenzieren.  Man  beließ  aber  die  kleine  Note 
für  die  alte  Bestimmung  einer  melodischen  Auszierung,  und  berief  sie 
gleichzeitig,  die  harmonische  Alteration  anzuzeigen,  es  dem  Ausführenden 
überlassend,  in  welchem  Sinne  er  sie  deuten  wolle. 


Zweiter  Teil.  103 

Läge  die  Sache  nun  so,  daß  nur  in  jedem  Einzelfalle  zu  entscheiden 
wäre,  wo  c|iese>  wo  jene  Bedeutung  anzunehmen,  also  festzustellen  wäre, 
wo  ein  veränderlicher  langer,  wo  ein  unveränderlicher  kurzer  Vorschlag 
gemeint  sei,  so  wäre  das  zwar  eine  nicht  immer  leichte,  aber  doch,  ver- 
möge der  zahlreichen  von  den  Theoretikern  gegebenen  Regeln,  sichere 
Entscheidung.  Das  Unheilvolle  der  neuen  Lehre  aber  beruht  in  ihrer 
Einwirkung  auf  den  Rhythmus  des  kurzen  Vorschlags.  Wir  konnten 
im  Laufe  der  Darstellung  feststellen,  daß  alle  Varietäten  des  kurzen  Vor- 
schlags der  Franzosen,  die  hier  in  erster  Linie  maßgebend  sind,  wesent- 
lich jambisch  waren,  also  auf  den  unbetonten  Taktteil  fielen  und  zeitlich 
der  vorangehenden  Note  abgezogen  wurden.  Wir  hatten  ferner  in  der 
italienischen  Praxis  gleichfalls  den  auf  die  Arsis  fallenden,  kurzen  Vor- 
schlag schon  von  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  an  in  solchem  Grade 
überwiegend  gefunden,  daß  die  kleine  Note  als  trochäischer  Rhythmus 
zur  Ausnahme  wird.  Auch  für  das  deutsche  Kunstgebiet  ließ  sich  er- 
weisen, daß  die  kleine  Note  regelmäßig  als  anticipatione  della  sillaba  auf- 
tritt. Nun,  in  der  neuen  Lehre  entsteht  eine  unheilvolle  Verquickung  der 
so  grundverschiedenen  Begriffe  des  harmonieverändernden  langen,  und  des 
kurzen,  unveränderlichen,  harmonisch  indifferenten  Vorschlags.  Agricola 
lehrt  nämlich:  „alle  Vorschläge  werden  zu  der  Zeit  angegeben,  wenn  die 
Note,  vor  welcher  man  sie  anbringt,  ihrer  eigentlichen  vorgeschriebenen 
Geltung  nach  eintreten  soll,  also  mit  dem  Basse  und  den  anderen  Be- 
gleitungsstimmen dieser  Hauptnote  des  Gesanges  zugleich.  Sie  gehören 
demnach  alle  in  die  Zeit,  nicht  der  vorhergehenden,  sondern  der  auf  sie 
folgenden  Note;  und  diese  Note  verliert  folglich  von  der  Dauer,  welche 
sie  ihrer  Geltung  nach  haben  sollte,  soviel,  als  dem  Vorschlage  gegeben 
wird."  Ahnlich  Bach,  der  für  den  kurzen  Vorschlag  noch  hinzufügt,  er 
sei  „so  kurtz  abgefertigt,  daß  man  kaum  merckt,  daß  die  folgende  Note 
an  ihrer  Geltung  etwas  verliehret".  Hiernach  könnte  man  annehmen,  sei 
der  jambische  Vorschlag,  der  bisher  die  französische,  italienische  und 
deutsche  Praxis  beherrschte,  eliminiert  und  durch  die  kurze  trochäische 
Note  ersetzt  worden.  Selbst  wenn  wir  nicht  gegenteilige  Zeugnisse  be- 
säßen, dürfte  man  sich  zu  dieser  Annahme  nicht  entschließen.  Die  kurze, 
auf  die  Arsis  gelegte  Note  ist  als  reine  Melodieverzierung  natürlicher, 
zierlicher  und  lebhafter,  als  die  schwere  trochäische.  Der  Eigenschaft, 
lediglich  zu  verzieren,  ohne  die  melodische  Linie  zu  alterieren,  und  die 
Harmonie  zu  tangieren,  kommt  sie  näher  als  diese,  die  allemal,  auch  wenn 
sie  noch  so  kurz  abgefertigt  wird,  immer  eine  empfindliche  Rückung  und 
Harmoniealteration  bedingt.  Schon  aus  diesem  Grunde  könnte  man 
zweifeln,  ob  Bach  und  Agricola  die  gemeine  Praxis  ihrer  Zeit  über- 
liefern.     Daß     dies     nicht     der     Fall,    wird     zur    Gewißheit    durch     die 


104  Zweiter  Teil. 

Lektüre  des  Quantz  und  Leopold  Mozart.  Beide  begreifen  zwar  auch, 
wie  Bach  und  Agricola,  unter  Vorschlag  die  harmonische  Aufhaltung 
und  die  rein  melodische  Auszierung,  unterscheiden  aber  doch  wiederum 
logisch  und  der  geschichtlichen  Entwicklung  gemäß,  indem  sie  anschlagende, 
das  sind  lange  Vorschläge,  und  durchgehende,  das  sind  kurze  Vorschläge 
so  scheiden,  daß  jene  „in  den  Niederschlag"  treffen  (Quantz),  diese  aber 
der  Arsis  entfallen  und  „nicht  stark,  sondern  ganz  schwach  gegriffen" 
werden  (L.  Morzart).1)  Nach  Quantz2)  sind  kurze  Vorschläge  also 
nicht  wie  Bach- Agricola  wollen,  auszuführen: 

:E=E^=E£j£Efr     sondern:     [fcE^j^tEj 


m 


wobei  die  Unterscheidung  vom  Nachschlag  durch  Anstoß  der  zweiten  und 
vierten  Note  bewirkt  wird.  Aber  Agricola  selbst  hält  es  doch  für  nötig 
wenigstens  zu  referieren:  „einige  berühmte  Ausführer  wollen  die  beyden 
ersten  (sc.  kleine  Noten  zwischen  Terzen)  mit  in  die  Zeit  der  vorher- 
gehenden Note  gerechnet  wissen;  doch  so,  daß  dem  Vorschlag,  um  ihn 
von  einem  Nachschlag  der  vorigen  Note  zu  unterscheiden,  ein  gelinder 
Hauch  gegeben,  und  im  übrigen  in  allem  wie  ein  anderer  Vorschlag 
behandelt  werde"  —  folgt  ein  Notenbeispiel,  demjenigen  des  Quantz 
entsprechend  — .  „Sie  wollen  damit  den  Ausdruck  dieses  Vorschlages 
von  dem  Ausdruck  einer  anderen,  ordentlich  geschriebenen  (das  heißt  also 
mensurierten)  Figur  von  eben  diesen  Tönen,  wo  die  erste  Note  kürtzer 
ist  als  die  zweyte,  und  welche  dem  lombardischen  Geschmack  vorzüglich 
eigen  ist,  unterscheiden. 


Doch  geben  sie  zu,  „daß  bey  dieser  Figur  die  erste  Note  stärker  und 
schilrfer  angegeben  werden  muß,  als  wenn  sie  ein  Vorschlag  wäre". 
Hieraus  folgt,  daß  Agricola  und  Bach  in  „berühmten  Ausführern" 
Gegner  hatten,  daß  also  eine  Kontroverse  rücksichtlich  der  Ausführung 
der  kurzen,  unveränderlichen  Vorschläge  bestand.  Auf  welche  Seite  wir 
uns  zu  stellen  haben,  ist  klar.  Die  geschichtliche  Entwicklung  lehrt  uns, 
daß  der  kurze  Vorschlag,  aus  dem  Port  de  voix  hervorgegangen,  auch  in 


x)  a.  o.  O.  S.  198.  Die  Stelle  lautet:  ,,Es  gibt  auch  im  Gegensatz  zu  den  langen 
Vorschlägen,  kurze  Vorschläge,  bei  denen  die  Stärke  nicht  auf  den  Vorschlag,  sondern  auf  die 
Hauptnote  fällt.  Der  kurze  Vorschlag  wird  so  geschwind  gemacht  als  es  möglich  ist,  und 
wird  nicht  stark,  sondern  schwach  gegriffen." 

2)  a.  o.  O.  Tab.  VI,  Figur  5—7   Neudruck  S.  29/30. 


Zweitei  Teil.  105 

der  italienischen  und  deutschen  Praxis  regelmäßig  jambisch,  unbetont  war 
und  auf  die  Arsis  fiel.  Quantz  und  L.  Mozart  repräsentieren  also  hier 
die  an  die  bisherige   Übung  angeschlossene  Praxis. 

Aber  wir  können  nicht  so  weit  gehen,  zu  leugnen,  daß  der  kurze, 
unveränderliche  Vorschlag  ausnahmsweise  auch  trochäisch,  betont, 
angewendet  worden  ist.  Das  ist  ganz  außer  Frage;  denn  es  ist  undenkbar, 
daß  Agricola  und  Bach  sonst  überhaupt  auf  dieser  Art  der  Ausführung 
bestanden  hätten.  Zweifellos  haben  sie  nur  die  Ausnahme  zur  Regel  gemacht, 
nicht  aber  eine  gänzlich  unbekannte  Manier  neu  eingeführt.  Einmal  kommt 
dieser  so  rhythmisierte  Vorschlag,  ausgeschrieben,  als  lombardische  Note 
häufig  genug  vor,  daß  von  einem  gänzlichen  Verschwinden  dieses  so 
energisch  wirkenden  Rhythmus  nicht  die  Rede  sein  kann,  dann  aber  sehen 
wir  ihn  ja  auch  von  den  Theoretikern  der  französischen  Schule,  allerdings 
mehr  instrumental  als  vokal,  und  immer  erst  in  zweiter  Linie,  neben  der 
jambischen  Figur  erwähnt.  Endlich  finden  sich  zahlreiche  Stellen  der 
praktischen  Literatur,  in  denen  auf  die  Ausführung  als  Trochäus  mit 
Sicherheit  aus  den  konzertierenden  Instrumenten  dann  geschlossen  werden 
kann,  wenn  diese  unison  oder  in  Konsonanz  begleitend,  die  Figur  in  aus- 
geschriebenen Noten  aufweisen,  wo  sie  die  Singstimme  in  kleinen  Noten 
notieren.  Eine  Unterscheidung  aber  etwa  zwischen  der  kurzen  lombardischen 
Note  und  dem  trochäischen  Vorschlag  zu  konstruieren,  wie  Agricola 
andeutet,  ist  unmöglich.  Fällt  die  kleine  Note  auf  die  Thesis,  so  ist  sie 
eben  von  jener  nicht  mehr  zu  unterscheiden.  Einen  Sinn  hat  die  Unter- 
scheidung nur  für  diejenigen,  die,  wie  wir,  den  Vorschlag  regelmäßig  als 
jambisch  betrachten. 

Die  späteren  deutschen  Theoretiker  des  18.  Jahrhunderts  stehen  in 
überwiegender  Majorität  auf  dem  Standpunkte  Agricola-Bachs.  Auf- 
fallenderweise erwähnt  nur  Türk  die  Gegenmeinung  des  Quantz  und 
L.  Mozarts  und  bemerkt:  „der  Vorschlag  muß  allzeit  stärker  als  die 
Hauptnote  vorgetragen  und  letztere  an  ersteren  etwas  leise  angeschleiffet 
werden,  übrigens  muß  der  Vorschlag,  und  nicht  die  Hauptnote,  mit  der 
darunter  befindlichen  Grundstimme  zu  gleicher  Zeit  angeschlagen  werden." 
Löhlein  erwähnt  überhaupt  nur  die  langen,  veränderlichen  Vorschläge. 
Hiller    schreibt    die   Ausführung    der   unveränderlichen   Vorschläge    vor: 


Und :  ^=^r-^^|t=^p^j[=^=ii=^=f=iE 


106  Zweiter  Teil. 

und  verlangt  insbesondere  für  den  Vorschlag  vor  der  Triole,  er  müsse 
„völlig  in  die  Zeit  der  ersten  Note  eingeschlossen  werden,  ohne  daß  die 
zweyte  und  dritte  etwas  daran  verliehren".  Petri1)  lehrt  gleichfalls:  „da 
die  guten  Taktteile  und  Noten  stärker  vorgetragen  werden,  als  die  schlechten, 
so  müssen  auch  alle  Vorschläge  stärker  klingen,  als  die  Noten,  vor  denen 
sie  stehen.  Denn  sie  fallen  auf  den  ersten,  und  folglich  guten  Taktteil 
der  Note,  vor  welcher  sie  sind;  und  werden  nur  etwas  kürzer  vorgetragen, 
als  die  wirklich  ausgeschriebenen  Wechselnoten  in  den  Setzmanieren  oder 
Passagen."  Dem  widerspricht  aber,  wenn  er  an  anderer  Stelle  bemerkt: 
der  Vorschlag  sei  anzuwenden,  wie  eine  schnelle  Wechselnote  und  diese 
seien  solche  „welche  nicht  zur  Harmonie  gehören  und  bloß  der  Melodie 
wegen,  und  zur  Auszierung  des  Gesanges  vor  der  zur  Harmonie  ge- 
hörigen Hauptnote  vorhergehen".  Petri  ist  also  zwar  noch  in  der  Irrlehre 
Bach- A gricolas  befangen  und  kann  sich  noch  nicht  entschließen,  mit 
ihr  zu  brechen,  deutet  aber  die  richtige  Unterscheidung  zwischen  der  rein 
ausschmückenden,  kurzen  Apoggiatur,  und  dem  betonten  trochäischen 
Vorschlag  wenigstens  an.  Daß  aber  der  Streit  über  die  rhythmische 
Natur  des  kurzen  Vorschlags  im  Verlaufe  des  Jahrhunderts  fortdauerte, 
beweist  eine  Bemerkung  Türks2)  „andere  Tonlehrer  als  Bach  und 
Agricola  verlangen,  man  solle  diese  Vorschläge  nach  Art  der  Franzosen 
in  der  Zeit  der  vorigen  Note  angeben";  aber  auch  er  entscheidet  sich 
für  die  trochäische  Ausführung  mit  der  Begründung,  man  setze  nicht  vor- 
aus „daß  der  Componist  dabey  auf  die  französische  Spielart  oder  den 
sogenannten  lombardischen  Geschmack B)  Rücksicht  genommen  habe". 
Es  kann  also  kein  Zweifel  bestehen,  daß  die  Mehrzahl  der  Theoretiker 
des  18.  Jahrhunderts  in  Deutschland  sich  im  Anschluß  an  die  Irrlehre 
Agricola-Bachs  für  die  trochäische  Ausführung  des  kurzen  Vorschlags 
entschieden  hat,  im  Bruch  mit  der  Vorgeschichte  dieser  Verzierung  und 
ihrer  Anwendung  im  Lande  ihres  Ursprungs,  sowie  der  älteren  italienischen 
und  deutschen  Praxis.  Welchen  Standpunkt  haben  wir  nun  einzunehmen? 
Ich  sehe  davon  ab,  daß  unsere  moderne  Musik  nach  Beethoven  über- 
haupt nur  noch  den  jambischen  Vorschlag  kennt,  daß  jene  Ausführung 
also  unserem  Musikempfinden  völlig  fremd  geworden  ist,  aber  aus  inneren, 
musikalisch-rhythmischen  Gründen  trete  ich  für  die  jambische  Behandlung 
ein.  Der  kurze  trochäische  Vorschlag  muß  allemal  den  harmonischen 
Verlauf  verändern.  Dort  also,  wo  die  Vorschläge  nur  den  Zweck 
haben,    auszuschmücken,    die  Melodielinie   zu   verschönern,   wird    man   ihn 


*)  a.  o.  O.  S.  150  und   163/164. 

2)  a.  o.  O.  S.  223   ff. 

3)  Dieser  Begriff  ist  also  hier  in  umgekehrtem  Sinne  verstanden,  als  anderswo. 


Zweiter  Teil.  107 

Dur  erreichen,  wenn  man  sie  ganz  leicht  und  unbetont  vor  der  Haupt- 
note und  ihrem  Basse  einschiebt,  anderenfalls  erzeugt  sie  anstatt  der 
beabsichtigten  Glätte  geradezu  das  Gegenteil,  eine  rückende,  scharfkantige 
Bewegung.  Das  hat  denn  auch  die  Minorität  der  Lehrer  jener  Zeit,  die 
pars  minor  sed  sanior,  die  mit  ihrer  Meinung  nicht  durchdrang,  empfunden, 
wie  das  aus  den  oben  angezogenen  Ausfuhrungen  berühmter  Gegner  des 
Agricola  hervorgeht.  Ihr  mich  anzuschließen  trage  ich  schon  aus  diesem 
Grunde  keine  Bedenken.  Insbesondere  werden  wir  unbedingt  diese  Form 
des  Vorschlages  wählen,  wo  er  vor  Notengruppen  erscheint,  vor 
Duolen,  Triolen  und  Quartolen.  Wir  werden  uns  niemals  dazu  ver- 
stehen, ihre  rhythmische  Struktur  zu  zerstören,  wie  das  Hiller  tut,  der 
hier  zeigt,  zu  welch  unleidlichen  Konsequenzen  die  Agricola-Bachsche 
Lehre  führt;  denn  seine  Ausführung  der  durch  den  kurzen  Vorschlag  er- 
öffneten Triole  bewirkt  eine  vollständige  Sprengung  ihres  rhythmischen 
Baues.  Auch  vor  einzelnen  Noten  wird  das  natürliche  Empfinden  in  der 
Hegel  für  den  unbetonten  Vorschlag  entscheiden,  besonders  bei  raschem 
Tempo,  vor  schlechten  Taktteilen  und  zwischen  Terzen.  Zugunsten  unserer 
Meinung  endlich  entscheidet  auch  die  Praxis,  und  die  italienische  in 
erster  Linie.  Sie  differenziert  nämlich  überall  Trochäus  und  Jambus  durch 
die  ausgeschriebenen,  sogenannten  lombardischen  Noten  für  jenen,  die 
kleine  Note  für  diesen.  Welchen  Sinn  hätte  es,  so  gewissenhaft  zu  scheiden, 
wenn  die  Ausführung  beider  Formen  die  gleiche  wäre?  Traetta  notiert 
in  seiner  „Armida",   Wien  1760: 

e       tu  vi     -     vi       in     lie  -  ta  sor    -    te 

E  F  E 

Dalo  der  Vorschlag  vor  c  kurz  gemeint  ist,  ergibt  sich  aus  der  Instrumental- 
stimme, nach  einer  später  noch  anzuführenden  Regel.  Es  ist  also  evident, 
daß  hier  in  demselben  Takte  trochäische  und  jambische  Rhythmen  in 
Gegensatz  gestellt  sind.  Die  kleine  Note  kann  nur  schmeichelnd,  kurz 
vorgetragen  werden.  Dann  aber,  und  das  halte  ich  für  ausschlaggebend, 
erscheint  in  unzähligen  Fällen  die  kleine  Note  der  kurzen 
lombardischen  vorgesetzt,  so  daß  eine  andere  Ausführung  als  die 
jambische  überhaupt  unmöglich  ist.  Zwei  Beispiele  greife  ich  heraus.  Ein 
Arienthema  in  Vincis  „Älessandro  nelle  Indie",  1729,  lautet: 


m 


-j—f-    0 — V-L4  4-  .(■»_  j. 


*= 


Chi     vi  -  vea       -       man  -  te 
O      g   g   g  G 


108 


Zweiter  Teil. 


Traetta  schreibt  in  der  obengenannten  ^Dper: 


Violinen 


h  r 


V.         .         '    ■    i     Nil 

/\ #-— T 1 1 • — ^  —  ^-*-*--h-*m. T 


EEE 


Die  kleinen  Noten  des  dritten  und  vierten  Taktteiles  stehen  vor  kurzen 
trochäischen  Tönen,  die  mit  dem  Basse  zusammenfallen.  Folglich  bleibt 
für  die  kleine  Note  nur  die  jambische  Vorwegnähme.  In  Glucks  „Iphigenie 
en  Aulide"  kommt  eine  solche  Figur  in  der  zweiten  Oboe,  Takt  17  der 
iVrie  der  Klytemnestra  vor.1)  Sehr  bezeichnend  dafür,  daß  die  jambische 
Form  durchaus  geläufig  war,  ist  auch  Takt  10  der  Arie  ,.Men  tiranne"  in 
Glucks  „Orfeo":2) 


4 


Se     pro 


3:±E* ~ — *— * — \f. 

vas  -  te 


Die  Violine  imitiert  die  Singstimme.    Jene  zeigt  den  jambischen  Rhythmus, 
der  folglich  auch  dem  Vorschlag  der  Singstimme  gebührt. 

Nach  all  dem  kann  ein  Zweifel  nicht  mehr  bestehen,  daß  die  von 
Agricola  und  Bach  vertretene  Ansicht,  der  kurze  Vorschlag  sei  stets 
betont  trochäisch  auszuführen,  irrig  ist.  Man  wird  vielmehr  auf  Grund 
der  Geschichte  dieser  Verzierung  sowohl,  als  gestützt  auf  die  Autorität 
des  Quantz,  der  sich  überdies  gerade  auf  sie  beruft,  und  Leopold 
Mozarts,  daran  festhalten  müssen,  daß  der  kurze  Vorschlag  nach  wie 
vor  eine  vorweggenommene  Note  darstellt.  Aber  man  wird  nicht  so  weit 
gehen  können,  den  trochäischen  Vorschlag  ganz  auszuscheiden,  ausnahms- 
weise dürfte  er  auch  in  diesem  Sinne  niedergeschrieben  und  beabsichtigt 
worden  sein.    Man  wird  sich  zuweilen,  besonders  aus  Gründen  rhythmischer 


*)  S.  68  der  Pelletan-Ausgabe. 

2)  Partitur  von   1764,  S.  65.     Peters  Klavierauszug  S.  35. 


Zweiter  Teil.  \Q\) 

Art  für  ihn  entscheiden,  vorzuglich  vor  guten  Taktteilen  erscheint  seine 
Anwendung  in  diesem  Sinne  verbürgt.  Quantz1)  wünscht  ihn  „bey 
zwo  oder  mehr  langen  Noten,  sie  mögen  Yiertheile  oder  halbe  Takte 
seyn,  wenn  sie  auf  einerlei  Ton  vorkommen".  Auch  der  Fall,  wo  aus- 
nahmsweise der  Vorschlag  vor  betonten  Taktteilen  und  langen  Noten 
kurz  ausgeführt  wird,  gehört  hierher.  Auf  ihn  komme  ich  unten  noch  zurück. 

Wir  werden  also  im  folgenden  drei  Arten  von  Vorschlägen  zu 
unterscheiden  haben: 

1 .  den  veränderlichen,  langen  Vorschlag,  der  stets  auf  die  Thesis  fällt. 

2.  den  unveränderlichen  Vorschlag,   der  unbetont  und  kürzer  als 
die  Hauptnote  ist,  und  auf  die  Arsis  kommt. 

3.  den  unveränderlichen,  betonten,  kurzen  Vorschlag. 

Wir  wollen  nun  zunächst  die  Regeln  kennen  lernen,  welche  die 
Unterscheidung  zwischen  langem  und  kurzem  Vorschlag  bestimmen.  Erst 
später,  wenn  wir  dieser  Verzierung  in  der  praktischen  Musik  nachgehen, 
werden  wir  zu  bestimmen  haben,  wo  der  kurze  Vorschlag  ausnahmsweise 
trochäisch  einzuführen  ist.2) 

B.  Die  Ausführung  der  Vorschläge. 

Regeln   für    die  Unterscheidung   zwischen    veränderlich  -  langen 
und    unveränderlich  -  kurzen   Vorschlägen. 

Die  Vorschläge,  lange  wie  kurze,  lehrt  Agricola  und  Bach, 
kommen  auf-  und  abwärts  vor.  Abwärts  in  allen  Intervallen,  aufwärts 
nur  als  Wiederholung  der  vorigen  Note,  dem  lyort  de  voix  Louliös 
zwischen  Sekunden  entsprechend.  Diese  Einschränkung  entspricht  indessen 
nicht  der  Praxis,  die  keinen  Anstand  nimmt  ihn  auch  aufwärts  frei,  also 
nicht  als  Wiederholung  der  vorangegangenen  Note  eintreten  zu  lassen, 
was,  wie  wir  gesehen  haben,  bereits  die  französische  Theorie  anerkannte. 
Bei  K eiser  fand  ich  eine  Reihe  solcher  Vorschläge  von  unten,  die  nicht 
die  vorangegangene  Note  wiederholen.    Traetta  schreibt  in  der  „Armidau : 


fr— t=S^=± 


F, — »i +-•*-  —  » 7 — p — Vf- 


ri      -      -      cu     -     si  o       non      ri 

7  i  7        h       c 


1)  a.  o.  O.  S.  jy.     Neuausgabe  S.  28. 

2)  Ich  kann  nur  einen  Fall  feststellen,  in  dem  der  troebäische  Vorschlag  vorgeschrieben 
ist.  In  Glucks  ,,Le  Nozze  d'Ercole  e  d'Ebe"  (Manuscript  der  K.  Bibl.  Berlin)  Arie  der  Ehe. 
,,11  piacer  d'un  dolee  amor"  steht  bei  der  Stelle  ,,con  il  timore  giä  commincia"  über  den  Vor- 
schlägen ein  f,  über  der  Hauptnote  ein  p;  jener  also  soll  betont,  diese  leiser,  unbetont 
angeschlossen  sein. 


HO  Zweiter  Teil. 

und  Bach  in  der  Johannespassion:  „Ach  mein  Sinn": 


Rath      sind     im  Her 


Zahlreiche  Beispiele  finden  sich  ferner  in  Glucks  „Orfeo"  und  in  seiner 
„ [p/u (je nie  en  Aidideu.  Agricola  und  Bach  sind  also  auch  hier  ungenau. 
Vokal  erscheint  der  Yorschlag  in  der  Kegel  als  obere  oder  untere  Sekunde, 
weitere  Intervalle  bilden  die  Ausnahme.  Sie  zu  verbinden,  griff  man  zu 
reicheren  Mitteln,  wie  zum  Anschlag,  Schleifer,  kleineren  Passaggien. 
Nur  bei  Gluck  finde  ich  Vorschläge  vorzüglich  in  Terzenintervallen  sehr 
häufig,  wie  im  obigen  Beispiel.  Ferner  sind  die  Vorschläge  abwärts 
weitaus  zahlreicher  als  aufwärts,  und  L.Mozart1)  meint,  „die  aufsteigenden 
Vorschläge  sind  überhaupt  nicht  so  natürlich,  als  die  absteigenden". 

Zum  ersten  Male  finden  wir  jetzt  auch  ästhetische  Gründe  für 
unsere  Verzierung  ins  Treffen  geführt.  Agricola  erklärt  als  „die  Ab- 
sicht, weswegen  von  den  Ausführern  einigen  Tönen  der  Melodie  Vor- 
schläge" vorgesetzt  werden,  entweder 

1.  „den  Gesang  desto   besser  mit   einander  zu   verbinden",    oder 

2.  „etwas  scheinbar  Leeres  in  der  Bewegung  des  Gesanges  aus- 
zufüllen", oder 

3.  „die   Harmonie    noch  reicher   und    mannigfacher  zu   machen", 
endlich 

4.  „dem  Gesang  mehrere  Lebhaftigkeit  und  Schimmer  mitzuteilen". 

Zuweilen  sei  nur  eine  oder  die  andere,  zuweilen  mehrere  dieser  an- 
geführten Veranlassungen  zu  einem  Vorschlage  zugleich  vorhanden.  Auch 
hier  vermengt  der  Autor  die  Begriffe  des  veränderlichen  und  unveränder- 
lichen Vorschlages.  Es  ist  klar,  daß  für  die  Einstellung  jenes  in  erster 
Linie  der  sub  3  angeführte  Grund  spricht,  auch  wohl  noch  der  Wunsch, 
besser  zu  verbinden  (sub  1),  oder  etwas  Leeres  auszufüllen  (sub  2).  Nie 
aber  kann  hier  die  Erzielung  größerer  Lebhaftigkeit  bestimmend  sein 
(sub  4).  Hiller2)  trennt  auch  schon  richtig,  indem  er  ausführt:  „die  ver- 
änderlichen oder  langen  Vorschläge  dienen  überall,  die  Harmonie  reicher 
und  mannigfacher  zu  machen;  sowie  die  kurzen  oder  unveränderlichen 
dem  Gesänge  durchgängig  mehr  Lebhaftigkeit  und  Schimmer  zu  erteilen." 
Für  den  kurzen  Vorschlag  kommt  in  erster  Linie  dieser  Beweggrund  in 
Betracht,  der  einer  harmonischen  Bereicherung  aber  scheidet  ganz  aus. 
Diese  ästhetischen  Erwägungen  werden  uns  besonders  da  von  Nutzen  sein, 

1)  a.  o.  O.  S.  201. 

2)  Anweisungen  zum  musikalisch-zierlichen  Gesänge  S.  43. 


Zweiter  Teil.  Hl 

wo  die  später  zu  gebenden  Regeln  für  die  Unterscheidung  der  Vorschlags- 
arten nicht  ausreichen;  denn  „es  bleybe",  bemerkt  Agricola,  „immer 
etwas  willkührliches  dabey". 

Der  wichtigste  Anhalt  ist  rhythmischer,  und  erst  in  zweiter  Linie 
harmonischer  Natur.  Die  veränderlich-langen  Vorschläge  können  nur  „vor 
solchen  Noten  stehen,  welche  durch  ihre  Geltung  oder  durch  ihre  Takt- 
bewegung etwas  lang  sind  und  die  Anbringung  einer  Dissonanz  erlauben. 
Folglich  stehen  sie  nur  vor  anschlagenden  Noten,  zu  Anfang  des  sogenannten 
guten  Taktteiles,  auch  wohl  bey  langsamer  Taktbewegung  vor  jedem 
Taktgliede".  „Diese  und  ähnliche  Vorfälle,  bey  langsamer  Taktbewegung 
ausgenommen,  sind  die  Vorschläge,  welche  vor  den  schlimmen  oder  durch- 
gehenden Taktgliedern,  und  überhaupt  vor  allen  kurzen  Noten  vorkommen, 
alle  kurz  und  unveränderlich."  Indessen,  heißt  es  dann,  kommen  „bey 
einigen  seltenen  Fällen  auch  vor  langen  Noten  auf  guten  Taktteilen  aus- 
nahmsweise auch  kurze  Vorschläge  vor."  „Dergleichen  Vorschläge  wie 
diese  aber  werden  nicht  ganz  so  kurz,  als  wie  die  unveränderlichen,  aber 
doch  auch  nicht  nach  den  Regeln  der  veränderlichen  gemacht,  sie  sind 
also  gleich  das  Mittel  zwischen  jenen  beyden".  Man  wird  also  hier,  auch 
nach  unserer  Auffassung,  an  die  trochäische  Ausführung  zu  denken  haben. 
Mit  diesen  Normen  stimmen  die  des  Quantz,  Bach  und  L.  Mozart  überein, 
nur  zählt  Bach  noch  einige  Fälle  mehr  auf  für  den  kurzen  Vorschlag 
vor  langen  Noten,  den  er  besonders  wünscht,  wenn  ein  Ton  mehr  als 
einmal  angeschlagen  wird,  vor  Einschnitten,  sowie  bei  Rückungen  und 
Bindungen.1)  Alle  heben  aber  folgende  Fälle  hervor,  in  denen  der  Vor- 
schlag stets  kurz  sei. 

1.  vor  einem  Achtel  mit  zwei  anschließenden  Sechzehnteilen. 
(K  1  a.)  Hier  dürfe  die  Figur  nicht  zu  vier  gleichwertigen 
Sechzehnteilen  verkehrt  werden. 

2.  „wenn  zween  Terzensprünge  herab wärts  auf  einander  folgen: 
so  sind  die  dazwischen  liegenden  Vorschläge  gemeiniglich 
unveränderlich;  folgt  noch  ein  dritter  darauf,  so  ist  er  ver- 
änderlich." (K  1  b.)  Im  langsamen  Tempo  und  bei  langen 
Noten  führen  auch  die  Gegner  seiner  Anschauung,  meint 
Agricola,  den  Vorschlag  hier  nicht  ganz  kurz  aus,  sondern 
als  den  dritten  Teil  der  folgenden  Note,  oder  als  die  erste 
Note  einer  Triole. 


*)  Vergl.  Neudruck  S.  34,  §  13.  Hier  steht  übrigens  eine  Bemerkung,  die  behauptet, 
dass  man  sie  auch  in  der  Notierung  von  den  langen  unterschied:  „sie  werden  ein,  zwey,  dreymahl 
und  noch  öfter  geschwänzt".  Indessen  ist  diese  graphische  Unterscheidung  praktisch  nirgends 
durchgeführt. 


1  ]  2  Zweiter  Teil. 

3.  in  geschwinder  Taktbewegung,  wenn  „im  Niederschlag  des 
Taktes  die  Hauptnote  wiederholt  wird,  welche  dem  Anschlag 
(—  Niederschlag)  vorherging  und  die  folgende  einen  Ton  tiefer 
geht.     (K  1  c.) 

4.  vor  Triolen.     (K  1  d.) 

5.  vor  Duolen.  (K  1  e.)  Hier  dürfen  die  rhythmischen  Beziehungen 
der  Hauptnoten  nicht  verändert  werden,  was  ein  langer  Vor- 
schlag  bewirkte. 

Diese  Fälle  sind  als  die  wichtigsten  aufgeführt,  wobei  offenbar  davon 
ausgegangen  wird,  daß  die  kleine  Note  in  der  Regel  den  veränderlich- 
langen Vorschlag  bedeute.    Für  seine  Ausführung  dienen  folgende  Regeln: 

1.  sie  dauern  „ordentlicher  Weise  die  Hälfte  von  der  Zeit  der 
Hauptnote".     (K  2  a.) 

2.  steht  ein  Punkt  hinter  der  Hauptnote  „so  nehmen  sie  die 
Zeit  der  ganzen  Note  ein  und  diese  wird  erst  zur  Zeit  des 
Punktes  gegeben.     (K  2  b  ) 

3.  „Ein  Gleiches  geschieht  nicht  selten  vor  denen  Noten,  auf 
welche  eine  Pause  folget,  als  wo  gleichergestalt  der  Vorschlag 
die  Zeit  der  ganzen  Hauptnote  einnimmt,  die  Hauptnote  aber 
erst  zur  Zeit  der  Pause  angeschlagen  wird.  Doch  ist  diese 
Regel  nicht  ohne  Ausnahme  und  kann  größtenteils  nur  bei 
einem  schmeichelnden  Gesänge  angebracht  werden."  (K  2  c.) 
Ich  weise  schon  hier  daraufhin,  daß  die  Gesetze  des  melodischen 
Aufbaues  hier  zuweilen  entscheidend  sind,  wie  das  Verhältnis 
von  Vorder-  und  Nachsatz.1) 

4.  „wenn  an  die  Hauptnote  noch  eine  kürzere  Note  gebunden 
ist,  so  nimmt  der  Vorschlag  auch  alle  Zeit  der  Hauptnote  weg 
und  diese  tritt  erst  zur  Zeit  der  daran  gebundenen  kurzen 
Note  ein.«     (K  2  d.) 

5.  „Auch  der  Ausdruck  des  Affektes  erfordert  bisweilen,  daß  der 
Vorschlag  länger  als  die  Hälfte  gehalten  wrerde  (K  2  e).  Man 
achte  darauf,  daß  in  unserem  Beispiel  die  längere  Dauer  des 
Vorschlags  durch  einen  Punkt  hinter  der  kleinen  Note  an- 
gedeutet   ist.      Der   Triller    gilt  natürlich    für    die   Hauptnote. 

Soweit  Agricola  im  wesentlichen  in  Übereinstimmung  mit  den 
anderen  Autoren.  Bach  fügt  noch  hinzu,  daß  die  Vorschläge  bei  un- 
gleichen  Teilen    zwei   Dritteile    bekommen2);    dasselbe   lehrt  Mancini.3) 

1)  Vergl.  z.  B.  Bachs  Matthäus-Passion :  „Können  Thränen".  Takt  1 6.  Peters  Klavier- 
ans/.ug  S.  117. 

2)  Neudruck  S.  34. 

3j  Riflessione  prattiche. 


Zweiter  Teil.  1 1  3 

L.  Mozart  will  bei  halben  Noten  im  3/4  Takt,  wenn, sie  im  Anfang  stehen, 
dem  Vorschlag  drei  Teile,  der  Hauptnote  einen  Teil  einräumen,  und  im 
6/4  und  6/s  Takt,  in  Übereinstimmung  mit  Quantz,  wenn  „zwo  Noten 
auf  einen  Ton  aneinander  gebunden,  deren  die  vordere  einen  Punkt  nach 
sich  hat",  dem  Vorschlag  die  ganze  Zeit  der  Note  mit  dem  Punkt  ein- 
räumen. Doch  deckt  sich  diese  letzte  Bestimmung  mit  der  auch  von 
Bach  und  Agricola  gegebenen  sub41).  Alle  diese  Regeln  gelten  nur, 
soweit  es  die  Reinheit  des  Satzes  gestattet.  Bach  meint:  „Man  muß  also 
ebenfalls  bey  Anbringung  der  Vorschläge,  wTie  überhaupt  bey  allen 
Manieren,  der  Reinigkeit  des  Satzes  keinen  Toit  thun". 

Die  langen,  veränderlichen  Vorschläge  sind  fast  ausnahmslos  Disso- 
nanzen, Quarten,  Septimen  oder  Nonen  als  absteigende,  Nonen  und 
Sekunden  wenn  sie  aufsteigen;  nur  ganz  ausnahmsweise  erscheinen  Vor- 
halte auch  konsonantisch  und  dann  in  der  Funktion  „das  Leere,  welches 
etwan  in  der  Bewegung  vorzufallen  scheint"  auszufüllen  (Agricola).  In 
den  von  Bach  angeführten  Stellen  sind  es  Quartsextakkorde,  Dreiklänge 
und  Sextakkorde,  die  vor  der  Hauptharmonie,  dem  Dreiklange,  dem 
Septimenakkord  und  dem  Dreiklange  der  siebenten  Stufe  eingeschaltet  werden. 

Über  die  leitereigenen  kleinen  Noten  in  springenden  Intervallen,  die 
besonders  häufig  bei  Gluck,  aufwärts  der  Hauptnote  vorgesetzt  werden, 
ohne  die  vorhergehende  Note  zu  wiederholen,  sprechen  die  Theoretiker 
nicht.  Nach  ihren  soeben  entwickelten  Anschauungen  können  sie  als 
veränderliche  Vorschläge  nicht  gelten,  weil  sie  nicht  die  Harmonie  ver- 
ändern, sondern  nur  eine  Stimme  und  zwar  melodisch.  Sie  sind  also  als 
rein  ausschmückende  Zutaten  zu  betrachten,  die  in  der  Regel  auch  nur 
kurze  Zeit  beanspruchen.  Ob  sie  jambisch  oder  trochäisch  auszuführen 
sind,  kann  nur  im  einzelnen  Falle  der  Geschmack  entscheiden. 

Über  die  Ausführung  der  Vorschläge  ist  oben  bereits  das  Nötige 
gesagt  worden.  Für  den  veränderlichen  langen  Vorschlag  wird  gelehrt, 
daß  er  allezeit  stärker  angegeben  werde,  als  die  Hauptnote  und  daß  jener 
an  diese  „angeschleifet",  also  legato  verbunden  werde,  so  „daß  nichts 
Leeres  dazwischen  bleibt"  (Agricola).  Je  nach  der  Stellung  der  Autoren 
zur  Rhythmisierung  des  kurzen  Vorschlages  verlangen  sie  seine  Betonung 
(Agricola-Bach)  oder  die  der  Hauptnote  (Quantz-L.  Mozart).  Diese 
unterscheiden  dabei  genau  Vor-  und  Nachschlag,  indem  jener  kurz  ange- 
stoßen wird.  Der  Regel  des  18.  Jahrhunderts,  lange  Töne  überhaupt  durch 
An-  und  Abschwellen  zu  beleben,  entspricht  Agricola s  Weisung:  „Sind 
die  Vorschläge   lang,   so  müssen  sie,   wie  jede  lange  Note  des  Gesanges, 


1)  Noch  weitere  Details,   die  hier  nicht  interessieren,  gibt  Lorenzoni,  Antonio  „saggio 
per  ben  sonare  il  flauto  traverso",  Vincenza   1779. 

S 


114  Zweiter  Teil. 

erst  schwächer  angefangen,  hernach  verstärket  und  wieder  mit  der  Schwäche 
an  die  Hauptnote  gezogen  werden."  Unsere  moderne  Schule  hat  sich  von 
dieser  generellen  Vorschrift  des  An-  und  Abschwellens  langer  Töne  längst 
losgesagt.  Sie  widerspricht  nicht  nur  für  die  moderne,  sondern  auch  für 
die  klassische  Musik  völlig  unseren  ästhetischen  Anforderungen.  Wie 
könnten  wir  mit  ihr  dem  Ausdruck  eines  energischen  Befehls,  fester  Ent- 
schlossenheit oder  Unbeugsamkeit  gerecht  werden?  Die  alte  Schule  sah 
zwar  in  allen  gesanglichen  Verzierungen,  zu  denen  sie  auch  die  messa  di 
voce  rechnete,  Vortragsmittel,  begreift  aber  unter  Vortrag  nicht  nur  die 
Hervorhebung  des  geistigen  Gehaltes,  sondern  auch  die  reine  Schönheit 
der  musikalischen  Linie  und  den  Wohllaut  des  Tones.  Wenn  wir  heute 
aus  dem  Geiste  der  Gesamtstimmung  heraus  mit  Unterstreichung  der 
Einzelheiten  gestalten  —  in  neuerer  Zeit  leider  das  große  Ganze  durch 
Details  zerpflückend  —  so  hielt  sich  die  alte  Schule  mehr  an  die  sinnliche 
Klangwirkung,  an  das  stimmlich  und  ornamental  gesteigerte  Melos.  Es 
kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  wir  an  jene  ältere  Auffassung  nicht 
mehr  gebunden  sind,  es  vielmehr  unser  Recht  und  unsere  Pflicht  ist,  die 
Errungenschaften  einer  fortgeschrittneren  Ästhetik  auch  dem  älteren 
Kunstwerke  zuzuführen.  Wir  werden  deshalb  nicht  anstehen,  jene  Regel 
des  An-  und  Abschwellens  längerer  Töne  überhaupt  und  des  veränder- 
lichen Vorschlags  insbesondere,  in  das  Museum  einer  vergangenen  Kunst- 
betätigung zu  verweisen.  Im  Verlaufe  dieser  Abhandlung  werden  wir 
noch  mehrfach  auf  Normen  stoßen,  die  mit  unserem  Musikgefühl  nicht 
mehr  zu  vereinigen  sind. 

C.   Die  Anbringung  der  Vorschläge. 

Die  von  Tosi  getadelte,  von  Agricola  gelobte  Neuerung,  die 
Vorschläge  durch  kleine  Noten  anzudeuten,  hatte  zwar  allgemeine  Ver- 
breitung gefunden,  wie  denn  J.  S.  und  Ph.  E.  Bach,  die  Italiener 
Leonardo  Leo  und  Caldara  von  ihr  Gebrauch  machen,  aber  nicht  nur 
beharren  die  älteren  Meister,  wie  Scarlatti,  Legrenzi  bei  ihrer  alten 
Notierungs weise,  auch  jüngere  Meister,  wie  Händel,  die  Italiener 
Astorga,  Lotti  und  andere  verschmähen  sie  regelmäßig,  und  lassen 
dem  Sänger  und  Spieler  volle  Freiheit.  Aber  selbst  jene  Gruppe  ging 
nicht  zur  völligen  Festlegung  der  Vorschläge  über,  und  so  verblieb  selbst 
hier  die  frei  schaltende  Ausgestaltung  des  gesanglichen  Partes  als  ein 
Vorrecht  der  Ausführenden.  Agricola,  nachdem  er  die  Neuen  gegen 
die  Alten  in  Schutz  genommen,  führt  nun  aus:  Vorschläge  dürfen  nicht 
angebracht  werden,  wo  sich  nicht  eine  oder  mehrere  der  oben  angeführten 
vier  Hauptabsichten  der  Vorschläge  finden,  oder  wo  gar  wider  diese  Ab- 
sichten gehandelt  würde.  Es  dürfen  also  keine  Vorschläge  angebracht  werden: 


Zweiter  Teil.  115 

1.  Im  Anfang  eines  Stückes,  eines  Hauptteiles,  ja  eines  kleinen 
Einschnittes  der  Melodie,  weil  es  eben  hier  gilt,  nicht  zu 
verbinden,  sondern  zu  beginnen  und  zu  trennen.  (K  3  a.) 
Daß  diese  Regel  nicht  überflüssig  ist,  ergeben  die  oben  mit- 
geteilten Gewohnheiten  der  älteren  deutschen  Schule  des  Ein- 
satzes (cercare  la  notaj.  Auch  im  18.  Jahrhundert  kommen 
indessen  Ausnahmen  von  dieser  in  sich  durchaus  gerecht- 
fertigten Regel  vor.  So  beginnt  J.  S.  Bach  den  zweiten 
Teil  der  Arie  „lauclamus  te"  in  der  hohen  Messe  in  H-moll, 
Takt  41  mit  einem  Vorschlag. 

2.  Wenn  der  Vorschlag  eine  anschlagende  Dissonanz,  „welche 
besonders  vorstechen  soll,  in  eine  Konsonanz  verwandelte,  und 
so  den  Ausdruck  matt  machte  und  das  auch,  wenn  die  Sing- 
stimme vor  dem  Basse  einsetzte".  So  würde  in  dem 
Beispiel  K  3  b  ein  Vorschlag  vor  der  halben  Note  gis  die 
Wirkung  des  frei  eintretenden  alterierten  Terzquartakkordes 
abschwächen. 

3.  „bey  Noten,  welche  nach  dem  Sinn  der  Komposition  ernsthaft, 
und  in  gewissem  Verstände  steif  vorgetragen  werden,  der- 
gleichen absonderlich  die  abzustoßenden  Noten  sind",  dürfen 
Vorschläge  nicht  angebracht  werden.  Ein  Gleiches  gilt  „bey  den 
abzustoßenden,  oder  sonst  prächtig  und  ernsthaft  vorzutragenden 
punktierten  Noten".  „Wenn  aber  der  Ausdruck  der  langsamen 
punktierten  Note  schmeichelnd  seyn  soll",  so  vertrage  sie  auch 
lange  Vorschläge.  „Beydes  wird  der  Inhalt  der  Worte  des 
Gesanges  einen  Aufmerkenden  leicht  erkennen  lassen." 

Wir  sehen,  es  ist  herzlich  wenig,  eigentlich  kaum  mehr  als  Selbst- 
verständliches, was  Agricola  vorzubringen  weiß.  Die  anderen  Autoren 
hier  heranzuziehen,  verbietet  sich,  da  der  vokale  Stil  dem  instrumentalen 
gegenüber  gerade  hier  besonders  selbständig  ist.  Aus  der  Theorie  wird 
sich  also  für  die  Praxis  wenig  ableiten  lassen,  und  wir  werden  hier  darauf 
angewiesen  sein,  aus  der  Praxis,  insbesondere  aus  der  Lektüre  derjenigen 
Musiker,  die  reichlich  verzieren,  die  nötigen  Anhaltspunkte  zu  gewinnen. 
Von  dem  Vorschlage  vor  dem  Vorschlag  selbst  wird  gelehrt:  Der  Vor- 
schlag kommt  auch  vor  solchen  Hauptnoten  vor,  welche  die  Funktion 
eines  langen  Vorschlags  erfüllen,  niemals  aber  vor  der  kleinen  Note  selbst. 
„Es  geschieht  dies  gemeiniglich  über  einer  Note  aus  dem  Akkorde  der 
Sexte  und  Quarte,  der  sich  in  den  reinen  Akkord  auflöset.   (Agricola,  K  3  c.) 

Von  den  Vorschlägen  in  Verbindung  mit  anderen  Manieren  wird 
bei  diesen  gehandelt  werden. 


116  Zweiter  Teil. 

IL  Der  Nachschlag 

entspricht  dem  Begriff,  den  wir  bisher  kennen  lernten.  Agricola  definiert 
die  Nachschläge  als  „gewisse  kleine  Noten,  die  einer  Note  nachgeschlagen 
werden,  aber  noch  in  die  Zeit  derselben  gehören".  Es  gäbe  zwei  Haupt- 
arten, „die  von  einer  Note  und  von  zwo  Noten".  Diese  nennt  er  doppelte, 
jene  einfache.  Der  doppelte  Nachschlag  besteht  aus  der  Note  über  oder 
unter  der  Hauptnote  und  der  Hauptnote  selbst,  welche  noch  einmal  ange- 
schlagen wird.  Yon  unten  seien  sie  häufiger  als  von  oben  (K  4  a).  Sie 
sind  sehr  kurz  anzugeben  und  an  die  vorhergehende  Note  anzuschleifen. 
Als  Abschluß  des  Trillers  werden  wir  sie  wiederfinden.  Auch  als  Anhang 
an  dissonierende  lange  Vorschläge  in  der  Auflösung  seien  sie,  lehrt  Agricola, 
zulässig,  doch  täte  hier  der  Mordent  —  unter  dem  dann  eine  Halbtons- 
bewegung zu  verstehen  ist  —  bei  abwärts  schreitenden,  der  (kurze)  Triller 
bei  aufwärts  schreitenden  Vorhalten  bessere  Dienste,  weil  diese  Figuren 
nicht,  wie  die  Nachschläge,  die  Auflösung  bereits  vor  Eintritt  der  Hauptnote 
herbeiführten  (K  4  b).  Der  einfache  Nachschlag  ist  entweder  springend, 
und  gehört  dann  stets  zur  Harmonie  der  vorhergehenden  Note  (K  4  c), 
oder  er  benutzt  die  obere  oder  untere  Sekunde,  in  welcher  Eigenschaft  er 
auch  den  Namen  Überwurf  oder  Rückfall  führt,  und  ist  dann  harmonie- 
fremd (K  4  d).  Agricola  warnt  vor  der  häufigen  Anwendung  der  letzteren 
Figur,  die,  besonders  wenn  sie  etwas  langsam  ist,  sehr  abgeschmackt 
klänge  (K  4  e).  Er  rät,  lieber  den  trochäischen  Vorschlag,  die  lombardische 
Note  zu  wählen  (K  4  f  und  g).  Leopold  Mozart  nennt  diese  Verzierungen 
übersteigende  und  untersteigende  Zwischenfälle. 

III.   Der  Anschlag 

„ist  nichts  anderes  als  ein  Vorschlag  von  unten  mit  einem  Nachschlag, 
welcher  die  über  der  folgenden  Hauptnote  des  Gesanges  liegende  Sekunde 
angibt".  Er  kommt  nur  aufwärts  vor  und  zwischen  steigenden,  oder 
gleichen  Noten.  Ist  das  Intervall  der  Hauptnoten,  die  er  verbindet,  größer 
als  eine  Sekunde,  also  eine  Terz,  Quart  etc.,  so  wiederholt  er  die  erste 
Hauptnote,  im  anderen  Falle  nimmt  er  die  untere  Sekunde  der  ersten 
Hauptnote  und  ist  stets  ein  Terzensprung  (K  5  a).  Dieser  ist  dem  Gesang 
genehmer,  jener,  wegen  der  größeren  Intervalle,  den  Instrumenten.  Man 
unterscheidet  Anschläge  aus  gleichlangen  Noten  gebildet  und  punktierte, 
bei  denen  die  erste  Note  möglichst  lang  gehalten,  die  zweite  „in  der 
möglichsten  Kürze"  abgefertigt  wurde  (K  5  b).  Die  Anschläge  gehören 
in  die  Zeit  der  Hauptnote,  mit  der  sie  „zusamruengeschleifet  werden"  d.  h. 
legato  verbunden  werden  und  nur  auf  gute  Taktteile.  Bei  den  unpunktierten 
sollen    beide    Noten    „schwächer   als    die   Hauptnote"    angegeben    werden, 


Zweiter  Teil.  ]  1  7 

„bey  den  punktierten  aber  wird  die  erste  und  lange  Note  stärker,  die 
zweite  aber  schwächer  und  in  der  möglichsten  Kürze  vorgetragen".  Den 
unpunktierten  Anschlag  betont,  also  mit  dem  Basse  zusammen  anzugeben, 
und  doch  schwächer  als  die  auf  die  Arsis  fallende  Hauptnote,  scheint 
unausführbar.  Für  seine  trochäischen  Vorschläge  verlangt  Agricola 
konsequent  auch  die  starke  Betonung.  Hier  vindiziert  er  inkonsequenter- 
weise der  Hauptnote  die  Betonung.  Man  wird  bei  der  Ausführung  dieser 
sehr  häufigen  Figur  davon  auszugehen  haben,  daß  sie  zu  der  Hauptnote 
gehört  und  mit  dem  Basse  zusammenfällt.  Wo  harmonische  Gründe  vor- 
liegen, wird  man  aber  ausnahmsweise  auch  diese  Figur  unbetont,  vor 
dem  schweren  Taktteil  ausführen,  insbesondere  wo  der  Eintritt  einer 
scharfen  Dissonanz  abgeschwächt  würde.  L.  Mozart  rubriziert  den 
Anschlag  unter  die  Mordente,  Hill  er  spricht  von  Doppelvorschlag  oder 
Anschlag. 

IV.   Der  Schleifer 

bewegt  sich  —  im  Gegensatz  zum  Anschlag  —  stufenweise  aufwärts, 
fällt  allezeit  auf  die  Thesis,  und  wird  mit  der  Hauptnote  zusammen  geschleift. 
Er  kann  nur  vor  einer  Note  stehen,  welcher  eine  gleichhohe  oder  tiefere 
folgt  und  besteht  aus  zwei  oder  drei  Noten.1) 

Der  zweinotige  Schleifer  erscheint  unpunktiert,  „egal",  geschwind 
(K  6  a)  oder  punktiert  langsam,  gewöhnlich  zwischen  aufsteigenden  Inter- 
vallen, den  Sprung  ausfüllend,  aber  auch  zwischen  Sekunden  (K  6  b). 
„Der  unpunktierte,  geschwinde  Schleifer  steht  vor  guten  und  schlimmen 
Taktgliedern."  Der  vor  den  guten  Taktgliedern,  bemerkt  Agricola,  würde 
von  den  Komponisten  in  ordentlichen  Noten  mit  in  den  Takt  eingeteilt, 
und  sei  der  lombardischen  Figur  verwandt,  in  welcher  „zwo  kurze  Noten 
vor  einer  längeren,  welche  hinter  sich  einen  Punkt  hat",  stehen.  Der 
Schleifer,  der  auf  den  schlimmen  Taktteil  falle,  sei  etwas  schwächer  aus- 
zuführen. Wieder  ein  Irrtum  Agricolas.  Nicht  nur  vor  guten  Taktteilen, 
sondern  auch  vor  schlechten  begegnen  wir  dieser  Figur  in  ausgeschriebenen 
Werten,  z.  B.  in  J.  S.  Bachs  Johannes -Passion  „Zerfließe  mein  Herze", 
bei  Händel  im  Messias,  „0   du,  die  Wonne  verkündet"  am  Schluß. 

Der  lange,  punktierte  Schleifer  gibt  die  erste  Note  stark,  die  kurze 
und  die  Hauptnote  aber  schwach;  die  Währung  der  ersten  Note  variiert 
„mehr  als  bey  irgend  einer  anderen  Manier",  „sie  muß  größtenteils  mit 
Beobachtung  des  Basses  und  der  Harmonie  durch  den  Affekt  bestimmt 
werden.    Die  Hauptnote  des  Gesanges  bekommt  aber  entweder  die  Hälfte 

1)  Die  Italiener  rechnen  diese  Figur  zum  Gruppetto  oder  Doppelschlag.  Lorenzoni 
a.  o.  O.  S.  6o. 


118  Zweiter  Teil. 

ihrer  Geltung  (K  6  c),  oder  sie  wird  nur  mit  der  zweiten  Note  des  Schleifers 
am  äußersten  Ende  angegeben  (K  6  d).  Bisweilen  wird  sie  ganz  in  die 
Zeit  der  auf  sie  folgenden  Hauptnote  gezogen  (K  6  e).  Wenn  die  Note, 
vor  welcher  der  Schleifer  angebracht  wird,  einen  Punkt  hinter  sich  hat, 
so  kommt  sie  an  die  Stelle  des  Punktes  (K  6  f),  oder  auch  mit  der  zweiten 
Note  des  Schleifers  am  äußersten  Ende  desselben  (K  6  g),  oder  wenn  an 
den  Punkt  noch  eine  Note  angebunden  ist,  noch  später  zu  Gehör  (K  6  h). 
„Kömmt  die  Hauptnote  auf  die  Zeit  des  Punktes,  oder  läßt  die  Tactbewegung 
sonst  auch  noch  Zeit  genug  dazu,  so  wird  bei  ungeradem  Tacte  allemal, 
bei  geradem  aber  nur,  wenn  die  Note  nach  dem  Punkte  auf  demselben 
Tone  bleibt,  die  Hauptnote  kurz  abgestoßen,  so  daß  zwischen  ihr  und  der 
folgenden  eine  kurze  Pause  bemerket  wird."  (K  6i.)  Quantz  und  Leopold 
Mozart  erwähnen  diese  Figur  gar  nicht,  offenbar,  weil  sie  zumeist  aus- 
geschrieben wurde.  Bach  stimmt  im  wesentlichen  mit  Agricola  überein. 
Hiller  wiederholt  die  Lehre  des  Agricola  und  polemisiert  nur  gegen  die 
zuletzt  vorgetragene  Unterscheidung  für  die  Kegel  des  Abstoßens.  „Man 
sähe  nicht  ein,  was  zum  Abstoßen  der  Hauptnote  nach  dem  punktierten 
Schleifer  der  gerade  oder  ungerade  Takt  beitragen  solle."  Wir  werden 
dieses  Absetzen  und  Unterbrechen  des  Melismas  als  geziert  und  unnatürlich 
überhaupt  verwerfen.  Löhlein  erwähnt  ganz  kurz  den  zweinotigen, 
punktierten  Schleifer  als  kurz  und  lang.  Türk  wiederholt  Bach- Agricolas 
Regeln.  Aug.  Eberh.  Müller  bemerkt,  daß  die  Notierung  des  punktierten 
langen  Schleifers  in  kleinen  Noten  nicht  mehr  üblich  sei. 

Der  Schleifer  von  drei  Noten  ist,  sagt  Agricola,  nichts  anderes 
als  ein  durch  die  mittelste  Note  ausgefüllter  Anschlag,  der  einen  Terzen- 
sprung macht.  (K  6  k,  1,  m.)  Es  gäbe  langsame  und  geschwinde,  ganz 
geschwinde  hätten  mehr  im  Spielen  als  im  Singen  ihren  Platz.  Die  Dauer 
der  Hilfsnoten  hinge  in  erster  Linie  „von  der  Vorschrift  des  Taktes  — 
gemeint  ist  wohl  des  Tempos  —  und  der  Empfindung  des  Ausführenden 
ab",  doch  dürfe  die  Hauptnote  nie  mehr  als  die  Hälfte  ihrer  Geltung 
verlieren.  In  der  Kegel  seien  diese  drei  Noten  gleichwertig,  doch  könne 
man  auch  zuweilen  die  zweite  Note  etwas  betonen,  so  daß  die  erste 
Note  auf  die  Arsis  entfalle,  als  wenn  sie  noch  in  die  Zeit  der  vorher- 
gehenden Hauptnote  gehöre.  Die  Ausführung  der  Verzierung  sei  allemal 
sachte  und  matt.  Bach  wählt  für  diese  Figur  das  Zeichen:  <&>,  da  seine 
Ausführung  „einem  Doppelschlag  in  der  Gegenbewegung  vollkommen 
gleich  ist".1)  Die  Figur  kommt  niemals  in  kleinen  Notenwerten,  als  zur 
Hauptnote  aufsteigende  Quartenpassaggie  vor,  sondern  stets  so,  daß  die 
erste  Note    die    untere    Sekunde,    die    zweite    die  Hauptnote    selbst  gibt. 

')  Neudruck  I.Teil  S.  73/74- 


Zweiter  Teil.  119 

Wir  sprechen  heute  von  einem  frei  eintretenden  Doppelschlage.  Auch 
diese  Norm  ist  nicht  ohne  Ausnahmen.  Instrumental  erscheint  dieser 
dreinotige  Schleifer  als  Folge  aufsteigender  Sekunden  gar  nicht  selten, 
z.  B.  in  Gluck  „Iphigenie  en  Aulide",  Akt  1,  Szene  2,  Moderato  in  den 
Violinen.1)  Auch  bei  den  Italienern.2)  Des  Schleifers  nach  unten  wird 
nirgends  Erwähnung  getan,  wohl,  weil  er  regelmäßig  ausgeschrieben 
wurde.3) 

Von  all  diesen  Varietäten  des  Schleifers  ist  der  zwei  notige, 
un punktierte  die  häufigste.  Ja,  man  kann  sagen:  er  bildet  geradezu 
eine  Eigentümlichkeit  der  alten  Rhythmik.  Ungezählte  Arien,  und  selbst 
ariose  Rezitative,  beruhen  thematisch  auf  dieser  schon  der  Musik  der 
klassischen  Periode  Haydn-Mozart-Beethoven  verloren  gegangenen 
Figur.  Nun  könnte  modernes  Empfinden  anzunehmen  geneigt  sein,  in 
ihm  den  Ausdruck  besonderer  Entschlossenheit  oder  Festigkeit  zu  suchen. 
Daß  aber  die  alte  Kunst  ihn  nicht  in  diesem  Sinn,  sondern  schlechthin 
als  eine  melodische  Verzierung  ansah,  das  ergibt  schon  der  Hinweis  auf 
die  praktische  Literatur,  wo  er  überall  in  dieser  weiteren  Bedeutung  ver- 
wendet wird.  Man  wird  also  von  ihm  bei  der  Aussetzung  älterer  Vokal- 
musik reichen  Gebrauch  machen  und  ihn  jedenfalls  überall  dort  einführen 
dürfen,  wo  der  Komponist  ihn  thematisch  verwendet  hat. 

V.   Der  Triller. 

Im  Gegensatz  zu  der  Lehre  vom  Vorschlag,  die  auf  deutschem 
Boden  in  so  unheilvolle  Verwirrung  geriet,  ist  die  Lehre  vom  Triller  eine 
klare,  und  knüpft  an  die  bisherige  geschichtliche  Entwicklung  an.  Sie 
ist  im  wesentlichen  auf  die  italienische  Praxis,  und  Tosis  Bericht  vor- 
züglich aufgebaut,  und  stimmt  in  den  Grundzügen  auch  mit  der  französischen 
Lehre  überein. 

Der  Triller  ist  allen  Theoretikern  übereinstimmend  eine  Sekunden- 
bewegung nach  unten,  die  mit  der  oberen  Hilfsnote  auf  der  Thesis  be- 
ginnt und  die  Hauptnote  unbetont  anfügt.  Der  Unterscheidungen  sind 
ungemein  viele.  Der  Vorliebe  der  Italiener  für  Spezialisierung  und  genaue 
Sonderung  der  Begriffe  begegnete  die  deutsche  Gewissenhaftigkeit,  die 
sie  zu  der  ihrigen  machte. 

Tosi- Agricola  unterscheiden: 

1.  Der  trillo  maggiore,  der  größere  Triller  beginnt  mit  der  um  eine 
ganze  Sekunde  höheren  Hilfsnote  (ausiliario)  und  fügt  die  Hauptnote  un- 


1)  S.  31   der  Pelletan- Ausgabe. 

2)  Vergl.  Marx'  Gluck- Biographie,  II.  Anhang,  S.  II,  Arie  aus  Majos  „Artaserse". 

8)  Die  Arie    „Zerfliesse    mein  Herze"    in    Bachs  Johannes-Passion    beruht    thematisch 
auf  solchen  lombardischen  Figuren. 


120  Zweiter  Teil. 

betont    an.      „Aus     diesem    Triller    entspringen    alle    übrigen    Gattungen 
desselben"  (K  7  a). 

2.  Der  trillo  minore,  der  kleinere  Triller,  umfaßt  einen  halben  Ton1) 
(K  7  b).  Man  bemühe  sich,  rät  Agricola,  „am  Ende  des  Trillers  noch 
den  gedoppelten  Nachschlag  von  unten,  welchen  viele  schlechtweg  den 
Nachschlag  zu  nennen  pflegen,  in  gleicher  Geschwindigkeit  als  die  Klänge 
des  Trillers  mit  anzuhängen"  (K  7  c).  Das  klavieristische  Zeichen  sei:  *v 
oder  tr  (stimmt  mit  Bach). 

Diese  Nachschläge  von  zwei  Noten  „finden  bey  den  meisten  etwas 
langen  Trillern  statt,  die  darauf  folgenden  Noten  mögen  aufwärts  oder 
abwärts  gehen  oder  springen"  (K  7  d).  Wir  finden  hier  also  den  tour 
de  gosier  der  Franzosen  wieder.  Wenn  Triller  und  Nachschlag  auf  einer 
punktierten  Note  stehen,  auf  welche  die  kürzere  im  Hinaufgehen  folgt, 
„muß  zwischen  diesem  und  der  folgenden  kurzen  Note  ein  kleiner,  fast 
unmerklicher  Aufenthalt  sein".  Der  Nachschlag  ist  aber  ganz  unstatt- 
haft: a)  bei  zwei  punktierten  Noten,  die  eine  Sekunde  aufwärts  gehen; 
b)  hinter  einem  Triller  auf  einer  Note  „welche  eine  sogenannte  halbe 
Kadenz  machet  und  auf  den  eine  Fermate  folget,  weil  nämlich  hier  keine 
lebhafte  Verbindung  der  folgenden  mit  dem  vorhergehenden,  als  wobey 
der  Nachschlag  vorzüglich  seine  gute  WirkuDg  tut,  stattfinden  kann", 
also  bei  dem  Schluß  in  der  Dominante  vorzüglich  (K  7  e).  c)  Wo  kurze 
ausgeschriebene  Noten  auf  den  Triller  folgen,  welche  die  Stelle  des  Nach- 
schlages gewissermaßen  vertreten  (K  7  f).  Dem  Nachschlag  kann  noch 
überdies  ein  Vorschlag,  der  den  Eintritt  der  auflösenden  Hauptnote  ver- 
zögert, angehängt  werden,  und  zwar  nur  ein  solcher  von  unten,  wenn 
der  Triller,  „er  sey  lang,  ganz  oder  halb"  keinen  Vorschlag  vor  sich  hat, 
ein  solcher  von  oben  oder  unten  aber,  wenn  dem  Triller  „ein  Vorschlag, 
oder  eine  an  der  Stelle  des  Vorschlages  stehende  ausgeschriebene  Haupt- 
note vorhergegangen"  (K  7f).  Der  Triller  soll  allemal  den  vollen  Wert  der 
Note  währen.  Bei  der  Kadenz  kann  der  Sänger  die  letzte  Note  des 
Trillers  etwas  aushalten  und  die  Schlußnote  ganz  kurz  vorschlagen,  natür- 
lich ohne  die  Silbe  der  Schlußnote  auszusprechen.  Dem  Triller  voran- 
gesetzt findet  sich  vielfach  seine  obere  Hilfsnote  als  kleine  Note  notiert. 
Diese  gilt  dann  als  veränderlicher,  langer  Vorschlag,  beansprucht  den 
halben  Wert  der  Hauptnote  und  wird  nicht  mehr  wiederholt.  Diese  Form 
gleicht  dem  Triller  mit  appuy  der  Franzosen  (F  II  m). 

x)  Die  umständlichen  Anweisungen  Tosis  und  Agricolas,  wann  dieser,  wann  der  grössere 
Triller  einzutreten  hat,  gehören  in  die  allgemeine  Musiklehre.  Sie  beweisen  in  ihrer  Aus- 
führlichkeit, dass  es  mit  den  Elementarkenntnissen  der  Sänger  nicht  sonderlich  bestellt  war. 
So  wird  beispielsweise  auseinandergesetzt,  dass  die  Modulation  nach  g  :  lis  als  Hilfsnote  ver- 
lange, nicht  f. 


Zweiter  Teil.  121 

3.  Der  t/nj::<>  trillo,  Halb-  oder  Pralltriller  wird,  meint  Tosi,  ein 
wenig  geschwinder  gemacht  als  der  lange  Triller.  Man  „läßt  ihn  fahren, 
sobald  er  anfanget  gehört  zu  werden  und  fügt  ein  wenig  Schimmer  hinzu 
fun  po  cli  brillante)*.  Agricola  läßt  ihn  sofort  im  Werte  der  Haupt- 
note mit  der  oberen  Hilfsnote  einsetzen,  den  Schlag  wiederholen  und 
dann  auf  der  Hauptnote  ausruhen.  (K  7  g.)  Er  bemerkt,  daß  er  sich 
außer  durch  seine  Schärfe  und  Kürze  auch  darin  von  dem  ordentlichen 
Triller  unterscheide,  daß,  wenn  er  auf  einer  etwas  langen  Note  stehe, 
nicht  die  ganze  Geltung  derselben  ausdauere.  Andere  Theoretiker,  wie 
Wolf,1)  beginnen  ihn  mit  der  Hauptnote  und  lassen  die  Sekunden- 
bewegung gleichfalls  mit  der  betonten  Hilfsnote  von  oben  folgen  und 
schließen  mit  einem  kurzen  Verweilen  auf  der  Hauptnote.  (K  7  g.) 
Er  finde  seinen  Platz  nur  vor  einer  fallenden  Sekunde,  —  den 
Grund  werden  wir  bei  Besprechung  des  Mordents  kennen  lernen  —  mag 
sie  durch  ausgeschriebene  Noten  oder  durch  einen  Vorschlag  entstehen. 
Wo  für  den  Pralltriller  in  solchem  Falle  nicht  Zeit  genug  sei,  werde  er 
durch  einen  unveränderlichen  Vorschlag  ersetzt.  Der  Pralltriller  finde 
überdies  seinen  Platz  noch  nach  einem  langen  Vorschlag  von  oben,  be- 
sonders vor  Pausen,  Fermaten,  oder  einem  Schluß,  als  Ersatz  des  Nach- 
schlages, wie  oben  erwähnt  wurde.  Wenn  dem  Pralltriller  ein  Vorschlag 
vorausgeht,  „so  machet  er  die  erste  Note  desselben,  welche  also  nicht 
von  Neuem  angegeben  werden  darf".  Auch  Hiller  notiert  die  Kom- 
bination eines  unveränderlichen  Vorschlages  und  Trillers.  (K  7  h.)  Die 
Hauptnote,  die  „sonst  einen  Vorschlag  abgeben  könnte,  behält  ihre 
Geltung".  (K  7  i.)  Ich  bemerke  gleich  hier,  daß  das  Zeichen  des  Prall- 
trillers »v  bezw.  das  Zeichen  tr  promiscue  auch  für  den  Mordent,  selbst  im 
italienischen  Sinn  eines  kurzen  Vorschlags,2)  gebraucht  wird;  deshalb  ist 
die  oben  genannte  Beschränkung  des  Pralltrillers  auf  abwärts  schreitende 
Sekunden  von   besonderer  Wichtigkeit. 

4.  trillo  cresciuto,  oder  höher  gezogener  Triller.  Die  Stimme  steigt 
beim  Schlag  allmählich  höher.    Tosi  erklärt  ihn  für  veraltet,  ebenso  wie 

5.  den  trillo  calato,  den  tiefer  werdenden  Triller  „welcher  darin 
besteht,  daß  man  die  Stimme  unvermerkt,  von  Komma  zu  Komma,  ab- 
steigen läßt". 

Mit  diesen  Formen  nicht  zu  verwechseln  ist  die  catena  cli  trilli,  die 
Kette  von  Trillern,  „da  der  Triller  von  einem  ganzen  oder  halben  Ton 
der  Tonleiter  zum  andern  auf-  oder  absteige".  (K  7  k.)  Diese  Form 
ist  gebräuchlich    „und  tue,    zumal    wenn  jeder    aufsteigende  Triller  einen 

J)  „Unterricht  in  der  Singekunst",  Halle   1784. 

2)  So  wenn  vor  einem  ausgeschriebenen  Schneller  das  Zeichen  tr  steht,  wie  oft  bei 
Keiser.     Vergl.  Supplemente,   enthaltend   Quellen   zu   Händeis   Werken,   S.  13   a.  E. 


122  Zweiter  Teil. 

Nachschlag  bekömmt,  keine  üble  Wirkung".  Er  wird  größtenteils  vor- 
geschrieben. Schon  der  Vor-Bachischen  Zeit  war  er  geläufig.  Zachau 
schreibt  ihn  vor  im  Thema  des  Mittelsatzes  der  Arie  „Welt  ich  mag 
nicht  deine  Freude".1)  Häufiger  ist  er  indessen  in  der  italienischen 
Literatur.      Vinci    „Alessandro  neue  Tndieu    stellt   folgendes   Thema   auf: 


•VA-  -'W       /"W       /VV  xW  AV       z'N.'V"  --W       /\A<        -W 


12--=-»— i-b— b — »- — p-\=*~»=== ^j^^^^-^-^-E1?--3111^^ 


e  fa     con  suoi    ni     -     tri    -    te      le       val  -  le     ri  -  so    -    nar 

Auch  Händel  verwendet  die  Manier  zuweilen  sehr  wirksam,  wie  im  Messias 
in  dem  Mittelsatz  der  Arie:  „Wer  mag  den  Tag",  wo  die  Nachschläge 
ausgeschrieben  sind. 

6.  Trillo  lentöy  der  langsame  Triller  ist  der  lange  ordentliche  Triller 
in  langsamer  Ausführung.  Tosi  verwirft  ihn,  Agricola  spricht  ihm  gute 
Wirkung  in  „langsamen  und  traurigen  Stücken"  zu. 

7.  Trillo  raddoppiato,  der  verdoppelte  Triller,  setzt  der  Sekunden- 
bewegung zwei  Noten  von  unten  vor  (K  7  1),  Zeichen:  C^^)  oder  er- 
weitert diese  Vorbereitung  zu  vier  Noten  von  oben  und  unten  (K  7  m), 
Zeichen:  Cv\^.  In  der  Gesangsmusik  wird  er  vielfach  durch  kleine  Noten 
angedeutet  (K  7  n).  So  Agricola  und  Bach.  Wir  würden  diese  Form 
als  eine  Verbindung  des  frei  eintretenden  Doppelschlages  mit  dem  Triller 
charakterisieren.  Nach  Agricola  und  Hiller  ist  diese  Verbindung 
instrumental  häufig2),  gesanglich  selten,  diejenige  von  unten  hauptsächlich 
gebräuchlich  am  Ende  der  willkürlichen  (also  vom  Sänger  eingeschobenen) 
Kadenz,  wo  seine  ersten  beiden  Noten  „vorher  einige  Mal  immer  ge- 
schwinder wiederholt  werden  können"  (K  7  0).  Hiller  erwähnt  diese 
Figur  gleichfalls,  und  meint,  daß  hier  eigentlich  ein  dem  Triller  voraus- 
geschickter Mordent  (?)  vorliege.  Eigentümlich,  an  den  veralteten  trülo 
crexciuto  gemahnend,  ist  die  Steigerung  des  ersten  Tones  der  Sekunden- 
bewegung um  einen  halben  Ton,  den  Hiller  notiert  (K  7  p),  wobei  „man 
sich    recht   unvermerkj   in    den    eigentlichen   Triller   hineinzustehlen   hat". 

8.  Der  Trillo  mordente,  der  Mordent,  Zeichen:  ^  und:  ***.  Tosi 
beschränkt  sich  zu  bemerken:  ei  nasce  con  piü  veJocitä  degli  altri,  ma  ?/</f<> 
appena  dem  morir.  Agricolas  Definition  ist  ebenfalls  unklar.  Seinen 
weiteren  Ausführungen  entnehme  ich  folgende  Begriffsbestimmung:  im 
Gegensatz  zum  Pralltriller,  der  wie  jeder  Triller  mit  der  oberen  Hilfsnote 
in   der  Betonung  einsetzt,   ist   der  Mordent   eine   Sekundenbewegung,  die 


1)  Kantate    „Meine  Seele    erhebet    den  Herrn",    Denkm.  d.  Tonk.  Bd.  21/22,  S.  110. 

2)  Sie  entstammt  der  französischen  Klaviermusik.     D'Anglebert  notiert  sie  unter  dem- 
selben  Zeichen.     S.  Dminreuther  a.  o.  O.  Bd.  I  S.  95. 


Zweiter  Teil.  123 

mit  dem  Haupttone  auf  der  Thesis  beginnt  and  die  tiefere  Sekunde,  meist 
den  Halbton,  in  der  Arsis  anfügt  (K  7  q),  oder  im  Anschluß  an  einen 
vorangegangenen  ausgeschriebenen  oder  angedeuteten  Vorschlag  mit  der 
Hauptnote  auf  der  Arsis  einsetzt  und  die  Nebennote  betont  anschließt 
(K  7  r).  Eine  dritte  Form  ist  nach  Agricola  nichts  als  ein  Triller, 
welcher  anstatt  der  oberen  die  untere  Note  zur  Hilfsnote  nimmt  (K  7  r). 
Bach  hingegen  anerkennt  als  Mordent  lediglich  die  Sekundenbewegung 
von  der  Hauptnote  aus  nach  unten,  als  langen  mit  dem  Zeichen  %*v  (K  7  s), 
oder  kurzen  mit  dem  Zeichen  +*>  (K  7  t)  und  zwar  überall  mit  der  Haupt- 
note auf  der  Thesis,  auch  in  dem  Falle,  wo  Agricola  die  Hauptnote  auf 
die  Arsis  verlegt,  also  nach  einem  vorangegangenen  langen  Vorschlag 
(K  7  h)1).  Die  untere  Hilfsnote  ist  regelmäßig  die  kleine  Sekunde. 
„Man  pflegt  den  Mordenten",  sagt  Agricola,  „um  ihm  etwas  mehr 
Schärfe  zu  geben,  gemeiniglich  mit  dem  halben  Ton  zu  schlagen,  wenn 
auch  gleich  die  Tonleiter  zuweilen  einen  ganzen  erforderte".  Die  An- 
wendung des  Mordent  will  Agricola  gegenüber  der  Instrumentalmusik, 
wo  er  gute  Dienste  tue  bei  denjenigen  Instrumenten,  welche  den  Ton 
nicht  nach  und  nach  verstärken  können,  —  denn  „er  hängt  die  Noten 
zusammen  und  gibt  ihnen  Glanz",  meint  Bach  —  sehr  eingeschränkt 
wissen  und  zwar  im  wesentlichen  auf  den  oben  erwähnten  Fall,  nach 
dem  Vorschlag  von  unten.  Auch  erscheint  er  vornehmlich  im  Rezitativ 
auf  dem  Vorschlag  selbst,  wenn  er  vor  einem  Sprunge  in  die  Höhe  steht 
und  Zeit  genug  vorhanden  ist  (K  7  v). 

Die  kürzeste  und  prägnanteste  Unterscheidung,  wo  der  Mordent,  wo 
der  Pralltriller  seinen  Platz  habe,  gibt  Bach2),  wenn  er  sagt:  beide  seien 
„zwey  entgegengesetzte  Manieren".  „Der  letzte  (Pralltriller)  kan  nur  auf 
eine  Art,  nehmlich  bey  einer  fallenden  Secunde  angebracht  werden,  wo 
gar  niehmals  ein  Mordent  statthat.  Das  eintzige  haben  sie  miteinander 
gemein,  daß  sie  beyderseits  in  die  Secunde  hineinschleifen,  der  Mordent 
im  hinaufsteigen,  der  Pralltriller  im  heruntergehen"  (K  7  w),  und  an 
anderer  Stelle:  „diese  Manier  (der  Mordent)  liebt  hinaufgehende  oder 
springende  Noten  vorzüglich;  bey  herunterspringenden  kommt  sie  nicht 
oft,  bey  fallenden  Secunden  garnicht  vor.  Sie  läßt  sich  im  Anfange, 
in  der  Mitte  und  am  Ende  eines  Stückes  finden."3)    Das  deckt  sich  völlig 

!)  Für  die  Begriffsbestimmung  des  Mordent  lassen  uns  die  Italiener  im  Stich.  Mancini 
und  Manfredini  unterscheiden  nur  den  trillo  und  mordente  in  dem  Sinne,  dass  jener  bestehe 
aus  der  Hauptnote  und  der  höheren  Hilfsnote,  dieser  aus  der  Hauptnote  und  der  unteren 
Hilfsnote.     Auch  Lorenzoni  fasst  den  Mordent  in  diesem  Sinne. 

2)  Neudruck  I.Teil  S    68  §  14. 

9)  Neudruck  I.  Teil  S.  65  §  4. 


124  Zweiter  Teil. 

mit  dein,  was  Agricola  an  anderer  Stelle,  nämlich  bei  der  Lehre  vom 
Pralltriller  sagt1),  daß  diese  Manier  nur  bei  fallenden  Sekunden  vor- 
komme. Der  Grund  ist  klar:  Im  Hinaufsteigen  verwischte  der  zuerst 
eintretende  höhere  Nebenton  des  Pralltrillers  den  intendierten  Intervallen- 
schritt, die  Sekunde  wurde  zur  Terz,  während  der  Mordent  mit  seinem 
einsetzenden  Hauptton  das  Intervall  scharf  angibt.  Beim  Hinabsteigen 
dagegen  erscheint  der  Pralltriller  als  eine  natürliche  Überleitung  der  höheren 
zur  tieferen  Sekunde.  Es  bleibt  sonach  stets  das  wesentliche,  daß  die 
Anbringung  der  Verzierung  die  vorgeschriebenen  Intervallenschritte  nicht 
verwische.  Steht  vor  dem  Pralltriller  ein  Vorschlag  von  oben,  oder  vor 
dem  Mordent  ein  Vorschlag  von  unten,  so  wird  er  angegeben,  ausgehalten 
und  nicht  mehr  wiederholt.    (Ausführung  K  7  r  und  u.) 

Die  Italiener,  auch  Tosi,  verstehen  unter  Mordent  auch  den  kurzen, 
unveränderlichen  Vorschlag.2) 

9.  Der  Schneller.  Tosi-Agricola  beschränken  ihre  Trillerformen 
auf  die  1  —  8  beschriebenen.  Die  Instrumentalisten  hingegen  erwähnen 
noch  den  Schneller  als  „den  kurtzen  Mordent  in  der  Gegen-Bewegung, 
dessen  höchsten  Ton  man  schnellt  und  die  übrigen  beyden  mit  dem  steifen 
Finger  vortraget."  (Bach.3)  Die  Figur  ist  offenbar  italienischen  Ursprunges. 
Caccini  nennt  sie,  wie  noch  manche  Theoretiker  des  18.  Jahrhunderts, 
ribatuta.  Cavalieri  führt  sie  als  Triller,  Crüger  und  Herbst  als  Tremolo 
an,  in  langer  und  kurzer  Form.  In  der  Instrumental-Musik  erscheint  er 
gleichfalls  bei  den  Italienern  und  ihrem  Anhange,  fehlt  indessen  bis  auf 
wenige  Ausnahmen  bei  den  Franzosen.4)  Für  den  Gesang  verbietet  sich 
die  lange  Form,  wenigstens  in  schneller  Ausführung,  aus  gesangstechnischen 
Gründen,  aber  die  kurze  Form  ist  durchaus  leicht  ausführbar.  Die 
Theoretiker  des  18.  Jahrhunderts,  die  ihn  erwähnen,  denken  offenbar  an 
Instrumental-Musik,  wie  Mattheson5)  unter  dem  Namen  ribatMta, 
Quantz  als  battement,  Marpurg6)  als  pince  renverse,  Schneller  auch 
Pralltriller,  J.  S.  Bach7)  als  accent  und  trillo,  Ph.  E.  Bach  als  Schneller, 


1)  a.  o.  O.  S.  99. 

a)  Agricola  a.  o.  O.  S.  130,  Anmerkung. 

3)  Neudruck  I.Teil  S.  77. 

4)  Vergl.  Dannreuther,  a.  o.  O.  Bd.  I  bei  Diruta,  S.  6  und  7,  in  langer  und  kurzer 
Form,  bei  Merulo,  S.  13,  Gibbons,  S.  22,  Praetorius,  S.  42,  Frescobaldi,  S.  45,  Denis  Gaultier 
S.  60,  Simpson  als  battiment,  S.  67,  Pachelbel,  unter  dem  Zeichen  :  t,  S.  90,  vereinzelt  bei 
den  französischen  Klavieristen,  die  fast  ausschliesslich  die  Bewegung  nach  unten  als  Cadence, 
Pince,  Pince  continue  (Mordent)  kennen,   endlich  bei  Geminiani  S.  132. 

B)  Vollk.  Kapellmeister. 

6)  Die  Kunst,  das  Klavier  zu  spielen,    1750. 

7)  Klavierbüchlein  von  Friedemann  Bach. 


Zweiter  Teil.  125 

Pasquali,  Nicolo  unter  dem  Mordenizeichen  mit  der  tieferen  Sekunde 
einsetzend1),  J.  Christ.  Bach  in  derselben  Form  wie  Pasquali, 
Manfredini  schlechthin  als  Triller  mit  dem  Zeichen  tr,  Türk  als 
Schneller,  pince  renverse,  von  der  Hauptnote  aus  in  kurzer  Form,  als 
battement  mit  dem  tieferen  Halbton  einsetzend  in  langer  Form.  Die 
Instrumentalmusik  besitzt  also  noch  vier  Trillerformen  mehr:  1.  das 
battement  von  der  Hauptnote  nach  oben  trillernd,  also  die  Umkehrung  des 
Mordents;  2.  das  battement,  mit  der  unteren  Sekunde  als  Hilfsnote  ein- 
setzend, also  die  Umkehrung  des  wirklichen  Trillers,  beide  in  langer  und 
kurzer  Form.  Für  die  Gesangsmusik  käme  nur  diese  in  Betracht,  die 
lange  nur,  soweit  es  sich  um  eine  gemessene  Bewegung  handelt.  Diese 
erwähnt  denn  auch  Hill  er  als  Vorbereitung  für  den  langen  Triller,  jene 
aber  nur  Petri2):  „der  Schneller  nimt  den  Ton  selbst  zuerst  und  darauf 
den  nächsten  oberwärts  des  Tones  vor  dem  Ton  voran  und  wird  auch  mit 
kleinen  Nötchen  ausgeschrieben."  (K  7  x.)  Unsere  heutige  Praxis  bedient 
sich  dieser  Figur  mit  Vorliebe  für  die  Vokalmusik  des  18.  Jahrhunderts. 
Kein  Zweifel,  daß  sie  hier  im  Widerspruch  steht  mit  derjenigen  der  Alten, 
denn  Agricolas  und  Hillers,  der  vornehmsten  Repräsentanten  der  alten 
Gesangskunst,  Schweigen  ist  ebenso  bezeichnend  für  seine  Ungebräuch- 
lichkeit,  wie  die  Tatsache,  daß  J.S.Bach  dort,  wo  er  seine  Verzierungen 
aussetzt,  sich  des  Schnellers  selten  und  dort,  wo  wir  ihn  erwarten,  des 
Mordents  bedient.  Trotzdem  können  wir  ihn  nicht  völlig  ausschalten, 
denn  Zeugnisse  seines  Gebrauches  sind  auch  in  der  Praxis  immerhin 
vorhanden,  insbesondere  in  der  Vor-Bachschen  Zeit  taucht  er  allenthalben 
auf.  So  notiert  ihn  Zachau  in  der  Kantate  „Meine  Seele  erhebet  den 
Herrn"3),  Keiser  in  der  Octavia4);  auch  bei  Händel  findet  er  sich,  wie 
in  der  Arie  „So  rasch  ist  dein  Siegsflug"  im  „Judas  Maccabäus"  und  in 
der  Arie  „Wie  sinkt,  wenn  Pflege  nicht  sie  nährt"  in  der  „Susanna". 
Die  Figur  war  also  sicherlich  in  Übung,  nur  galt  sie  nicht  als  stereotype 
Manier.  Wir  werden  uns  also  darauf  beschränken,  sie  dort  einzuführen, 
wo  der  Verlauf  der  Melodie  auf  sie  hinweist,  die  Verzierung  besonders 
frisch  wirken  soll,  oder  wo  sie  mit  instrumentalen  Figuren  korrespondiert, 
wo  sie  ja  durchaus  gebräuchlich  war. 

Der  Triller  galt  den  Alten  als  eine  Verzierung,  die  kaum  irgendwo 
nicht  am  Platze  war.  Nur  daß  für  Stücke  in  langsameren  Tempos  auch 
eine    langsamere    Entrollung    gefordert,     oder    in     der    Kadenz    ernster, 

1)  Vergl.  Dannreuther  a.  o.  O.  Bd.  2,  S.  71. 

2)  a.  o.  O.  S.  153. 

3)  Denkmäler  der  Tonkunst,   Bd.  21/22,  S.  110. 

4)  Supplemente,  enthaltend  Quellen  zu  Händeis  Werken.    Nr.  G,   S.  33,    133,    152   a.  E. 


126  Zweiter  Teil. 

getragener  Stücke  sein  Ersatz  durch  den  Doppelschlag  gestattet,  nicht 
anbefohlen  ward.  Uns  Modernen  erscheint  der  lange  Triller  mit  gewissen 
Affekten,  wie  denen  des  Schmerzes,  der  Resignation,  der  Trauer, 
unvereinbar.  Ja  wir  gehen  so  weit,  ihn  mit  dem  Ausdruck  höchster 
freudiger  Erregung  zu  identifizieren.  Richard  Wagner  macht,  abge- 
sehen von  Affekten  komischer  Art,  lediglich  in  diesem  Sinne  von  ihm 
Gebrauch.  Im  dritten  Akt  „Siegfried"  und  in  den  „Meistersingern"  finden 
sich  einschlägige  Beispiele.  So  weit  dürfen  wir  nun  freilich  für  die  alte 
Kunst  nicht  gehen.  Ich  glaube,  daß  ein  gewisser  Grad  musikalisch- 
historischer Bildung  zum  Erfassen  jedes  älteren  Kunstwerkes  erforderlich 
ist.  Wer  sich  nun  überhaupt  schon  mit  seiner  Melismatik,  mit  seinen 
Gängen  und  Passaggien  befreundet,  und  ihre  Bedeutung  für  den  Ausdruck 
verstanden  hat,  der  wird  auch  einen  gelegentlich  eingelegten  Triller,  sei 
es  in  der  Arie,  sei  es  in  der  Kadenz,  unter  dem  Gesichtspunkt  der  alten 
Kunstausübung  überhaupt,  die  ja  in  höherem  Grade  als  die  moderne, 
das  Melisma  im  Dienste  der  Melodieabrundung  und  des  Affektes  benutzte, 
zu  empfinden  und  zu  bewerten  geneigt  sein.  Deshalb  stehe  ich  nicht  an, 
ihn  im  Allegro  überhaupt,  ferner  selbstverständlich  in  den  an  sich  schon 
reich  kolorierten  Gesängen,  wie  beispielsweise  in  der  Arie  der  Delila  in 
Hand  eis  „Samson",  sowie  in  den  zierlichen  Sätzen  im  Sechsachteltakt 
oder  der  „Siciliana"  für  zulässig  zu  erklären.  Dagegen  möchte  ich  ihn 
aus  den  langsamen  Sätzen,  aus  Händeis  berühmten  „Larghi"  insbesondere, 
durchweg  ausschalten  und  durch  eine  der  Formen  des  Doppelschlages 
ersetzen,  was  ja  auch  der  alten  Lehre  nicht  widerspricht.  Auch  im 
Rezitativ  werden  wir  ihn  meiden.  Über  die  ästhetische  Bedeutung  der 
kurzen  Trillerformen  verlautet  wenig.  Aus  ihrem  Gebrauch  in  der  Musik 
Sebastian  Bachs  dürfen  wir  aber  schließen,  daß  ihre  Anwendung  eine 
durchaus  verbreitete  und  nicht  etwa,  wie  moderner  Musiksinn  schließen 
könnte,  auf  das  Zierliche,  Leichte  und  Anmutige  beschränkt  war.  Jeder 
Bach-Kenner  wird  sofort  eine  Reihe  von  Fällen  anführen  können,  in 
denen  diese  Figuren  in  den  ernstesten,  ja  schmerzlichbewegten  Stimmungen 
auftauchen.  Ich  erinnere  nur  an  folgende  Stellen  in  der  Matthäuspassion: 
„Trinket  alle  daraus"  bei  den  Worten:  „Ich  sage  Euch"  und  „Komm, 
süßes  Kreuz",  Anfang  des  Mittelsatzes  „wird  mir  mein  Leben".  Wir 
dürfen  füglich  kein  Bedenken  tragen,  in  Händelschen  Oratorien  in 
gleichem  Sinne  von  ihm  Gebrauch  zu  machen.  Nur  im  Rezitativ,  wie 
später  auszuführen  ist,  kontrastiert  seine  Einführung  in  so  hohem  Grade 
zu  der  sprachlich  gehaltenen  Diktion,  daß  wir  ihn  hier  ganz  ausschalten 
und  uns  gegen  Agricola  -  Hiller  für  die  Behandlung  Telemanns 
entscheiden  werden,  der  sich  mit  Accenti,  also  Vorhalten  und  Vor- 
schlägen begnügt. 


Zweiter  Teil.  1'27 

VI.  Der  Doppelschlag. 

Agricola  behandelt  diese  Figur,  die  Tosi  auffälligerweise  ganz 
übergeht,  bei  der  Lehre  vom  Triller.  Seine  Systematik  ist  auch  hier  unklar. 
Folgendes  ist  ihm  zu  entnehmen:  „Der  Doppelschlag  besteht  aus  einem 
unveränderlichen  Vorschlag,  der  Hauptnote  und  einem  Nachschlag,  welche 
mit  einander  verbunden  werden.  Man  folgt  bey  der  Ausführung  desselben 
den  Regeln  des  Vortrages  der  Vorschläge  und  Nachschläge  insoweit,  daß 
man  nämlich  den  Vorschlag  stärker  anschlägt,  die  Hauptnote  aber  an  ihn 
und  diese  wieder  an  den  Nachschlag  anschleifet.  Die  erste  und  zweyte 
Note  müssen  allemal  geschwind  auf  einander  folgen,  die  beyden  letzten 
Noten  aber,  die  den  Nachschlag  machen,  können  in  verschiedentlicher 
Geschwindigkeit  vorgetragen  werden.  Daher  entstehen  hauptsächlich 
dreyerley  Arten  seines  Vortrages"  (K  8  a).  Agricola  betont  ferner,  daß 
eine  Haupteigenschaft  der  Doppelschläge  sei,  „daß  sie  ihre  letzten  beyden 
Noten  nicht  mit  der  folgenden  Hauptnote  verbinden,  sondern  allezeit  einen 
kleinen  Raum  dazwischen  übrig  lassen".  Die  weiteren  Ausführungen  im 
Verlaufe  seiner  Abhandlung  bestätigen  diese  Bestimmungen.  Nur  die 
in  unserem  Beispiel  (K  8  a)  zuerst  gegebene  Figur  entspricht  ihnen  nicht, 
dürfte  also  nur  als  Ausnahmefall  für  ganz  schnelle  Tempi  zu  betrachten 
sein.  Das  Zeichen  sei  bei  den  Klavieristen:  $  *),  sonst  aber  behelfe  man 
sich  mit  dem  Zeichen  eines  Trillers  oder  man  schreibe  ihn  aus  (K  8  b). 
Es  steht  also  für  die  Gesangsmusik  fest,  daß  unter  dem  Zeichen  t  oder 
fr  auch  der  Doppelschlag,  der  als  Spezies  des  Trillers  gilt,  verstanden 
werden  kann.    Folgende  Abarten  des  Doppelschlages  lassen  sich  feststellen: 

1.  Der  Doppelschlag,  der  mit  der  llilfsnote  von  oben  einsetzt 
(K  8  a). 

k2.  Der  prallende  Doppelschlag.  Die  ersten  Noten  werden  „durch 
ein  scharfes  Schnellen  in  der  größten  Geschwindigkeit  wieder- 
holt" (K  8  c),  oder  „welches  einerley  gesaget  ist,  über  der 
Hauptnote  anstatt  des  unveränderlichen  Vorschlages  ein  Prall- 
triller angebracht".  Allein  da  „die  beyden  letzten  Noten  nicht 
allemal  in  einerley  Geschwindigkeit  geschlagen  werden  und 
auch  an  die  folgende  Note  nicht  geschwind  angeschleifet  werden, 
welches  beydes  doch  eine  Haupteigenschaft  der  Nachschläge 
der  Triller  ist,  so  wird  diese  Manier  von  Bachen  im  Ver- 
suche über  das  Klavier  mit  mehrerer  Genauigkeit  unter  den 
Doppelschlag  gerechnet".  Das  Zeichen  für  diese  Verzierung 
ist:  £ 

*)  Nicht  richtig.  Das  Zeichen  ist  vielmehr  fast  überall  oz,  und  c/ö  für  den  Doppel- 
schlag von  unten  als  dreiuotiger  Schleifer. 


128  Zweiter  Teil. 

3.  Der  Doppelschlag  nach  ausgehaltener  llauptnote  dient  zur  Ver- 
bindung der  Noten,  beginnt  gleichfalls  mit  der  Hilfsnote  (K  8  d). 
Das  Zeichen  S  steht  nicht  über  der  Hauptnote,  sondern  etwas 
rechts,  der  folgenden  Hauptnote  genähert  (K  8  e). 

4.  Der  geschnellte  Doppelschlag  beginnt,  nach  Bach,  mit  der 
Hauptnote  in  der  möglichsten  Geschwindigkeit  und  verbindet 
mit  ihr  den  Doppelschlag  über  der  geschriebenen  Hauptnote. 
Er  wird  meist  durch  eine  kleine  Note  in  der  Tonhöhe  der 
Hauptnote  angedeutet  (K  8  f).  Die  Formen  sub  3  und  4 
unterscheiden  sich  also  wesentlich  dadurch,  daß  in  derjenigen 
sub  3  die  erste  Note  ihren  Wert  behält,  und  nur  soviel  als 
nötig,  an  den  Doppelschlag  abgibt,  während  hier  sub  4  die 
Hauptnote  nicht  mehr  Zeit  beansprucht,  als  die  anderen  Noten 
des  Melismas. 

5.  Der  prallende  Doppelschlag  in  Verbindung  mit  einem  Nach- 
schlag. Yor  dem  Eintritt  des  prallenden  Doppelschlages  kann 
die  obere  Hilfsnote  als  Vorschlag  wiederholt  werden  (K  8  g). 
Das  wird  in  der  Regel  durch  eine  kleine  Note  angedeutet. 

Wo  findet  nun  der  Doppelschlag  seinen  Platz?  Die  Note  „worüber 
man  einen  Doppelschlag  machen  will",  belehrt  man  uns,  „darf  weder  zu 
lang,  noch  zu  kurz  seyn,  damit  weder  zuviel  Leeres  übrig  bleibe,  noch 
auch  im  Gegentheile  Zeit  mangeln  möge,  den  Doppelschlag  rund  und 
deutlich  herauszubringen".  Er  kann  also  „überhaupt  sowohl  in  langsamen 
als  in  geschwinden  Stücken,  sowohl  über  geschleifete  (legato)  als  ge- 
stoßene Noten  (marcato)  angebracht  werden.  Er  dient  nicht  nur  zur 
Ausfüllung,  sondern  auch  sowohl  zu  feurigen  und  brillanten  als  zu 
gelassenen  und  schmeichelnden  Ausdrücken".  Im  einzelnen  bemerkt  noch 
Agricola:  der  Doppelschlag  habe  seinen  Sitz  über  der  Hauptnote, 
zunächst  der  Typus  sub  1,  2,  4,  5,  sowohl  im  Gehen  als  im  Springen, 
also  zwischen  Sekunden  und  anderen  Intervallen,  auf  gute  und  schlimme 
Taktteile  (K  8  h),  besonders  bei  aufsteigenden  Noten  auf  der  mittelsten 
(K  8  i),  am  Anfang  eines  Taktteiles  oder  Gliedes,  wenn  die  Note 
des  Taktteiles  wiederholt  wird  und  eine  aufwärts  gehende  Note  folgt 
(K  8  k);  ferner  auf  wiederholten  Noten  derselben  Tonhöhe  (K  8  1), 
bei  Noten,  „welche  durch  Akkorde  springen"  (K  8  m).  Bei  aufsteigenden 
gleichwertigen  Noten  kann  sogar  über  jeder  ein  Doppelschlag  angebracht 
werden  (K  8  n.)  Er  kann  überhaupt  den  Triller  überall  ersetzen, 
mit  Ausnahme  der  Fälle,  „wo  er  gar  zu  viel  unausgeführt  lassen  würde, 
also  bei  allzu  langen  Noten  und  dort,  wo  der  Triller  keinen  Nachschlag 
verträgt".     Der  Doppelschlag  nach  der  Hauptnote  (sub  3)  kann  angebracht 


Zweiter  Teil.  129 

werden,  „wenn  diese  entweder  durch  ihre  Geltung  oder  durch  ihre  Takt- 
bewegung etwas  lang  ist,  oder  wenn  sie  durch  einen  Punkt  in  gemäßigtem 
Tempo  und  bey  schmeichelndem  Vortrag  verlängert  wird"  (K  8  d  u.  e). 
Der  prallende  Doppelschlag  insbesondere  (Form  sub  2)  steht,  soweit  es 
das  Tempo  gestattet,  über  fallenden  Sekunden,  gleichviel  ob  es  sich  um 
ausgeschriebene  Noten  (K  8  o)  oder  um  einen  Vorschlag  handelt  (K  8  p). 
Auch  über  absteigenden  Sekunden  kommt  er  vor  im  langsamen  Tempo, 
gerne  mit  einem  Vorschlag  (K  8  q).  Ferner  empfiehlt  Agricola  den 
einfachen,  bezw.  prallenden  Doppelschlag  in  langsamen,  affektreichen 
Stücken,  bei  kurzen  Einschnitten,  auf  welche  eine  Pause  folgt,  jenen  nach 
einem  Vorschlag  von  unten  (K  8  p),  diesen  nach  einem  Vorschlag  von 
oben  (K  8  q),  stets  die  letzten  Noten  ,,ganz  matt  und  langsam".  Ja, 
selbst  bei  Hauptschlüssen  in  zärtlichen  oder  traurigen  Stücken 
kann  der  Doppelschlag  den  Pralltriller  ersetzen  und  „einen  schwer  an- 
sprechenden Triller  verbergen".  Endlich  läßt  sich  der  Doppelschlag  mit 
dem  punktierten  Schleifer  so  kombinieren,  daß  er  sich  zwischen  die  erste, 
punktierte  Note  und  die  zweite  kurze  einschiebt. 

Den  Doppelschlag  von  unten  behandeln  Agricola  und  Bach,  wie 
bereits  angedeutet,  als  Schleifer  unter  dem  Zeichen  c/d.1)  Hiller  stimmt 
durchaus  mit  Agricola  überein. 

VII.  Die  Bebung 

,,auf  einem  und  demselben  Tone,  welche  man  auf  Bogeninstrumenten 
durch  das  Hin-  und  Herwanken  eines  Fingers,  dessen  Spitze  aber  doch 
auf  dem  gegebenen  Tone  liegen  bleibt  und  die  den  Ton  weder  höher 
noch  tiefer,  sondern  nur  etwas  schweben  machet,  ist  auch  eine  Manier, 
die  im  Singen,  besonders  auf  der  Haltung  langer  Töne  zuweilen, 
wenn  man  sie  erst  gegen  das  Ende  dieser  Noten  anbringt,  ihre  gute 
Wirkung  tut*'.  Hiller  wiederholt  diese  Worte  des  Agricola  und  fügt 
hinzu,  einige  Sänger  erleichterten  sich  die  Schwierigkeit  mit  der  Bewegung 
des  unteren  Kinnbackens,  wie  Carestini,  mit  sehr  gutem  Erfolge. 
Mit  Sicherheit  läßt  sich  nicht  bestimmen,  ob  hier  unser  modernes 
Tremolieren,  oder,  wie  ich  anzunehmen  geneigt  bin,  der  alte,  gehauchte 
Triller  des  Caccini  vorliegt.  Für  diese  Annahme  spricht  die  Tatsache, 
daß  die  gehauchte  Vokalisation  im  18.  Jahrhundert  noch  üblich,  wenn- 
gleich nur  noch  von  einzelnen  Künstlern,  wie  der  Faustina  Hasse, 
angewendet  war,  und  daß  sie  sich  in  zahlreichen  Stellen   der  praktischen 


J)  Marpurg,  Petri,  Löhlein,  Müller  rechnen  diese  Figur  zum  Doppelschlag,  L.  Mozart 
beide  Formen  zum  Mordent,  Hiller,  Türk,  Agricola  und  Bach  zum  Schleifer,  Mancini  nenut 
beide  Formen  appoggiatura  doppia  oder  gruppetto. 


]30  Zweiter  Teil. 

Literatur  vorgeschrieben  findet.1)  Bei  den  Franzosen  hatten  wir  sie  unter 
dem  Namen  „balancetttent"  gefunden. 

B.   Die  Passaggien  und  ihre  Verwendung  in  der  Arie. 

Ästhetische  Ausführungen  nehmen  in  diesem  Kapitel,  wie  in  dem 
ihm  nahestehenden  „von  der  willkürlichen  Veränderung  der  Arie"  den 
obersten  Platz  ein.  Es  wird  die  Frage  abgehandelt:  welche  Berechtigung 
hat  die  Passaggie,  und  die  ihr  verwandten  Melismen  in  der  Komposition, 
und  hat  der  Sänger  das  Recht,  oder  gar  die  Pflicht,  seinerseits  über  das 
vom  Komponisten  Niedergeschriebene  hinaus  selbsttätig  hinzuzufügen,  aus- 
zuschmücken und  zu  verändern. 

Die  wichtigsten,  uns  zugänglichen  Äußerungen  über  diesen  Gegen- 
stand umfassen  den  Zeitraum  von  1723 — 1780.  Tosi,  Agricola,  Hiller, 
Manfred ini  und  Mancini  kommen  in  erster  Linie  in  Betracht.  In  diese 
Zeit  fällt  die  bereits  von  Tosi  bekämpfte  und  verspottete  Ausartung  des 
Koloraturstils,  die  den  italienischen  Sängern  —  bestrebt,  ihre  Bravour 
zu  zeigen  und  den  Beifall  der  großen  Menge  zu  gewinnen  —  in  gleichem 
Grade  zur  Last  zu  legen  ist,  wie  den  ihnen  gefügigen,  auf  den  Eintags- 
erfolg der  Karneval-Stagione  angewiesenen  Tonmeistern,  und  die  Reaktion, 
welche  innerhalb  der  neapolitanischen  Schule  vorzüglich  von  Hasse, 
Perez,  Traetta,  Jomelli  und  Majo  vertreten,  ihren  bedeutungsvollsten 
Ausdruck  in  Glucks  Opernreform  gefunden  hat.2)  Daß  diese  einen  völlig 
umwälzenden  Einfluß  auf  die  vokale  und  musikdramatische  Technik  ins- 
besondere, nicht  gewonnen  hat,  ist  bekannt.  Dagegen  vermochten  die 
genannten  Italiener,  vorzüglich  aber  Sacchini,  dessen  Einfluß  in  diesem 
Sinne    von    den    Zeitgenossen    gerühmt   wird3),    wenigstens    den    gröbsten 

1)  Burney  „Tagebuch  einer  musik.  Reise"  1772  S.  139  erzählt  von  Faustina  Bordoni, 
der  Gattin  Hasses:  „Die  Passagien  mochten  laufend  oder  springend  gesetzt  seyn,  oder  aus 
vielen  geschwinden  Noten  auf  einem  Ton  Dach  einander  bestehen,  so  wusste  sie 
solche  in  der  möglichsten  Geschwindigkeit,  so  geschickt  herauszustossen,  als  sie  immer  auf 
einem  Instrument  vorgetragen  werden  können.  Sie  ist  unstreitig  die  Erste,  welche  die  ge- 
dachten, aus  vielen  Noten  auf  einem  Ton  bestehenden  Passaggien  im  Singen  und  zwar  mit 
dem  besten  Erfolge  angebracht  hat."  Oifenbar  hat  die  Faustina  die  alte,  nie  ganz  ver- 
schwundene Manier  des  Anhauchens  gleichhoher  Noten  wieder  eingelührt.  Vergleiche  auch 
Chrysander  „Händel"  II,  S.  146,  und  die  Koloratur  im  „Alessandro",  die  ihr  Händel  schrieb, 
mit   ihren  schnell  wiederholten  Noten,  und  des  Verf.  Ital.  Gesangsmethode  S.  95. 

2)  Vergl.  Kretzschmar:  Jahrb.  d.  Musikbibl.  Peters,  „Zum  Verständniss  Glucks"  S.  66. 
8)  Minoja,   Ambrosio  „Über  den  Gesang,  Sendschreiben  an  B.  Asioli"  führt  aus,    dass 

die  kompositorischen  Foitschritte  eines  Pergolese  und  Vinci  durch  die  Sänger  paralysiert  worden 
seien,  die  Übertreibungen  und  ausschweifende  Manieren  an  die  Stelle  des  gefühlvollen  Aus- 
drucks setzten.  Gluck  trat  ihnen  in  seinem  Orpheus  entgegen,  dessen  ungeachtet  gelang  es 
ihm  nicht,  das  grosse  Publikum  von  dem  Missbrauch  der  Gewandtheit  und  Fertigkeit  der 
Stimme  zu  überzeugen.  Dem  Sacchini  war  es  mehr  als  irgend  einem  anderen  vorbehalten, 
dieser  ausschweifenden  Art  zu  singen,  den  tödlichen  Stoss  zu  geben. 


Zweiter  Teil.  13] 

Ausschreitungen  abzuwehren.  Glucks  Theorie  und  noch  viel  mehr  seine 
Praxis  war  zu  radikal,  der  Egoismus  der  Sänger  zu  groß,  die  ober- 
flächliche Art  des  Kunstgenießens  hatte  bei  dem  Zuhörer  zu  tief  Wurzel 
geschlagen,  als  daß  von  hier  aus  eine  sofortige  und  vollständige  Abkehr 
denkbar  gewesen  wäre.  Auf  dem  Gebiete  der  italienischer  Kunst  zu- 
getanen Bühne  hatte  Gluck  nur  einen  halben  Erfolg,  aber  er  trug  dazu 
bei,  daß  die  neuere  Richtung  der  genannten  italienischen  Meister  und  ihrer 
Anhänger  zunächst  wenigstens  zum  Sieg  gelangte.1)  Diese  nun  waren 
weit  davon  entfernt  die  Passaggien  und  den  melismatischen  Ziergesang 
überhaupt  als  mit  dem  pathetischen  Stile  unvereinbar  zu  erklären.  Sie 
nahmen  zwischen  Gluck  einerseits  und  der  italienisch- deutschen  Hand- 
werkspraxis andererseits  eine  vermittelnde  Stellung  ein.  Manfredini2) 
berichtet,  wie  30  —  40  Jahre  früher,  also  etwa  1748,  die  aria  cantabile 
schon  vom  Komponisten  mit  Passaggien,  gorgheggi  und  Schwelltönen  in 
einer  dem  Affekt  und  Charakter  des  Stückes  widersprechenden  Art  aus- 
gesetzt und  vom  Sänger  noch  überdies  im  Interesse  seiner  Eitelkeit  völlig 
depraviert  wurde,  daß  aber  jetzt  (also  1788)  einmal  die  veränderte  Form 
der  Arie,  die  dem  da  capo  aus  dem  Wege  gehe,  zu  einer  edlen  Verein- 
fachung beigetragen  habe,  dann  aber  auch  selbst  die  Ausschmückung  der 
aria  dl  bravura  sich  in  höherem  Grade  als  früher  mit  dem  Ausdruck  der 
Worte  und  dem  motivischen  Gehalt  des  Stückes  in  Übereinstimmung  zu 
setzen  suche.  Soweit  sich  die  Koloratur  in  diesen  Grenzen  halte,  sei 
sie  zu  rechtfertigen.  Manfredinis  Andeutung  von  der  Änderung  der 
Arienform  bedarf  hier  einer  kurzen  Erläuterung.  Bis  etwa  1760  ließ  die 
da  capo -Form  dem  ersten  Teil  der  Arie,  der  selbst  wieder  in  zwei  Teile 
zerfiel  und  die  Textworte  wiederholte,  nach  dem  kürzeren  Mittelsatz  die 
Wiederholung  des  ersten  Satzes  so  folgen,  daß  der  Komponist  nur  sein 
da  capo  notierte  und  der  Sänger,  der  im  wesentlichen  bisher  so  vorge- 
tragen hatte,  wie  es  niedergeschrieben  war,  und  nur  einige  melodie- 
abrundende Verzierungen  hinzugefügt  hatte,  nunmehr  „bey  schicklichen 
Stellen  und  Gelegenheiten  so  viel  von  seiner  eigenen  Erfindung  über  den 
vorgeschriebenen  Noten"  hören  ließ,  „daß  man  einerley  Sache  zweimal 
zu  hören  nicht  überdrüssig  ward,  sondern  Bewunderung  und  Hochachtung 
gegen   den  Sänger   empfand,   der   die  Aufmerksamkeit   der  Zuhörer   nicht 


*)  Später  mussten  auch  diese  Führer  der  sogenannten  zweiten  neapolitanischen  Schule 
vor  den  Neuneapolitanern,  wie  Lampugnani,  Latilla,  Conforto  und  anderen  zurückstehen, 
deren  Kunst  wiederum  auf  eine  „äusserlich  drastische,  um  nicht  zu  sagen  theatralische 
Rhetorik"  ausgeht  und  mit  „grossen  Intervallen,  mit  weitausholenden  Läufen  den  Schein 
innerer  Erregung  und  Ekstase  zu  erwecken  sucht*'.  Kretzschmar  a.  o.  O.  1905,  „Mozart  in 
der  Geschichte  der  Oper"  S.  56  ff. 

2)  Difesa  della  musica  moderna  S.  196  ff. 

9* 


132  Zweiter  Teil. 

schlaff  werden  ließ,  als  vielmehr  aufs  neue  anzuspannen  wußte  (Hiller1). 
Die  später  übliche  Form  —  die  übrigens  der  älteren  Zeit  um  1680  noch 
durchaus  geläufig  war,  dann  aber  in  Vergessenheit  geriet  —  bringt  den 
Text  im  ersten  Teil  nur  einmal,  fügt  den  Mittelsatz  an,  und  verarbeitet 
nun  im  dritten  Teil  wieder  die  Themen  des  ersten,  nur  mit  etwas  ver- 
änderter Modulation.  Eine  eigentliche  Repetition  findet  also  nicht  statt.  „Die 
melismatischen  Dehnungen,  zu  denen  ehemals  die  Komponisten  nur  die  An- 
lage machten  und  ihre  Umwertung  dem  Sänger  überließen,  werden  nun 
meistenteils  so  ausführlich,  und  in  mancherley  Gestalt  niedergeschrieben,  daß 
ihm  selten  mehr  zu  tun  übrig  bleibt,  als  zu  singen  was  dasteht"  (Hiller2). 
Auch  die  Rondo-Form,  die  um  diese  Zeit  in  Aufnahme  kam  —  Glucks 
„che  färb  senza  Euridice"  im  „Orfeo"  ist  ein  berühmtes  Beispiel  —  ver- 
langt nach  Hiller,  da  sie  zur  Gattung  der  zärtlichen  Arie  gehöre,  deren 
Bewegung  immer  mehr  langsam  als  geschwind  ist,  mehr  Feinheit  des 
Geschmackes,  als  einen  an  Veränderungen  reichen  Geist.  Wir  haben 
übrigens  gesehen,  daß  längst  vor  dem  von  Hill  er  gegebenen  Termin  von 
1760  die  Durcharbeitung  der  Arie  und  die  damit  gegebene  Einschränkung 
der  virtuosen  Verzierungskunst  von  J.  S.  Bach  geübt  wurde;  aber  dieses 
größten  Meisters  Werke  waren  damals  bereits  nur  noch  einem  kleinen 
Kreise  geläufig.  Hiller  erwähnt  ihrer  ganz  selten,  ohne  ihnen  irgendwo 
eine  Bedeutung  für  den  Einzelgesang  beizumessen. 

Aber  auch  in  der  älteren  Zeit  hat  es  an  einsichtigen  Musikern  nie 
gefehlt,  die  sich  gegen  die  Überlastung  des  Tonstückes  durch  Zierraten, 
und  Passaggien  insbesondere,  ausgesprochen  haben.  Für  die  Periode 
Bach- Händel  ist  Tosis  Urteil  von  besonderem  Wert.  „Ob  die 
Passaggie  gleich"  —  heißt  es  bei  ihm  in  Agricolas  Übersetzung  — 
„in  sich  selbst  nicht  die  Kraft  hat,  diejenige  Anmut  hervorzubringen, 
welche  das  Herz  rühret,  indem  sie  vornehmlich  nur  dazu  dient,  daß  sie 
an  einem  Sänger  das  Glück  einer  biegsamen  Stimme  bewundern  macht, 
so  ist  es  doch  hoch  nötig,  daß  der  Meister  seinen  Schüler  wohl  darin 
unterrichte,  damit  sie  dieser  mit  Leichtigkeit,  Geschwindigkeit  und  richtiger 
Intonation  ausführen  lerne.  Denn  wenn  sie  am  gehörigen  Orte  vor- 
getragen werden,  so  verdienen  sie  allerdings  Beyfall,  und  machen,  daß 
der  Sänger  allgemein  und  in  allen  Setzarten  zu  singen  fähig  ist".  Was 
versteht  nun  Tosi  unter  „am  gehörigen  Orte  vorgetragen?"  Der  erste 
Teil  der  Arie,  wird  ausgeführt,  verlangt  „überall  eine  ganz  einfache  Aus- 
zierung",  wofür,  wie  Agricola  anmerkt,  die  „Manieren  als  Vorschlag, 
Triller  etc.  ausreichen,  damit  die  Arbeit  des  Verfassers  in  ihrer  natürlichen 


*)  Anweisung  zum  musikalisch-zierlichen  Gesang  S.  q6. 
2)  a.  o.  O.  S.  97. 


Zweiter  Teil.  133 

Schönheit  zu  Gehör  komme".  „Im  anderen  Teil",  —  gemeint  ist  der  zweite 
Abschnitt  des  ersten  Satzes  —  »will  man  bey  aller  Einfalt  etwas  mehr 
Ausschmückungskunst  hören".  Den  Mittelsatz  wünscht  er,  da  er  ihn 
unerwähnt  läßt,  notengetreu  vorgetragen.  Bei  der  Wiederholung  dagegen 
„muß  alles,  was  vorher  gesungen  wurde,  „noch  schöner  und  besser  als 
vorgeschrieben  gemacht  werden".  Er  mißbilligt  aber  die  neue  „Mode", 
ohne  Rücksicht  auf  Charakter  und  Anlage  des  Stückes  zu  variieren,  und 
will  Arien  pathetischer  Art  von  dieser  Behandlung  ausschließen.  „Das 
beständige  Allegro,  das  die  Neueren  singen,  gehe  nicht  weiter  als  bis  an 
das  Äußerliche  eines  zarten  Gehörs".  Pathetische  Arien  zu  studieren 
war  „die  liebste  Beschäftigung  der  vorigen,  die  Übung  der  schwersten 
Passaggien  aber  ist  der  Endzweck  der  itzigen  Sänger".  Im  wesentlichen 
läuft  also  Tosis  Lehre  darauf  hinaus,  daß  die  Auszierung  überall  der 
textlichen  Grundstimmung  und  musikalischen  Anlage  zu  entsprechen  habe, 
daß  sie  nicht  zur  Entfaltung  virtuoser  Gesangskunst,  sondern  dazu 
bestimmt  sei,  die  melodische  Linienführung  abzurunden,  und  eine 
Ermüdung  des  Ohres  in  der  Repetition  zu  verhindern.  Nur  in  bravourös 
angelegten  Stücken,  deren  Ausdrucksgehalt  von  vornherein  sich  mehr  an 
das  Ohr,  als  an  das  Herz  wendet,  soll  dem  Sänger  die  Gelegenheit,  seine 
Phantasie  und  seine  technische  Fertigkeit  spielen  zu  lassen,  nicht  unter- 
bunden werden.  In  allen  Gesängen  ernsten  Stiles  aber,  gleichviel 
welcher  Affekt  ihm  zugrunde  liegt,  ist  die  melodische  Auszierung  nur 
soweit  zulässig,  als  sie  mit  ihm  im  Einklänge  zu  bleiben  vermag. 
Daß  Agricola  dem  Tosi  folgt,  erhellt  daraus,  daß  er  sich  hier  auf  die 
Übersetzung  der  Yorlage  beschränkt,  wo  er  doch  an  andern  Stellen  nicht 
selten  gegen  sie  polemisiert.  Auch  Hiller  trägt  im  wesentlichen  die  Lehre 
seiner  Vorgänger  vor.  Er  berichtet,  daß  die  Sänger,  die  mit  ihren 
Passaggien  Aufsehen  gemacht,  stets  Bewunderer,  aber  auch  Verächter  und 
Widersacher  gefunden.  Es  sei  hier  nicht  der  Ort  „den  Proceß  zu  formieren 
und  den  Ausspruch  darüber  zu  thun",  aber  das  lasse  sich  „ohne  Parthey- 
lichkeit  sagen,  daß  auf  beiden  Seiten  die  Grenze  überschritten  werde, 
wenn  man  auf  der  einen  keinen  Gesang  schön  findet,  als  den,  der  immer 
im  Galopp  bergauf  und  -ab  rennt;  dagegen  auf  der  anderen  nur  immer 
Ton  für  Ton,  mit  Sylben  beladen,  schwerfällig  einhergehend,  verlangt. 
Die  Passaggien  sind  freylich  nicht  die  wesentliche  Schönheit  des  Gesanges. 
Es  kann  ein  Gesang  schön  seyn  ohne  alle  Passaggien,  dagegen  dürfte  ein 
aus  lauter  krausen  Figuren  bestehender  Gesang  wohl  schwerlich  Jemandem 
gefallen.  Zur  Rührung  des  Herzens  tragen  die  Passaggien  gleichfalls 
wenig  bey;  sie  sind  meistenteils  weiter  nichts,  als  das  Mittel,  wodurch 
ein  Sänger  die  besondere  Geschicklichkeit  und  Fertigkeit  seiner  Kehle 
zeigt.    Der  Missbrauch,  der  heutzutage  damit  getrieben  wird,  ist  allerdings 


]34  Zweiter  Teil. 

sehr  groß,  Dicht  allein  auf  dem  italienischen,  sondern  auch  bereits  schon 
auf  dem  deutschen  Theater;  am  unleidlichsten  ist  dieser  Missbrauch  in  der 

Kirche" „Ob  nun   gleich  gegen  diese  Missbräuche  nicht  genug 

geeifert  werden  kann,  so  würde  es  doch  unrecht  und  übertrieben  seyn, 
wenn  man  den  Gebrauch  der  Passaggien  ganz  aus  der  Singemusik  ver- 
bannen wollte.  Die  Musik  fodert  Mannigfaltigkeit  und  Abwechslung; 
die  Passaggien  sind  zur  Erreichung  derselben  immer  ein  gutes  Mittel, 
wenn  sie  mit  andern  simplem,  und  bloß  deklamirenden  Stellen  vereinigt 
sind.  Den  größten  Teil  eines  Stückes  dürfen  sie  nicht  ausmachen;  aber 
ihnen  gar  keinen  Anteil  gönnen  wollen,  wäre,  wo  es  nicht  Ausdruck  und 
Leidenschaft  glatterdings  verbieten,  ein  wenig  zu  streng.  Die  Geschick- 
lichkeit des  Sängers  kömmt  bey  Aufführung  eines  Singestückes  allemal 
mit  in  Rechnung;  und  man  muß  ihm  die  Gelegenheit  nicht  nehmen  wollen 
zu  zeigen,  wie  weit  es  mit  der  menschlichen  Stimme  durch  Fleiß  und 
Übung  auch  in  diesem  ^Stücke  zu  bringen  sey.1)  Nur  suche  er  nicht  auf 
Unkosten  der  Leidenschaft  zu  glänzen,  und  das  durch  Passaggien  zu  er- 
setzen, was  er  im  empfindsamen  Vortrag  vernachlässigt."  An  anderer 
Stelle  wird  noch  betont,  daß  Kirche,  Theater  und  Kammer,  ja  auch  „die 
Weitläufigkeit"  und  „Ehrwürdigkeit  des  Ortes"  den  Sänger  „zu  eigner 
Observanz  verbinden,  oder  ihm  Dinge  verbieten,  die  an  einem  audern 
Ort  nicht  allein  zugelassen,  sondern  sogar  notwendig  seien.  „Die  Kirche 
fodert  in  allem  eine  edle  Ernsthaftigkeit,  die  der  Heiligkeit  des  Ortes  an- 
gemessen ist.  Ein  Sänger  muß  nicht  mit  einer  eitlen  Fertigkeit  der  Kehle, 
mit  üppigen  und  bunten  Verzierungen  und  witzelnden  und  affektierten 
Einfällen  prahlen  wollen."  Und  endlich  heißt  es  noch  an  anderer  Stelle, 
ganz  allgemein:  „Die  aus  wenigen,  aneinander  liegenden  Noten  bestehen- 
den Veränderungen  sind  denen  vorzuziehen,  die  sich  in  viele  weither- 
geholte und  ausschweifende  Noten  verwickeln." 

Sehen  wir  uns  nun  auf  diese  theoretischen  Darlegungen  hin  ihre 
praktischen  Nutzanwendungen  in  den  sechs  mit  Veränderungen  versehenen 
Arien  Hillers  an,  von  denen  ich  im  Anhang  L  einige  Proben  gebe,  so 
läßt  auch  eine  flüchtige  Durchsicht  sofort  erkennen,  daß  diese  mit  jenen 
in  Widerspruch  stehen,  wenigstens  für  unser  musikalisches  Empfinden. 
Zwar  ist  es  zweifellos,    daß  die  Wahl   der  Stücke   auf  eine    ungehinderte 

')  Algarotti,  ein  feiner  Kenner  der  Oper  seiner  Zeit,  geht  sogar  soweit,  die  Freiheit 
des  Ausschmückens  durch  den  Sänger  ganz  verbieten  zu  wollen  und  die  Praxis  der  Franzosen 
zu  empfehlen,  die  sie  wesentlich  beschränkte.  Es  heisst  in  seinem  »Saggio  sopra  l'opera  in 
musica«  von  1756:  a  considerare  il  bene  e  il  male,  che  ne  resulta  dal  lasciare  al  musico  la 
liberta  nel  cantare,  sembra  finalmente  assai  piü  ragionevole  la  pratica  dei  Francesi,  che  non 
permottono  a  loro  musici  quegli  arbitrii,  di  quali  troppo  sovento  sogliono  abusare  i  nostri. 
Selbst  die  Kadenz  will  er  dem  Sänger  nicht  freigeben:  per  le  stesse  ragioni  non  si  vorebbe 
abbandonare  al  musico  la  cadenza,  che  d'ordinario  riesce  di  tutt'  altro  colore,  che  non  e  l'aria. 


Zweiter  Teil.  135 

Entfaltung  der  Variationstechnik  gerichtet  war.  Dennoch  erscheint  uns 
nicht  nur  die  für  die  Wiederholung  des  ersten  Teiles  bestimmte  reichere 
Aussetzung  (System  I),  sondern  schon  die  einfachere  des  ersten  Vortrages 
(System  II)  abgeschmackt,  süßlich,  verwirrt,  ja  nicht  einmal  gesangs- 
technisch akzeptabel.  Daß  ein  Meister  wie  Hiller,  mit  seinem  so  maß- 
vollen Prinzip,  das  Richtige  für  seine  Zeit  getroffen  hat,  ist  ebenso  sicher, 
als  daß  uns  Praxis  und  Theorie  im  Widerspruch  erscheinen,  daß  wir 
fade,  ja  geradezu  melodiefälschende  Tonformeln  finden,  wo  er  dem  Geschmack 
seiner  Zeit  gerecht  wurde;  hier  etwa  einen  Anhalt  für  die  wirklich  wert- 
volle Musik  der  Zeit  und  ihre  Behandlung  in  der  Ausführung  zu  suchen, 
scheint  völlig  ausgeschlossen.  Selbst  rein  bravourösen  Arien,  wie  sie 
Händel,  Traetta,  J  omelli,  Hasse  und  alle  Komponisten  des  achtzehnten 
Jahrhunderts  liefern,  stünde  eine  solche  Auszierung  heut  nicht  mehr  an. 
Unser  bereits  durch  Händel  an  stets  ausdrucksvolle  Melismen  gewöhntes 
Ohr,  unser  im  Ausdruck  wurzelndes  Musikempfinden  sträubt  sich  in  solchem 
Grade  gegen  diese  spielerische  Art  der  Veränderungen,  daß  ihre  Ver- 
pflanzung in  die  heutige  Musikausübung  nichts  anderes  bedeutete,  als  die 
Ausschaltung  der  alten  Kunst  überhaupt.  In  dieser  Fassung  ist  sie  uner- 
träglich, folglich  haben  wir  das  Recht,  das  was  uns  schön  dünkt  zu  er- 
halten, und  über  Bord  zu  werfen,  was  diesen  Genuß  zu  vereiteln  oder 
auch  nur  zu  trüben  droht. 

Überzeugen  uns  schon  diese  ästhetischen  Erwägungen  von  der  Un- 
möglichkeit, in  philologisch  puristischem  Verfahren  zu  uns  herüber  zu 
nehmen,  was  damals  „die  Mode",  so  lassen  auch  die  musikalisch  - 
technischen  Ausführungen  der  Alten  keinen  Zweifel,  daß  eine  solche 
Wiederbelebung  an  der  völlig  veränderten  Gesangstechnik  und  ihrer 
Behandlung  des  Melismas  scheitern  müßte. 

Für  die  Verbindung  der  Töne  auf  einem  Vokal  kennen  wir  vier 
Arten,  das  Legato,  Portamento,  Staccato  und  Martellato,  und  gehen  stets 
vom  Binden,  dem  Legato,  als  der  normalen  Aneinanderreihung  aus,  dem 
die  innigere  Verbindung,  das  Portamento  einerseits,  das  Absetzen, 
Staccato  und  Martellieren  andererseits  als  Ausnahmen  gegenüberstehen. 
Das  Portamentieren  erfassen  wir  als  ein  enges  Zusammenbinden  zweier 
Töne,  sodaß  die  Stimmbänder  ganz  allmählich  an-  bezw.  abspannen, 
während  beim  Legato  dieser  Vorgang  sehr  schnell  erfolgt.  In  diesem 
soll  der  Atem  ruhig  ausströmen,  im  Martellato  hingegen  führt  die  Lunge, 
durch  den  Zwerchfellmuskel  in  Bewegung  gesetzt,  jedem  Ton  ein  neues 
Maß  von  Luft  zu,  ohne  daß  die  Tätigkeit  der  Stimmbänder  und  damit 
die  Tonsäule  unterbrochen  wird.1)     „Die  Töne  stoßen  (Staccatieren)  heißt 


l)  Stockhausen  Methode,    S.  48. 


136  Zweiter  Teil. 

jeden  einzelnen  Ton  durch  einen  kleinen  Glottisschlag  einsetzen  und  gleich 
wieder  verlassen;  der  Zeitwert  der  Noten  wird  daher  um  einen  kleinen 
Teil  gekürzt".1)  Wir  fuhren  unsere  Passaggien,  auch  die  der  alten  Meister, 
wie  Händel,  Bach,  Mozart,  Rossini,  und  der  Mordernen  in  der 
Regel  legato  aus.  Nur  wo  der  Komponist  durch  besondere  Zeichen  eine 
andere  Art  der  Ausführung  andeutet,  oder  tonmalerische  Wirkungen 
angestrebt  werden,  entschließen  wir  uns  zu  einer  Ausnahme,  wie  wir  etwa 
die  Gänge  in  der  Arie  „Ist  nicht  des  Herrn  Wort  wie  ein  Hammer"  in 
Mendelssohns  „Elias",  oder  diejenige  des  Harapha  in  der  Arie  „Nein 
solch  ein  Kampf",  in  Hand  eis  „Samson"  martellieren.  Das  18.  Jahr- 
hundert hingegen  geht  von  andern  Grundsätzen  aus.  Agricola  und 
Hiller  unterscheiden:  „gestoßene"  und  „geschleifete"  Passaggien,  Tosi 
spricht  von  Battuto  und  ßc'wolato,  Hill  er  von  stoßen,  picquieren.  Hierzu 
trat  das  „Ziehen  der  Stimme",  lo  strascino  bei  Tosi,  portamodo  dt  voce 
bei  Mancini,  pot*tare  la  voce  bei  Agricola,  in  dem  Sinne  des  heutigen 
Begriffes  der  engsten  Verbindung.  Was  nun  verstehen  sie  unter  „Stoßen"? 
Tosi  führt  aus,  der  Meister  solle  den  Scholaren  die  sehr  leichte  Bewegung  der 
Stimme  beibringen,  „vermittelst  welcher  die  Noten,  so  die  Passaggien  aus- 
machen, alle  mit  gleicher  Geschwindigkeit  articulieret  und  deutlich  gemachet 
und  möglichst  von  einander  abgesondert  und  abgesetzet  werden,  damit  die 
Passaggie  weder  allzusehr  aneinander  klebe  noch  übermäßig  abgestoßen 
werden  möge".  Das  scheint  auf  unser  Staccato  hinauszulaufen.  Agricolas 
Ausführungen  aber  lassen  erkennen,  daß  Tosi  an  unser  Martellato  denkt. 
Er  tadelt  nämlich  diejenigen,  welche  die  Luft  „oben  am  Gaumen  an- 
stoßen"; hierdurch  könnten  sie  die  Passaggien  etwas  leichter  und 
geschwinder  herausbringen.  Allein  diese  Art,  die  Passaggien  auszuführen, 
habe  „erstlich  diese  große  Unbequemlichkeit  für  die  Zuhörer,  daß  sie 
einmal  an  einem  großen  Ort  und  von  Weitem  ....  mehr  ein  Meckern 
und  fast  den  Hühnern  eigenes  Gackern  (welches  die  Welschen  sgagateata 
nennen)  als  einen  rechten  Gesang  zu  hören  bekommen,  die  Töne  zweitens 
keine  Dauer  haben,  sondern  augenblicklich  verschwinden".  Die 
hier  verworfene  Art  der  Yokalisation  ist  also  sicher  das  Staccato.  So 
muß  angenommen  werden,  daß  Tosi  und  Agricola  unter  „battuto", 
„stoßen"  unser  Martellieren  verstehen.  Auch  Hillers  Aus- 
führungen lassen  sich  nur  in  diesem  Sinne  deuten,  wenn  er  sagt,  das 
Abstoßen  der  Passaggien  auf  der  Violine  geschähe  mit  Wiederholung  des 
Bogenstrichs,  wenn  jede  Note  einen  kurzen  Strich  bekommt,  und  es  beim 
Sänger  darauf  ankommt,  daß  der  Vokal,  auf  welchen  die  Passaggie  ent- 
fällt, bei  jeder  Note  gelinde  wiederholt  werde,  sodaß  eine  von  der  andern 

*)  Stockhausen  ebenda,   S.   136. 


Zweiter  Teil. 


137 


abgesondert  zu  Gehör  kommt.1)  Auch  die  Bemerkung,  diese  Art  erfordere 
eine  gute  Brust,  weist  auf  die  beim  Martellato  notwendige,  jedem  Ton 
ein  neues  Maß  von  Luft  zuführende,  und  durch  das  Zwerchfell  unter- 
stützte Expiration  hiD.  Wichtig  ist  auch  Mancini,  der  diese  Art  der 
Tonverbindungen  Martellato  nennt.  Johann  Fr.  Schubert2)  endlich 
weist  darauf  bin,  daß  bei  gestoßenen  Passaggien  der  Yokal  bei  jeder 
Note  gelinde  wiederholt  wird,  sodaß  eine  Note  von  der  andern  gleichsam 
abgesondert  zum  Gehör  kommt,  also  nicht  wirklich  abgesondert,  wie  in 
unserm  Staccato.  Wir  erkennen  also  unter  der  gestoßenen  Vokali- 
sation  der  Alten  unser  Martellato.  Nur  wandte  dasjenige  der  Alten 
offenbar  eine  weit  geringere  Energie  der  Luftzuführung  an,  denn  stets 
wird  betont,  daß  „jede  Note  sanft  wiederholt  werden  muß". 

Das  „Scivolato«,  „Schleifen«  hingegen,  die  an  zweiter  Stelle  ge- 
nannte Verbindung  entspricht  ohne  Zweifel  unserm  Legato,  alle  Manieren 
unterliegen  ihm.  Es  wird  so  ausgeführt,  daß  „die  erste  Note  davon  alle 
übrigen,  welche  auf  sie  folgen,  in  gleicher  Bewegung  stufenweise  nach 
sich  zieht"  (Tosi),  wozu  Agricola  noch  bemerkt,  die  rechte  Art  der  Aus- 
führung bestehe  darin,  daß  man  „den  Selbstlaut  nur  bey  der  ersten  Note 
ausspricht  und  ihn  ohne  Wiederholung  bey  den  folgenden  Noten,  so  viel 
nämlich  ihrer  geschleifet  werden  sollen,  in  einem  Atem  fortdauern  läßt.« 
Das  Staccato  wurde,  wie  wir  einer  Bemerkung  Agricolas  entnehmen 
können,  gleichfalls  geübt,  doch  scheint  seine  Anwendung  eine  beschränkte 
gewesen  zu  sein  und  diente  offenbar  nur  den  höheren  Noten  der  Kopf- 
stimme. Aber  durchaus  nicht  nur  als  ziergesanglicher  Effekt,  sondern 
auch  im  pathetischen  und  hochdramatischen  Stil,  wie  wir  oben  bereits 
bei  Scarlatti  nachweisen  konnten. 

Schon  die  Aufführung  des  Stoßens  an  erster  Stelle  vor  dem  Legato 
muß  auffallen.  Daß  es  aber  wirklich  der  Gesangeskunst  jener  Zeit  als 
prinzipale  Tonverbindung  galt,  erhellt  aus  allen  ihren  Lehrbüchern.3) 
Tosi  fährt,  nachdem  er  die  Begriffsbestimmung  gegeben,  in  Agricolas 
Übersetzung  fort:    „Weil  die  gestoßenen  Passaggien  öfter  vorkommen  als 

alle  andern,    so  erfordern  sie   auch   die  meiste  Übung das  Gebiet 

des  Schleifens  ist  beym  Singen  sehr  eingeschränkt.  Es  erstreckt  sich  nur 
über  so  wenig  stufenweis  ab-  und  aufsteigende  Töne,  daß  es,  wenn  es 
nicht   mißfallen   soll,    nicht   über  vier   derselben   in   seinem   Bezirk    haben 

»)  a.  o.  O.  II,  S.  54. 

2)  Neue  Singschule   1804. 

3)  Ich  habe  mich  an  anderer  Stelle  (Italienische  Gesangsmethode  des   17.  Jahrhunderts 
insbesondere  S  55  ff-)  dahin  geäussert,  dass  die  Diminution  der  ältesten  Zeit  regelmässig  legato 
ausgeführt  wurde.     Heute   bin   ich    geneigt   auch    für   diese  Zeit    anzunehmen,    dass    man    sie 
markierte.     Es  handelt  sich  um  Interpretation  des  Wortes    spiccare,    das    immer  wiederkehrt, 
also  trennen,  loslösen. 


J38  Zweiter  Teil. 

darf.  Dem  Gehör  nach  scheint  es  mir  im  Absteigen  gefälliger  zu  seyn 
als  im  Aufsteigen."  Im  Adagio  könne  es  zuweilen  auch  eine  ganze 
Oktave  und  darüber  in  aufsteigenden  Passaggien  erfassen.  Triolen- 
Passaggien  sollen  stets  gestoßen  werden.  „Nur  diejenigen,  deren  mittelste 
einen  Ton  höher  steht,  die  letzte  aber  in  den  vorigen  Ton  fällt,  müssen, 
wenn  die  Taktbewegung  sehr  geschwind  geht,  wo  nicht  gar  geschleifet, 
doch  auch  ja  nicht  hart  gestoßen  werden."  Hiller  geht  sogar  noch  weiter 
als  Tosi  und  Agricola.  Er  verweist  das  Schleifen,  das  Legato,  über- 
haupt auf  das  Gebiet  langsamer,  zärtlicher  und  trauriger  Sätze.  Das 
Martellieren  aber  verlangt  er  in  „geschwinden  und  feurigen  Stücken" 
schlechthin,  in  denen  das  Schleifen  „nur  auf  wenigen  Noten,  die  noch 
dazu  lieber  ab-  als  aufsteigend  seyn  müssen,  wie  auf  vier  Sechzehnteilen 
im  Absteigen  oder  in  der  Doppelschlagsbewegung  und  aufsteigenden 
Triolen  angebracht  erscheine,  wohingegen  Triolen,  deren  zweite  Note  um 
eine  Stufe  tiefer  lägen,  als  die  erste  und  dritte,  immer  mehr  gestoßen  als 
geschleift  würden.  Nur  chromatische  Gänge  wünscht  er  stets  geschleift 
oder  portamentiert  behandelt.  „Läuft  eine  Passaggie  durch  mehr  als  vier 
Töne  fort,  es  sey  im  Auf-  oder  Absteigen,  so  muß  jede  Note  gestoßen 
werden",  also  auch  im  Adagio,  was  nicht  einmal  Agricola  anerkennt. 
Und  sogar  dieses  kleine  Gebiet  des  Bindens  beschränkt  er  noch  dadurch, 
daß  er  empfiehlt  innerhalb  der  geschleiften  Passaggien  einige  Noten  abzu- 
setzen, sodaß  selbst  Notengruppen  von  nur  vier  Tönen  je  zwei  geschleifte 
und  gestoßene  Noten  erhalten,  also: 


Daß  aber  diese  Schulregeln,  die  uns  weder  ästhetisch  noch  gesangs- 
technisch begründet  erscheinen,  auch  schon  eine  starke  Minorität  der  alten 
Sänger  mißbilligte,  zeigt  Agricolas  Bericht,1)  daß  „der  Fehler  des 
Schleifens  der  Passaggien,  wo  man  sie  stoßen  sollte,  absonderlich  in 
Wälschland  zu  itzigen  Zeiten  bey  vielen  Sängern  aus  den  neuesten 
Schulen  sehr  eingerissen"  sei.  „Sie  wollen  fast  alle,  auch  die  lebhaftesten 
Passaggien  schleifen".  Also  auch  hier,  wie  in  der  Lehre  vom  Yorschlag, 
war  die  Praxis  geteilt;  wie  dort  hat  der  Verlauf  der  Entwicklung,  der 
von  der  Theorie  abweichenden  Praxis  der  Minorität  recht  gegeben.  Schon 
das  auslaufende  18.  Jahrhundert  scheint  das  Legato  bevorzugt  zu  haben; 
denn  wenigstens  ist  keine  Rede  mehr  davon,  es  nur  ausnahmsweise  anzu- 
wenden.    J.  Fr.  Schubert2)  bemerkt  nur,    die   gestoßene  Passaggie   tue 

*)  S.  132,  Anmerkung   1. 
v)  a.  o.  O.  S.  69. 


2weiter  Teil.  i  qq 


in  feurigen  Allegri-,  die  geschleifte  bei  zärtlichen  Adagiosätzen  mehr 
Wirkung.  Wir  werden  im  zweiten  Bande  dieses  Werkes  erfahren,  wie 
vorzüglich  durch  Rossinis  Technik  die  gebundene  Vokalisation  in  solchem 
Grade  zur  Herrschaft  gelangte,  daß  von  den  andern  Arten  nur  noch  zur 
Verstärkung  eines  bestimmten  Affektes  oder  zu  tonmalenden  Zwecken 
Gebrauch  gemacht  wurde.  So  hat  die  Praxis  des  19.  Jahrhunderts  uns 
daran  gewöhnt,  die  Bindung  als  die  wesentliche  Art  der  Vokalisation  zu 
betrachten,  das  Martellato  aber  nur  in  charakterisierender  Bestimmung, 
und  dann  mit  energischerer  Luftzuführung  zu  verwenden. 

Sollen    wir   nun   für    die   Musik    des  18.  Jahrhunderts    ihre    vorherr- 
schende  Praxis    wieder   einführen?     Ich    gebe    zu,    daß    das    nicht    ohne 
weiteres  von  der  Hand  zu  weisen  ist.1)    Ich  kann,  und  mit  mir  empfindet 
wohl    die    größte    Mehrzahl    unserer   Künstler    und    musikalischen    Hörer, 
solchen  gestoßenen  Passaggien  keinen  Geschmack  abgewinnen,    und  ganz 
unmöglich    erscheint   mir    die    den   Alten    gewohnte    Mischung   gestoßener 
und    gebundener   Gänge.     Unser    Ohr   ist    an    das    Legato    in    so    hohem 
Grade   gewöhnt,    daß    das  Stoßen   nur  als   mangelhafte  Technik,    der   ein 
vollendetes  Legato  versagt  ist,    empfunden  wird.     Überdies  verlieren  wir 
so   den  wertvollen  Kontrast  zu   dem   wirklichen  Martellato   und   berauben 
uns    eines    vortrefflichen   tonmalenden  Ausdrucksmittels,    ferner,    und    das 
entscheidet,  läßt  sich  aus  den  Aufzeichnungen  der  alten  Theoretiker  doch 
nur  annähernd  feststellen,  wie  sie  die  gestoßene  Vokalisation  handhabten. 
Es  bleibt  also  immer  fraglich,    ob  wir   auch  wirklich   die  ihnen   geläufige 
Vokalisation  des  Stoßens  anwenden.    Halten  wir  uns  also  auch  hier,  wie 
in  der  Lehre  vom  Vorschlag,  an  die  von  einer  offenbar  starken  Minorität 
bevorzugte  Art  des  Vokalisierens,  behalten  wir  das  uns  geläufige  Legato 
als  regelmäßige  Tonverbindung   bei,    und   schreiten  wir  zum  Martellieren 
nur  dort,  wo  aus  der  Charakteristik  resultierende  Umstände  es  empfehlen. 
Also    auch     die    veränderten    Grundlagen    unserer    Gesangstechnik 
sprechen    gegen    die   Rekonstruktion    des    alten  Passaggienwesens,    ebenso 
wie    die    ganzliche    Umwandlung    unseres    musikästhetischen   Empfindens 
Wir  haben  uns   damit  zu    bescheiden,    ganz  wie  bei  der  Anbringung  der 
Manieren,   Passaggien    dort   zu    verwenden,    wo    sie    zur    Abrundung    der 
meiosischen  Linie    beizutragen    geeignet   erscheinen.     In    dem    ersten  Teil 
der   dacapo-Arie   werden  wir   uns  im    wesentlichen  an    die  Niederschrift 
des  Komponisten  halten,  und  nur  zur  Einschaltung  kleinerer  Verzierungen 
im  angedeuteten  Sinne  greifen,  den  Mittelsatz  regelmäßig  unverändert,  in 

>)  Ich    weiss,    dass    eine  Minorität    unserer  Gesangsmeister    sich    auch    heute    für    das 
Marcato    also  ein  schwaches  Martellieren,  als  prinzipale  Tonverbindung  ausspricht,   wie  Iffert 
Gesangschule    Bd.  I,  S.  38,   der  Mannsteins  folgt.     Stellt  man  sich  auf  diesen  Standpunkt,   so 
hat  man  die  Lehre  der  Alten  auch  wirklich  bis  in  ihre  Details  durchzuführen 


140  Zweiter  Teil. 

der  Wiederholung  aber  uns  nicht  etwa  davon  leiten  lassen,  daß  hier  dem 
Sänger  ein  Tummelplatz  seiner  Kehlfertigkeit  zu  eröffnen,  und  jede  Wieder- 
holung der  ersten  Yortragsform  zu  vermeiden  sei,  sondern  gleichfalls  an 
den  Grundzügen  der  Niederschrift  festhalten,  und  nur  möglichst  in  anderer 
Ausgestaltung  als  beim  ersten  Vortrag,  Veränderung  durch  Manieren  und 
kurze  Gänge  vornehmen.  Wo  kein  da  capo  vorliegt,  vorzüglich  in  lang- 
samen Sätzen  „ist  es  billig",  wie  Hill  er1)  wünscht,  „daß  eine  solche  Arie 
so  vorgetragen  werde,  wie  sie  der  Komponist  zu  Papier  gebracht  hat". 
Wir  haben  dann  nur  herauszufühlen,  was  er  etwa  als  Ergänzung  der 
meiosischen  Linie  voraussetzte. 

Die  Unterscheidungen  der  Alten  hinsichtlich  des  Stils  bleiben  auch 
uns  verbindlich.  Einmal  verlangt  nach  wie  vor  die  kirchliche  Musik  eine 
ernste,  überall  ausdrucksvolle  Behandlung,  der  Kammer-  und  theatralischen 
Musik  wird  eine  lebhaftere  Kolorierung  —  immer  in  den  gesteckten  Grenzen 
—  zugute  kommen,  wobei  wiederum  in  erster  Linie  der  Empfindungs- 
gehalt des  Stückes  ausschlaggebend  ist.  In  bravourös  gehaltenen  Arien 
dürfen  wir  weiter  gehen,  und  durchaus  reicher  ausschmücken,  als  in 
einem  pathetischen,  oder  überhaupt  von  einem  ernsthaften  Affekt  getragenen 
Stücke,  und  im  Allegro  endlich  mehr  wagen,  als  in  jenen  breiten  mit 
Largo  bezeichneten  Sätzen,  die  gerade  durch  die  edle  Einfachheit  der 
Melodie  auch  heut  noch  so  ergreifend  wirken. 

Die  musikalischen  Gesetze,  welche  die  Alten  für  die  Behandlung  der 
Passaggien  und  Manieren  geben,  sind  noch  heut,  soweit  sie  nicht  rein 
gesangstechnischer  Art  sind,  wie  etwa  das  Verbot  Gänge  auf  die  Vokale  i,  u, 
geschlossenes  e  und  o  zu  legen,  von  Bedeutung: 

1.  Synkopierte  Melismen  sind  nicht  durch  Triller  und  Passaggien 
zu  alterieren. 

2.  Jedes  Melisma  hat  sich  der  Taktbewegung  einzufügen. 
Tosi  polemisiert  lebhaft  gegen  den  Unfug  der  Neueren,  welche 
glauben,  es  heiße:  „nach  der  Mode  singen",  wenn  sie  unauf- 
hörlich verlangen,  „daß  ein  ganzes  Orchester  in  dem  schönsten 
Laufe  der  regelmäßig  bestimmten  Bewegung  der  Arie  auf- 
halten solle,  um  ihnen  Zeit  zu  lassen  ihre  übel  gegründeten  Ein- 
fälle auszupacken".  Und  Hiller2)  bemerkt:  „die  strengste 
Beobachtung  des  Zeitmaßes  ist  wie  beym  Vortrag  aller 
Musik  überhaupt,  so  auch  bey  den  willkürlichen  Veränderungen 
ein  unverbrüchliches  Gesetz". 

3.  „Die  Veränderungen  dürfen  nicht  bey  den  Hauptgedanken  der 
Arie,    vielmehr   bey    den   Nebengedanken   angebracht   werden 

i)  II.   S.  130,  §  5. 

2)  a.  o.  O.  II,   131. 


Zweiter  Teil.  141 

(Hill er1).     Es   bleibt   also   stets    das   motivische  Element  im 
wesentlichen  unverändert. 

4.  „Alle  Veränderungen  müssen  dem  harmonischen  Verlauf  ent- 
sprechen und  mit  der  Begleitung  der  Instrumente  im  Einklang 
stehen."    (Hiller.) 

5.  „Sie  müssen  überhaupt  so  angelegt  sein,  daß  sie  den  Sinn 
der  Komposition  nicht  entstellen,  sondern  verschönern,  nicht 
undeutlicher,  sondern  deutlicher  machen."     (Hiller.) 

6.  „Die  beste  Gelegenheit  für  die  Passaggien  sind  immer  die 
melismatischen  Dehnungen  über  hervorstechende  Silben" 
(Hiller),  worunter  die  betonte  Silbe  des  Wortes  verstanden  ist. 

C.  Die  Veränderungen  im  Rezitativ. 

Während  Mancini2)  von  einer  abweichenden  Stilbehandlung  des 
Kirchen-,  theatralischen  und  Kammerrezitativs  nichts  wissen  will,3)  vielmehr 
nur  in  der  Anbringung  der  langen  Vorschläge  (Appoggiature)  und  des 
Accentes,  und  zwar  des  längeren,  Trattenuto,  und  des  kürzeren,  Sciolto, 
die  einzige  Freiheit  des  Sängers  anerkennt,  unterschieden  die  andern 
Gesangstheoretiker  übereinstimmend  dahin,  daß  das  Kirchenrezitativ 
„mit  einer  edlen  Ernsthaftigkeit"  „der  Heiligkeit  des  Ortes  gemäß" 
(Hiller)  wiederzugeben  sei,  und  so  weit  es  diesem  Gebot  nicht  zuwider, 
die  Anbringung  kleiner  Verzierungen,  neben  dem  Vorschlag,  auch  des 
Pralltrillers  und  Mordenten,  sowie  überhaupt  vermittelnder,  kurzer  Kadenzen 
gestatte,  während  das  theatralische  Rezitativ  „keine  dergleichen  Aus- 
zierungen  leide",  um  der  natürlichen  Erzählungskunst  nichts  in  den  Weg 
zu  legen  und  ihm  die  Gestalt  der  Rede  nicht  zu  nehmen.  (Tosi.)  Das 
Kammer-Rezitativ  endlich  —  übrigens  zu  Hillers  Zeit  aus  der  Mode  — 
hat,  nach  Tosi,  nicht  „all  die  Ernsthaftigkeit  des  ersteren"  es  begnügt 
sich,  mehr  mit  dem  zweiten  gemein  zu  haben.  Den  Grund  für  die  freiere 
Behandlung  des  Kirchenrezitativs  gibt  Scheibe4)  dahin  an,  daß  man  es 
nach  dem  damals  herrschenden  Prinzip  in  höherem  Grade  melodisch,  als 
deklamatorisch  behandele,  während  die  Oper  mehr  deklamatorischen,  der 
Aktion  gemäßen  Vortrag  erheische. 

Agricola   führt  nun    die    üblichen  Veränderungen,    zu  denen  auch 
die  Manieren  gehören,   mit  dem  Bemerken  an,    daß  letztere  im  Kirchen- 


!)  a.  o.  O.  II,  S.  130. 

2)  Riflessioni  pratiche  S.  227  ff. 

3)  »J°  penso,  che  i  recitativi,  siano  di  Chiesa,  di  Camera,  siano  di  Teatro,  devono 
essere  sempre  detti  nel  medesimo  modo,  intendo  dire  con  voce  naturale,  e  chiara,  che  dia  la 
dovuta  intera  forza  ad  ogni  parola,  che  distingua  le  virgole,   ed  i  punti. 

4)  Kritischer  Musikus,  S.   163. 


142  Zweiter  Teil. 

rezitativ  häufiger  seien  als  im  theatralischen.     Er  hält  sich  also  hier  nicht 
streng  an  Tosi.     Ich  ziehe  zur  Ergänzung  hier  noch  Telemann1)  hinzu. 

1.  Die  rezitativische  Kadenz  wird  „gemeiniglich  so  abgeändert, 
daß  an  Stelle  der  vorletzten  Note  die  höhere  Quart  genommen, 
also  die  vorhergehende  Note  wiederholt  wird"  (M  1).  Endige 
eine  solche  Kadenz  in  einer  einzigen  langen  Silbe,  so  macht 
man  vor  der  letzten  Note  nur  einen  (langen)  Vorschlag.,  aus 
der  Quart  von  oben  (M  2).  Der  Quartensprung  wird  häufig 
verziert,  wenigstens  im  Kirchenrezitativ.  Hill  er  will  dabei 
den  Mordent  verwendet  wissen,  und  zwar  bei  zweisilbigen 
Kadenzen,  wenn  sie  vermittelst  eines  Quartensprunges  gemacht 
werden  (M  3).  Agricola  bemerkt  zu  Tosis  Ausführung,  das 
Rezitativ  befreie  den  Sänger  von  einer  genauen  Beobachtung 
des  Taktes,  zumal  in  den  Kadenzen  am  Ende;  das  sei  so  zu 
verstehen,  daß  er  „bey  affektreichen  Stellen  zuweilen  eine  mit 
willkürlichen  Auszierungen  etwas  ausgefüllte  Aufhaltung  vor- 
trage", die  nur  nicht  so  weitläufig  sei,  wie  in  der  Arie, 
also  eine  dem  Doppelpralltriller  verwandte  Figur  (M  4),  oder 
ein  mit  einem  lang  angehaltenen,  verstärkten  (  "  -=dZ^=* — ) 
Vorschlag  versehenen,  matt  ausgeführten,  prallenden  Doppel- 
schlag (M  5).  Daß  übrigens  solche  kleinen  Kadenzen  im 
Rezitativ  auch  an  andern  Stellen  zur  Verknüpfung  weiterer 
Intervalle  gebräuchlich  waren,  lehrt  Hiller.2)  Er  berichtet, 
Hasse  deute  das  durch  eine  Fermate  über  dem  ersten  Tone 
an  (M  6).  Auch  Agricola  gibt  eine  sehr  hübsche  Kadenz 
zur  Überbrückung  einer  verminderten  Septime  (M  7). 

2.  „Vor  einer  Note,  die  einen  anschlagenden  Terzensprung  herab 
machet,  absonderlich  wenn  ein  kurzer  Einschnitt,  den  ein 
Komma  oder  ein  anderes  Unterscheidungszeichen  ausdrücket, 
darauf  folgt,  pflegt  man  zuweilen  entweder  einen  Vorschlag 
aus  der  Sekunde  von  oben  anzubringen,  denselben  auch  wohl 
in  zärtlichen  Stellen  mit  einem  leisen  Pralltriller  zu  begleiten 
(M  8),  oder  man  setzt,  zumal  wenn  eine  Note  nachkommet, 
die  auf  demselben  Ton  bleibt,  an  Stellen,  die  nicht  zu  affektuös 
sind,  statt  der  ersten  Note  nur  den  Vorschlag  (M  9).  Ein 
Gleiches  kann  man  in  ähnlichen  Stellen  auch  anbringen,  wenn 
die  zwo  Noten  anstatt  der  Terz  nur  eine  Sekunda  fallen"  (M  10). 


*)  Harmonischer  Gottesdienst   1725,    den  Spitta  J.  S.  Bach,  II,  S.  142  ff.  für  die  Ver- 
änderung des  ßachschen  Rezitativs  benutzt  hat. 
2)  Tl.,  S.  104. 


Zweiter  Teil.  143 

Wir  begegnen  hier  zum  ersten  Mal  der  Vorschlagsnote  in  dem  Sinne, 
daß  sie  die  Hauptnote  schlechthin  ersetzt.  In  späterer  Zeit  wird  der 
Gebrauch  der  Yorschlagsnote  in  diesem  Sinne  über  diesen  vereinzelten 
Fall  hinaus,  auch  auf  die  geschlossene  Form  ausgedehnt. 

3.  „Folgen  sich  zwei  Noten  gleicher  Tonhöhe,  so  kann  man 
zwischen  der  betonten  und  durchgehenden  Note  einen  Mordent 
anbringen  (M  11). " 

4.  „Über  springende  Vorschläge  von  unten  kann  man  vorzüglich 
im  Kirchen-  und  Kammerrezitativ  gleichfalls  den  Mordent 
anbringen  (M  12)." 

Telemann  berichtet  von  der  Anbringung  der  Manieren  in  diesem 
Sinne  gar  nicht,  sondern  nur  von  Accenten,  im  Sinne  des  veränderlichen 
Vorschlags.  Seine  Kadenz  vollzieht  sich  allemal  ohne  die  Auszierungen 
des  Agricola  und  Hiller.  Ferner  bestimmt  er  dort,  wo  Agricola  die 
Wahl  läßt,  zwischen  der  Einschiebung  eines  Vorhaltes  mit  oder  ohne 
Pralltriller  und  dem  Ersatz  der  ersten  Note  durch  die  höhere  Vorhaltnote, 
überall  diese  Art.  (M  13.)  Er  macht  überdies  von  ihr  einen  weitgehen- 
den Gebrauch.  Nicht  nur  wo  sich  Noten  gleicher  Tonhöhe  folgen,  sondern 
stets  an  den  Einschnitten  der  Deklamation  tritt  der  Accent  ein  von  oben 
und  von  unten. 

Mancini1)  spricht  nur  von  Anbringung  der  Appoggiaturen  im  Sinne 
des  veränderlichen,  langen  Vorschlages  und  der  Accente  als  Ersatz  der 
geschriebenen  Note  durch  die  tonal  nächst-höhere,  will  also  gleichfalls 
von  den  eigentlichen  Manieren  hier  nichts  wissen.  Hiller  reduziert  die 
Benutzung  des  Pralltrillers  und  Mordents  auf  ganz  bestimmte  einzelne 
Fälle.  Dieser  könne,  wie  erwähnt,  auf  der  Kadenz  der  Quart  eintreten, 
jener  dort,  wo  der  Komponist  einen  Vorschlag  vorgeschrieben,  wenn  mit 
der  Note  ein  Wort  endigt.  Dann  zieht  er,  gegen  Mancini  und  auch 
gegen  Telemann,  den  Vorhalt  dem  Accent  vor,  wenn  sich  gleiche 
Noten  folgen. 

Wir  finden  also  auch  hier  die  alten  Autoren  nicht  einig.  Tosi- 
Agricola  verzieren,  wenigstens  das  kirchliche  Rezitativ,  reicher  als 
Telemann,  Mancini  und  Hiller.  Jedenfalls  ersehen  wir  aus  ihren 
Ausführungen,  daß  die  Gewohnheiten  der  französischen  Sänger,  von  denen 
ich  oben  ein  Beispiel  gab  (F  10),  in  Deutschland  ungebräuchlich  waren. 
In  welchem  Sinne  aber  haben  wir  uns  für  das  deutsche  und  italienische  Rezitativ 
zu  entscheiden?  Zunächst  verkehrt  sich  für  uns  ihre  Differenzierung 
des  kirchlichen  und  theatralischen  Stils  in  ihr  gerades  Gegenteil. 
Für  uns  ist  das  Rezitativ  der  Kirche,  also  auch  des  Oratoriums,  nicht  in 


1)  a.  o.  O.  S.  227   ff.  und  S.  239. 


144  Zweiter  Teil. 

höherem  Grade  melodisch  zu  behandeln,  als  das  der  Operngesänge.  Schon 
deshalb  erscheinen  uns  jene  Floskeln  des  Agricola  der  Ernsthaftigkeit 
des  kirchlichen  Stils  geradezu  konträr,  und  wir  werden  uns  deshalb  für 
die  einfachere  Behandlung  Telemanns  entscheiden,  von  der  Quarten- 
kadenz, regelmäßig  wenigstens,  und  vom  Mordenten  ganz  absehen.  In 
seltenen  Fällen  kann  eine  kurze  Kadenz,  wie  sie  Hiller  und  Agricola 
geben,  schön  wirken.  Seitdem  die  Opernmusik  jener  Tage,  mit  Ausnahme 
derjenigen  Glucks,  von  der  Bühne  verschwunden,  und  so  weit  sie  über- 
haupt noch  erklingt,  in  den  Konzertsaal  verwiesen  ist,  brauchen  wir  jene 
durch  die  Rücksicht  auf  die  Aktion  und  die  Natürlichkeit  der  Rede  ge- 
botenen Vorschriften  größerer  Enthaltsamkeit  ihrer  Ausschmückung  nicht 
mehr  gelten  zu  lassen.  Wir  können,  wo  die  Alten  dramatisch  bleiben 
mußten,  konzertgemäß  verfahren,  und  ihnen  etwa  den  vermittelnden 
Charakter  der  alten  Kammermusik  beilegen,  also  von  den  Verzierungen, 
mit  Ausnahme  des  Mordents  bei  wiederholten  Noten  gleicher  Tonhöhe, 
der  uns  auch  hier  geschmacklos  dünkt,  und  von  kurzen  Kadenzen  maß- 
vollen Gebrauch  machen,  was  übrigens  auch  die  Alten  nicht  ganz  ver- 
schmähten. Also:  für  die  kirchliche  Musik  größte  Einfachheit,  für  die 
der  Oper  reichere,  mehr  konzertante  Behandlung. 

Aber  daß  wir  Telemanns  Accentuation  sans  phrase  akzeptierten, 
scheint  mir  gleichfalls  ausgeschlossen.  Er  geht  soweit,  den  Accent  selbst 
dort  zu  fordern,  „wo  die  Modulation  wider  den  Baß  zu  laufen  scheint". 
Wir  werden  auch  hier,  wie  bei  der  Lehre  vom  Vorschlag,  daran  fest- 
halten, daß  die  Accente  falsche  Fortschreitungen,  Querstände,  oder  gar 
Quinten-  und  Oktavenfolgen  nicht  einführen  dürfen.  Auch  dort,  wo  der 
Accent  eine  Dissonanz  in  eine  Konsonanz  verwandelte,  haben  wir, 
wiederum  nach  den  Lehren  von  der  Anbringung  der  Vorschläge,  von  ihm 
abzusehen.  So  würden  wir  die  erste  Note  (c)  des  siebenten  Taktes  unseres 
Beispiels  (M  13)  beibehalten  und  nicht  mit  dem  Accent  versehen,  der  aus 
der  dissonierenden  Septime  die  konsonierende  Oktave  machte.  Auch  dort, 
wo  die  Auflösung  der  Dissonanz  in  der  Singstimme  vorweggenommen  ist, 
ist  es  angezeigt,  die  Konsonanz  sofort  anzuschließen,  und  nicht  erst  eine 
dissonierende  Note  einzuschieben  (vgl.  unser  Beispiel  M  13  Takt  3  und  4 
„wie  vormals  dräut"). 

D.  Die  Kadenz  der  Arie. 

Wir  haben  im  Verlaufe  unserer  Darstellung  zwei  Typen  von  Kadenzen 
unterschieden.  Einmal  jene  dem  Schluß  angehängte  und  ihn  befestigende 
Phrase,  die  zwischen  dem  ersten  und  dem  Finalschluß  eine  melismatische 
Wendung  einschiebt,  dann  aber  seine  Auszierung  selbst.  Beide  Formen 
halten  an  der  Taktbewegung  und  dem  fortspielenden  Generalbaß  fest. 


Zweiter  Teil.  -.  .- 

145 


Quantz1)  und   Agricola2)  berichten   nun,  dal.!    bis   etwa   1710   die 
Hauptschlüsse    so    ausgeführt   wurden,    „wie    sie    dem   Takte    gemäß    ge- 
schoben   werden."     Auf   der  Mittelnote    des   Finalschlusses   wurde    ein 
Inller  gemacht.    Erst  nach  diesem  Termin  fing  man  an  auf  der  Note  vor 
dem  Triller  „eine  kleine  willkürliche  Auszierung"  anzubringen,  aber  immer 
unter  Wahrung   des   Zeitmaßes,    also   nur   dann,    „wenn   Zeit   dazu   war" 
Darauf  fing   man    an    den    „letzten   Takt   langsamer   zu   singen    und    sich 
etwas  aufzuhalten".     Endlich  suchte  man  „diese  Aufhaltung   durch   aller- 
hand  w.llkürhche  Passaggien,   Läufe,   Ziehungen,   Sprünge,   kurz  was  nur 
für    Figuren    der    Stimme    auszuführen    mögl.ch    sind,    auszuschmücken." 
Diese  Arten  der  Kadenzen  seien  nun  noch  heutzutage,   also  in  den  50  er 
Jahren    des   Jahrhunderts    üblich    und    „sollen   zwischen   1710   und  1716 
ihren  Ursprung  genommen  haben".     Quantz  fügt  noch  hinzu:    es  sei  zu 
glauben,    daß  diese  „Kadenzen  erst  nach   der  Zeit,    da  Corelli  seine  in 
Kupfer   gestochenen    12  Solo   vor  die  Violine  herausgegeben  hat,    in   den 
tsrauch  gekommen  sind." 

Man  unterschied  drei  Arten,  die  von  oben,  die  Tenorkadenz,  in 
Odur,  e,  d,  c,  die  Sopran-Kadenz  von  unten:  e,  h,  c,  oder  von  oben 
"'  l  C Zt  ile,  baSsierende  Schlußformel:  g-c.  „Man  hüte  sich  diese 
-  die  Baß -Kadenz  -  durch  die  des  Soprans  oder  des  Tenors  zu  er- 
setzen: es  wäre  lächerlich,  wenn  man  ihnen  ihre  eigene  Kadenz,  der 
Fracht  des  Unisons  zuwider,  geben  wollte.  Überhaupt  können  trotzige 
und  andere  dergleichen  Schlüsse  durch  diese  Kadenz  in  allen  Stimmen 
(also  nicht  bloß  in  der  Baßstimme)  gut  ausgedrücket  werden.«  Die 
bassierende  Kadenz  scheidet  also  von  vorne  herein  für  die  Ausschmückung 
aus  Q u a n  tz  »)  berichtet,  daß  italienische  Komponisten,  um  einer  allzu  häufigen 
Anbringung  der  Kadenz  vorzubeugen,  gern  diese  Schlußformel  anwendeten 

Der  Eintritt  der  Kadenz  in  den  Hauptschlüssen  erfolgte  stets  auf 
der  ersten  der  drei  melodischen  Noten  (Hiller)  zu  dem  Quartsext- 
akkord der  Quinte,  und  der  Triller  setzt  mit  der  Dominante  ein.  Die 
Kadenz  selbst  kann  entweder  in  der  Harmonie  des  Haupttones,  der 
Tonic,  bleiben,  oder  aber  in  die  „Harmonie  der  Quinte",  also  in  die 
Dominante  übergehen,  und  so  den  Eintritt  des  Dominantakkordes  früher 
herbeiführen.  Sie  kann  endlich  in  weiter  abweichende  Tonarten  über- 
gehen, ohne  sich  aber  allzuweit  zu  entfernen  und  die  richtige  Auflösung 
der  Dissonanz  zu  verfehlen  (Hiller). 

So  der   harmonische  Verlauf   der   Schlußkadenz.     Wie  geartet  aber 
ist    ihr    thematischer    Inhalt?      Auch  hier    hat    sich    im  Verlauf    des 


')  a.  o.  O.  XV,  S.  151. 

2)  a.  o.  O.  S.  195,  Anmerkung  c. 

3)  S.  152  §  3. 


10 


146  Zweiter  Teil. 

18.  Jahrhunderts  eine  Wendung  vollzogen.  Agricola1)  lehrt,  die  Kadenz 
„müsse  sich  allemal  auf  den  in  der  Arie  liegenden  Hauptaffekt  beziehen". 
Erstrecke  sich  diese  Ähnlichkeit  sogar  auf  einige  der  schönsten  einzelnen 
Stellen  und  Klauseln  derselben,  so  sei  es  desto  besser,  und  Quantz 
äußert:  „Die  Kadenzen  müssen  aus  dem  Haupteffekt  des  Stückes  fließen 
und  eine  kurze  Wiederholung  oder  Nachahmung  der  gefälligsten  Klauseln, 
die  in  dem  Stücke  enthalten  sind,  in  sich  fassen."  Auch  Algarotti2) 
erfaßt  die  Kadenz  als:  Ja  perorazione  delV  <iria  medesima,  als  Redeschluß 
der  Arie  selbst.  Der  Übung  der  älteren  Zeit  also  entsprach  es,  die 
Kadenz  thematisch  der  Arie  anzupassen.  Daran  hat  man  später  nicht 
mehr  festgehalten.  Mancini3)  berichtet:  Die  Ansichten  der  Sänger  in 
dieser  Hinsicht  seien  geteilt.  Die  einen  wollten  mit  einer  messet  di  voce, 
nämlich  auf  dem  drittletzten  Ton,  beginnen,  und  was  folge,  müsse  ein 
Epilog  der  Arie  sein,  und  aus  einer  geschickten  Zusammensetzung  ihrer 
Themen  (passi)  und  Gänge  (passaggi)  so  bestehen,  daß  sie  in  einem  Atem 
genommen  noch  den  Triller  der  letzten  Note  mit  umfasse.  Die  andern 
hingegen  entschieden  sich  für  eine  frei  erfundene,  ohne  thematischen 
Zusammenhang  mit  der  Arie  gesetzte  Kadenz,  die  dem  Sänger  dazu 
verhelfe,  mit  seinen  Passaggien  und  Wendungen  Staat  zu  machen  (pompa 
di  varii  passaggi  e  gwi-giri)  und  die  Hurtigkeit  seiner  Stimme  und  ihre 
Geschicklichkeit  entfalten  zu  können.  Es  sei  kein  Zweifel,  daß  die 
Meinung  jener  die  richtige  und  vernunftgemäße  sei:  denn  die  Kadenz  sei 
nur  der  Epilog  der  Arie.  Bei  Hiller  hat  die  gegenteilige  Meinung  und 
die  Partei  gesiegt,  die  in  der  Kadenz  nicht  mehr  einen  integrierenden 
Teil  der  Arie  selbst,  sondern  eine  äußerliche  der  Kehlfertigkeit  des  Sängers 
bestimmte  Coda  des  Stückes  sah.  Hiller  geht  gar  nicht  mehr  von  der 
thematischen  Anpassung  der  Kadenz  an  die  Arie  als  Regel  aus,  sondern 
erwähnt  nur  wie  nebenher:  „Um  eine  Kadenz  der  Arie  recht  anzupassen, 
bediene  man  sich  auch  wohl  einzelner  schönen  Stellen  aus  der  Arie 
selbst,  und  sucht  sie  geschickt  in  dieselbe  einzuflechten",  so  daß  klar 
wird,  daß  jetzt  Ausnahme  geworden,  was  früher  die  Regel  gewesen.  Mit 
der  Entfremdung  der  Kadenz  von  der  Thematik  der  Arie  und  ihrer  nur 
noch  gesangstechnisch  bravourösen  Beziehung  zum  Stück  wächst  die 
Begierde  der  Sänger.  Sie  wird  länger  und  lagert  immer  weitere  und 
ausgedehntere  Fiorituren  ab,  so  daß  schließlich  von  der  Beschränkung 
auf  die  Zeit  einer  Atemexspiration  abgesehen  wird.  Mancini4)  verlangt 
noch  die  Ausführung  ohne  Unterbrechung  durch   Atemzüge  (per  non  esser 

')  a.  o.  O.,   S.  204. 

2)  Saggi°  sopra  l'opera  in   musica,    1755. 

9)  a.   o.   O.,   S.  179. 

4)  a.  o.  ü.  S.  181. 


Zweiter  Teil.  147 

mal  costretto  inte  r  romperl  a)^  Hiller  sieht  bereits  davon  ab  und  meint  nur, 
„eigentlich  sollte  darinne  gar  kein  Atem  genommen  werden;  sie  dürfe 
also  von  Rechts  wegen  nicht  länger  dauern,  als  der  Atem  des  Sängers  es 
gestatte".  „Da  aber  doch  ein  Gedanke,  der  für  sich  ein  Ganzes  ausmacht 
und  einige  Bedeutung  haben  soll,  einige  Ausdehnung  fodert,  so  ist  dies 
Gesetz  so  unverbrüchlich  nicht  zu  halten".  Sieht  man  seine  Beispiele 
an  (N  1  —  8),  so  ersieht  man  sofort  die  Unmöglichkeit,  sie  in  einem  Atem 
auszuführen.  Sie  haben  auch  keine  oder  nur  ganz  flüchtige  Beziehungen 
zum  thematischen  Inhalt  des  Stückes. 

Die  Kadenz  unter  Aufhebung  des  Zeitmaßes,  also  selbst  die 
thematische,  hat  zu  allen  Zeiten  ihre  Gegner  gehabt,  den  radikalsten  wohl 
in  Tosi.  Er  eifert  gegen  die  neue  Mode  in  den  erbittertsten  Ausfällen 
gegen  Sänger  und  Komponisten,  er  will  nur  „bescheidenen  Zierrat"  und 
stets  unter  Wahrung  der  Taktbewegung  zulassen,  allenfalls  am  Ende  der 
Arie  etwas  an  „willkürlichen  Verzierungen"  gestatten,  „damit  man  hören 
könne,  daß  das  Ende  derselben  da  ist".  —  Der  allgemeinen  Praxis  hat 
diese  Behandlung  der  Kadenz  sicher  nicht  entsprochen.  Agricola  gibt 
zwar  dem  Tosi  in  der  Hauptsache  recht,  kann  sich  aber  doch  nicht  ent- 
schließen, so  streng  wie  er  vorzugehen.  Mancher  Sänger  verderbe  zwar, 
führt  er  aus,  durch  ein  ungereimtes  Ende  bisweilen,  was  er  in  der  Arie 
etwa  noch  Gutes  vorgebracht  hat;  „manchem,  dessen  Erfindung  nicht 
reich  ist,  gereicht  es  wirklich  zur  Last,  wenn  er  oft  Kadenzen  machen, 
und  doch  nicht  eben  immer  dasselbe  wiedergeben  will.  Es  ist  dagegen 
auch  wieder  wahr,  daß  ein  feuriger  Kopf  dadurch  seine  Zuhörer  unver- 
mutet überraschen  und  der  Leidenschaft,  deren  Erregung  die  Absicht  der 
Arie  gewesen,  gleichsam  noch  einen  neuen  Grad  der  Stärke  zusetzen  kann. 
Er  kann  gewisse  Töne,  deren  Anbringung  ihm  in  der  Arie  nicht  allemal 
erlaubt  gewesen,  in  eine  geschickte  Kadenz  eingekleidet  dem  Zuhörer  zu 
Ohr   bringen,    und    diesen   also   mit   dem    ganzen   Umfang    seiner  Stimme 

bekannt  machen Nur  müsse  er  folgende  „Vorsichtigkeiten  dabey 

wohl  in  Acht  nehmen":  die  Kadenz  dürfe  nur  an  wenigen  Stellen  vor- 
kommen, nicht  zu  lang  sein,  dem  Charakter  der  Arie  so  entsprechen,  daß 
lebhaften,  feurigen  Arien  „weitläufige  Sprünge,  Triller  und  Triolen, 
Läufe  u.  s.  f.,  traurigen  und  pathetischen  mehr  gezogene  (gebundene)  und 
geschleifte  (portamentierte)  Gänge  mit  dissonierenden  Intervallen  vermischt 
entfallen  und  in  einem  Atemzug  vorgetragen  werden  können."  Dabei  sei 
zu  beobachten,  daß  die  Dissonanzen  stets  die  richtige  Auflösung  fänden, 
möglichst  unerwartete  Wendungen  vorkämen,  und  die  Figuren  sich  nicht 
—  in  der  Sequenz  —  wiederholten,  sondern  „eine  geschickte  Zusammen- 
setzung einiger  nicht  ausgeführten,  abgebrochenen  Sätze  seien".  An 
den  strengen  Takt  sei  man  nirgends  gebunden.    Hiermit  stimmen  Quantz' 

10* 


148  Zweiter  Teil. 

Ausführungen  zu  diesem  Gegenstand  überein.  Nur  will  er  es  an  einer 
Kadenz  in  jedem  Stück  genug  sein  lassen,  weil  das  der  Absicht  der 
Kadenz,  die  „Zuhörer  noch  einmal  bey  dem  Ende  unvermutet  zu  über- 
raschen, und  noch  einen  besonderen  Eindruck  in  ihrem  Gemüte  zurück- 
zulassen" am  besten  entspreche. 

Ich  habe  Agricolas  Ausführungen  ausführlicher  wiedergegeben, 
weil  sie  offenbar  der  Praxis  der  vornehmen  Gesangskünstler  entsprechen, 
und  von  derjenigen  banausischer  Kehlvirtuosen  ebenso  fern  sind,  wie  die 
allzu  puristische  und  veraltete  des  Tosi.  Sie  dürften  als  Maximen  für  die 
Behandlung  der  Kadenz  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  ver- 
bindlich sein.  Wir  werden  deshalb  Agricolas  und  Mancinis  Kaden- 
zierung  annehmen  in  jedem  Fall  für  die  Bach-Händelsche  Periode 
und  nicht  so  weit  gehen  wie  Hiller.  Rücksichten  auf  die  Sänger  könnten 
uns  nur  bestimmen  die  Kadenz  leichter  und  schlichter  zu  schreiben,  da 
die  heutige  Generation,  und  ich  glaube  sicherlich  auch  die  nächstfolgende, 
im  Ziergesang  sich  mit  den  Alten  nicht  messen  kann,  und  an  Kadenzen 
mittlerer  Schwierigkeit  gerade  genug  zu  tun  findet.  Wir  werden  die 
Kadenz,  ganz  wie  diejenige  der  klassischen  Instrumentalkonzerte,  insofern 
als  integrierenden  Bestandteil  der  Arie  betrachten,  als  wir  sie  thematisch 
aus  ihr  entwickeln.  Das  entspricht  der  alten  Praxis,  und  gleichzeitig  dem 
Geschmack  unserer  Zeit.  Wir  werden  trachten,  sie  so  zu  gestalten,  daß 
in  ihr  die  Wesenheiten  des  melodischen  Verlaufes  in  kurzer  Zusammen- 
fassung, aber  in  ihrer  vollen  Bedeutung,  zu  gesteigertem  Ausdruck  ge- 
langen, überall  unter  Beobachtung  der  von  Agricola  oben  angeführten 
Regeln.  Gemäß  der  Anlage  der  Arie,  ihrer  Ausdehnung  und  thematischen 
Bedeutung  wird  die  Kadenz  bald  umfangreicher,  bald  kürzer,  ja  aus 
wenigen  Noten  zu  bilden  sein.  In  langsamen  Arien,  deren  Gestaltung 
der  Kadenz  keinen  Anhalt  bietet,  wird  man  ausnahmsweise  zu  einer 
lediglich  abschließenden  Formel  greifen. 

Für  die  Nach-Händelsche  Zeit,  auch  für  die  Mozarts  und  seiner 
Zeitgenossen  möchte  ich  indessen  einen  so  scharfen  Bruch  mit  der  von 
Hiller  überlieferten  Tradition,  wie  sie  die  Einführung  einer  thematischen 
Kadenz  bedeutete,  nicht  wagen.  Hier  dürfte  eine  frei  erfundene,  ich 
möchte  sagen  Sängerkadenz  am  Platze  sein.  Sie  aber  etwa  derjenigen 
Hillers  (N  9)  getreu  nachzubilden,  widerspricht  unserm  Geschmack 
in  hohem  Grade.  Auch  sie  darf  nicht  in  leeres,  ausdrucksbares  Getändel 
ausarten,  auch  sie  soll  sich  dem  thematischen  Inhalt  der  Arie  insoweit 
anlehnen,  daß  sie  rhythmisch  mit  ihr  korrespondiert,  möglichst  auch 
melodisch,  jedenfalls  aber  nie  ganz  Neues  und  Fremdes  bringt,  sondern 
eine    gewisse    Ähnlichkeit    mit    dem    bereits    angeführten    melismatischen 


Zweiter  Teil.  J  49 

Bestandteil   aufweist.     Immerhin    sind    Hillers    Lehren    für    die    Bildung 
der  Sängerkadenz  wichtig  genug,  sie  hier  zu  wiederholen. 

Die  Kadenz  kann  sich  1.  tonal  in  der  Haupttonart  oder  2.  in  der 
Dominante  bewegen,  oder  3.  kurze  Wendungen  und  Ausweichungen  in 
entferntere  Tonarten  zu  Hilfe  nehmen,  unter  Wahrung  der  richtigen  Auf- 
lösung der  Dissonanzen.  Yon  Passaggien  kommen  —  natürlich  immer 
neben  den  Manieren  —  Tonleitern  in  allen  Formen,  und  Akkord- 
arpeggien  in  Betracht.  Er  gibt  nun  eine  Reihe  von  Tonleitervariationen, 
die  ich  im  Anhang  andeute  (N  1).  Es  folgt  eine  Kadenz,  die  ein 
Arpeggio  der  Dominante  einstreut  (N  2),  dann  eine  solche,  die  ganz 
der  Dominante  angehört  (N  3),  endlich  eine  solche  mit  Veränderungen 
des  harmonischen  Dreiklangs  (N  4).  Man  dürfte  gut  tun,  sich  für  die 
Kadenzen  jener  Zeit  auf  diese  Typen  zu  beschränken  und  sich  zu  hüten 
etwa  ein  Feuerwerk  Rossinischer  Art  loszulassen.  In  Adagiosätzen,  lehrt 
Hiller,  und  das  gilt  auch  für  die  Händeische  Kunst,  wird  man  weniger 
Gebrauch  —  für  uns  gar  keinen  —  von  geschwinden  Läufen  machen, 
sondern  sich  mit  wenigen  „gut  getragenen  Tönen  begnügen  und  einige 
Dissonanzen  einstreuen,  unter  denen  die  übermäßige  Quart  und  Quinte 
über  der  ersten  Kadenznote  zu  bevorzugen  sind".  Die  Auflösung*  kann 
zuweilen  verzögert  werden  (N  5).  Zu  empfehlen  sei,  auch  geschwinden 
Läufen  langsame  Noten,  auch  in  Dissonanzen  einzufügen,  oder  auch 
wohl  langsame  Kadenzen  einmal  durch  geschwindere  Läufe  zu  unter- 
brechen (N  6).  Für  eine  Ausweichung  in  entferntere  Tonarten  gebe  ich 
ein  Beispiel  in  N  7.  Weite  Sprünge,  über  die  Oktave  hinaus,  sollen  nicht 
gleich  im  Anfang,  sondern  „mehr  in  der  Mitte  statthaben";  sie  erfordern, 
um  sie  „faßlicher  darzustellen,  etwas  langgehaltene  Töne".  Die  Duodezime 
und  Terzdezime  sind  bevorzugt  (N  8).  Ich  gebe  noch  im  Anhang  (N  9 
a— c)  einige  Hillersche  Kadenzen  aus  seinen  „Sechs  italiänische  Arien", 
die  den  Typus  der  reinen  Sängerkadenz  darstellen. 

Dem  Melisma  der  letzten  Note  folgt  nun,  zugleich  mit  dem  Eintritt 
der  Dominante,  insofern  sie  nicht  schon  früher  eingetreten  ist,  der  Triller 
der  zweiten  Note  der  Kadenz,  natürlich  mit  der  oberen  Hilfsnote  ein- 
setzend. Den  Franzosen  folgend,  berichten  Tosi-Agricola,  könne  man 
den  Triller  in  „langsamen  und  zärtlichen  Arien"  weglassen  oder  ihn,  wie 
Agricola1)  wünscht,  durch  den  einfachen  oder  prallenden  Doppelschlag 
ersetzen,  dessen  beide  letzte  Noten  „ganz  matt  und  langsam  anzubringen" 
seien  (0  1  u.  2).  Derjenige  Sänger,  der  über  einen  guten  Triller  nicht 
verfügt,  wird  von  dieser  Lizenz  wohl  auch  in  Allegrosätzen  Gebrauch 
macheu  müssen.  Daß  die  bassierende  Kadenz  diesen  Triller  nicht  mit 
sich  führt,  ist  bereits  oben   erwähnt   worden. 

')  a.  o.  O.  S.  120. 


150  Zweiter  Teil. 

Die  doppelte  Kadenz  für  zwei  Singstimmen,  oder  eine  Sing- 
stimme und  ein  konzertierendes  Instrument,  wurde  gleichfalls  in  der  Regel 
erst  von  den  Ausführenden  erdacht  und  unterliegt  naturgemäß  den  Ge- 
setzen des  zweistimmigen  Satzes.  Agricola  warnt  vor  zu  vielen  Terz- 
sextengängen, empfiehlt  dagegen  „gebundene  und  ausgelöste  Gänge,  ins- 
besondere Nachahmungen  und  die  Einhaltung  des  Taktes  insoweit,  als 
sie  die  Nachahmung  verlangt.  Sie  dürfen  länger  sein  als  die  einfache  Kadenz, 
gestatten  also  das  Atmen.1) 

Als  Unterart  dieser  freien  Kadenz  erscheinen  diejenigen,  die  man 
bei  Fermaten  oder  sonstigen  Einschnitten  anbrachte.  Sie  sollen,  will 
Agricola,  „der  Hauptleidenschaft  des  Stückes  gemäß  sein"  und  treten 
sowohl  bei  der  Dissonanz,  welche  dem  Dominantakkord  vorangeht,  als 
auch  auf  der  Dominante  selbst  ein.  Sie  müssen  sich  allemal  auf  die 
anschlagende  Baßnote  gründen,  über  welcher  sie  angebracht  sind,  und 
dürfen  keinen  andern  Akkord  berühren,  da  sie  sonst  zu  einer  wirklichen 
Kadenz  auswüchsen.  Im  Beispiel  P  1  wird  „der  Akkord  der  Septime 
willkürlich  ausgefüllt,  und  durch  zugesetzte  Noten  verändert".  Wie  sehr 
sich  die  Ornamentierungskunst  jener  Zeit  in  Kasuistik  verliert,  zeigen 
Agricolas  Regeln  über  den  Abschluß  dieser  Fermaten.  Schließt  sie 
mit  einem  halben  oder  ganzen  Ton  nach  unten  (P  2),  so  tritt  der 
übliche  Schluß  mit  dem  Triller  und  Nachschlag,  oder  dem  prallenden 
Doppelschlag  mit  Nachschlag  ein.  Bei  andern  Intervallen,  wie  Quinten- 
Oktaven  und  Terzensprüngen  (P  3,  4,  5)  tritt  an  die  Stelle  des  gewöhn- 
lichen Nachschlages  „eine  gewisse  andere  Art  eines  matten  Nachschlages 
ein,  der  aber  nur  bey  dieser  einzigen  Gelegenheit  gebräuchlich  ist". 
Gerade  solche  Kadenzen  eröffnen  aber  auch  zuweilen  den  Eintritt  der 
Gesangstimme  in  der  Arie,  wie  wir  das  schon  bei  Scarlatti  und  andern 
Italienern  nachwiesen.  Agricolas  Beispiel  (P  5)  stammt  aus  Hasses 
damals  berühmtem  „Giro  riconosciuto" ',  wie  Hiller2)  bemerkt.  Man  hielt 
sich  übrigens  nicht  streng  an  das  Verbot  der  Ausweichung  in  andere 
Tonarten  bei  diesen  kleinen  Kadenzen,  denn  unser  Beispiel  (P  5)  weicht 
von  der  Tonica  Es  durch  die  Note  Des  nach  As  aus.  Hiller  empfiehlt 
für  die  Fermaten  neben  „kleinen  willkürlichen  Verzierungen"  vorzüglich 
den  bloßen  Triller  ohne  Nachschlag,  oder  den  Schwellton  mit  oder  ohne 
angehängten  langsamen  Mordent,  letzteren  besonders  bei  Oktavensprüngen. 
Seine  willkürlichen  Verzierungen  an  dieser  Stelle  (P  6 — 8)  halten  sich  in 
den  Grenzen  der  älteren  Praxis;  man  legte  sich  also  hier,  anders  als  in 
den  Schlußkadenzen,  einige  Reserve  auf,  ja  unterließ  sogar  den  Triller 
auf  der  vorletzten  Note,  ihn  durch  die  messa  di  voce  ersetzend. 

1)  Ausführliches  über  die  Behandlung  der  Doppelkadenz  bei  Quantz.  a.o.O.  S.  157,  §  19  ff. 

2)  a.  o.  O.  II,  S.  123. 


Zweiter  Teil.  151 

Endlich  muß  hier  noch  derjenigen  Kadenzen  Erwähnung  geschehen, 
die  dazu  bestimmt  sind,  einen  „Übergang  zu  den  darauf  folgenden 
Gesängen  zu  geben."  Sie  bestehen  nach  Hillers  Beispiel  (P  9  und  10) 
—  Agricola  erwähnt  ihrer  nicht  —  nur  aus  wenigen  Noten,  die  von 
der  Dominante  zur  Tonica  führen  und  in  der  Stimmenfortschreitung  meist 
einen  Sexten-  oder  Quartensprung  füllen.  Dabei  befestigte  man  zunächst 
den  Abschluß  auf  der  Dominante,  wenn  die  Stimme  nach  der  Fermate 
absetzte,  und  zu  einem  entlegneren  Intervall  übersprang,  z.  B.  der  oberen 
None  (P  9),  von  dem  aus  erst  jetzt  der  Übergang  zur  Einsatznote  ge- 
wonnen wurde.  In  dem  zu  Hillers  Zeiten  aufgekommenen  Rondo,  das 
das  Thema  mehrfach  wiederholt,  ist  zu  diesen  Yerbindungskadenzen  be- 
sonders häufig  Gelegenheit. 

Daß  neben  diesen  freien,  vom  Takte  emanzipierten  Kadenzen  auch 
die  ältere  Art,  die  an  den  Generalbaß  gebundene,  in  Übung  blieb, 
bezeugen  Tosi  und  Agricola.  Sie  müssen  aber  zu  Tosis  Zeiten  ver- 
nachlässigt worden  sein;  denn  er  ermahnt  die  Studierenden,  von  diesen 
„Cadenze  particolari  senza  ojfem  clel  tempo"  fleißig  Gebrauch  zu  machen. 
Agricola  fügt  hinzu:  „Die  Schlüsse  der  Arie,  ohne  Zurückhaltung  der 
Bewegung  des  Basses,  und  der  andern  begleitenden  Instrumente,  mit 
einigen  willkürlichen  Auszierungen  zu  versehen,  wird  heutzutage  bisweilen 
bei  dem  Ende  des  ersten  Teiles  einer  Arie,  absonderlich  wenn  sie  ein 
Adagio  ist,  auch  wohl  wenn  sonst  noch  etwa  ein  Schluß  in  derselben 
vorkömmt,  der  zur  Endigungskadenz  vorbereitet,  von  einigen  Sängern, 
welche  Fertigkeit  genug  dazu  besitzen,  nicht  ohne  gute  Wirkung  ange- 
bracht." Wir  dürfen  demnach  auch  für  die  Händeische  Kunst  auf  sie 
rechnen.  Ich  habe  es  bisher  vermieden,  auf  eine  Kritik  der  Chrysander- 
schen  Bearbeitungen  einzugehen,  muß  aber  an  dieser  Stelle  zu  seiner 
Kadenzbehandlung  Stellung  nehmen.  Es  ist  nun  ganz  auffällig,  daß  er 
sich  an  diese  von  der  Theorie  beobachteten  Regeln  nicht  kehrt.  Er  setzt 
mit  der  freien  Auszierung  häufig  bereits  vor  dem  Eintritt  des  Quart- 
Sextakkordes  ein,  hält  sich  aber  nicht,  wie  das  die  Alten  verlangen,  an 
den  fortspielenden  Generalbaß,  sondern  erweitert  die  Werte  der  Baßnoten, 
ja  interpoliert  sogar  nicht  selten  ganze  Takte,  wobei  er  sogar  vor  Ver- 
änderungen des  Zeitmaßes,  wie  der  Umwertung  eines  im  Original  geraden 
Taktes  in  einen  3/2-Takt  nicht  zurückscheut.1) 

J;  Vergl.  den  Klavierauszug  zum  Messias,  herausgegeben  von  Max  Seiffert  S.  9.  Diese 
Stelle  ist  besonders  instruktiv,  denn  die  Originalkadenz  Händeis  Nr.  1  hält  sich  bis  zum  Eintritt 
des  Quart-Sext- Akkordes  streng  an  das  Zeitmass,  ebenso  die  von  1790.  Diejenige  Chrysanders 
erweitert  diesen  Teil,  und  eliminiert  dafür  die  Auszierung  auf  dem  Quart-Sext- Akkord  vollständig. 
Vergl.  ferner  S.  21  I.  System,  S.  51,  S.  100  II.  System,  und  S.  130.  Ferner  Klavierauszug 
zum  „Saul",  herausgegeben  von  Volbach,  Verlag  der  Kaiserin  Friedrich -Stiftung  in  Mainz, 
S.  25   und   26,   wo  ein  ganzer  Takt  interpoliert  ist. 


152  Zweiter  Teil. 

Das  ist  nun  sicherlich  den  Anschauungen  der  alten  Theorie  zuwider. 
Freie,  vom  Takt  emanzipierte,  gewissermaßen  improvisierte 
Kadenzen  sind  nur  auf  dem  Ruhepunkt  des  Quart-Sext- 
akkordes freigestellt,  alle  andern  Auszierungen  insbesondere 
diejenigen,  die  diesen  Schluß  vorbereiten,  sind  durchaus  an 
das  Zeitmaß  gebunden.  Nicht  einmal  „der  galante  Stil",  der  doch 
in  dieser  Hinsicht  weiter  gehen  durfte,  als  der  pathetische,  wagt  es  von 
der  Niederschrift  in  solchem  Maße  abzuweichen.  Es  ist  hier  nicht  der 
Ort  zu  untersuchen,  ob  die  Chrysanderschen  Kadenzen  inhaltlich  dem 
Stil  der  Zeit  und  gleichzeitig  unserm  Geschmack  gerecht  werden.  Jeden- 
falls ist  aber  ein  Hinausgehen  über  diejenigen  Freiheiten,  welche  die 
damalige  Theorie  gestattete,  an  sich  unzulässig  und  nur  geeignet  den 
Ausgleich  zwischen  den  Vorschriften  jener  und  den  modernen  Geschmacks- 
postulaten  zu  erschweren.  Unsere  Aufgabe,  innerhalb  dieser  Grenzen 
stilgerecht  zu  verfahren,  ohne  modernes  Musikempfinden  zu  verletzen,  ist 
gerade  schwierig  genug,  als  daß  wir  es  wagen  dürften,  sie  noch  weiter 
abzustecken,  als  selbst  die  Alten  es  getan. 

Wir  haben  noch  zu  untersuchen,  ob  auch  die  von  den  Komponisten, 
wie  wir  sahen,  vielfach  ausgeschriebenen  Schlüsse  noch  überdies  von 
den  Sängern  verziert  wurden.  In  den  Quellen  findet  sich  keine  Andeutung. 
Wir  müssen  deshalb  annehmen,  daß  die  freie  Kadenz  auf  dem  Quart- 
Sext-Akkord  auch  hier  zur  Anwendung  kam,  hingegen  diejenige  über 
dem  fortspielenden  Generalbaß  fortblieb,  weil  eben  die  Niederschrift  selbst 
bereits  in  so  ergiebiger  Weise  zum  Ende  führte,  daß  für  die  kein  Platz  mehr 
vorhanden  wrar.  Es  ist  aber  anzunehmen,  daß  auch  jene  in  solchem  Falle 
sich  auf  Ausführung  eines  kurzen  Gedankens  beschränkte,  um  das  Ver- 
hältnis der  Ariensubstanz  und  des  schlußbildenden  Anhanges  nicht  un- 
natürlich zu  dieses  Gunsten  zu  verschieben.  Das  gilt  auch  für  die 
Händeische  Kunst  vorzüglich.  Denn  auch  er  gestaltet  seine  Schlüsse 
nicht  selten  in  der  Form,  wie  wir  sie  bei  den  Italienern  geschildert,  in 
der    Oper    reicher    und    ausladender1)    als    im    Oratorium2).     Wo    solche 


1)  Vergl.  z.  B.  Schluss  der  Arie:  „Tu,  la  mia  Stella"  im  Giulio  Cesare  S.  39  der 
Händelausgabe. 

2)  Vergl.  z.  B.  Susanna:  „Welket  hin  und  sinkt  in  Schmach",  wo  die  Schlussformel 
in  einer  Anführung  früherer  thematischen  Phrasen  besteht.  „Sanft  lächle  Friede",  wo  mit 
einem  bereits  auf  anderer  Tonstufe  angeführten  Melisma  geschlossen  wird:  „Wenn  die  Schlacht- 
trompete klingt".  Acis  und  Galatea:  „Schäfer  lass  dein  Liebeswerben",  eine  Arie,  die  den 
breiten  typischen  Schluss  der  italienischen  Form  aufweist.  Messias:  „Alle  Thale'(,  Schluss 
des  ersten  Teils  in  H  dur.  „Das  Volk  das  im  Dunkeln  wandelt",  Schlussbildung  durch 
Wiederholung  einer  früheren  Phrase  in  die  höhere  Quart  gelegt.  „Ich  weiss,  dass  mein  Er- 
löser lebt",  Melisma  nach  dem  Trugschluss  H  —  Cis,  wo  offenbar  die  Kadenz  völlig  aus- 
geschrieben ist. 


Zweiter  Teil. 


153 


Schlußformeln  vorliegen,  werden  wir  von  der  vorbereitenden  Kadenz  ganz 
abzusehen  haben,  da  wir  annehmen  müssen,  daß  sie  Händel  so  nieder- 
schrieb, wie  er  sie  gesungen  wissen  wollte.  Nicht  ausgeschlossen  ist 
natürlich  auch  hier  der  Zusatz  von  Manieren  und  kleinen  Passaggien.  Die 
freie  Kadenz  wird  auch  hier  nicht  fehlen  dürfen,  aber  inhaltlich  und  in 
ihrer  Ausdehnung  auf  die  vorgefundene  Schluß  wen  düng  Kücksicht  zu 
nehmen  haben.  Für  Bach  liegt  die  Sache  anders.  Er  führt  die  Stimme 
in  den  meisten  Fällen  in  so  ausdrucksvollen  Wendungen  zu  Ende,  daß 
für  die  Kadenzbildung  kein  Raum  bleibt.  Zuweilen  schreibt  er  sie  in 
seinem  überall  hervortretenden  Bestreben,  der  Willkür  der  Sänger  vor- 
zubeugen, selbst  vor.1)  Dort  wo  bei  den  Schlüssen  die  Instrumente  aus- 
setzen und  der  Generalbaß  allein  fortspielt  ist  man  anzunehmen  berechtigt, 
daß  er  auf  den  Zusatz  von  Manieren  gerechnet  hat.2) 

Kapitel  IL 
G.  F.  Händel. 

Es  ist  im  Verlaufe  dieser  Abhandlung  überall  auf  die  Stellung  hin- 
gewiesen  worden,    die    Hand  eis  Oratorienstil    zur  Melismatik    und    zum 
Verzierungswesen  seiner  Zeit  einnahm.     Auch  dieser  deutsche  Meister  ist 
durch  die  italienische  Schule  gegangen,   war  von  dem  älteren  Scarlatti, 
noch   mehr   von    Steffani,    vorzüglich    aber    von    R.   Keiser    beeinflußt 
worden,     und     hatte     sich     den     Besitz     aller     ihr     geläufigen     vokalen 
Ausdrucksmittel,     aller     ihr     tesorl    cid    canto     zu      erwerben      gewußt. 
Schon    seine  Frühwerke,    wie    die    Almira,    noch    mehr    die    Opern    der 
Londoner    Periode    erweisen    aber    das    Bestreben,     die    melismatischen 
Tonfiguren    dem  geistigen  Gehalte   des  Vorwurfs    inniger   anzupassen,    ja 
ihn    durch    sie    zu  steigern,    und    sie    der    Bestimmung    zuzuführen,    den 
innersten  W^esensgehalt  selbst  zu  treffen.     Will  sich  hier  ein  völliges  Ge- 
lingen   noch    nicht    überall  einstellen,    so    entfällt    das  Verschulden   jener 
Theaterpraxis,    die    es    erheischte,     daß     der    Komponist    nicht    nur    der 
Individualität    des    Sängers    überhaupt,    sondern    auch    derjenigen    seiner 
technisch-gesanglichen  Begabung  Rechnung  tragen  mußte.     Daß  Händel 
seine  Würde  und  die  der  Kunst  zu  wahren  wußte,  beweist  der  bekannte 
Vorgang    mit   der    Cuzzoni.3)      Indessen    konnte    auch    er    nicht  soweit 
gehen,  jener  Sitte  sich  ganz  zu  entziehen.     Die  Arien  für  diese  Künstlerin, 
für    die    Faustina,    Strada,    für    Senesino,    Montagnana,    Bernacchi  u.  a. 
sind  geschickte  Kompromisse    zwischen  der  Aufgabe,    die  Handlung  und 

1)  Z.  B.  Kantate  „Freue   dich,   erlöste  Schar",  Bass-Arie,  Bach-Ausgabe  V.  i,  S.  347 
und  „Süsser  Trost,  mein  Jesus  kommt",  gleichnamige  Arie,  Bd.  XVI,  S.  9. 

2)  Vergl.  Spitta  a.  o.  Ü.  Bd.  II,  S.  152. 
3j  Chrysander -Händel  Bd.  1J,  S.  91. 


154  Zweiter  Teil. 

Charakter  stellte,  und  dem  Wunsche,  dem  Vertreter  der  Rolle  auch  zu 
einem  gesanglichen  Erfolge  zu  verhelfen.  Erst  im  Oratorium,  und  dem 
geistlichen  vorzüglich,  wurde  er  dieses  Zwanges  ledig.  Hier  erst  durfte 
er  ganz  aus  der  Stimmung  heraus  schaffen,  und  so  Schönes  auch  die 
Einzelgesänge  seiner  Opern  mit  sich  führen,  die  volle  Höhe  erreichte  er 
doch  erst  auf  diesem  Gebiete.  Nun  durfte  er  auch  die  Melismatik  völlig 
in  den  Dienst  des  Ausdrucks  stellen.  Selbst  dort,  wo  sich  eine  reiche 
Koloratur  entfaltet,  ist  sie  nirgends  Selbstzweck,  erweist  sich  vielmehr  als 
ein  wohlerwogenes,  fein  durchdachtes  Hilfsmittel  der  Charakteristik. 

Unter  diesem,  als  des  Meisters  Gesichtspunkt,  hat  denn  auch  die 
nachschaffende  Hand  des  Interpreten  dort  einzusetzen,  wo  er  ihm  —  in 
der  Sitte  der  Zeit  —  durch  eine  skizzierte,  nicht  ausgeführte  Nieder- 
schrift die  Gelegenheit  eröffnet,  selbsttätig  nachzuhelfen.  Er  wird 
überall  die  Vervollkommnung  der  melodischen  Linie  anzustreben 
haben,  insbesondere  wo  er  Vorschläge,  lange  oder  kurze,  oder  andere 
Manieren  einfügt,  und  wo  er  reichere  Wendungen  einstreut,  wie  das  die 
lebhafter  kolorierten  Gesänge  nicht  selten  verlangen,  stets  ihrer 
musikalischen  Gesamtanlage  gemäß,  und  möglichst  in  Anlehnung 
an  die  gegebene  Thematik  zu  gestalten  gehalten  sein.  Und  das  gilt  auch 
für  die  Kadenz.  Nicht  nur,  daß  noch  zu  Hand  eis  Zeit  die  thematische 
Kadenz  durchaus  die  vorherrschende  war,  auch  unser  lebendiges  Musik- 
empfinden wird  nur  dieser  Gattung,  als  einer  wirklichen  Steigerung  des 
musikalischen  Aufbaus,  eine  Berechtigung  zusprechen,  die  Sängerkadenz, 
also  die  ohne  Bezug  auf  die  thematische  Substanz  des  Stückes  angefügte 
Klausel,  hingegen  nur  ausnahmsweise  dort  einfügen,  wo  das  Stück  selbst 
sich  des  Ziergesanges  als  Selbstzweck  bedient  und  durch  ihn  wirken  will. 
Selbst  wenn  sich  einmal  Kadenzen  dieser  Art  auch  in  anderer  Bestimmung 
wiederfänden,  und  so  der  Beweis  erbracht  wäre,  daß  sie  wirklich  in 
Übung  waren,  so  könnte  uns  das  —  schon  gegenüber  den  klaren  Be- 
richten von  der  Bevorzugung  der  thematischen  Kadenz  —  nicht  bestimmen, 
sie  wieder  einzuführen.  Und  wenn  sie  selbst  von  Händeis  eigner  Hand 
notiert  wären,  so  dürften  wir  in  ihnen  nur  eine  liebenswürdige  Verbeugung 
des  Meisters  vor  seinem  Interpreten  sehen,  die  uns  zu  nichts  verpflichtet. 
—  Erst  vor  kurzem  ist  bekannt  geworden,1)  daß  uns  für  „fast  alle 
Opern  und  Oratorien  Hand  eis  die  Gesangsverzierungen  seiner  Sänger 
und  Sängerinnen  durch  gleichzeitige  Niederschriften  überliefert"  sind, 
allerdings  nicht  so?  daß  „alle  Arien  und  Rezitative  sorgsam  bis  ins 
kleinste  Detail  des  Ausdrucks  hinein  bezeichnet  sind".  Von  diesen  uns 
überkommenen  Verzierungen   liegen   bisher  nur   diejenigen  des  „Messias" 

l)  Max  Seiffert:  „Die  Verzierung  der  Sologesänge  in  Händeis  „Messias",  holländ. 
Cecilia   1907,  und  Sammelbände  der  J.  M.-G.  VIII  4. 


Zweiter  Teil.  155 

vor.1)    Chrysanders  Verfahren  in  seinem  Klavierauszug  des  Werkes  ist 
durchaus  zu  billigen.     Er  hat  sie  nicht   als  Ganzes   akzeptiert,    sondern 
nach    ästhetischen    Gesichtspunkten    seine  Auswahl    getroffen,    zahl- 
reiche Formeln  verworfen,  wie  die  Durchsetzung  des  Rezitativs  mit  Prall- 
trillern und  andern   kleinen  Verzierungen,   andere  verändert,    oder  nur  an 
einigen  Stellen   belassen,   an  andern  eliminiert.     Ob  seine  Behandlung  im 
einzelnen    zu   billigen,    will   ich    hier   nicht   untersuchen;    sein  Standpunkt 
aber,   daß   diese  Dokumente  Händelscher  Praxis  kein    unverbrüchliches 
Gesetz  für  die  heutige  Zeit  bilden,  ist  durchaus  der  meine.    Ästhetische 
Erwägungen    haben    uns    zu    leiten,    historische    Treue    kommt 
immer  erst  sekundär  in  Betracht.    Der  philologisch-historischen  An- 
schauung muß  man  folgende  Bedenken  entgegenhalten.    Die  Verzierungen 
sind  nicht   essentielle  Bestandteile   der  Komposition.     In  keinem 
der  Händeischen  Handexemplare,    die   er   bei   der  Aufführung   benutzte, 
steht  auch  nur  eine  Verzierungsnote.2)     Wie  diese  Aussetzungen   zustande 
kamen,   ist  leicht  zu  begreifen.     Die  Sänger  Hand  eis   entwarfen  sie  für 
jeden  Fall,   der  Sitte  der  Zeit  gemäß,   von  ihrem  Recht  der  freien  Inter- 
pretation Gebrauch  machend.     Sicherlich  setzten  sie  sich  mit  Händel  in 
Verbindung.    Die  überlieferten  Verzierungen  sind  mithin  als  Kompromiß 
zwischen  den  Reproduzierenden  und  dem  Komponisten  anzusehn.  Daß  sie  in 
all  und  jeder  Hinsicht  Händeis  Beifall  hatten,  ist  nicht  nachweisbar.  Überdies 
verkennt  man  das  Verhältnis  der  ergänzenden  Kunst  jener  zum  Kunstwerk 
selbst,    wenn  man,   wie  Seiffert  geneigt  scheint,    ihr  irgendwie  bindende 
Kraft   auch    für    die    Ausführungen    jener   Zeit   zuerkennt.     Sie    war   und 
ist    noch    heut    improvisatorischen   Charakters.     Auch    die   Aussetzungen, 
die   ich   im   folgenden   gebe,    sind  nur  Vorschläge   für   die  Sänger.     Alle, 
hoffentlich  bald,  publizierten  Dokumente  des  Händeischen  Sängerkreises 
können  also  nur  lehrreiche  Beispiele  liefern,  wie  damals  gesungen  wurde, 
und  Anregungen  für  die   heutige  Gestaltung.     Aber  zwingend   für  die 
Art,    wie    wir    heut    singen    sollen,    sind    sie    nicht.      Auch  ihnen 
gegenüber    bleibt   die   Forderung,   modern,    also   unserm  Musikempfinden 
gemäß   zu   gestalten,    zu  Recht   bestehen.     Bilden   sie    doch   überdies   nur 
die  Überlieferung  einer  Sonderpraxis,    eben  des  Kreises  um  Händel,    die 
zu  bewerten  erst  von  der  Warte  aus  möglich   erscheint,    die   uns   die   ge- 
samte  Literatur   und  Praxis   des    18.  Jahrhunderts   errichtet   hat.3)     Aber 


*)  Ebenda. 

2)  Wenigstens  nicht  in  den  von  Chrysander  der  Hamburger  Stadtbibliothek  über- 
wiesenen 124  Bänden,  ebensowenig  in  denjenigen  der  Händel -Sammlung  des  Fitzwilliam- 
Museum  zu  Cambridge,  wie  mir  der  Bibliothekar  Mr.  Mann  gütigst  mitteilt. 

8)  Vergl.  des  Verfassers  Kritik  des  Klavierauszuges  zum  Messias  von  Chrysander  - 
Seiffert  in  der  Zeitschrift  der  Int.  Musik-Ges.  September   1907. 


156  Zweiter  Teil. 

auch  Erwägungen  psychologischer  Natur  bestimmen  uns,  eine  Wieder- 
einführung selbst  authentischer  Aussetzungen  von  der  Hand  zu 
weisen,  sofern  sie  sich  nicht  mit  unserm  musikalischen  Empfinden  völlig 
decken. 

Die  Wesenheit  der  Reproduktion,  nachzuempfinden  und  neu  ent- 
stehen zu  lassen,  was  ihr  der  Schöpfer  zuführt,  schließt  innerhalb  der 
natürlichen  Grenzen  die  zeugerische  Kraft  nicht  aus.  Die  neuere  von 
Lipps  begründete  subjektive  Ästhetik  geht  mit  Recht  davon  aus,  daß 
der  wiedergebende  Künstler  das  Kunstwerk  gewissermaßen  neu  erlebt. 
Mit  der  Einfühlung  in  das  Kunstwerk  schafft  er  neue  Werte,  für  die 
Kunst  von  größter  Bedeutung,  weil  ohne  sie  die  Schöpfungen  der  großen 
Meister  auf  dem  Papiere,  also  dem  Genießenden  verschlossen  blieben.  Nun 
aber  ist  die  Tätigkeit  der  Nachbildenden  kein  einfaches  Ausführen,  etwa 
vergleichbar  dem  des  Baumeisters  der  den  Entwurf  des  Architekten  in 
die  Materie  umsetzt.  Ihm  gilt  es  vielmehr  das  Kunstwerk  in  seiner  Tiefe 
zu  erfassen,  es  mit  dem  eigenen  Ich  und  mit  den  Anschauungen  seiner 
Zeit  zu  verbinden,  und  ihm  so  Leben  und  Wirksamkeit  zuzuführen.  Auch 
der  Sänger  und  Instrumentalist  ist  ein  Kind  seiner  Zeit.  Seine 
Kunst  ist  ein  Erzeugnis  ihrer  Geisteskultur.  Sie  entwickelt  und  verändert 
sich  mit  den  Evolutionen  der  künstlerischen  Bedürfnisse.  Er  kann  nur 
gestalten  und  fühlen  aus  dem  Geiste  derjenigen  Epoche  heraus, 
der  er  angehört.  Darum  werden  wir  auch  immer  nur  von  unserem 
Gefühls-  und  Denkungsvermögen  aus  an  hinter  uns  liegende  Kunst- 
erscheinungen herantreten.  Daraus  ergibt  sich,  daß  das  Gebiet,  das  diese 
künstlerische  Nachbildung  uns  zu  erschließen  vermag,  zwar  sehr  groß  ist 
und  so  weit  reicht,  als  überhaupt  noch  Berührungsflächen  mit  dem  modernen 
Empfinden  vorliegen,  daß  aber  auch  jedes  Zeitalter  zu  den  Schätzen 
abgelaufener  Perioden  in  einem  eigenen  immer  andern  Ver- 
hältnis steht.  Die  echten  großen  Meisterwerke  der  Vergangenheit  be- 
halten ihre  Bedeutung,  sie  sind  ewig,  aber  unsere  Beziehungen  zu  ihnen 
sind  nicht  konstant,  sondern  wechseln  mit  dem  Empfindungsinhalt  der  Zeit. 
Wir  hören  die  Werke  jener  Großmeister  der  Yergangenheit,  eines 
Palestrina,  Gabrieli,  eines  Händel  und  Bach,  ja  selbst  noch  Mozarts 
und  Beethovens  mit  andern  Ohren  als  unsere  Vorderen,  ja  selbst  als 
unsere  Großväter.  Was  wir  seit  ihrer  Zeit  erlebt,  was  wir  errungen  haben, 
zu  ewigem  Gewinn,  das  klingt  uns  aus  jenen  herüber.  So  manches,  was 
früher  entzücken  konnte,  läßt  uns  heute  kalt,  so  manches  haftet  an  der 
Zeit,  der  es  angehört,  und  fällt  dahin,  wenn  sie  vorüber.  Nur  was  über 
Zeit  und  Ort  erhaben,  bleibt  ewiger  Gewinn,  und  wiederum  hebt  eine 
andere  Generation  dort  neue  Schätze,  wo  eine  frühere  achtlos  vorüber- 
ging.     Das    ist    das     untrügliche    Merkmal    wirklicher    Größe,    daß    ihre 


Zweiter  Teil.  157 

Schöpfungen   immer  neue,   immer   andere  Werte    erzeugen,    daß  sie  jeder 
kommenden  Generation  immer  neue  Offenbarungen  zuführen.     Betrachten 
wir   die  Geschichte   der  Händelsschen  Kunst.     Das   18.  Jahrhundert  in 
seiner  zweiten  Hälfte  liebte  ihn  in  der  Form  zeitgenössischer  Bearbeitungen 
eines    Mozart   und    Hiller.     Die    neuere    Musikausübung   hat   —    durch 
Chrysanders  Initiative  —  auf  die   historisch   beglaubigte  Form  zurück- 
gegriffen,   und    uns    den    wahren    Händel   in    seiner   vollen    Größe    er- 
schlossen.    Aber  sie  verdankt   ihren  Erfolg  nicht  dem  Erkennen,    daß  es 
so  sein  müsse,  weil  Händel  es  so  gewollt,  sondern  weil  sie  sich  unserm 
Hören  und  Empfinden  in   höherem  Grade  nähert,   als  jene  Bearbeitungen 
des    18.   und    19.  Jahrhunderts.      Wie    frei    in    dieser    Beziehung    selbst 
Chrysander  dachte,   erhärtet  ein  Vorgang,   den  mir  Fritz  Volbach  in 
Mainz    berichtet.     Dieser    schlug    ihm    vor,    in    einer   Arie    von    Hand  eis 
„Deborah"    eine  Harfe    mitgehen    zu    lassen,    von    der   die  Partitur   nichts 
weiß.    Anfangs  weigerte  sich  Chrysander,  fand  aber  die  Klangwirkung 
so  reizvoll,    daß    er   die   kritisch -historischen  Bedenken    unterdrückte    und 
zustimmte. 

Die  folgenden  Bearbeitungen  der  Oratorien  „Samson"  und  „Josua" 
werden    erweisen,    daß    die  „pathetischen  Arien",    welche  ja    auch  Tosi- 
Agricola    von    jeder    virtuosen    Behandlung    ausschließen,    lediglich    an 
einzelnen  Stellen   melodie- abrundender  Zusätze   bedürfen.     Diejenigen   im 
langsamen    Tempo     dürfen     sich     sogar     regelmäßig     mit     einigen    Vor- 
schlägen    und    Manieren    begnügen,     diejenigen     im    Allegro,     wo    kein 
da   capo   vorliegt,    gleichfalls   im   wesentlichen   die  Niederschrift  reprodu- 
zieren.     Vielfach    hat    sie    Händel    bis    ins    kleinste    Detail    ausgesetzt, 
zuweilen     rechnet    er    indessen    doch    auf    kleine    Zusätze,    sei    es    von 
Manieren,   sei  es  kleiner  Passaggien.     Die  Behandlung   des   da  capo  darf 
bai   Händel   nicht   unter   dem   Gesichtspunkt  erfolgen,    die   der   „galante 
Stil"  einnahm,    daß   hier   möglichst  jede  Ermüdung  durch    gleichlautende 
Wiederholung  zu  vermeiden  sei.     Hand  eis  Melismen  sind  keine  Zierate, 
die  man  fortwerfen,  und  mit  anderen,  prächtigeren  und  gleißenderen  ver- 
tauschen kann.     Sie    erwachsen  aus  Inhalt  und  Stimmung,    und    sind   mit 
der  Gesamtanlage  aufs  innigste,  und  so  eng  verwachsen,  daß  sie  heraus- 
zunehmen   und    mit    anders    gestalteten    zu   vertauschen    soviel   bedeutete, 
als   ein   völlig   Neues    an   die   Stelle    des   Beabsichtigten    setzen.     Deshalb 
kann  die  Wiederholung  nur  auf  eine  Steigerung  des  Ausdrucks  ausgehn, 
nicht  aber  auf  eine  Umwertung  der  Tonphrasen,  wie  der  „galante  Stil«.    So 
wird  denn  die  Wiederholung  hier  wirklich  im  wesentlichen  eine 
Wiederholung  sein,  und  Zusätze,  vorzüglich  Manieren,  wie  Vorschläge, 
Schleifer  und  Doppelschläge,  nur  in  dem  Sinne  einer  intensiveren  Betonung 
der  gegebenen  Gedanken  statthaben.   Ausgiebiger  darf  die  Verzierungskunst 


158  Zweiter  Teil. 

des  Sängers  dort  eingreifen,  wo  sie  vor  Gebilden  steht,  die  schon  in  ihrer 
Anlage  auf  einer  leichten,  behenden  Koloratur  beruhen,  und  sie  als 
Charakterisierungsmittel  oder  tonmalend  benutzen,  wie  etwa  „Ihr  Männer 
Gazas"  und  „Verlassen  weilt"  im  Samson,  „Horch  's  ist  der  Yögel 
Morgenschlag"  im  Josua.  Ich  muß  aber  noch  einmal  betonen,  daß  auch 
hier  ein  Ziergesang,  wie  ihn  etwa  Hiller  ausübt,  ausgeschlossen  bleiben 
muß.  Denn  auch  die  Arien  dieser  Gattung  gehen  mit  ihrer  reicheren 
Melismatik  völlig  im  Ausdruck  auf. 

Was  schließlich  die  Manieren  betrifft,  auf  deren  Ergänzung 
Händel  vielfach  rechnet,  so  ist  bereits  im  ersten  Kapitel  dieses  Teiles 
das  Nötige  gesagt  worden.  Yorschläge,  lange  wie  kurze,  deutet  er 
nur  vereinzelt  durch  die  kleine  Note  an.  Nun  kann  man  auch  hier  des 
Guten  zu  viel  tun,  wenn  man  sie  zu  häufig  einführt.  Sie  sollen  stets  eine 
melodische  oder  harmonische  Funktion,  in  der  von  Agricola  oben 
geschilderten  Weise,  erfüllen.  Vorschläge  von  unten  sind  höchst  selten 
am  Platz,  und  dann  nur  als  dissonierende  Vorhalte;  der  kurze  Vorschlag 
von  unten  war  wenig  gebräuchlich  und  dann  nur  als  Wiederholung  der 
vorhergehenden  Note.  Andere,  frei  eintretende,  sind  seltene  Ausnahmen. 
In  der  folgenden  Bearbeitung  ist  der  kurze  Vorschlag  in  moderner 
Notierung:  K  gegeben,  und  unbetont,  zeitlich  vorausgenommen,  also 
jambisch  auszuführen.  Wo  er  betont,  auf  die  Thesis  fallend,  also  trochäisch 
gemeint  ist,  wird  in  jedem  Fall  angemerkt.  Der  Triller  ist  überall  als 
Sekundenbewegung,  von  der  oberen  Hilfsnote  aus,  nach  unten  gemeint, 
Pralltriller  und  Mordent  in  den  im  ersten  Kapitel  dieses  Teils 
gegebenen  Formen.  In  langsamen  Sätzen  habe  ich,  statt  des  Trillers, 
wo  er  nicht  ausdrücklich  vorgeschrieben,  überall  eine  der  Doppelschlags- 
figuren gewählt,  wie  sie  die  Theoretiker  zulassen.  Den  Schneller,  als 
eine  der  Händeischen  Zeit  wenig  geläufige  Manier,  glaubte  ich  nur 
dort  einführen  zu  dürfen,  wo  die  Singstimme  mit  ausgeschriebenen 
Instrumentalstimmen,  die  ihn  aufweisen,  in  Beziehung  tritt,  oder  wo  eine 
besondere  Frische  und  Lebhaftigkeit  angestrebt  wird.  Dann  erinnere 
ich  daran,  daß  unter  der  Abkürzung:  tr  oder  t  auch  der  Doppelschlag, 
meist  der  verbindende,  verstanden  wurde,  so  daß  ich  mich  berechtigt 
glaubte,  einmal  auch  ihn  unter  diesem  Zeichen  zu  verstehen  (Josua  „Wie 
Sonnenlicht").  Schleifer  und  Anschlag  sind  als  die  gebräuchlichsten 
Ornamente  überall  verwendet,  wo  die  Melodik  auf  sie  hinweist.  In  der 
Kadenz  mache  ich  vom  Schleifer  nur  dort  Gebrauch,  wo  ihn  die  Arie 
selbst  bereits  anführte.  Der  Doppelschlag  ist  wohl  die  einzige  Ton- 
zerlegung, die  uns  kaum  minder  geläufig  ist,  wie  den  Alten.  Schon  aus  diesem 
Grunde  wird  man  sich  in  zweifelhaften  Fällen  gern  für  ihn  entscheiden. 
Von  der  Einführung    der    Bebung    habe  ich  abgesehen.     Einmal  ist  sie 


Zweiter  Teil. 


159 


uns  fremd  geworden,  dann  aber  scheint  sie  auch  im  18.  Jahrhundert 
bereits  nur  noch  als  Spezialität  einzelner  Virtuosen  ihren  Platz  behauptet 
zu  haben.  Dagegen  sollen  alle  vom  Komponisten  ausgeschriebenen 
Noten  gleicher  Tonhöhe  auf  demselben  Yokal,  wo  nicht  Zeichen,  wie 
Punkte,  oder  Punkte  mit  Bogen,  auf  ein  staccato  oder  martellato  deuten, 
leicht  angehaucht  wiedergegeben  werden,  wie  es  Stockhausen,1)  selbst 
noch  für  den  Mozartschen  Einzelgesang,  verlangt: 

Samson.  Nur  diejenigen  Gesänge  sind  vermerkt,  die  einer  Ver- 
vollständigung bedürfen.  Die  regelmäßig  in  den  Aufführungen  ausge- 
lassenen blieben  gleichfalls  unberücksichtigt. 

Arie  „Ihr  Männer  Gazas",  P.  (=  Partitur)  S.  19.  Von  den  drei 
Arien,  bestimmt  den  Jubel  des  Dagonfestes  zu  schildern,  sollte  wenigstens 
eine  gesungen  werden,  wie  das  Händel  verlangte.  (Vergl.  Einleitung  zur 
Ausg.  d.  H.  Ges.  IV.)  Man  wird  sich  sicherlich  für  diese  entscheiden,  weil 
sie  musikalisch  die  bedeutendste  und  in  ihrer  festlichen  Stimmung  am 
besten  geeignet  ist,  den  Eindruck  des  fröhlichen  Wesens  der  Philister  zu 
illustrieren.  Es  wird  geboten  sein,  die  Melodie  durch  Verzierungen  zu 
beleben.  Einzelne  Stellen  sind  offenbar  überhaupt  nur  skizziert.  Takt  4, 
6,  7,  8,  9.  Das  Zeichen  tr  bedeutet  natürlich  einen  kurzen  Triller,  der 
mit  der  Hauptnote  beginnen  muß,  damit  die  Intervalle  deutlich  hervor- 
treten. Man  hat  die  Wahl  zwischen  dem  Mordent  oder  Schneller. 
Takt  13  ff.  Das  Thema  kann  unverändert  bleiben,  höchstens  füge  man 
in  Takt  16  den  Triller  auf  dem  ersten  Taktteil  eis  hinzu,  entsprechend 
demjenigen  im  Ritornell.  Takt  35.  Auf  dem  ersten  Taktteil  kann  ein 
Pralltriller  eingefügt  werden,  wie  er  in  der  Wiederholung  durch  die 
Violinen,  Takt  39,  vorgeschrieben  ist;  kein  Mordent,  da  vier  fallende 
Sekunden  vorliegen.  Ebenso  kann  Takt  37  und  Takt  41  entsprechend 
verändert  werden.  Takt  74  ff.  wird  das  hier  wiederholte  Thema  auszu- 
schmücken sein. 


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ihr 
Veränderung. 


Man  -  ner 


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oder  Mordent. 


bringt  her  -  bei, 


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Ga   -     za's 


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bringt   her  -  bei, 


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160 
J 


Zweiter  Teil. 


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die  hel-le,  hel-le 


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Anschlag. 


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Pfeif' 


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und   Feld  -  schall 


^S 


IÖ 


und  Feld  -  schall 


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-  mei. 


SE 


-  mei. 


i 


Takt  94  ff.  Lange  Triller,  mit  der  oberen  Hilfsnote  einsetzend. 
Yor  den  zwei  Sechzehnteilen  mit  Achtel  überall  glänzende  kurze  Vor- 
schläge.   Die  Wiederholung  in  den  Violinen  überall  entsprechend  verändert. 

Takt  101  ff.  Hier  hat  Händel  offenbar  auf  eine  Ausgestaltung  ge- 
rechnet; in  der  Niederschrift  klingt  die  Stelle  eckig. 

Ja 


Takt  110.  Triller  mit  Nachschlag  auf  h.  Takt  112  und  114. 
Schneller,  bezw.  Mordent  auf  dem  ersten,  Triller  ohne  Nachschlag  auf 
dem  zweiten  Taktteil.  Die  Koda,  Takt  118  ff.,  kann  ein  wenig  brillanter 
gestaltet  werden  durch  Einschreibung  kleiner  Verzierungen,  etwa: 


Zweiter  Teil, 


161 


*-«_>.    ,  Tr"""^ — i 


£*  i_rrj?n^m^ggi^p^gg^ 


#g  rrr^>rrnr1j^fi£gfg#Eg 


Triller. 


Der  Schluß  erfordert  eine  vorbereitende,  also  an  das  Zeitmaß  ge- 
bundene Kadenz,  und  eine  freie,  auf  dem  Quartsextakkord  eintretende. 
Der  glänzenden  Anlage  des  Stuckes  gemäß  werden  sie  reich  und  virtuos 
zu  gestalten  sein.  Die  hier  verzeichnete  freie  Kadenz  nimmt  einen  Ge- 
danken des  Stückes  auf. 


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Original. 


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Veränderung. 


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Klang. 


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t 


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^ 


„0  Abbild",  P.  S.  41,  gehört  zu  jenen  pathetischen  Gesängen,  die 
auch  die  Alten  nicht  antasteten.  Den  Schluß  hat  der  Komponist  selbst 
mit  einer  so  ausdrucksvollen  Wendung  ausgestattet,  daß  auch  hier  alles 
unverändert  bleibe.  Vielleicht  kann  man  auf  dem  Quartsextakkord  noch 
einmal  die  aufseufzende  Figur  des  Stückes,  Takt  47/48,  einschalten. 


4 


Efc 


sehr  breit 


J 

vo 


« 


jffj  I       J    1      ÜH 


on    Weh 


und        Leid. 


11 


162 


Zweiter  Teil. 


Der  Triller  des  vorhergehenden  Taktes  sollte  die  Vorhaltsnote,  g, 
ein  wenig  halten,  und  dann  eine  ganz  kurze  Sekundenbewegung  an- 
schließen; also  ein  Triller  avec  appuy: 


UJjJi    I 


Tief  dunkle  Nacht,  P.  S.  46.  Den  Pralltriller  des  ersten  Taktes 
würde  ich  Takt  6  der  Gesangsstimme  nicht  beifügen.  Diesem  edelsten 
aller  Klagelieder  frommt  die  schlichteste  Ausführung.  Auch  der  Ver- 
suchung Takt  14  und  15  vor  c  (Licht)  bezw.  h  (Schein)  Vorhalte  anzu- 
bringen, gehe  man  deshalb  aus  dem  Wege.  Will  man  Takt  32  eine 
Kadenz  anbringen,  so  darf  sie  nur  aus  wenigen  Noten  bestehen,  und  muß 
dann  einen  motivischen  Gedanken  wiederholen.     Etwa 


$mm 


sehr  langsam 

mm. 


Stern       tilgt  mir 


lUgH    fThfc^ 


dMn  Fluch. 


„Dein  Hei  den  arm",  P.  S.  63.  Auch  hier  hüte  man  sich  die, 
Triller  und  Schleifer  des  Bitornells  auf  die  Gesangsstimme  zu  übertragen. 
Dem  Ausdruck  väterlichen  Stolzes  würden  sie  nicht  entsprechen.  Das 
Tempo  ist  kein  modernes  Allegro!  Nach  der  oben  verteidigten  Ansicht 
sind  die  reichen  Koloraturen  legato  zu  singen.  Eine  Kadenz  ist  hier 
angebracht.  Auch  sie  muß  auf  die  Thematik  des  Stückes  Bezug  nehmen, 
kann  also  lauten: 


r\ 


^^^->rf-ffrfff^^^^^f  jjajj  ) 


die     Luft 


durchdrang. 


Im  zweiten  Teil  (Largo)  kann  man  einige  lange  Vorschläge  einfügen, 
Takt  5  g  vor  fis  als  halbe  Note,  Takt  11  c  vor  h  als  Viertel.  Eine 
Kadenz  könnte  nur  die  Stimmung  der  Trauer  abschwächen.  Höchstens 
ist  eine  kurze  Formel  gutzuheißen,  wie 

Adagio. 


m 


mm. 

uiei 


fS»-5- 


weh-  klagt  ui6in       Sang. 

von  f  nach  b  ein  Portamento! 

„Warum  liegt  Judas  Gott  im  Schlaf",  P.  S.  72.  Dieses  Gemälde, 
„visionärer  Phantasie"  (Kretzschmars  Führer  II  2,  S.  75),  ist  so  weitläufig 
ausgeführt,  daß  wir  eher  eine  Vereinfachung  als  Zusätze  wünschen.    Doch 


Zweiter  Teil. 


163 


widerspräche  es  der  ganzen  großen  Anlage  der  Arie,  wollten  wir  sie  ohne 
Kadenzen  vortragen.  Ich  schlage  für  den  Schluß  des  ersten  Teiles  (S.  79) 
eine  Anlehnung  an  die  Begleitungsfiguren  in  folgender  Form  vor: 


ag^g^^&^lgfigtef; 


in  Don 


ner    traf.' 


Und  für  den  Schluß  eine  kurze  Phrase,  angelehnt  an  ein  Melisma  der  Arie. 
Adagio. 


¥ 


t=w 


die 


FHn  - 


r  r  f  r 

de  schlug! 


„Und  bange  Ewigkeit",  P.  S.  91.  Man  sollte  wenigstens  den 
ersten  Teil  (13  Takte)  dieses  Gesanges,  der  der  Todessehnsucht  Samsons 
so  ergreifenden  Ausdruck  verleiht,  nicht  eliminieren,  schon  um  der 
eigenartigen,  der  heutigen  Zeit  fremden  und  doch  so  wundervollen  Manier 
der  wiederholten  gehauchten  Note  (Takt  1 — 3)  wegen.  Takt  3  und  6. 
Doppelpralltriller  von  oben.     Takt  8,  9  großer  Schwellton. 

„0  komm,  Du  Gott  des  Heils",  P.  S.  109.  An  den  reinen 
Konturen  dieses  unvergleichlichen  Gebetes  hat  wohl  auch  keiner  der  alten 
Sänger  zu  rühren  gewagt!  Eine  kurze,  dem  18.  Takt  thematisch  ent- 
nommene Kadenz  kann  die  Steigerung  der  letzten  Takte  des  Schlusses 
aufhalten,  bevor  sie  verläuft: 


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s 


sehr  breit. 

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ij^ppggii^^  &jm 


dei  -  nes 


Die- 


ners  Preis. 


„Verlassen  weilt",  P.  S.  121.  Der  Gesang  der  eitlen  und  leicht- 
fertigen Delila  benutzt  ein  tonmalendes  Motiv,  das  Girren  der  Taube,  die 
„sanft  ihr  Leid  klagt".  Die  Sängerin  wird  durch  koketten  Vortrag  und 
reiche  Ornamentik  nachzuhelfen  haben.  Es  erscheint  vor  allem  nötig,  die 
in  der  Violinstimme  angedeuteten,  tonmalenden  Verzierungen  auf  die 
Gesangsstimme  zu  übernehmen.  Das  Thema,  Takt  2,  trägt  die  Bezeich- 
nung: fr.  Chrysander  gibt  ihm  in  der  Händel- Ausgabe  die  Deutung 
eines  doppelten  Mordenten,  dessen  letzte  Note  ausgeschrieben  ist.  Er 
trifft  das  Richtige.  Diese  Figur  entspricht  am  besten  dem  „Girren  der 
Taube".  Man  darf  nicht  einwenden,  daß  es  unerfindlich  sei,  warum  die 
letzte  Note  der  Verzierung  mensuriert  notiert  sei.  Diese  Art  der  Notierung 
ist  durchaus  gebräuchlich.  Caldara  vermerkt  in  einer  Arie  des  Giuseppe 
seines  Oratoriums  „Gesü  presentato  nel  Tempio"  die  gleiche  Figur  in  der- 

11* 


164 


Zweiter  Teil. 


selben  Weise.     Daß  sie  so  und  nicht  anders  auszuführen,  ergibt  sich  aus 
den  Violinstimmen,  wo  sie  ausgeschrieben  ist.     Die  Stelle  lautet: 


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fHpsm^i 


s^m 


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W^g^^m- 


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I 


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l'a-mormio     ris-pon  -   de 


^m 


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i 


f 


e 


Unsere  Stelle  lautet  also: 


In  der  Praxis  hört  man  meist  einen  Schneller,  der  sicher  falsch  ist.  — 
Takt  3.  Ein  Triller  auf  a  mit  der  oberen  Hilfsnote  einsetzend,  ohne  Nach- 
schlag. Takt  5.  Der  Vorschlag  eis  nach  der  Regel  lang,  als  Achtel. 
Takt  9.  Wieder  Mordente  wie  in  Takt  2.  Takt  11.  Der  Vorschlag  der 
Regel  gemäß,  kurz,  jambisch.  Takt  12.  Die  Mordente  sind  hinzuzufügen. 
Takt  13.  Ein  kurzer,  jambischer  Vorschlag  c,  vor  dem  ersten  Taktteil. 
Takt  14.  Mordente  auf  Taktteil  1  und  2,  ein  kurzer  jambischer  Vorschlag  e, 
vor  dem  dritten  Taktteil.     Takt  19.    Ein  langer  Vorschlag  e  vor  d 


gtpi 


& 


in       Ein  -   samkeit 

Takt  20.    Ein  springender  Vorschlag  vor  dem  ersten  Taktteil,  etwa 
als  Achtel. 


JTtTfJ  nj3 


ver  -    las    -    sen weilt 


Takt  22  und  23.  Hier  ahmen  die  Violinen  der  Singstimme  nach. 
Da  jene  das  Zeichen  des  Mordents  tragen,  kommt  er  auch  dieser  zu; 
aus  dieser  Stelle  ergibt  sich,  daß  Händel  überhaupt  für  dieses  Stück  auf 
die  Ergänzung  des  Mordents  durch  die  Sängerin  überall  gerechnet  hatte. 


Zweiter  Teil. 


165 


Takt   23.     Kurze    Vorschläge    1(,    vor   dem    ersten    und    zweiten    Taktteil. 
Takt  24.    Ein  Doppelschlag. 


*  Jfli  j>  ;> 


die       Tau  -  be     sanft 

Takt  26  bis  29.  Echoeffekt!  Die  Wiederholung  in  der  Singstimme 
durch  Yorschläge  beleben,  und  den  Schluß  des  Teiles  höher  legen,  wenn 
die  Tiefe  der  Sängerin  Schwierigkeiten  macht.  Auch  eine  kurze  vor- 
bereitende Kadenz  ist  am  Platz: 

Takt  29  ff. 


I 


t 


I 


J* 


H»»^ 


poco  rit. 


arflrr  i  i  r  Bf  r^ 

*"^  die  Tau     -      be   sanft  ihi 


ohue  Nachschlag. 

ir 


weh   -    klagt 


be   sanft  ihr   Leid 


Takt  40.  Vor  dem  dritten  Taktteil  ein  langer  Vorschlag,  g,  als 
Achtel,  Mordent  in  der  Violinstimme.  Takt  41.  Mordente  in  der  Sing- 
stimme.    Echo.     Takt  42.    Kurze   Vorschläge,  entsprechend  Takt  43. 


E 


±j 


weh     -     klagt 

Takt  44  und  45.  Echo;  kein  Zusatz.  Takt  47  —  50.  Große  dynamische 
Steigerung.  Auf  die  Viertelnoten  kann  man  einen  Triller  legen,  so  daß 
eine  catena  di  trilli  entsteht.  Doch  müssen  die  Hauptnoten  am  Schluß 
des  Trillers  ausgehalten  werden,  damit  die  Melodie,  c,  eis,  e,  g  deutlich 
hervortrete.  Pralltriller  auf  dem  g  des  dritten  Taktteiles  in  Takt  50. 
Takt  53.  Triller  auf  fis  (sanft).  Takt  56.  Die  Vorschläge  in  den  Violinen 
gelten  ein  punktiertes  Sechzehnteil,  analog  Takt  25. 

Den  nun  folgenden  Teil  bis  zum  Schluß  in  C  Takt  70,  rate  ich  nicht 
zu  verzieren,  weil  die  Stimme  sich  der  Begleitung,  welcher  die  tonmalende 
Aufgabe  zufällt,  unterzuordnen  hat.  Takt  77.  Wieder  Mordente.  Takt  84. 
Hier  würde  ich  an  dem  Mordent  nicht  festhalten,  sondern  einen  raschen 
energischen  Pralltriller  ausführen,  der  das  „jauchzend"  besser  kennzeichnet. 
Die  Figur  des  Mordent  ist  schon  zu  oft  dagewesen,  um  dem  kräftigen 
Aufschwung  dieser  Stelle  den  nötigen  Glanz  zu  geben.  Also  Pralltriller 
mit  Nachschlag: 


U  g  i  i   ff  r  r  i  rrr'r  rr11 

ent  flammt     sie        jauch- 


flammt     sie        jauch- 
und   so  überall,  wo  sie   wiederkehrt.     Takt  87.    Langer  Triller.     Takt  88. 


166 


Zweiter  Teil. 


Doppelter  Pralltriller.    Takt  89  und  90  bedürfen   durchaus  frisch  wirken  der 
Zusätze,  etwa: 


m 


5 


Anschlag. 


Ö^g 


5 


b     \flr    "^ 


*^y    *•  s 


ent       flammt        sie        jauchzend  ent         fhiiuuit    ^  sie         jauch  - 


Takt  92. 


poco  Vit. 


Tauen-  w        zend 


Takt  94.  Die  Kadenz,  die  in  einer  solch  virtuos  angelegten  Arie 
nicht  fehlen  darf,  wird  am  besten  das  Motiv,  durch  welches  das  Wort 
„jauchzen"  charakterisiert  war,  noch  einmal  anbringen. 


o 


^                   ohne  Nachschlag 
«-*      fr  -mm7. -+Mff    ??•** ^c 


in  Glück. 

„Vertrau  o  Samson",  P.S.  134.  Dieser  zweiten  Arie  der  Dalila, 
einem  Tanzlied,  ist  bis  auf  wenige  Yorschläge  nichts  beizufügen.  Der 
da  capo-Teil  ist  bereits  vom  Komponisten  durch  die  Hinzuziehung  einer 
zweiten  Stimme  ausgesetzt.     Man  beachte  die  Echostellen. 

„Die  flücht'gen  Freuden",  P.  S.  142,  wird  man  auslassen 
können.     Diese  Arie  trägt  nichts  Neues  zur  Charakteristik  der  Dalila  bei. 

Duett:  Treuloser  du!   P.  S.  147  muß  notengetreu  gesungen  werden. 

„Nein  solch  ein  Kampf",  P.  S.  165.  Die  Melismatik  dieser 
Arie  des  Harapha  ist  ein  Meisterstück  der  Charakteristik.  Wenn  er  sieht, 
in  welchem  Zustande  der  Held  der  Israeliten  sich  befindet,  schlägt  er 
einen  durch  seine  Lustigkeit  beleidigenden  Ton  an.  Er  hält  Samson 
nicht  mehr  für  einen  ebenbürtigen  Gegner.  Das  ist  in  den  Koloraturen 
zum  Ausdruck  gebracht.  Das  Bewußtsein  seiner  Kraft,  die  herablassende, 
verächtliche  Behandlung  des  Gegners  treten  am  deutlichsten  hervor,  wenn 
der  Sänger  sie  martelliert,  hier  also  von  der  regelmäßigen  Bindung  der 
Noten  absieht,  und,  in  der  Art  der  Alten,  stößt.  Wesentliche  Ver- 
änderungen vorzunehmen,  empfiehlt  sich  nicht.  Offenbar  hat  Händel  hier, 
wo  er  die  Koloraturen  in  den  Mittelpunkt  der  ganzen  Behandlung  gestellt 
hat,  auch  das  ausgeschrieben,  was  er  vorgetragen  wissen  wollte.  Wenn 
man  aber  zusetzt,  oder  umlegt,  muß  es  überall  im  Geiste  und  im  Dienste 
der  Charakteristik  geschehen.  Deshalb  kann  hier  auch  die  Wiederholung 
nicht  wesentlich  verändert  werden.    Die  Kadenzen  sind  bassierende,  bleiben 


Zweiter  Teil. 


167 


also  unverändert.     Für  das  da  capo  notiere  ich  folgende   Veränderungen, 
die  eine  sehr  bewegliche  Baßstimme  und  kein  Allegro  im  modernen  Sinne 
voraussetzen : 
Takt  21. 


gjl  iffr  £ 


denn     dn 
Takt  30. 

ß 


lägst       dein 

Takt  57  und  58. 
poco  7*it. 


Schlag. 


prahl- 


te     dass 


fällt. 


Duett:  „Geh,  Feigling  unverweilt".  P.S.  175.  Hier  dürfte  eine 
thematische  Kadenz  am  Schluß  der  kraftvollen  Verteidigung  Samsons  zugute 
kommen.     Etwa: 


m 


r\ 


£ 


#^ 


■  ■ 


rm/Ei^iO;^1  u& 


m 


vor      niei  - 


nerWut,vor    mei 


ner  Wut. 


„So  wenn  die  Sonn'",  P.  S.  219.  Diesen  wundervollen  Gesang, 
der  die  Tonmalerei  der  älteren  Schule  zur  höchsten  Vollendung  heran- 
führt, sollte  man  nicht  auslassen.  Etwaige  Veränderungen  müssen  überall 
der  tonmalenden  Absicht  gerecht  werden.  Man  hüte  sich,  die  Intervallen- 
schritte der  Takte  25 — 28  und  42  —  43  durch  verbindende  Töne  zu  ver- 
wischen; denn  sie  charakterisieren  die  Textworte:  „entfliehen  die  nächt'gen 
Geister  bleich".  Der  lange  Ton  g,  Takt  31 — 32,  ist  nicht  etwa  anzu- 
schwellen; das  widerspräche  dem  Sinne  des  Textes  und  der  Komposition 
völlig!  Folgende  Veränderungen  sind  am  Platz:  Takt  12.  Vorhalt  es 
vor  d: 


ent     -      taucht 


Takt  13.    Kurze  Vorschläge,  es  und  </,    vor   dem  ersten  und  dritten 
Taktteil.     Takt  14.    Langer  Vorschlag  und  Anschlag. 


haucht 


168 


Zweiter  Teil. 


Takt  16  bis  18.    Echoeffekt.     Takt  20.    Doppel-Mordent  auf  b. 


$ 


wiegt 
Takt  22.     Kleine  Kadenz  im  Zeitmaß: 


Wel- 
Takt  34.     Ein  Doppelschlag. 


le  wiegt 


feg 


Grab 

Takt  46.  Langer  Vorschlag  es,  als  Viertel  vor  d,  das  auf  die 
Pause  fällt. 

Takt  48.  Die  Fermate  kann  durch  einen  kleinen  Gang  ausgefüllt 
werden,  etwa: 

m 


f 


*s 


leis 


Takt  50.  Der  Schluß  kann  entweder  durch  einen  langen  Vorschlag  b, 
vor  a,  oder  durch  eine  kleine  Figur,  etwa  einen  Doppelschlag  eingeleitet 
werden. 


Grab geschmieg* 

Die  Vorschläge  in  den  Violinen  Takt  54  und  55  sind  nach  der 
Regel  lang,  die  Hauptnoten  auf  die  Pausen.    Die  Triller  entsprechend  lang. 

„Gott  Dagon  hat  den  Feind  gefällt",  P.  S.  232.  Wieder  eines 
jener  anmutigen,  heiteren  Tanzlieder,  mit  denen  Händel  die  Götzendiener 
zeichnet.  Der  erste  Teil  wird  notengetreu  wiedergegeben,  wie  ihn  der 
Chor  später  aufnimmt.  Im  Mittelsatz  und  in  der  Wiederholung  frommt 
ihm  eine  der  ausgelassenen  Fröhlichkeit  der  Philister  angemessene  Aus- 
zierung. 

Takt  48.  Triller  auf  a.  Ebenso  Takt  84.  Takt  89  bis  92  je  einen 
kurzen  Vorschlag  vor  der  ersten  Note,  von  oben,  also  fts,  e9  fist  «. 

Takt  94  und  95. 


und  jauchzend     bringt 


Zweiter  Teil. 


169 


Takt  96.    Mordent  auf  dis.     Takt  102.    Mordente  und  Nachschläge. 


laut     singt    ihm 


Takt  104.    Triller  auf  a,  ohne  Nachschlag. 
Takt  106: 


is 


a 


laut  jauch-zend    bringt  ihm 

Takt  114.    Die  Kadenz  kann   hier  nur  im  Zeitmaß   erfolgen, 
kann  etwa  folgendermaßen  variieren: 

tr 


Man 


t 


I* 


1 


£M^ 


£ 


£2~ 


S 


I 


und   jauch  -  zend       bringt       ihm 


Frucht     und 


Wein. 


II. 


und    jauch-zend      bringt   ihm 
Für  eine  tiefere  Stimme. 


Frucht     und 


Wein. 


III. 


i 


1=t 


und  jauch-zend         bringt 


ihm     Frucht    und 


-&■ 


Wein. 


„Wie  willig  trägt  mein  Vaterherz",  P.  S.  244.  An  diesem 
rührend  herzlichen,  und  doch  so  männlich  grundierten  Gesänge,  zu  dessen 
Charakteristik  ich  auf  Kretzschmar,  Führer  II  2,  S.  81  verweise,  hat 
wohl  noch  kein  Sänger  zu  ändern  gewagt!  Nur  am  Schluß  ist  bei  der 
Fermate  auf  diu  ein  langer  Vorschlag,  dem  ein  Nachschlag  angefügt 
werden  kann,  und  im  Schlußtakt  selbst  eine  kleine  Ausschmückung,  etwa 
ein  langsamer  Doppelschlag  von  unten  vorausgesetzt. 


^¥^Ff 


kein     Licht. 


noch 


braucht 


er 


„Kommt,  all  ihr  Seraphim",  P.  S.  269.  In  den  Schlußgesängen 
wendet  sich  Händel  von  der  Trauer  um  den  Helden  ab  und  der  Zukunft 
des  Volkes  zu.  Der  Preis  des  Herrn,  der  alles  zum  besten  gefügt,  kommt 
zunächst  in  dieser  Arie  zum  Ausdruck.  Sie  fußt  in  ihrer  Anlage,  und 
durch  die  Mitwirkung  einer  konzertierenden  Trompete,  in  dem  Stil  der 
Venetianer,  des  Scarlatti,  der  dieses  Instrument  wiederholt  in  derselben 


170 


Zweiter  Teil. 


Funktion  verwendet,  und  des  italienischen  Oratoriums  (vgl.  E  60).  Wenn 
aber  dort  äußerliche,  auf  klangliche  Wirkung  berechnete  Tonmalerei 
vorwiegt,  so  ist  hier  alles  Ausdruck:  Jubel,  Zuversicht  in  Gottes  Führung. 
Die  Auszierungen  mögen  sich  von  aller  Kehlvirtuosität  fernhalten,  und 
nur   hier   und    dort  hellere  Lichter    durch  kleine  Verzierungen    aufsetzen. 

Takt  9  und  10.    Kurze  Vorschläge  von  oben  vor  dem  eis  des  dritten 
Viertels,  und  dem  e  des  ersten  Achtels  im  Takt  10. 

Takt  19.      Kurzer  Vorschlag,   g,  vor  fis,    dem    ersten  Taktteil,    ein 
Anschlag  auf  dem  letzten  Taktteil. 


"  in  Flam  -  men  -  rei] 


men  -  reihn  in 

Takt  20  u.  21.     Kurze  Vorschläge  von  oben   vor  jedem  Achtel  mit 
folgenden  Sechzehnteilen. 

Takt  32.     Kurzer  Vorschlag   vor  dem  zweiten  Taktteil,    Triller  auf 
dem  e  des  dritten  Taktteils. 

Takt  33  entsprechend. 

Takt  35.     Eine  Kadenz  mit  Benutzung  einiger  Motive. 


Engelchö  - 


re  ein. 


Takt  39.     Kurzer  Vorschlag  vor  eis,  dem  dritten  Viertel.     Takt  40. 
Pralltriller  auf  dem  ersten  Viertel. 


Takt  61. 


•■* 


^^ 


Freu    -      den-sang 
Takt  63.     Langer  Vorschlag,  et  als  ein  Viertel,  vor  dis. 
Takt  65. 

r£4 


Takt  69. 


mit  Freu 


den  -  sang    und 


4  »ii  ü  ;  rpffrF1 

Har  -    fe     su      ,       ssen 


Zweiter  Teil. 


171 


* 


i 


Takt  73.     Kleine  Ausschmückung  im  Zeitmaß. 

poco  ritard. 


Har 


* 


i 


m 


mm 


"22 


fe 


su  - 


ssen 


Klang 


Jo'sua.  „0  Held  der  Weisheit",  P.  S.  17.  Die  Baßstimme  ist 
hier  auf  weite  Strecken  in  sehr  alter,  dem  17.  Jahrhundert  geläufiger 
Art,  an  den  Continuo  gebunden.  Schon  aus  diesem  Grunde  verbieten 
sich  Yeränderungen.  Aber  auch  dort,  wo  sie  selbständig  geführt  ist, 
drücken  die  großen  Intervallenschritte  und  aufsteigenden  Triolengänge 
Calebs  Freude  über  Israels  Macht  so  charakteristisch  aus,  daß  sich  jede 
Abweichung  verbietet.  Die  Kadenzen,  als  baßierende,  tragen  gleichfalls 
zu  der  kräftigen  Haltung  des  Ganzen  bei,  und  bleiben  unverändert.  Nur 
am  Schluß  des  Mittelsatzes,  Fdur,  dürfte  eine  ganz  kurze  Kadenz,  die 
auf  das  Stück  Bezug  nimmt,  angebracht  sein,  etwa: 


gg^ft 


"¥=+■ 


dein 


Volk 


§  C  LT  LLf  U  '   m 


E3 


^r-  freut. 


„0,  wer  erzählt",  P.  S.  21.  Dieser  bedeutendere  Gesang  gedenkt 
im  ersten  Teil  in  schlichten  Tönen  der  Trauer  der  egyptischen  Knechtschaft, 
und  preist  im  zweiten  die  frohe  Gegenwart,  von  dem  lieblichen  Anblick 
des  Jordan  ausgehend.  Dort  gebietet  die  Stimmung  größte  Einfachheit 
des  Vortrages,  hier  ist  tonmalerisch  den  Streichern  eine  so  reich  aus- 
gesetzte Aufgabe  gestellt,  daß  sich  die  Singstimme  ganz  in  ihren  Dienst 
zu  stellen,  und  auf  eigene  Zutaten  zu  verzichten  hat.  Es  genügen  des- 
halb folgende  Ergänzungen:  Takt  6.  Ein  Vorschlag  h,  ein  Viertel. 
Takt  12.  Ein  Vorschlag  a,  ein  Viertel,  die  Hauptnote  g  auf  die  Pause. 
Takt  22.  Vor  die  Hauptnote  ais  ein  Vorschlag  h  als  Viertel.  Takt  23 
bis  26.  Hier  hat  Händel  offenbar  auf  eine  gesangliche  Ausschmückung 
gerechnet.  Die  Stelle  klingt,  wie  sie  steht,  ein  wenig  kahl.  Wenigstens 
müßte  das  dritte  fis  eine  ausdrucksvolle  Figur,  am  besten  einen  Doppel- 
schlag erhalten;  also  etwa: 


Gram, 


Kadenzieren  würde  ich  nur  den  Schluß,  Takt  118,  mit  einer  kurzen, 
thematischen  Phrase: 

Adagio.  r\ 


mm 


*  m,    ■ 


£ 


tefc 


l  iL/p  r 


*-^_* 


i 


«=y 


und  aht.met        nicht    in     Frei 


heit 


auf. 


172 


Zweiter  Teil. 


„Weil  Kidrons  Bach",  P.  S.  37.  Diese  erste  Arie  Josuas  benutzt 
tonmalerische  Motive.  Inder  Art  des  Sc  arlatti,  anderer  Italiener  und  K  eis  er  s 
wird  der  Yordersatz:  „Weil  Kidrons  Bach  nach  Jordans  Tal  die  Silberwelle 
rollt,  so  lang  der  Sonne  Flammenstrahl  auf  Kanaan  streut  sein  Gold",  zu 
einem  weit  ausladenden  ersten  Teil  mit  dem  Schluß  in  der  Parallele  Cdur 
benutzt,  der  tonmalerisch  angelegt  ist.  Und  doch  bedarf  es  nicht  erst 
des  sprachlichen  Nachsatzes  im  Mittelsatz,  um  herauszufühlen,  daß  Josua 
die  ernste,  energische  Mahnung  aussprechen  will,  Gott  zu  danken,  der 
Israel  dieses  Land  anwies.  Wenn  bei  den  Italienern  vielfach  solche  ton- 
malenden Sätze  äußerlich  wirken,  weil  sie  keinen  Zusammenhang  mit  dem 
Hauptgedanken  suchen,  so  ist  hier  alles  aus  einem  Gusse,  und  der  ton- 
malende Teil  steht  mit  dem  im  Nachsatz,  dem  Mittelsatz  der  Arie,  aus- 
gesprochenen Grundgedanken  in  schönster  Harmonie.  Der  erste  Teil  ist 
in  allen  Stimmen  so  fest  gefügt,  daß  ihre  Beziehungen  nicht  durch 
Ornamente  gelockert  werden  dürfen.  Eine  Kadenz  ist  zu  unterlassen,  da 
alles  auf  den  Einsatz  des  Mittelteiles,  mit  dem  sprachlichen  Nachsatz, 
hindrängt!  Hier  wird  dieser  nun  durch  die  auf  einen  Ton  festgelegte 
Singstimme  mit  besonderer  Feierlichkeit  ausgesprochen.  Die  Stelle  muß 
natürlich  völlig  unverändert  bleiben!  Der  nun  folgende  Teil  ist,  wie 
überhaupt  die  Mehrzahl  der  Gesänge  dieses  Oratoriums,  so  reich  koloriert, 
daß  man  eher  zu  vereinfachen  als  zuzusetzen  wünschte.  Nach  dem  toni- 
schen Schluß  in  Amoll  folgt  sogar,  in  der  uns  bekannten  italienischen 
Manier,  eine  Koda,  die  einen  wichtigen  Gedanken  nochmals  anführt. 
Deshalb  empfiehlt  es  sich,  hier  die  freie  Kadenz  ganz  fortzulassen,  oder 
doch  auf  einige  Noten  zu  beschränken,  etwa  zu  singen: 


I 


uns 


hier 


ge     -       sandt 


„Hehres,  holdes  Wesen  sprich",  P.  S.  44.  Larghi  pathetischen 
Stils  stehen  außerhalb  des  Veränderungsrechtes  des  Sängers.  Eine  präzise 
Einhaltung  der  Notenwerte  ist  anzuraten.  Die  Triller  der  Violinen  sind 
als  scharfe,  energische  Pralltriller  gedacht.  Keine  Kadenz,  höchstens  eine 
abschließende  Formel,  die  ein  Motiv  der  Arie  anführt,  etwa: 


^TU  ÜÜÜ 


Feind 


uns     seist. 


„Auf,  Israel,  auf",  P.  S.  49.  In  diesem  mächtigen  Kriegsgesang 
zeigt  Händel,  wie  die  Koloraturen  einer  kräftigen  Stimme  auch  mit  der 
schlichtesten   Begleitung  —  sogar   die   sonst  für   diesen   Zweck   benutzten 


Zweiter  Teil. 


173 


Trompeten  fehlen  —  begeisternd  und  anfeuernd  wirken!  Der  Gesangspart 
ist  so  ausgiebig  koloriert,  der  da  capo-Teil  so  vollständig  gesetzt,  daß  an 
eine  nennenswerte  Umdeutung  nicht  zu  denken  ist.  Den  ersten  Teil,  der 
den  Schluß  in  der  Dominante  f  bildet,  kann  man  wirkungsvoll  mit  einem 
raschen,  energischen  Doppelschlag  von  unten  verzieren. 


•^  Bli       -        tz es  Strahl. 


Den  Endschluß  hat  Händel  durch  die  Bezeichnung  adagio  vor  einer 
weit  ausladenden,  brillanten  Kadenz  behütet,  die  hier,  wo  ein  langes  Melisma 
unmittelbar  vorausgeht,  übel  angebracht  wäre.  Er  kann  also  unverändert 
vorgetragen  werden.  Will  man  verändern,  so  genügt  eine  kurze  Phrase, 
die  dem  Sänger  Gelegenheit  bietet,  seine  Höhe  zu  zeigen,  etwa: 


$ 


V 


Adagio. 


4 


S 


Cs 


g  M  r 


s4y- 


h  recht 


ein       wie 


Bli 
f 

6 
4 


tzes      Strahl. 


„Horch,  s'ist  der  Vögel  Morgenschlag",  P.  S.  64.  Einer 
jener  wundersamen  Gesänge,  auf  tonmalender  Grundlage,  wie  sie 
A.  Scarlatti,  Keiser,  G.  Bononcini,  u.  a.  vorgebildet  hatten,  und  die 
ihre  höchste  Vollendung  in  Hand  eis  Oratorien  fanden.  Sie  gaben 
Sängern  und  den  konzertierenden  Instrumenten  freien  Spielraum  für  ihre 
Kunst  des  Veränderns,  vorzüglich  im  da  capo.  Der  erste  Vortrag  wird 
sich  im  wesentlichen  an  die  Niederschrift  halten,  und  nur  hier  und  da 
einen  Vorschlag  anbringen.  Auch  im  Mittelsatz  scheinen  nur  einige 
Stellen,  die  notengetreu  etwas  steif  klingen,  [auf  eine  Vervollständigung 
zu  rechnen: 


Takt  80/81. 


i 


i 


i 


^m  ra-H^  J  jjjj  J» 


P 


F 


und  füllt      den         Hain       mit 

Takt  83  ff. 

Pralltriller 


SU 


ssem  Klang 


nach  der  Höhe,  gelegt. 


p-MEQ-ig^HTJ  j  >  j 


r  Hone.  | 


er       -         tönt 
Takt  86  wie  83. 


ME^ 


ihr  Sang        von 


früh 


bis         spät. 


174  Zweiter  Teil. 

Takt  88.         Takt  93/94. 


** 


fcEffl  r  LCJ^J  Cfjgt 


£ 


Vorhalt. 


ItEXCM 


a  ..  i 


füllt    den     und  füllt      den         Hain 

A  d  H 

6  6 


mit      s.ü  -   ssen     Klang. 

eis    fis  eis 

7  I 


Da  capo  Teil.    Bis  Takt  24  unverändert.  Takt  25,  27  kurze  jambische 
Vorschläge  von  oben  vor  den    Sechzehnteilen  mit  anschließendem  Achtel. 
Takt  28. 

*%— fr 


P=i 


auf     je-  dem  Busch 

Takt  29,    30  ff.     Wieder    kurze  Vorschläge,    wie  Takt  25/27.     Auf 
dem  langen  Ton  e  ein  Triller. 
Takt  33  ff. 


j'i  urn  W^ 


^ 


^S^IPPip 


und    weckt 


i 


fei 


^      P 


Kadenz  Echo 


T^M. 


weckt  auf 


dem     Busch 


*  Mm  ^a^.  Dunnk  ^ürt  TofT 


dem     Busch 


I 

den    Tag 


auf  je- 

Takt  53  auf  J  ein  langer  Triller. 

Takt  57  ff.     Mordent,    entsprechend    der  Instrumentalfigur   Takt  58. 


Pr^rfTtrfi^  j  I    j  lUii'H  i  iml  11^ 

tf  ~Z7ZI         ZI     rr  und         weckt  den     Tag  auf 


weckt         den    Tag 


je  -  den      Busch    und      weckt 


FfflflJ 


und    weckt 


fc^ 


cac  E» 


i 


PpM  ir  r'^p"*  i- 1 «Nr  rj>J  vp 


auf  je-den  Busch  deü        Tag  In     fro  -  her  Lust  schwillt 

fr  odei    Morde  Dt 


"v  ifl  ,  re  Brust  _  und         werkt 


fc=* 


^jmrwri^  ^^m 


m 


m 


und        weckt  den  Tag      und  wecKi  auf   Je  -    deD 


Zweiter  Teil. 


175 


Kadenz 


h  gjgifei  .-^ 


Busch  auf  jedem  Busch,auf  je 


d enj    Busch  deD  Tag 


Duett:   „Es  rauscht  der  Strom«,  P.  S.  70.     Bedarf  nur  einer  an 
ein   Hauptthema  anknüpfenden  Kadenz  am  Schluß,  etwa: 


P 


wie 


Ach-sas  Lie-  be 


3 


ä 


treu     und 


"22 


^^ 


gleich, 


^^ 


z^* 


^ 


-/ 


$i 


wie      Oth-niels  Lie-  be     treu     und     gleich^ 


-r  j  ;  f '  r  i  r 


_  j  j.  i 


£ 


wie      Ach-sas    Lie-         be     treu  und 


S« 


3 


-Ä 


Zt 


£ 


^ 


gleich. 


wie      Oth-niels  Lie-        be    treu   und  gleich. 


„Seht,  die  Flamme,  wie  sie  rast«,  P.  S.  97.  An  den  ton- 
malerisch überaus  eindringlichen  Melismen  ist  eine  Veränderung  aus- 
geschlossen. Für  eine  hohe,  bewegliche  Baßstimme  können  folgende  Um- 
legungen wirksam  sein. 

Takt  19.  Takt  42/43.  Takt  69. 


a^^ 


Flain  - 


^^^^^f^T^M^ 


menGlut!  "Je-ri-cho  es  sank      da 


hin     es  sank  da-hia. 


„All  irdischer  Stolz«,  P.  S.  102.  In  Achsas  kindlich  frommer 
Weise  spricht  sich  festes  Gottvertrauen  aus.  Ihr  wird  größte  Schlicht- 
heit der  Melodie  und  des  Vortrages  am  vorteilhaftesten  anstehn.  Deshalb 
unterbleibt  hier  am  besten  jeder  Zusatz.  Die  Kadenz  vermeide  gleich- 
falls jede  bravouröse  Wendung.  Am  besten,  wenn  sie  den  schönen 
musikalischen  Gedanken  „der  stärkste  Fels  ist  festes  Gottvertrauen«  noch 
einmal  anführt: 


pmmz 


Ov 


ist  fe-stes     Gott 


*SP 


I 


vcrtraun,ist fe-stes  Gott-ver- traun. 


„Auf,  in  neuem  Kampfesmut«,  P.  S.  118.  Diese  Arie,  mit  der 
Josua  den  Mut  Jsraels  aufzurichten  sucht,  dünkt  mir,  wenig  gelungen. 
Ich  finde  die  Melodik  schwächlich,  ja  das  Thema  nichtssagend,  fast  trivial. 


176 


Zweiter  Teil. 


Vor  allem  vermisse  ich  den  Ausdruck  der  Energie,  an  der  sich  die  Ent- 
mutigten aufrichten  sollen.  Ich  schlage  eine  Kürzung  durch  einen  Sprung 
von  Takt  34  auf  Takt  72  vor,  der  sich  an  jenen  gut  anfügt.  Eine  Kadenz 
unterbleibt,  da  der  Chor  die  unmittelbare  Fortsetzung  bildet. 

Takt  31  und  33  wird  ein  energischer  Schleifer  vor  dem  fis  des  dritten 
Viertels   die  Melodie   heben.     Ebenso   Takt  87   vor   dem  ersten  Taktteil. 

„Kämpft  der  Held",  P.  S.  127.  Diese  Gavottenweise  ist  ein 
Kriegs-  und  Liebeslied,  das  durch  seine  frische,  kernige  Melodie  wirken 
soll.  Yerzierungen  verbieten  sich  so  von  selbst.  Bei  der  Wiederholung 
des  Themas  Takt  28  kann  man  den  Nachschlag,  den  die  Instrumente, 
Takt  4,  aufweisen,  Takt  40  und  41  die  Pralltriller  einfügen,  die  die 
Instrumente,  Takt  39  und  40,  vormachen.  Takt  58,  ein  kurzer  Vor- 
schlag von  oben  vor  dem  a  des  dritten  Taktteils.  Takt  66  vor  der  Fermate 
auf  dem  letzten  Taktteil  ein  Doppelschlag. 

fl  /TN 


5 


£ 


dann  nicht 


mehr. 


„Wie  Sonnenlicht",  P.  S.  132.  Diese  Arie  gehört  nicht  zu  den 
wertvollen  Nummern  der  Partitur,  und  kann  fortbleiben.  Führt  man  sie 
aus,  so  erinnere  man  sich  an  Tosis  Ermahnung,  Sizilianen  unverändert 
zu  lassen!  Takt  2  scheint  mir  weder  ein  Mordent,  noch  ein  Pralltriller 
zu  passen,  weshalb  an  einen  verbindenden  Doppelschlag  zu  denken  ist, 
den  ich  auch  auf  das^Gesangsthema,  Takt  3,  übernehmen  würde. 


wie  Son-nen-  licht. 


Takt  9.  Ein  Vorschlag  d,  vor  der  ersten  Note.  Takt  10  ein  Nach- 
schlag g,  nach  dem  f  des  vierten  Achtels. 

Takt  13.  Ein  kurzer,  aber  betonter  Vorschlag  c,  vor  dem  b  des 
siebenten  Achtels.     Ebenso  Takt  14. 

Takt  19  wieder  ein  Doppelschlag,  wie  Takt  3.  Takt  21  ein  Schleifer 
d,  es  zu  dem  f  des  siebenten  Achtels.  Kadenz  in  Anlehnung  an  die  wieder- 
holt in  den  Violinen  verwendeten  Skalen: 


Adagio 


fl  I  i  »f   g 


it 


ü 


und     je  -    der        Gram 


m 


^m 


ent-weicht 


„Völker,  die  den  Kuhm  erstreben",  P.  S.  138.     Der  kraftvolle 
Gesang  Othniels  führt  einen  ausdrucksvollen  Schleifer  mit  sich.    Er  ist  im 


Zweiter  Teil. 


177 


Ritornell  Takt  2  und  Takt  36  als  punktierter,  später  überall  unpunktiert 
notiert.  Es  darf  hier  angenommen  werden,  daß  Händel  eine  gleich- 
mäßige Ausführung  des  Themas  gewünscht  hat,  da  es  sich  nicht  um 
Abweichungen  handelt,  die,  wie  bei  andern  Verzierungen,  in  der  besonderen 
Eigenart  der  Menschenstimme  einerseits,  des  Instrumentes  andrerseits 
beruhen.  Deshalb  sollte  der  Schleifer  überall  so  gesungen  werden,  wie 
ihn  die  Violinen  im  Ritornell  vorspielen,  nämlich  mit  Betonung  der  ersten 
Note,  die  eine  zeitliche  Kürzung  der  zweiten  bedingt.  Ich  erinnere  an 
die  Ausführungen  Agricolas,  die  zeigen,  daß  in  der  Gestaltung  des 
punktierten  Schleifers  dem  Geschmack  und  der  ästhetischen  Würdigung 
ein  großer  Spielraum  gelassen  ward.     Also: 

Takt  7. 


| mm 


?■ 


Ruhm  er  -  stre   -    ben 

Sicherlich  gewinnt  so  der  Ausdruck  an  Energie. 

Takt  18.  Ein  Pralltriller  von  oben.  Takt  24  ff.  Die  sechsmalige 
Wiederholung  derselben  Phrase  ist  auffallend.  Vielleicht  soll  sie  das 
Wort  „ Treue"  als  Charaktereigenschaft  der  Beständigkeit  schildern. 
Trotzdem  würde  ich  vorschlagen  vor  der  zweiten  Wiederholung  in  der 
Singstimme,  also  auf  dem  letzten  Achtel  des  Taktes  24,  einen  kurzen 
Vorschlag  /  vor  der  Hauptnote  es  einzuschieben,  und  ihn  in  der  Nach- 
ahmung in  der  Violine,  Takt  25,  zweites  Achtel,  wiederum  anzubringen. 
In  der  Kadenz,  Takt  35,  würde  ich  eine  Wiederaufnahme  der  bereits 
allzuoft  gehörten  Themen  vermeiden  und  nur,  im  Anschluß  an  die  (Takt  33) 
vorangegangene  Violinfigur  eine  Zerlegung  des  Quartsextakkordes  in  ein 
Arpeggio  empfehlen.  So  wird  die  Sentenz  am  nachdrücklichsten  ver- 
anschaulicht. 


rrrn'^T]  i  js 


Treu-e    ist    die     Bahn 


zur  Macht. 


„Selig,  dreifach  selig",  P.  S.  165.  Auch  diese  Arie,  dramatisch 
ohne  weiteres  zu  entbehren,  darf  auch  vom  musikalischen  Standpunkt  aus 
geopfert  werden.  Im  da  capo  kann  man  der  freudig  gehobenen  Stimmung 
Rechnung  tragen,  und  einige  Ornamente  zusetzen,  auch  die  Kadenz  reich 
gestalten. 

Takt  14. 


¥ 


se-lig      dreifach,  se-lig  wir 


12 


178 


Zweiter  Teil. 


Die  Koloraturen,  Takt  15  und  16,  sind  thematische  Hauptgedanken, 
dürfen  also  nicht  verändert  werden.  Nur  am  Ende  eine  Verbindung  zum 
folgenden: 

Takt  16.  Takt  17. 


r-  *-w  1   i   /*  aar«««  l^**  ■  v   ■-»  f>     fi  *-*Y*  »>»i  I  /.l  '4      /litv*  I?a*iki 


se  -    lig         wir 


nun 


uns  schmückt  der   Frei- 


Kadenz  (dominantisch) 


f 


f 


\r k  r_r r  rr tf r  ^ 


e> 


-# — p 


heit 


schmückt        der  oFrei- 


oder  mit  Benutzung  eines  anderen  Gedankens 


Zier 

G 


41"  i  pa  ^^^^^^^^^a 


Frei-  T  heit  Zier 

Der   Mittelsatz    bleibt   unverändert.     In    der  Kadenz    kann   man   zusetzen 

:k 


und  so    rein. 


„Soll  ich  in  Mamres  Segensaun",  P.  S.  171.  An  diesem  ein- 
fachen, und  doch  in  jeder  Wendung  eindringlichen  Tonstück  darf  keine 
Note  verändert  werden.  Takt  11/12  empfiehlt  sich  der  Händelausgabe 
gegenüber  eine  Textänderung  in:  „soll  ich  mit  Abram"  statt  „mit 
Abraham".  Am  Schluß  eine  yicssa  dl  voce,  die  bassierende  Kadenz  bleibt 
unverändert. 

„Gefahren,  umringt  mich",  P.  S.  177.  Dieser  kraftvolle  Gesang 
muß  von  einer  konsonantisch  exakten  Deklamation  getragen  werden. 
Veränderungen  sind  nirgends  am  Platz.  In  der  Repetition  mag  man  den 
Schluß  durch  Höherlegung  und  Einführung  einer  vier  Takte  vorher 
stehenden  kurzen  Passaggie  wirkungsvoller  gestalten. 


dem  Sturm 

D 

6 

4 


biet    ich   Hohn. 

D 


„0,  hätt  ich  Jubais  Harf",  P.  S.  188.    Wie  die  voraufgegangene 
Weise    „Seht    den    Sieger   ruhmgekrönt",    beruht    auch    dieser   glänzende 


Zweiter  Teil. 


179 


Gesang  auf  durchaus  volkstümlicher  Melodik.  Vielleicht  hat  Händel 
deshalb  auch  die  zweiteilige  Form  gewählt,  und  die  Repetition  vermieden, 
die  zu  seiner  Zeit  sicher  zu  einer  bravourösen  Ausgestaltung  durch  die 
Sängerin  eingeladen  hätte,  welcher  der  Charakter  des  Stückes  nicht  ent- 
sprach. Aus  diesem  Grunde  empfiehlt  es  sich,  mit  Zutaten  sparsam  zu 
verfahren,  wenngleich  sie  die  freudige  Stimmung  sowohl,  als  der  Hinweis 
auf  „Jubais  Harf"  nahelegen.  Man  kann  allenfalls  folgende  Veränderungen 
wagen: 

Takt  16  kann  auf    den  punktierten  Rhythmus  der  Parallelstelle  des 
Ritornells,  Takt  6,  hinweisen,  Takt  17  ein  Triller. 


JjLVlLLf 


■    ■ 


i  ii  m  vu/f^ 


mein      Spiel      stimmt    ich   gleich    ihm     zur  Lust     mein    Spiel  stimmt  ich 
Takt  20/21.    Kurze  Vorschläge  von  oben  vor  den  Sechzehnteilen  mit 

anschließendem  Achtel. 

Takt  29.       Der    Schluß    kann    durch    eine    Passaggie    im    Zeitmaß 

frischer  gestaltet  werden. 


zum 


9#^ 


Freu- 


densang. 


£ 


Takt  38  ff. 


ö 


m 


ohDe  NacüschJag . 


sggJiijj  >J'iiJ- fl  ^jiircürJ 


mein  Spiel  stimmt  ich  gleich  ihm  zur  Lust,mein  Lied  gleich  ihr,mein  Lied  gl  eich  ihr, 

Takt  49.  Textlich  und  musikalisch  rechtfertigt  sich  die  Verlegung 
der  Hauptkadenz  an  diese  Stelle.  Die  hier  gegebene  Passaggie  betont, 
unter  leichter  Anlehnung  an  den  motivischen  Inhalt,  die  überströmende 
Freude  der  Achsa,  die  sich  über  das  Wort  hinaus,  nur  in  jubelnden 
Tönen  auszusprechen  vermag.  Wenn  irgendwo,  so  ist  hier  eine  Sänger- 
kadenz am  Platz: 


den- sang 
12* 


180 


Zweiter  Teil. 


Dagegen  wird    die  Endkadenz    der  ruhigeren  Haltung    des  letzten  Teiles 

entsprechend    (Doch    schwach    nur    singt    den  Dank   mein  Lied!)    kürzer 

und    weniger    glänzend    zu   halten   sein.      Die  folgende   benutzt  den   hier 
stärker  hervortretenden  Rhythmus:     |  J  VA   I 

J  0   0  0*0  0' 


P^zrtgmv^ 


mich  für     Gott,        für 


Gott 
e 

<; 

4 


und  Dich  durchglüht. 

5         A 


Kapitel  III. 
Joh.  Seb.  Bach. 

J.  S.  Bach  lehnt  sich  entschiedener  als  die  Mehrzahl  seiner  Zeit- 
genossen an  die  Vergangenheit  der  deutschen  Kirchenmusik  an.  Auch 
der  Einzelgesang  bleibt  selbst  dort,  wo  er  italienische  Formen  annimmt, 
in  seiner  Wesenheit  deutsch.  Bei  der  Besprechung  der  älteren  kirch- 
lichen Vokalmusik  in  Deutschland  war  darauf  hingewiesen,  daß  sie,  im 
Gegensatz  zu  den  Italienern,  nicht  so  sehr  im  Gesänge,  als  in  der  Orgel 
den  maßgebenden  Tonkörper  sah,  so  daß  jener  durch  diese  geformt  und 
gefärbt  erschien.  Darf  man  bei  der  italienischen  Oper  an  eine  in  strahlendes 
Sonnenlicht  gebadete  südliche  Landschaft  denken,  so  gleicht  diese  Musik, 
die  in  Bach  ihren  unüberschrittenen  Höhepunkt  erreichte,  dem  Innern 
eines  hohen,  gotischen  Domes,  dessen  Konturen  ein  durch  farbige  Fenster 
eintretendes  mildes  Licht  mehr  ahnen,  als  deutlich  erkennen  läßt.  So 
resultiert  die  Stileigentümlichkeit  des  kirchlichen  Sologesanges  Bachs 
nicht  aus  jener  unmittelbar  dem  hellen  Sonnnenlicht  des  italienischen 
Gesanges  entflossenen,  sondern  aus  einer  durch  die  Ausdruckseigenart  der 
Orgel  hindurchgegangenen  Belichtung.  Wenn  Spitta1)  ausführt,  es  habe 
außerhalb  Bachs  Absicht  gelegen,  „jenen  leidenschaftlichen  Zug  im  Gesänge 
stark  hervortreten  zu  lassen",  weil  er  bei  der  Besetzung  der  Solopartien 
durch  Knabenstimmen  auf  denjenigen  Grad  künstlerischer  Reife  nicht 
rechnen  konnte,  um  den  Empfindungsgehalt  seiner  Arien  zum  Ausdruck 
zu  bringen,  so  ist  die  Tatsache  sicherlich  richtig,  der  Grund  aber  unzu- 
länglich. Er  ist  vielmehr  im  Wesen  der  Bach  sehen  Vokalmusik  gelegen. 
Ein  wundersamer  Schleier  ist  über  sie  ausgebreitet,  der  nichts  ganz  ver- 
birgt, und  doch  alles  in  Halbdunkel  taucht,  den  Übergang  von  Licht  zu 
Schatten  sanft  abtönt,  jede  Schärfe  ausgleicht.  Es  ist  die  Milde  des 
Glaubens,  die  stille  Frömmigkeit  einer  kindlich  reinen  Seele,  die  Weisheit 


i)  J.  S.  Bach  II,  S.  140. 


Zweiter  Teil.  181 

des    glaubensstarken    Christen,    die    das    Hervortreten    stark    persönlichen 
Empfindens  zurückweist. 

Daß  sich  ein  so  geartetes  Kunstgebilde  einer  Behandlung  völlig 
entzog,  die  selbst  in  dem  grellen  Theaterlicht  der  italienischen  und 
deutschen  Oper  nur  geteilten  Beifall  fand,  bedarf  demnach  kaum  einer 
weiteren  Begründung.  Aber  auch  die  technisch-musikalische  Arbeits- 
weise Bachs  stand  zu  ihr  in  größtem  Gegensatz.  Sein  Gesangspart  ist 
überall  ein  integrierender  Bestandteil  eines  häufig  recht  komplizierten, 
immer  aber  festgefügten  Ganzen.  Selbst  wo  er  es  bei  dem  zeitgebräuch- 
lichen da  capo  beläßt,  verbieten  sich  wesentliche  Yeränderungen  so 
von  selbst.  Aber  er  baut  seine  Arien  in  der  größeren  Überzahl  aus  und 
arbeitet  auch  die  Wiederholung  völlig  durch,  wie  es  noch  die  älteren 
italienischen  Meister,  ich  denke  an  Monteverdi,  Cesti  und  Provenzale, 
taten,  so  daß  auch  hier  jeder  Sängerwillkür  vorgebeugt  ist. 

Was  nun  zunächst  das  Rezitativ  betrifft,  so  stimme  ich  mit 
Spitta1)  dahin  überein,  daß  es  sich  hier  nur  um  die  Einfügung  von 
Accenten  im  Sinne  der  Telemannschen  Lehre  handeln  kann;  andere 
Verzierungen  hat  er  überall  ausgeschrieben,  so  daß  an  eine  Umdeutung, 
wie  sie  Agricola- Hiller  wünschen,  nicht  zu  denken  ist.  Meine  Be- 
arbeitung der  Rezitative  der  Matthäus-Passion  beruhen  auf  dieser  An- 
schauung. Wir  werden  aber  auch  in  der  Anbringung  der  Accente  nicht 
überall  Tele  mann  folgen.  Zahlreich  sind  die  Stellen,  an  denen  der 
Accent  abschwächend  und  matt  wirkte,  vorzüglich,  wo  die  Erzählung 
lebhaft  erregt  wird,  oder  wo  ein  dramatischer  Yorgang  markigen  Yortrag 
verlangt,  wie  etwa  in  dem  Bericht  des  Evangelisten  „Und  der  Yorhang 
des  Tempels  zerriß"  in  der  Matthäus-Passion.  Auch  von  der  Telemann- 
schen Regel,  den  Accent  selbst  dort  anzubringen,  wo  er  gegen  die  Gesetze 
der  Harmonie  verstößt,  werden  wir  absehen,  vor  allem  aber  ihn  dort 
meiden,  wo  er  die  Überraschung  einer  frei  eintretenden  Dissonanz  vereitelte. 

Für  die  Arien  Bachs  könnte  man  an  eine  von  der  Notierung  ab- 
weichende Ausführung  nur  in  den  da  capo-Sätzen  denken.  Auch  hier 
aber  läßt,  um  Spitta  anzuführen,  „der  polyphone  Satz,  die  Bedeutsamkeit 
jeder  einzelnen  Melodienote,  der  harmonische  Reichtum  in  den  meisten 
Fällen  keine  nennenswerte  Veränderung  zu".  In  einigen,  nicht  allzu- 
häufigen Fällen,  wird  der  Zusatz  einiger  Manieren,  in  der  Absicht  den 
Grundgedanken  zu  variieren,  ohne  ihn  zu  alterieren,  am  Platze  sein. 

Auf  Kadenzen  in  der  Form  der  damaligen  Operngesänge,  oder 
selbst  auch  nur  des  Oratoriums  hat  Bach  kaum  irgendwo  gerechnet.  Er 
steht  offenbar  auf  dem  Standpunkt  des  Tosi,  daß  eine  kleine  Auszierung 

*)  a.  o.  O.,  II,  S.    141  ff. 


182 


Zweiter  Teil. 


im  Zeitmaß  genüge,  den  Schluß  zu  befestigen.  Denn  seine  Arien  gehen 
in  so  ausdrucksvollen  Wendungen  zu  Ende,  daß  für  eine  Kadenz  kein 
Raum  bleibt.  Überdies  benutzt  er  den  Schluß  mit  dem  Ruhepunkt  des 
Quartsextakkordes,  der  allein  und  ausschließlich  als  Sitz  der  freien  Kadenz 
anerkannt  ist,  garnicht  allzu  häufig.  Wo  er  aber  vorliegt,  dürfen  wir 
nicht  an  eine  breitausladende  Formel  denken,  wie  sie  eine  Hände  Ische 
Arie  zuläßt.  Auch  hier  werden  wenige  Noten,  möglichst  als  Wieder- 
holung oder  Sequenz  eines  bereits  angeführten  Themas,  genügen  den 
Schluß  herbeizuführen.  Dagegen  dürfen  kurze  Melismen  im  Zeitmaß 
dort  eintreten,  wo  Instrumente,  die  bisher  durchgespielt  hatten,  kurz  vor 
dem  Finalschluß  aussetzen.  Es  ist  das  ein  sicheres  Anzeichen,  daß  er 
der  Singstimme  eine  freiere  Bewegung  gönnte.  Hier  also  dürfen  wir  an 
eine  vorbereitende  Kadenz  im  Zeitmaß  denken. 

Es  wird  sich  also  gegenüber  den  geschlossenen  Gesängen  Bachs, 
Arien,  und  den  ariosen  Rezitativen,  hauptsächlich  um  die  Auslegung  der 
gegebenen  Zeichen  handeln,'  mag  nun  zu  entscheiden  sein,  ob  ein  mit 
kleiner  Note  bemerkter  Yorschlag  lang  oder  kurz,  welchen  Wert  der 
lange  zu  beanspruchen,  ob  der  kurze  jambisch  -  unbetont  oder 
trochäisch  -  betont  gemeint  sei,  mag  die  Form  eines  Trillers  als  langer, 
Pralltriller,  Mordent  oder  Schneller  zu  bestimmen,  mag  endlich  zu 
untersuchen  sein,  welche  Bedeutung  eines  derjenigen  Zeichen  habe,  die 
er  nicht  nur  für  die  Instrumente,  sondern  auch  für  die  Singstimme  benutzt. 
In  sehr  zahlreichen  Fällen  gewinnt  die  Entscheidung  eine  ganz  ein- 
schneidende Bedeutung  für  die  gesamte  Melodik  des  Stückes,  wie  beispiels- 
weise in  der  Arie  „Erbarme  Dich"  der  Matthäus-  und  „Ach,  mein 
Sinn"  der  Johannespassion.  Unsere  bisherigen  Darlegungen  haben  uns 
die  Grundlage  gesichert,  auf  der  wir  aufbauen  können.  In  zweifelhaften 
Fällen  aber  sind  wir  auf  ästhetische  Erwägungen  angewiesen,  die  der 
Text  und  seine  musikalische  Wiedergabe  nahelegen. 

Passionsmusik  nach  dem  Evangelisten  Matthäus 
(P.  =  Partitur  der  Ausgabe  der  Bachgesellschaft,  Pt.  =  Peters  Klavierauszug). 

Rezitativ:  „Da  Jesus",  P.  S.  22,  Pt.  S.  16.    Rezitativ  „Da  ver- 
sammelten sich",  P.  S.  23,  Pt.  S.  16. 


* 


pfr->  P  dh  g  j  .mf  p  ;  Jip  p  ^m 


sei- neu    Jün-gern 


Ael-tes-ten         Ho-hen-prie-sters       Ca-i-piias 


pr$-x 


I   b  j    \  1 1  [7   i  \  j  m 


£ 


grlf  -  fen 


und         tö     -    te  -  ten 


sie    spra-ehen  a  -   ber 


Zweiter  Teil. 


183 


Rezitativ:  „Da  nun  Jesus  war",  P.  S.  26,  Pt.  S.  18.     Rezitativ 
„Da  das  Jesus  merkete«,  P.  S.  28,  Pt.  S.  20. 


^tiü-if^^F^m 


Jün-ger    sa-hen     und   sprachen  al-le-zeit         ge-gossen       Ge-dächtniss 

Rezitativ  (arioses):  „Du  lieber  Heiland",  P.S. 29.  Takt 6.  Pt.S.21. 


# 


f» 


1 


will     be-rei-ten 


in- zwischen  zu 


Arie:  „Büß  und  Reu",  P.  S.  30.  Takt  4.  Die  Vorschläge  in  den 
Flöten  sind  nach  der  Regel  lang  und  beanspruchen  den  Wert  der  Haupt- 
note. Takt  19.  Der  Vorschlag  kann  nur  kurz,  aber  betont  gemeint  sein. 
Der  wehmütige  weiche  Grundton  der  Arie  könnte  bestimmen,  an  einen 
unbetonten,  jambischen  Vorschlag  zu  denken.  Aber  dem  Sinn  der  Text- 
worte (Herz  entzwei)  entspricht  jene  Figur  vorzüglich.  Ein  langer  Vor- 
schlag ist,  als  vor  einem  unbetonten  Taktteil  und  wegen  der  unschönen 
Fortschreitungen  mit  dem  Baß  ausgeschlossen: 


Takt  36.    Der  lange  Vorschlag  a  der  Flötenstimme  in   der  Gesangs- 
stimme zu  ergänzen,  als  Wert  der  Hauptnote.  ] 

Takt  104/105.     Angehauchter  Pralltriiler,    ein    wenig    zurückhalten, 


die  ee-bäh  -  ren . 


die  ge-bäh  - 

Für  das  da  capo  kleine  Veränderungen  durch  Verzierungen  und  eine 
an  das  Zeitmaß  gebundene  Kadenz: 

Takt  18.  Vor  dem  ersten  Taktteil  ein  kurzer,  jambischer  Vor- 
schlag, It.     Takt  34.     Ebenso  ein  Vorschlag  a. 

Takt  37  ff. 


knirscht  das         Sün-  den-      herz 


£ 


den  -      herz      ent- 


zwei 


184 


Zweiter  Teil. 


Takt  45  ff. 


ft=ra 


*^^ 


knirscht 


den-     herz        ent- 


zwei 


Takt  55/56. 


#¥1 


ritard. 


1 


^£ 


^^ 


Sün-den-herz        ent- 


zwei 


Rezitativ:   „Da  ging  hin",  P.  S.  33,  Pt.  S.  24. 


Zwöl-fen     Ei  -  ner  I-scha-ri-  oth 


Arie:    „Blute  nur«.      P.  S.  34,    Pt.  S.  25.     Takt  21.     Der  Vor- 
schlag dar  Flötenstimme  kurz,  jambisch,  damit  die  Hauptnote  des  Thema- 
anfangs,   wie    im   Ritornell,    auf    die    Thesis    fällt.      Der    Vorschlag    der 
Gesangsstimme    währe    eine   halbe  Note,    sodaß    die  Hauptnote    auf    die 
Pause   falle,   nach  Agricolas   Regel   für   affektreiche    Stellen.      Takt  29. 
Der  Vorschlag  kann  hier  nur  ein  Achtel  gelten,  damit  die  Auflösung  noch 
auf  dem  E-dur  Dreiklang  erfolge.    Takt  31.     Diese  Phrase  ist  die  Sequenz 
des  Taktes  29,    daher  darf    der  Vorschlag    auch    hier,    gegen  die  Regel, 
nur  ein  Achtel  währen.     Takt  35.     Triller   auf  dis,   von  oben.     Takt  43. 
Der   Vorschlag  ist  nach    der  Regel  Agricolas  als  vor  einem  Achtel  mit 
zwei  anschließenden  Sechzehnteilen  kurz,    für  uns  jambisch,    auszuführen. 
Die  Flötenstimme  geht  zwar  auch  hier  in  ausgeschriebenen  Sechzehnteilen, 
sodaß  die  Annahme  naheläge,    daß  die  Singstimme,    wie  überall,   mit  ihr 
unison  zu  halten  sei.     Aber  einmal  ist  unerfindlich,  warum  für  diesen  Fall 
nicht   auch  diese   in  Sechzehnteilen   notiert  worden  ist.     Dann   aber   ver- 
langt die  textliche  Unterlage  (zur  Schlange  worden)  die  tonmalende  Wirkung 
der   herben  Dissonanz,    welche    in    unserer  Ausführung    durch    das  Auf- 
einanderprallen   der    Halbtöne  fis    und  g  entsteht.      Eine    ähnliche  Figur 
kennt  ja  auch    die  Klaviermusik    unter   der  Bezeichnung  Mordent,    wenn 
zwei  Halbtöne  zusammen  so  angeschlagen  werden,  daß  die  untere,  tiefere 
Taste  sofort    wieder    aufgehoben    wird.      Vgl.  Ph.  E.  Bach,    V.  Haupt- 
stück, 5.  Abteiig.  §  3.    Neudruck  S.  65.    Takt  45.    Angehauchter  Triller. 
Im  da  capo    keine  Veränderung,    nur   im  Takt  19  ein  Vorschlag  d,    wie 
oben,  zu  e,  als  Sechzehnteil. 


Zweiter  Teil.  ]85 

Rezitativ:  „Gehet  hin  in  die  Stadt",  P.  S.  40,  Pt.  S.  28. 

H  P    p    ff  = 


f    P    *    p    P-  o    p    p     » 


zu        ei  -    nein 


hal  -  ten 


mit      mei  -    nen       'im  -  gern 


p i  > ^mg^^m  \'v  t  i^r?  \ 


$ 


i 


und    am     A  -  bend  zu    Ti  -  sehe  sag  -  ten     zu       ihm 

Rezitativ:  „Er  antwortete  und  sprach",  P.  S.  43,  Pt.  S.  29 

(7\ 


s 


i 


I 


5 


ro^ 


p 


Dan  -    ke  -  te      und  braehs  und     dan  -  ke  -  te  gab 

tr  =  Mordent,  da  die  Bewegung  auf- 
wärts schreitet. 


ff  j  p   g   L}  t    B  r   r  r  p-p  p~f .» p 


ib  -  nen   den    und    sprach  leb      sa    -     gc  Eucb 

Rezitativ    (arioses):  „Wiewohl  mein  Herz",  P.  S.  46,  Pt.  S.  32. 

Takt  6.    Vorschlag  mit  Benutzung  der  Pause. 


Takt  2.      Takt  4. 


S 


* 


Ö^ 


i 


s 


j   a  l  ! 


^ 


g — *■ 


schwimmt        Ab  -  schied        nimmt  sein 

Takt  7.  Takt  8. 


Fleisch        und    Blut 


1  i  i  |  r    I  i  J'  I  1  in 


Kost  -   bar-keit 


in     mei  -  ne    Hän-dc 


Takt  9.  Die  Vorschläge  sind  als  Terzenverbindungen  kurz,  aber 
mit  Rücksicht  auf  das  langsame  Tempo  nicht  ganz  kurz.  Agricola 
statuiert  die  erste  Note  einer  Triole: 


V  E  7   P 


i 


der 


Welt. 


wie     er      es      auf 

Es  ist  das  jene  Art  des  Vorschlages,  die,  wie  oben  erwähnt  wurde,  eine 
Mittelstellung  zwischen  langen,  veränderlichen  und  kurzen,  unveränder- 
lichen einnimmt. 

Arie:  „Ich  will  dir  mein  Herze  schenken",  P.  S.  47,  Pt.  S.  33. 
Für  das  da  capo  folgende  Veränderungen. 

Takt  8.  Pralltriller  auf  dem  e  des  vierten  Taktteils.  Takt  12.  Prall- 
triller auf  dem  g  und  e  des  zweiten  und  dritten  Taktteiles. 


186 


Zweiter  Teil. 


Takt  13,  14,  15  je  ein  kurzer  Vorschlag  von  oben  vor  den  zwei 
Sechzehnteilen  mit  anschließendem  Achtel.  Takt  17.  Ein  Schleifer  h,  c 
vor  dem  d  des  ersten  Taktteiles,  kurzer  Vorschlag  h  vor  dem  a  des 
vierten  Taktteiles.  Takt  18.  Kurzer  Vorschlag,  h,  vor  dem  a  des  vierten 
Taktteiles. 

Takt  21.     Ein  Doppelschlag. 


sen-  ke 


Takt  24.     Kurze  Kadenz,  eine  Figur  der  Arie  benutzend. 


l  \  lf\n^l  i r^? 


& 


mein       Heil 


hin 


ein 


»»  |  r^ 


3 

Rezitativ:   „Und    da  sie   den  Lobgesang",   P.  S.  50,   Pt.  S.  35. 


al   -    le      är  -  gern  an     mir 
Rezitativ:  „Petrus  aber  antwortete",  P.  S.  52,  Pt.  S.  3f>. 


^F#^fe^^fei^  i  p  ^Hhbp  g  i  g  ; 


an  dir  är-ger-teu  so  ver-läug-nen  "*  ster-ben       müss-te 

Rezitativ:  „Da  kam  Jesus  mit  ihnen",  P.  S.  54,  Pt.  S.  37. 


p  j  JM  I .h  |P  p  P-M^  g  lr  r>  J^i 

ei-  nen       Ho-fe         sei-nen  Jün-gern  und       be-  te 


ei- nen       Ho-fe         sei-nen  Jün-gern 

Rezitativ  (arioses):  „0  Schmerz!"  P.  S.  55,  Pt.  S.  38.  Takt  2. 
Der  Vorschlag  /'  der  Gesangsstimme  ist  kurz  gemeint.  Er  konsoniert  zum 
Orgelpunkt  des  Basses,  würde  also,  lang  gehalten,  den  Eintritt  der 
Dissonanz  verzögern;  kurz,  jambisch  unter  scharfer  Betonung  der 
Dissonanz  entspricht  er  der  Bedeutung  der  Textworte.  Takt  3.  Ein 
Vorhalt. 


i  v  p  \  g  g  pupp 


m 


hier       zit-tert  das     ge-quäl-te 


Herz 


Zweiter  Teil. 


187 


Takt  5.    Vorhalt  in  Sexten  mit  der  ersten  Flöte. 

Takt  26. 

■fc-  -^ .    -     L  .     — L JüA 


Takt  28. 


pTTfl 


i 


An-ge  -    nehm 


dein  Zit-tern  und  dein  Za-  cen         wie     irer-ne 


Zit-tern  und  dein  Za- gen        wie     ger- ne 

p 


Rezitativ:  „Und  ging  hin  ein  wenig",  P.  S.  77,  Pt.  S.   47. 


I 


5 


^^ 


fiel  nie  -  der  Mein  Va  -  ter 

Rezitativ:    „Der    Heiland    fällt    vor    seinem  Vater   nieder", 
P.  S.  78,  Pt.  S.  47. 


''■i  g  P  |,i  j  In  ^  «  M  iMm 


f 


f 


Va-ter      nie  -  der        zu     trin-ken        häss-lich  stin-ken 
Arie:    „Gerne  will  ich  mich  bequemen",    P.  S.  79,   Pt.  S.  48. 
Takt  23.    Triller  mit  Nachschlag  auf  e  und  Verweilen  auf  der  Schluß- 
note.   Takt  44.    Das  h  des  letzten  Taktteiles  muß  sofort  scharf  angegeben 
werden,    um  die  Modulation  nach  C  deutlich  zu  machen.    Das  Zeichen  tr 
kann  also  nicht  einen  Pralltriller,  sondern  nur  einen  Mordent,  h  a,  bedeuten. 
Takt  64.     Der  Vorschlag  ist  als  ein  Achtel  auszuführen,   damit  die 
Auflösung  auf  dem  zweiten,  nicht  erst  auf  dem  Sekundakkord  des  letzten 
Taktteils   erfolge,    der   schon   zum   Folgenden    überleitet.     Takt  78.      Die 
Vorschläge  als  zwischen  Terzen  kurz,    betont  wiederum   als  Dritteil  einer 
Triole;  der  dritte  Vorschlag,  Takt  79,  ist  mensuriert  lang  notiert.    Ebenso 
Takt  94/95.     Im  da  capo  eine  Kadenz  im  Zeitmaß  poco  ritard. 


dem  Hei-  land  nach 

Rezitativ:  „Und  er  kam  zu  seinen  Jüngern",  P.  S.  82,  Pt.  S.  50. 


fn>  i  j>  ^  i  m  g  imp  \\j  p  ;  m  i 


und    fand    sie  schia-fend 


und        be  -  tet  An-fech-tunp    fai-let 


^M   f  i*fr  «V  i  g  v  Pf  Mg  i  i'n  i 


das  Fleisch  ist      schwach.    Mein      Va-ter       ist's  nicht  möglich     dein      Wil-le 
Rezitativ:    „Und    er    kam,    und    fand    sie    aber    schlafend". 
P.  S.  84,  Pt.  S.  52. 


B  P  1  M  g 


/TS 


rü  t  i 


ü  -  ber- ant -wor-tet         wird 


vcr  -  räfh 


188 


Zweiter  Teil. 


/TN 


m 


^ff  a  ii  v=  Cj 


r\ 


I 


^ 


P 


I 


ö 


des   Volks 


und      küs-se -  te     ihn. 


Mein      Freund 


an 


Je-sum 


Duett  und  Chor:  „So  ist  mein  Jesus  nun  gefangen",  P.  S.  88, 
Pt.  S.  54. 

Das  Thema,  von  Flöten  und  Oboen  intoniert,  und  von  den  Streichern 
getragen,  ist  mit  Vorschlägen  aufgezeichnet,  Takte  1 — 4  und  9 — 11,  wo 
es  dominantisch  in  der  Gegenbewegung  erscheint.  Die  Gesangsstimme, 
die  es  Takt  17  aufnimmt,  weist  die  Verzierung  nicht  auf.  Es  sind  also 
die  Fragen  zu  beantworten,  wie  sind  die  Vorschläge  in  den  Instrumental- 
stimmen auszuführen,  und  sind  sie  auf  die  Gesangsstimme  zu  übernehmen? 
Der  Regel  nach  beanspruchen  sie,  als  vor  punktierten  Noten  betonter 
Taktteile,  den  Wert  der  Hauptnote.  Ich  kann  mich  aus  zweierlei  Gründen 
nicht  für  diese  regelmäßige  Art  der  Ausführung  entscheiden.  Einmal 
stünden  sie,  wären  sie  harmoniealterierend  und  melodieverändernd,  auch 
in  der  Gesangsstimme.  Dann  aber  aus  ästhetischen  Erwägungen.  Die 
Klage  der  Tochter  Zion  ist  keine  ruhige,  gefaßte,  sondern  eine  heftig 
erregte,  und  klingt,  wie  Kretzschmar  (Führer  II,  S.  88)  treffend 
bemerkt,  in  das  leere,  drohende  Dunkel  des  Instrumentalsatzes  schneidend, 
und  in  weinenden  Gängen  hinein.  Lange  Vorschläge  entsprechen  dieser 
Anlage  des  Tonstückes  durchaus  nicht,  wohl  aber  kurze,  und  zwar  betonte. 
Deshalb  entscheide  ich  mich  für  Agricolas  Ausführung  kurzer  Vor- 
schläge vor  betonten  Noten,  die  „nicht  so  kurz,  als  die  unveränderlichen, 
doch  auch  nicht  nach  der  Regel  der  veränderlichen  gemacht  werden". 
Aus  denselben  ästhetischen  Gründen  bin  ich  für  eine  Übertragung  der 
Vorschläge  auf  die  Gesangsstimme.  Diese  kurzen  Trochäen  charakterisieren 
die  Unruhe,  die  Erregung  so  trefflich,  daß  man  sie  auch  hier  nicht  ent- 
behren kann;  Takt  17,  und  entsprechend  Takt  1 — 4,  bezw.  überall  wo 
das  Thema  erscheint: 


pH     >  p  J^ipp 


m  a  a  n  i 


* 


s=* 


^  i  i  z 


i 


So     ist  mein 


Je 


* 


sus     nun 


ge   - 


fan   - 


2 


s 


« 


P=? 


* — -— # 


w 


>f  ff-  -  (f-  »    # 

Eezitativ:  „Und  siehe«,  P.  S.  104,  Pt.  S.  62. 


3 


Hhr£-£ 


f£^Hrf=&m 


g^r^f-F-p 


Bn-gel  bei     Euch     ge  -  we  -  sen         Tem  -  pel  ge    -    sehe  -  hen 


Zweiter  Teil. 


189 


Arie  mit  Chor:  „Ach,  nun  ist  mein  Jesus  hin",  P.  S.  135, 
Pt.  S.  74.  Takt  12  ff.  Großer  Schwellton.  Takt  68.  Die  Regel  verlangt 
ein  Achtel  für  den  Vorschlag  a.  Diese  Ausführung  scheint  mir  zu  weich 
für  die  textliche  Unterlage  (Tigerklauen).  Ein  betontes  Sechzehnteil  ent- 
spräche ihr  besser,  und  ließe  gleichzeitig  die  harmoniefrenide  Note  a  zu 
dem  alterierten  Quintsextakkord  deutlich  hervortreten. 


P 


%-JL-£ 


^^4 


Ti  -      ger 

Takt  77.  Die  Altstimme  ersetzt  den  Baß,  der  Continuo  setzt  erst 
nachher  mit  a  ein,  und  bildet  eine  Fortführung  jener.  Folglich  muß  sie 
die  Hauptnote  h  auf  den  zweiten  Taktteil  bringen,  so  daß  der  Baßgang 
sich  zwanglos  anschließt.  Dem  Vorschlag  gebührt  also  nur  ornamentale 
Bedeutung.  Das  entspricht  auch  der  Regel,  daß  Vorschläge  vor  unbe- 
tonten Taktteilen  kurz  sind.  Auch  würde  ein  langer,  dann  dissonierender 
Vorschlag  die  unbetonte  Silbe  (en)  sprachwidrig  hervorheben. 


Rezitativ:    „Die   aber  Jesum   gegriffen",    P.  S.  150,   Pt.  S.  78. 


*f 


i  a  ji  i  j  m  ;  t  g  *  » ^^ 


# 


und   Ael  -  te  -  sten      sich     ver-sam-melt    hat  -  ten 


von 


fer  -  ne 


p  mm  m  i 


und  f an  >  den      kei-nes 
Rezitativ:  „Und  wiewohl  viel  falscheZeugen",  P.S.152,Pt.S.79. 


fal-sche     Zeu-gen       sie    doch        keins 
Rezitativ  (arioses):  „Mein  Jesus  schweigt",  P.  S.  154,  Pt.  S.  81. 


f. 


fes 


i  M    ?•    W- 1 

in     der  glei-eüen     Pein 


Lü  -  gen  stil  -  13 

Arie:  „Geduld",  P.  S.  155,  Pt.  S.  81.  Takt  5.  Der  Vorschlag  ist 
nach  der  Regel  als  Achtel  zu  behandeln.  Die  Pause  muß  hier  gewahrt 
werden,  da  die  Auflösung  des  Vorschlags  auf  dem  Amoll-Dreiklang,  vor 
Eintritt  des  Sextakkordes  auf  Ä,  stattfinden  muß.  Takt  11.  Das  Zeichen 
tr  kann  hier,  über  dem  ausgeschriebenen  Mordent,  nur  seine  Verdopplung 
anzeigen,  will  man  nicht  annehmen,  daß  ursprünglich  nur  die  Hauptnote  k 
notiert  war,  und  bei  der  Aussetzung  das  tr  irrtümlich  stehen  blieb.  Auch 
an  einen  kurzen  Vorschlag  könnte  man   denken. 


190 


Zweiter  Teil. 


Takt  24.  Der  Vorschlag  du  ist  lang,  also  ein  Achtel.  So  entspricht 
die  Figur  rhythmisch  der  vorangegangenen,  und  es  entsteht  eine  wunder- 
volle Dissonanz,  die  wieder  mit  derjenigen  des  dritten  Viertels  korrespondiert. 

Takt  43.  Der  Vorschlag  wieder  als  Achtel,  entsprechend  Takt  42, 
wo  er  ausgeschrieben. 

Rezitativ:  „Und  der  Hohepriester  antwortete",  P.  S.  157, 
Pt.  S.  85. 


de3         Men  -  sehen      Sohn  des    Him  -  uiels  *re    -     hö  -  rel 


Rezitativ:  „Da  speiten  sie  aus",  P.  S.  160,  Pt.  S.  87. 


mit 


£ 


Fäu  -  sten 

Rezitativ:  „Petras  aber  saß  draußen",  P.  S.  164,  Pt.  S.  90. 


fp^- 1  m  m  m  \  i  p « g  g^p? 


Magd,  du         sa-gest  die    da        wa-ren        klei-ne 

Rezitativ:  „Da  hub  er  an",  P.  S.  167,  Pt.  S/91. 


Wei-    le 


Men-schen      nicht 


der      Hahn 


Arie:  „Erbarme  Dich",  P.  S.  168,  Pt.  S.  92.  Die  Bestimmung 
der  Vorschläge  ist  für  die  Melodik  dieses  so  kunstvollen  und  ergreifenden 
Zwiegesprächs  der  Altstimme  mit  der  Violine  (Solo)  von  einschneidender 
Bedeutung.  Eine  falsche  Ausführung  kann  es  um  einen  erheblichen  Teil 
seiner  melodischen  und  harmonischen  Schönheit  bringen!  Zunächst  fällt 
die  Divergenz  zwischen  dem  Ritornell -Thema  und  demjenigen  der  Gesangs- 
stimme auf.  Jenes  weist  einen  Schleifer,  in  der  Original-Partitur  durch 
das  übliche  Zeichen  angedeutet,  zur  Verbindung  des  Sextenintervalles  auf, 
der  hier  fehlt.  Dann  erscheint  in  der  Violine,  Takt  2,  vor  dem  vierten 
Taktteil  ein  Vorschlag;  in  der  Gesangsstimme,  Takt  10,  entfällt  er  und 
wird  durch  eine  synkopische  Bildung  ersetzt.  Ferner  fehlt  der  Schleifer 
der  Violinstimme  Takt  11  bei  der  Parallelstelle  Takt  3.  Es  wäre  nun 
durchaus  voreilig,  hier  auszugleichen  und  die  Themen  in  vollständige 
Übereinstimmung  zu  bringen.  Das  Stück  ist  mit  solcher  Genauigkeit 
notiert  —  die  jambischen  Vorschläge  und  Verzierungen  in  mensurierten 
Werten  —  daß  man  nicht  berechtigt  ist  anzunehmen,  Bach  habe  sich 
gerade  hier  auf  die  Ausgleichung  durch  die  Ausführenden  verlassen.    Zu- 


Zweiter  Teil. 


191 


nächst  dürfen  wir  die  Synkope  im  Einsatz  der  Gesangsstimme,  Takt  10, 
umsoweniger  alterieren,  als  sie  auf  demselben  Textwort  mehrfach,  Takt  14, 
£  ö,  16,  41,  wiederkehrt.  Weniger  bedenklich  ist  es,  den  Schleifer  der 
Geigenstimme  des  Taktes  11  im  Ritornell  Takt  3  hinzuzufügen.  Die 
Schleifer  sind  nach  Agricolas  Vorschrift  überall  auf  die  Baßnote  zu 
legen,  und  dem  Wert  der  Hauptnote  abzuziehn,  dabei  aber  möglichst  be- 
haglich vorzutragen,  im  Gegensatz  zu  derselben  Figur,  wo  sie  ausge- 
schrieben ist,  die  sehr  stark  betont  wird  (z.  ß.  Takt  8).  Was  nun  die 
Währung  der  Vorschläge  betrifft,  so  ist  derjenige  des  Taktes  2,  und  wo 
dieselbe  Wendung  wiederkehrt,  sicherlich  kurz,  ausschmückend.  Behandelte 
man  ihn  lang,  also  als  Achtel,  so  wäre  die  Ähnlichkeit  mit  der  Parallel- 
stelle im  Einsatz  der  Gesangsstimme,  Takt  10,  aufgehoben.  Wäre  er  in 
diesem  Sinne,  also  melodieverändernd  gemeint,  so  müßte  er  unbedingt 
auch  hier  stehen.  Die  trochäische,  betonte  Ausführung  ziehe  ich  der 
schönen  harmonischen  Wirkung  wegen  der  jambischen  vor,  so  daß  das 
eis  des  Vorschlages  zu  dem  Sekundakkord  auf  a  dissoniert,  also: 


wHmüIx± 


Der  Vorschlag  fis  Takt  3  ist  nach  der  Regel  ein  veränderlicher, 
langer,  und  kommt  an  die  Stelle  der  punktierten  Hauptnote,  so  daß  diese 
selbst  erst  mit  dem  zehnten  Achtel  erklingt.  So  entsteht  eine  im  Ver- 
laufe des  Stückes  immer  wiederkehrende  herbe  Dissonanz,  zwischen  diesem 
Vorhalt  fis,  und  seiner  Auflösung  e,  das  in  den  ersten  Violinen  gehalten 
wird.  Die  Vorschläge  vor  den  rhythmisch  korrespondierenden  Phrasen 
des  Taktes  4  sind  gleichfalls,  als  vor  betonten  Taktteilen  lang,  und  treten 
an  die  Stelle  der  Hauptnote,  so  daß  sie,  wie  in  Takt  3  mit  der  ersten 
Violine,  mit  der  Viola  scharf  dissonieren.  Sie  kurz  zu  behandeln  ent- 
spräche überdies  nicht  dem  weichen  Grundton  des  Gesanges,  und  dem 
edlen  Mitleid  der  Tochter  Zions  um  Petri  Abfall.  Sie  weint  mit  ihm, 
und  vergibt  ihm  um  seiner  Zähren  willen.  Selbst  die  Tatsache,  daß  nach 
meiner  Auffassung  Takt  29  eine  Quintenfolge  zwischen  der  Violine  solo 
und  der  zweiten  Violine  ergibt,  kann  mich  an  ihr  um  so  weniger  irre 
machen,  als  sie  vermöge  des  liegenden  e  und  g  der  ersten  Violine  und 
Altstimme  kaum  störend  hervortritt.  Die  Ausführung  ist  also  hier,  und 
an  allen  anderen  Parallelstellen: 


ö 


^B  l 


BS 


Ö» 


Takt  5.     Ein   Pralltriller    auf  d,    der  Vorschlag   wie    Takt   3    lang. 
Takt  14.    Der  Vorschlag   der  Gesangsstimme  kann  hier,  gegen  die  Regel, 


192 


Zweiter  Teil. 


nur  als  Achtel  in  Sexten  mit  der  ersten  Violine  gehn,  damit  das  klagende 
Motiv  der  Solovioline  auf  den  Emoll-Dreiklang  falle,  und  nicht  durch 
eine  Dissonanz  gestört  werde,  wie  sie  ein  langer  Vorschlag  (a)  ergäbe. 
Der  Vorschlag  in  der  Solovioline  natürlich  auch  hier  lang,  ein  Achtel. 
Takt  15.  Eine  Dissonanz  zwischen  dem  Vorhalt  h  der  Solovioline  und 
dem  Auflösungston  a  der  Gesangsstimme;  ebenso  Takt  18.  Takt  19. 
Der  Vorschlag  fis  in  der  Solovioline  entspricht  dem  Triller  Takt  5,  kann 
also  nur  ausschmückend,  kurz,  gemeint  sein.  Man  kann  ihn  der  Gesangs- 
stimme hinzufügen.  Auf  dem  siebenten  Taktteil  wiederum  die  charakter- 
istische Dissonanz  zwischen  dem  Verhalt  fis  der  Solovioline  und  der  Auf- 
lösung a  in  der  Gesangsstimme.  Dieser  Vorschlag  währt  nach  der 
Regel  3/s>  die  Hauptnote  tritt  an  die  Stelle  der  angebundenen  Note. 
Takt  20.  Der  Vorschlag  fis  in  der  Solovioline  wieder  3/8>  ebenso  Takt  21. 
Takt  23.  Der  Vorschlag  eis  der  Gesangsstimme  kurz  jambisch,  da  er 
konsonantisch  zum  Baß  ist.  Takt  26.  Der  Vorschlag  eis  der  Solovioline 
des  zehnten  Achtels  ist  aus  demselben  Grunde  kurz.  Takt  32.  Der 
Vorschlag  gis  der  Gesangsstimme  wie  in  der  Parallelstelle  Takt  14  als 
Achtel.  Takt  41.  Der  Vorschlag  fis  der  Gesangsstimme  löst  sich  der 
Regel  nach  auf  dem  zehnten  Achtel  auf.  Takt  45.  Der  Vorschlag  e  in 
der  Solovioline  ein  Achtel.  Takt  47.  Die  Kadenz  ist  als  eine  im  Zeit- 
maß bleibende  ausgeschrieben,  der  allenfalls,  dem  Ritornell,  Takt  11, 
konform,  ein  Triller  mit  Nachschlag  auf  eis,  und  nach  ihm  ein  Vorhalt  eis 
statt  der  Hauptnote  h  eingefügt  werden  könnte. 

Rezitativ  „Des  Morgens  aber",  P.  S.  174,  Pt.  S.  97. 


fTj=^fT-TWzR4^  ^  nm 


n~^m 


pj  pf  in 


^3 


3 — II 


ü  -her       Je  -  sum         ihn    töd  -  te  -  teil  ge  -  reu  -  e  -te     es        Ihn 


mm 


ver-  ra  -  ten     na  -  be 


Sil-ber-lin-  ge 


und  Ael  -  te-sten 


Arie:  „Gebt  mir  meinen  Jesum  wieder,  P.  S.  177,  Pt.  S.  100. 
Takt  2.  Ein  Pralltriller.  Ebenso  Takt  4.  Takt  14.  Die  Gesangsstimme 
braucht  die  Verzierung  nicht  mitzumachen.  Sie  erschiene  hier  nicht 
würdig.  Ebenso  Takt  16.  Takt  24.  Der  Vorschlag  g  nach  der  Regel  so,  daß 
die  Hauptnote  auf  die  Pause  und  das  fis  des  Basses  fällt.  Takt  26.  Da 
die  Instrumente  schweigen,  so  kann  der  Schluß  leicht  verziert  werden,  etwa: 


not   gjtacgj? 


3BE& 


tarf 


Fü 


ssen  nie 


üpp 

der 


Zweiter  Teil. 


193 


Indessen  ist  die  Synkope  des  Originals  der  Thematik  des  Stückes  ent- 
nommen und  ihm  charakteristisch;  deshalb  ist  es  vorzuziehen,  sie  beizu- 
behalten und  nur  den  Doppelschlag  und  Nachschlag  hinzuzufügen.  Takt  52. 
Der  Schluß  ist  ausgeschrieben.  Man  kann  auf  dem  fis  des  vierten  Viertels 
einen  Pralltriller  hinzufügen,  wie  ihn  Peters  notiert. 


wie      -  -  der 

Rezitativ:   „Sie  hielten  aber  einen  Rat",  P.  S.  182,  Pt.  S.  103, 


m 


m 


m 


* 


der    Pil-ger      Tag     spricht     be-foh-len     hat  und       Ael  -  te-sten 

Rezitativ:  „Auf  das  Fest  aber",  P.  S.  186,  Pt.  S.  106. 

Ge-fan-ge-nen       vor     an-dern        Ba-ra-bas     überantwortet      hat-ten 


^V'p  g  r,jiiiP  g  p  f  i  \  p  m  mp  m 


viel     er-lit  -ten        ü  -  ber- re  -  de- ten  das      Volk  die-sen  Zwei-eD 

Rezitativ  (arioses):   „Er   hat  uns   allen",  P.  S.  193,  Pt  S.  109. 


wohl  -  ee    -  than  ge  -  hend  wert  nichts    ge  «  than. 


ge  -  hend 


nichts    ge  -  than 


Arie:  „Aus  Liebe  will  mein  Heiland  sterben",  P.  S.  194, 
Pt.  S.  110. 

Der  Vorschlag  in  der  Flötenstimme,  Takt  2,  ist  mehrdeutig.  Da 
ein  langsames  Tempo  vorliegt,  kann  er  auch  vor  dem  dritten  Taktteil 
lang  sein,  umsomehr  als  er  zu  den  Oboen  dissoniert.  Daß  er  aber  kurz 
gemeint  ist,  dafür  spricht,  daß  er  in  der  Parallelstelle,  Takt  46,  nicht 
notiert  ist.  Wäre  er  melodieverändernd,  so  hätte  ihn  Bach  dort  auch 
vermerkt.  Für  eine  trochäische  Ausführung  spricht  die  vorangehende 
Häufung  der  Zweiunddreißigteile;  der  Vorschlag  Takt  3  lang  nach 
der  Regel: 


Take  5.  Der  Vorschlag  entspreche  als  Abschluß  des  Nachsatzes 
demjenigen  des  Vordersatzes,  Takt  3,  also  ein  Viertel,  die  Hauptnote  auf 
die   Pause.     Takt  19.     Der  Vorschlag   in    der  Flötenstimme    wie    Takt   5 

13 


194 


Zweiter  Teil. 


als  Viertel.  Takt  20.  Der  Vorschlag  dis  ist  Dur  ausschmückend  gemeint. 
Harmonisch  läge  kein  Grund  vor,  ihn  nicht  als  veränderlichen,  hier  als 
Achtel  anzusehen.  Aber  die  unerwünschte  Hervorhebung  der  unbetonten 
Silbe  (ben),  die  er  bewirkte,  läßt  mich  für  die  kurze  Form  eintreten. 
Takt  24/25.  Hier  gilt  Agricolas  Regel,  daß,  wenn  an  die  Hauptnote 
eine  Note  gleicher  Tonhöhe  gebunden  ist,  der  Vorschlag  ihren  ganzen 
Wert  einnimmt,  sie  selbst  aber  erst  zur  Zeit  der  angebundenen  Note 
eintritt.  Jener  antizipiert  so  die  Auflösung  des  verminderten  Septimen- 
akkordes dis  fis  c  wirkungsvoll  in  der  Gesangsstimme,  und  die  Haupt- 
note a  bildet  zu  dem  Sekundakkord  des  nächsten  Taktes  einen  Vorhalt, 
der  auf  dem  zweiten  Achtel  seine  Auflösung  findet.  Takt  30.  Der  Vor- 
schlag der  Flötenstimme  nach  der  Kegel  ein  Viertel,  als  Vorhalt  zum 
Sekundakkord  auf  c.  Takt  31.  Der  springende  Vorschlag  f  ist  konso- 
nantisch und  kurz.  Takt  32.  Der  Vorschlag  f  kann  hier  nur  eine  halbe 
Note  währen,  die  Auflösung  muß  auf  dem  dritten  Taktteil  mit  den  Oboen 
erfolgen.  Takt  34.  Langer  Vorschlag.  Takt  35.  Der  Vorschlag  c  wieder 
kurz,  nur  ausschmückend,  wie  Takt  31.  Pralltriller  in  den  Oboen. 
Takt  57/58  wie  24/25.  Takt  61  kann  man  ein  wenig  verändern,  und 
die  Sprünge  der  Singstimme  überbrücken,  so  daß  der  Schluß  ge- 
schmeidiger wird: 


von 


ei    -     ner        Sün  -  de         weiss     er 


nichts. 


Rezitativ  (arioses):   „Erbarm  es  Gott",   P.  S.  206,   Pt.  S.  116. 


ii  j^  i 


M  P    P 


£ 


p 


an  -  ge  -  bun  -  den  o  Wun  -  den  See  «    len   -    schmerz 

Arie:    „Können  Tränen«,  P.  S.  208,  Pt.  S.  117. 

Takt  10  und  11.  Die  Vorschläge  als  Dissonanzen  zu  betonen,  also 
als  Achtel.  Der  Peterssche  Klavierauszug  hat  eine  verfehlte  Aussetzung 
des  Continuo.  Takt  16  und  18.  Der  erste  Teil  des  Gesanges  bis  zum 
Abschluß  in  B-dur,  Takt  24,  besteht  aus  Vorder-  und  Nachsatz,  jener 
wieder  aus  drei  zweitaktigen  Phrasen.  Gibt  man  den  Vorschlägen  den 
Wert  der  Hauptnoten,  und  legt  diese  auf  die  Pausen,  so  korrespondieren 
sie  auch  in  der  Ausdehnung  mit  der  ersten  Phrase,  Takt  13  und  14. 
Harmonisch  ist  gegen  diese  Auffassung  nichts  einzuwenden,  deshalb  kann 
und  muß  hier  die  bekannte  Regel  Agricolas  in  Kraft  treten.     Takt  19. 


Zweiter  Teil. 


195 


Der  Schleifer  ist  möglichst  zart  und  leicht  anbindend  auszuführen.  Takt  20. 
Auch  hier  kann  die  Regel  Agricolas  Anwendung  finden;  die  Hauptnote 
tritt  erst  mit  dem  ersten  Achtel  des  nächsten  Taktes  ein,  so  daß  das  g 
der  Singstimme  durch  den  ganzen  Takt  als  Dissonanz  liegen  bleibt.  Takt  75. 
Der  Vorschlag  d  als  Viertel,  die  Hauptnote  auf  die  Pause.  Ebenso 
Takt  76.  Das  da  capo  kann  auch  hier  nur  an  den  Schlüssen  verändert 
werden.     Etwa  folgendermaßen : 

Takt;  23/24.  Takt  50/51. 


#üi 


nehmt  mein  Hera 


t  W  »MrJEJ 


ä 


poco  rit.        breit 


hi-neinl    o        so  nehmt  mein 


Herz 


hi  -  nein 


Rezitativ:  „Da  nahmen  die  Kriegsknechte",  P.S.211,  Pt.S.  120 


P  t    j    I  g     P    II  is'  p    I    I   11  *=T$=4 


in      das         Rieht- haus 


Pur-  pur-  man-  tel 


und        spra. chen 


Rezitativ:     „Und    da   sie   ihn   verspottet   hatten",    P.   S.  214, 
Pt.  S.  64. 


i   t   i  i p  ^n 


ver-spot  -  tet  hat   -  ten 

Rezitativ  (arioses):  „Ja  freilich  will  in  uns",  P.S. 215,  Pt.S.  123. 


m 


'$=4=4 


ge-zwun  -  gen      sein , 


geht     es       ein 


Arie:  „Komm,  süßes  Kreuz",  P.  S.  216,  Pt.  S.  123. 
Takt  3.     Der  Vorschlag  g  in    der    Viola  da  gamba  Stimme    bildet 
einen  Vorhalt  zum  Baß,  an  den  der  Triller  anschließt: 


Takt  5      Der  Vorschlag  b  lang,    aber   so   daß    die   Hauptnote   noch 
auf  das  dritte  Sechzehnteil   fällt,   damit   die  Baßfigur   deutlich  hervortritt 


3=5 


Der  Vorschlag  f  desselben  Taktes  als  vor  einem  unbetonten  Takt- 
teil kurz,  aber  betont,  als  Dissonanz  zum  Sekundakkord  auf  b. 

13* 


196 


Zweiter  Teil. 


Takt  11  wie  Takt  3.  Takt  12.  Der  Vorschlag  d  der  Gesangs- 
stimme nach  der  Regel  lang,  als  Achtel,  so  daß  die  Hauptnote  eis  mit 
dem  eis  der  Viola  da  gamba  eintritt.  Takt  14.  Der  Mordent  des  vierten 
Sechzehnteiles  ist  bezeichnend.  Wäre  er  nicht  ausgeschrieben,  so  wählte 
jeder  moderne  Sänger  einen  Pralltriller  oder  Schneller.  Er  zeigt,  daß 
Bach  von  dieser  Figur  einen  weit  ausgiebigeren  Gebrauch  macht,  als 
jenem  geläufig.  Takt  17.  Der  Vorschlag  e  als  Achtel.  Takt  18  ent- 
sprechend. Takt  19.  Der  Vorschlag  a  nach  der  Regel  kurz,  und  zwar 
jambisch,  damit  die  unbetonte  Silbe  nicht  sprachwidrig  hervortrete. 
Takt  24.  Nach  Ph.  E.  Bachs  Regel  würde  ich  einen  Mordenten 
annehmen,  also: 


i^fflS^S^ 


3=g=jggjP 


wird  mir    mein  Lei-den 

Takt  26.  Den  Schleifer  weich  an  die  Hauptnote  binden.  Der 
Vorschlag  als  Achtel.  Die  Pause  ist  ausdrucksvoll,  und  muß  eingehalten 
werden.  Takt  29  entsprechend.  Takt  30.  Die  Stelle  „so  hilf  du  mir« 
entspricht  dem  Solo  der  Viola,  Takt  5.  Der  Vorschlag  muß  folgerichtig 
auch  hier  kurz  und  betont  sein.  Takt  32.  Der  Vorschlag  in  der  Viola- 
stimme muß  kurz,  jambisch  sein,  da  er  sonst  die  Dissonanz  d  g  a  in  die 
Konsonanz  d  g  b  verkehrte.  Takt  42  wie  Takt  3.  Die  Gesangsstimme 
muß  sich  der  verzierten  Violastimme  anlehnen,  also: 


^m 


Kreuz 


Takt  43  wie  Takt  12.  Takt  48.  Der  Vorschlag  b  nach  der  Regel 
als  Achtel.     Den  Schleifer    wiederum   weich    an  die  Hauptnote  anbinden. 

Rezitativ:  „Und  da  sie  an  die  Stätte  kamen",  P.  S.  222, 
Pt.  S.  128. 


ft+^H-E-M-  II  i  i|ii  1  *  J»  ^-Wh^-ff-^ 


m 


ver  _  mi-schet     nicht  trin-ken         sei  -  ne       Klei- der        und     hü-te-ten     sein 


^pf^^i^^api^^g 


geschrieben   ei-ner  zur  Lin-ken   gin-gen, lästerten    ihn   und   sprachen  undsprachen 
Rezitativ    (arioses):    „Ach    Golgatha«,    P.  S.    233,   Pt.  S.   136. 


jp  J>  Zf-^f^ 


5 


* 


i 


¥ 


un     -    seel  -  ges      Gol    -    ga  -  tha 


Heil 


der 


Welt 


^U^IfTl'  1 V  "p  -ijf    p    J^  p 


und     auf     Er  -  den        ent  -  zo  _  gen      wer  -  den       schul  -  dig     ster-ben 


Zweiter  Teil. 


197 


Arie  mit  Chor:  „Sehet,  Jesus  hat  die  Hand",  P.  S.  234, 
Pt.  S.  137.  Kretzschmar  bemerkt  zutreffend,  diese  Arie  wirke  auf 
den  naturalistischen  Ausbruch  des  herben  Schmerzes,  mit  dem  das  Arioso 
(Ach  Golgatha)  zu  Ende  ging,  wie  ein  weicher  Balsam.  So  sind  hier, 
im  Einklänge  auch  mit  den  sanften  Bewegungen  der  Oboen  da  caccia, 
scharf  anschlagende  und  trochäische  Vorschläge  zu  vermeiden.  Takt  2 
und  überall,  wo  die  Figur  wiederkehrt,  ein  Pralltriller,  von  oben.  Takt  5. 
Die  Vorschläge  als  Achtel.  Takt  9.  Die  Vorschläge  in  den  Oboen  als 
Viertel.  Takt  10  und  11.  Der  Vorschlag  zu  Beginn  des  Taktes  11 
kann,  als  vor  der  Sechzehnteilduole,  nur  kurz  und  ausschmückend,  also 
jambisch  sein.  Folglich  muß  die  Figur  des  vorangehenden  Taktes,  deren 
Wiederholung  diese  vorstellt,  den  Vorschlag  in  derselben  Weise  mit  sich 
führen.  Beide  Vorschläge  sind  also  kurz  und  jambisch.  Takt  16.  Der 
Vorschlag  nach  der  Regel  als  Sechzehnteil.  Takt  42  wie  Takt  11.  Der 
Vorschlag  b  auf  dem  dritten  Taktteil  hinzuzusetzen.  Takt  43.  Den 
Schluß  ein  wenig  ritardieren,  und  einen  Pralltriller  ausführen,  wie  es 
Peters  anmerkt. 


i 


rfc- 


# — * 


^=* 


Ar 


lllL'Il 


Rezitativ:    „Und    von    der   sechsten   Stunde   an",    P.  S.  246, 
.  140. 


i 


neun  -  ten  Stun  -  de 


Rezitativ:  „Und  siehe  da",  P.  S.  249,  Pt.  S.  143.  Der  Sänger 
hüte  sich  hier  Vorhalte,  Accente,  anzubringen,  die  der  dramatischen  Er- 
regtheit dieser  Erzählung  des  Evangelisten  Abbruch  täten.     Nur: 


J-43M      (I       P-:MHL    I      J^      *       tj      1      j       | 


Stadt       und     er-schie-  nen     vie  -  le 


be  -  wah  -  re  -  ten 


Je  -  sum 


Rezitativ:  „Und  es  waren  viele  Weiber",  P.  S.  260,  Pt.  S.  144. 


und   Ma.ri  -a        und    Je-sus     wel-cner    auch    einJün-gei 


Ga-li-lä-a,     und   Ma.ri  -a        und    Je-sus     wel-cher    auch    ein  Jün-ger 


Rezitativ  (arioses):  „Am  Abend  da  es  kühle  ward",  P.  S.  251, 
Pt.  S.  145. 


^tH-h^-H^  I   m  p  n 


P 


s 


am       A.  -  bend  wie  -  der 


in      dem  Mun  -  de  Zeit 


198 


Zweiter  Teil. 


Takt  9.     Kein  Vorhalt,  weil  die  Stimme  den  Baß  gibt. 


fc^i 


w 


mm 


* 


.le-suni    sehen  -  kcn  o  heil      -      sa-   nies 

Arie:    „Mache   dich,   mein  Herze,   rein",  P.  S.  253,   Pt.  S.  147. 
Takt  4.     Pralltriller  in  den  Oboen   da  caccia,  bezw.  Violinen. 


Takt  8.  Langer  Triller  mit  Nachschlag.  Takt  15  wie  Takt  4. 
Takt  16.  Der  Schleifer  ist  recht  leicht  an  die  Hauptnote  anzubinden. 
Takt  25.  Hier  kein  langer  Triller,  weil  kein  Schluß  erfolgt,  sondern  die 
Koda  anschließt.     Ein  Pralltriller  genügt. 

Takt  51.  Die  Schlüsse  gehen  hier  überall  mit  einer  Lange  und  an- 
schließender Kürze  (J  Jj  aus.  Der  Vorschlag  ist  deshalb  auch  hier  so 
zu  deuten.  Die  Hauptnote  c,  die  natürlich  nicht  als  baßführend  zu  denken 
ist,  würde  also  auf  das  neunte  Achtel,  dissonierend  zu  dem  Septimen- 
akkord auf  es  eintreten,  und  so  das  c  der  Viola  des  nächsten  Taktteiles 
vorwegnehmen.  Ich  gebe  aber  zu,  daß  die  Deutung  des  Vorschlages  als 
Achtel  harmonisch  natürlicher  ist. 

Rezitativ:  „Und  Joseph  nahm  den  Kelch«,  P.  S.  259,  Pt.  S.  150. 


$  m  \  im  §  in1  m  ! !  i  \  i  "|[| '.,  ui 


rein  Lein-wand     nen  Grab      und  die     an-de-re   Ma-ri.a       demRüst-ta-ge 
Rezitativ:  „Pilatus  sprach  zu  ihnen",  P.  S.  267,  Pt.  S.  155. 


und      ver  -»  wah   -    re  -    ten       das         Grab  mit  Hü  -    ter 


Rezitativ:    „Nun  ist  der  Herr«,  P.  S.  268,'Pt.  S.J156. 


j^p?  ncr?p  p  M  ^pü^  ■Mifv  ga 


DieMühist     aus      die  uns-re  Sün-den ihm ge -macht    Ge-bei-ne     tau-sendDan- 
Der  Vorschlag  f  in   der  Altstimme   des   Taktes   5   nur  kurz,   als  Terzen- 
verbindung, das  es  liegt,  hier  sowie  in  der  Oboe  II  und  Violine  II. 

J.  S.  Bach.     Passionsmusik  nach  dem  Evangelisten  Johan,nes. 
(Gesänge  geschlossener  Form.) 

„Von  den  Stricken  meiner  Sünden",  P.  S.  19. 
Takt  11.     Ein  Vorschlag. 


-iSM^tg: 


mei     -     ner 


Zweiter  Teil. 


199 


Takt  16.  Nach  Agrieola  soll  bei  einem  Triller  mit  Nachschlag  auf 
einer  punktierten  Note,  auf  welche  eine  kürzere  folgt,  zwischen  dieser  und 
der  folgenden   kürzeren  ein  „kleiner,   fast   unmerklicher  Aufenthalt"   sein. 


ge      -      bun     --------       den    " 

Takt  20.    Ebenso.     Takt  37.    Die  Vorschläge   zwischen   den   ersten 
beiden  Terzenschritten  kurz,  der  dritte  lang,  nach  Agricolas  Regel: 

Takt   75    kann    man    die    Terz 
durch  einen  Vorschlag  verbinden. 


MtViJ 


l  n  a  j  a 


W 


ent-bin  den     wird 

Takt  80  wie  Takt  16. 


mein    Heil 


Stri    -   cken      inei    -    nen 


Takt  85.  Takt  88. 


f 


ffi.i  — 


von 


den 


von   den 


Takt  95.   Eine  kleine  Auszierung,  die  vielen  gleichgestalteten  Schlüsse 
zu  variieren  «  i 


WS 


g« 


bun 


^ 


den 


„Ich  folge  dir  gleichfalls«,  P.  S.  25,  Pt.  S.  27.  Diese  Arie  ist 
im  Gegensatz  zu  der  vorangegangenen  des  Altes  auf  einen  kindlich- 
tändelnden Ton  gestimmt.  Es  wird  deshalb  angebracht  sein,  hier  einige 
schmückende  Figuren  hinzuzusetzen. 

Takt  37.    Ein  Anschlag.  Takt  40.    Ein  Pralltriller. 


^m  nn 


~^^. 


Le  -   ben 


Liebt 


mein 


Licht 


Takt  50.  Der  Vorschlag  nach  der  Regel  als  Sechzehnteil.  Takt  53. 
Der  Vorschlag  ein  Achtel.  Takt  56  wie  50.  Takt  64/65.  Die  Ton- 
malerei auf  „schieben"  ist  durch  Binden  und  Anhauchen  der  Noten 
gleicher  Tonhöhe  zu  unterstützen. 

Takt  80  ff. 


jr1'  M  Q  §  pü  r    i 

be      -      för  -   dre      den  Lauf      un 


W. 


m 


* 


hö    -     re  nicht 


m 


auf 


200 


Zweiter  Teil. 


Takt  84  und  85  wie  Takt  50  und  53.  Takt  103.  Ein  Pralltrillei . 
Der  da  capo-Teil  ist  ausgeschrieben  und  bedarf  keiner  Zusätze.  Auch 
der  Schluß  ist  bereits  mit  einer  melismatischen  Wendung  versehen,  so  daß 
eine  Kadenz  nicht  beabsichtigt  erscheint. 

„Ach,  mein  Sinn",  P.  S.  34,  Pt.  S.  41.  Diesem  herzlichen,  edlen 
Gesänge  mögen  nur  wenige  Yerzierungen  beigesetzt  werden.  Es  kommt 
alles  auf  die  Ausführung  der  Vorschläge  an.  Die  ersten  Violinen  zeigen, 
Takt  1,  das  instrumentale  Zeichen  des  Accentes.  Das  Klavier- Büchlein 
Wilh.  Friedemann  Bachs  gibt  die  Lösung  als  Achtel  (vergl.  Dann- 
reuther  a.  o.  O.  I,  S.  162).  Das  stimmt  mit  der  allgemeinen  Praxis 
überein,  und  ich  sehe  keinen  Grund  hier  von  ihr  abzuweichen.  Man 
könüte  auch,  wie  Dannreuther,  a.  o.  0.,  S.  176,  an  einen  trochäischen, 
kurzen  Vorschlag  denken,  der  mir  aber  für  diese  Stimmung  auch  an  den 
anderen  Stellen  zu  herb  erscheint.  Takt  3  und  6.  Pralltriller.  Takt  9 
und  11.  Vorschläge  und  Triller,  Auflösung  bei  Dannreuther  a.  o.  O., 
S.  180.  Takt  17.  Es  ist  nun  die  Frage,  ob  die  Gesangsstimme  den 
Accent  hinzuzufügen  habe.  Ich  möchte  sie  bejahen.  Der  Ausgabe  der 
Bachgesellschaft  liegt,  bis  auf  die  ersten  dreißig  Seiten,  kein  Autograph, 
sondern  nur  eine  von  Bach  revidierte  Abschrift  zu  Grunde.  Es  ist  also 
leicht  möglich,  daß  er  die  Hinzufügung  übersehen  hat.  Aber  auch  wenn 
das  nicht  der  Fall,  durfte  er  sich  für  die  Ergänzung  auf  den  Sänger  ver- 
lassen. Und  sie  scheint  mir  durchaus  geboten.  Der  Vorschlag  erhöht 
hier  sehr  wesentlich  den  Ausdruck  der  Klage: 


J{ 


Viol.I. 


Viol.II.u. 
Viola. 


Tenor 


Bass 


*£ 


S 


*£ 


V    f    if- 


** 


Ach, 


mein 


-^ 1 1  > — 


*\ 


o 


W- 


f 


f- 


Sinn 


f^ 


Takt  19.  Die  Gesangsstimme  möge  den  Pralltriller  der  ersten 
Violine  nicht  mitmachen,  die  schlichte  Ausführung  steht  ihr  besser  an. 
Takt  29.  Das  Accentzeichen  deutet  wohl  einen  Achtelvorschlag  an. 
Takt  39.      Hier   kann    die    Singstimme    den   Schleifer    der   ersten   Violine 


Zweiter  Teil 


201 


unbedenklich  einschalten.  Takt  40.  Der  Vorschlag  der  ersten  Violine 
als  Viertel.  Takt  42  ebenso.  Takt  49.  Der  Vorschlag  in  der  Violine 
ein  Viertel,  die  Hauptnote  auf  die  Pause.  Takt  51  ebenso.  Takt  52 
der  Vorschlag  wie  im  Hauptthema  ein  Achtel.  Takt  60.  Der  Vorschlag 
an  die  Stelle  der  Hauptnote.  Ebenso  Takt  62.  Takt  63.  Auch  hier 
rate  ich  nicht,  die  Stimme  den  Triller  der  Violine  mitmachen  zu  lassen. 
Größte  Einfachheit  steht  diesem  Gesänge  am  besten  an.  Takt  66.  Vor- 
schläge von  unten,  die  nicht  die  vorhergehende  Note  wiederholen,  kämen 
nach  Agricola  -  Bach  überhaupt  nicht  vor.  Das  ist  nun  freilich  ein 
Irrtum,  aber  zu  Seb".  Bachs  Zeit  sind  sie  jedenfalls  höchst  selten,  bei 
Gluck  werden  wir  ihnen  öfter  begegnen.  Jedenfalls  können  sie  hier  nur 
rein  ornamental,  also  kurz  gemeint  sein.  Takt  68.  Der  Vorschlag  ist 
hier  wohl  ausschmückend,  kurz  gemeint.  Takt  70.  Das  Zeichen  bedeutet 
einen  Schleifer,  vgl.  Dannreuther  a.  o.  0.,  S.  162  ff. 

Takt  71.  Der  Vorschlag  der  ersten  Violine  nach  der  Regel  an  die 
Stelle  der  Hauptnote.  In  der  Singstimme  würde  ich  vor  dem  Leiteton, 
dis,  einen  Vorhalt,  e}  als  Viertel  einschieben.  Der  so  entstehende  doppelte 
Vorhalt  eignet  sich  in  seiner  Herbheit  vorzüglich  zu  der  Stimmung: 


j^rii  J— ^4J 


Takt  82  entsprechend: 


ms 


355 


rf 


I 


JJ3Z 


t 


n: 


ü 


fefe 


M  Hjt  t  r 


^^ 


Knecht 


»Jag 


S 


den    Herrn    ver-  leu£ 


^^ 


202 


Zweiter  Teil. 


Takt  84.    Auch  hier  gilt  der  Vorschlag  ein  Viertel.    Die  Einführung 
eines  Vorhaltes  in  der  Singstimme   ergibt  wieder   eine   schöne  Dissonanz: 


Arioso:    „Betrachte  meine  Seel",  P.  S.  55,  Pt.  S.  57. 

Takt  1.  Die  Violen  schreiten  unausgesetzt  in  Achteln.  Diese  Be- 
wegung zu  unterbrechen  ist  sicherlich  nicht  der  Zweck  des  Vorschlags  d. 
Er  werde  also  kurz,  jambisch  ausgeführt.  Takt  4.  Auch  ohne  das 
Accentzeichen  würde  der  Sänger  hier  das  erste  a  durch  b  ersetzen. 
Takt  7.  Wieder  ein  Accent,  g  statt  des  ersten  fis,  Takt  8.  Die  Noten 
eis  eis  sind  beizubehalten,  weil  sie  die  Harmonie  des  Sextakkordes  e-g-cis 
ergeben,  in  den  die  Violen  ihr  f  ja  des  vorangegangenen  Akkordes  nach- 
halten. Auch  ergäbe  ein  Vorhalt  d  in  der  Gesangsstimme  eine  Quinten- 
folge mit  den  Violen.  Takt  9.  Accent  c,  ein  Achtel.  Takt  11.  Accent 
b  statt  as  auf  dem  dritten  Viertel,  die  Auflösung  also  mit  den  Violen. 
Takt  14.  Der  Accent  natürlich  hier  als  Sechzehnteil.  Takt  16.  Der 
Accent  als  Achtel. 

„Erwäge",  P.  S.  57,  Pt.  S.  59.  Takt  1.  Der  Vorschlag  c  als  Achtel 
auf  den  Septimenakkord.  Takt  6.  Ebenso.  Takt  8.  Der  Vorschlag  nach 
der  Regel  ein  Achtel.  Takt  38.  Dieses  Zeichen  der  Instrumentalmusik  ist 
nach  W.  Friedemann  Bachs  Klavierbüchlein  ein  Vorschlag  mit  Triller, 
bezw.  Pince\  und  wäre  auszuführen: 


I 


«5=» 


Gna 


den 


Will  man  nicht  annehmen,  daß  diese  klavieristische  Verzierung  ge- 
meint sei,  so  bleibt  nur  die  Deutung  eines  Trillers  mit  Vorschlag  in 
vokalem  Sinne,  also: 


fe 


i 


Gna     - 


Zweiter  Teil. 


203 


Jedenfalls  darf  sie  nur  den  Wert  der  Hauptnote  einnehmen,  das 
dritte  Achtel  aber  muss  der  Hauptnote  c  selbst  verbleiben,  damit  der  Halbton- 
schritt deutlich  hervortritt.  Die  erste  Lösung  entspricht  dem  harmonischen 
Verlauf  besser;  sie  löst  den  Septimenakkord,  konform  den  Begleitungs- 
figuren, auf  dem  zweiten  Achtel  auf.  —  Die  polyphone  Anlage  des 
Stückes  verbietet  im  da  capo  jede  Veränderung,  die  überdies  im  12/8-Takt 
überhaupt  wenig  gebräuchlich  war. 

„Es  ist  vollbracht«,  P.  S.  104,  Pt.  S.  108.  Dem  trauernden, 
schwermütigen  Grundton  dieses  herrlichen  „Molto  Adagio"  gerecht  zu 
werden,  müßten  die  Vorschläge  seines  Hauptmotivs  lang  ausgeführt 
werden,  wie  man  sie  zumeist  auch  in  der  Praxis  hört.  Ich  möchte  ihnen 
zwei  Dritteile  bezw.  drei  Vierteile  der  Hauptnote  zuweisen,  in  Berück- 
sichtigung der  Bemerkung  Agricolas,  daß  der  Affekt  bisweilen  erfordere, 
sie  länger  als  die  Hälfte  zu  halten: 

Takt  1   und  2. 

Viola  da  gamba 

J 


i  Sol°      /*T^      Fnr^     r  -    ,1         ^r-s 


g^pi 


Ü 


iE 


^s? 


^ 


l 


Und  so  überall,  wo  die  Figur  wieder  erscheint.  Der  Vorschlag,  Takt  2, 
kurz  betont.  Takt  4.  Der  Vorschlag  darf  vor  g  nur  kurz  sein,  wie  der- 
jenige am  Anfang  des  Taktes  2,  damit  auch  hier  die  punktierte  Bewegung 
nicht  alteriert  werde.  Takt  5.  Der  zweite  Vorschlag  fehlt  in  der  Ge- 
sangsstimme. Er  kann  nur  durch  Flüchtigkeit  des  Kopisten  weggeblieben 
sein.  Jedenfalls  müssen  wir  ihn  ergänzen.  Ohne  ihn  verliert  die  Phrase 
alles  an  Eindringlichkeit.  Auch  die  Beantwortung  durch  die  Viola,  die 
ihn  aufweist,  und  die  Wiederholung  Takt  12,  wo  er  notiert  ist,  berechtigt 
uns  hierzu.  Takt  6.  Das  oben  bereits  (Matth.- Passion  „Erbarme  dich" 
S.  190)  erwähnte  Zeichen  des  Schleifers,  also:  a  li  c.  Takt  7.  Der  Vorschlag 
nach  der  Regel  als  Achtel.  Takt  9.  Ein  Pralltriller.  Takt  10.  Hier  ist 
der  Vorschlag  mit  einem  Triller,  natürlich  einem  Pralltriller  kombiniert, 
also  Triller  mit  appuy.  Takt  12.  Der  Vorschlag  vor  du  muß  hier  gleich- 
falls möglichst  lange  gehalten  werden,  also  mindestens  ein  Achtel. 
Takt  15.  Pralltriller  auf  gü.  Takt  16.  Das  Motiv  der  Violastimme  bleibt 
natürlich   in   der   geschilderten   Ausführung.     Es   fragt   sich   nur,    wie   der 


204 


Zweiter  Teil. 


Vorschlag  der  Gesangsstimme  mit  ihm  in  Einklang  zu  bringen  ist.  Die 
natürlichste  Lösung  ist,  ihn  als  terzenverbindend  kurz  zu  nehmen,  so 
daß  das  eis  als  übermäßige  Sext  zu  dem  gls  des  Basses  eintritt,  und 
der  Vorschlag  der  Viola  eis  zu  diesem  Sextakkord  einen  Vorhalt  bildet, 
der  sich  sogleich  in  die  Terz  h  auflöst.  Gestaltete  man  den  Vorschlag 
der  Gesangsstimme  gleichfalls  lang,  also  als  punktiertes  Sechzehnteil,  oder 
als  Zweidritteil  einer  Triole,  so  entständen  einmal  Quartengänge,  die  nicht 
gut  klängen,  und  das  eis,  das  als  Vorhalt  zu  fis  zu  dem  Septimenakkord 
auf  h  dissoniert,  entfiele  auf  die  Arsis,  statt  die  Thesis  einzunehmen.  Ich 
stelle  zur  Übersicht  beide  Lösungen  nebeneinander: 


Falsch  . 


Richtig 


S 


die       Trau    -       er  -  nacht 


I 


die      Trau 


er  -   nacht 


I 


» 


4 
2 


8  *  *  1 

5 


Ar 

\ 


Der  Vorschlag  vor  dem  vierten  Viertel  der  Violastimme  ist  wiederum 
nur  ornamental,  kurz  gemeint,  wie  Takt  2  und  4.  In  dem  Händeischen 
Charakter  tragenden  Mittelsatz  keine  Veränderungen.  Die  Vorschläge  des 
gekürzten  da  capo  wieder  lang,  ausdrucksvoll  betont.  Takt  40.  Als  Achtel. 
Takt  44.    Sehr  lang,  als  Fermate. 

„Mein  teurer  Heiland*,  P.  S.  108,  Pt.  S.  112.  Das  immer 
wiederkehrende  Motiv  des  Stückes  trägt  auf  dem  achten  Achtel  das 
Zeichen  tr.  Den  Sextensprung  zu  wahren,  wird  man  von  einem  mit  der 
oberen  Hilfsnote  einsetzenden  Pralltriller  —  ein  Volltriller  kommt  nicht 
in  Betracht  —  absehen.  Aber  auch  ein  Mordent  erfüllt  den  Zweck  nicht. 
Denn  offenbar  bezweckt  die  Figur  eine  Verbindung  dieser  hier  ab- 
schließenden Phrase  mit  der  anschließenden,  und  eine  Zerlegung  des 
Leitetones.  Der  weichen,  hingebenden,  ich  möchte  fast  sagen  wiegenden 
Bildung  der  Melodie  entspräche  nun  ein  Doppelschlag  vorzüglich.  Wir 
erinnern  uns,  daß  unter  dem  Zeichen  tr  auch  diese  Verzierung  zuweilen 
verstanden  wurde.  Will  man  sich  indessen  zu  dieser  Annahme  nicht 
entschließen,  so  bleibt  nur  ein   der  Hauptnote  angehängter  Pralltriller,  der 


Zweiter  Teil. 


205 


ganz    kurz  so   auszuführen   ist,    daß    der  Leiieton    sofort    wieder  erreicht 
wird.    Also: 


oder 


Mein       teu     -      rer     Hei    -    land 


lass 


dich 


n  i   i  r  r  r  r  r  r  fr   g  4 


s 


Mein        teu     -     rer     Hei  -    land 


lass 


dien 


Takt  15.    Der  Vorschlag  nach  der  Regel  als  Achtel.    Ebenso  Takt  19. 

„Zerfließe,  mein  Herze",  P.  S.  114,  Pt.  S.  118.  Fein  bezeichnet 
Kretzschmar  (Führer  II  1.  S.  81)  diese  Arie  als  eine  wundervolle 
Mischung  barocker  Formen  und  bewegtester  Romantik  in  dem  Ausdruck 
der  Trauer.  Barock  ist  auch  die  Melismatik,  die  Schleifer,  auf-  und  ab- 
wärts, auf  denen  der  motivische  Gehalt  vorzüglich  beruht.  Ganz  eigen 
ist  seine  Verlegung  auf  einen  unbetonten  Taktteil  und  unbetonte  Silbe 
im  Thema  selbst.  Im  Aufsteigen  und  auf  der  Thesis  wird  er  allemal 
rhythmisch  sehr  präzis  auszuführen  sein,  aber  doch  unter  Vermeidung 
jeder  schroffen  Härte,  die  dem  Grundton  nicht  entspräche.  Takt  20.  Die 
Duole  überall  mit  leichter  Betonung  der  ersten  Note.  Takt  29.  Die 
wiederholten  Noten  leicht  anhauchen!  Ebenso  Takt  32.  Takt  34.  Den 
gehaltenen  Ton  der  Singstimme  leicht  an-  und  abschwellen,  mitgehend 
mit  der  Bewegung  der  Instrumente.  Takt  35/36.  Der  Bogen  in  der 
Flötenstimme  ist  ein  Irrtum,  da  er  den  Schleifer  des  Taktes  36  zerstört. 
Wiederum  ein  Schwellton.  Takt  50.  Triller  ohne  Nachschlag,  den  das 
ausgeschriebene  Sechzehnteil,  e,  ersetzt.  Takt  63.  Der  Vorschlag  als 
Achtel.  Takt  67.  Der  springende  Vorschlag  soll  hier  deklamatorisch 
wirken,  und*  das  Wort  „Not"  hervorheben,  also  kurz,  trochäisch,  als 
Zweiunddreißigteil.  Takt  68.  Die  Quartole  muß  rhythmisch  gewahrt 
werden.  Der  Vorschlag  tritt  also  vor  dem  ersten  Taktteil,  jambisch, 
ein.  Takt  70.  Der  Vorschlag  der  Oboe  ein  Achtel.  Takt  74.  Diese 
ergreifende  Stelle  ende  mit  einem  langen  Vorschlag,  ein  Achtel,  poco 
ritardando.  Takt  89.  Der  Vorschlag  ein  Achtel,  die  Hauptnote  auf  das 
as  des  Basses.  In  der  vollständig  ausgesetzten  Repetition  kann  bei  der 
komplizierten  Stimmführung  von  Varianten  keine  Rede  sein.  Takt  99/100 
können  in  den  Singstimmen  vor  as  und  /  die  kurzen  verbindenden  Vor- 
schläge h  und  (j  eingefügt  werden.  Der  Bogen  in  der  Flötenstimme 
scheint  mir  hier,  und  Takt  105/106,  irrig.  Takt  107/108.  Die  wieder- 
holten Noten  leicht  anhauchen.     Takt  124.    Das  Pausieren  der  Instrumente 


206 


Zweiter  Teil. 


deutet  auf  die  Erlaubnis   einer  ausschmückenden,   abschließenden  Formel 
im  Zeitmaß,  ritardando,  etwa: 


P  0  U^d^ 


Hoch  -   sten        zu 


Eh    -    ren 


Kapitel  IY. 
Ch.  W.  Gluck. 

Die  Ausschreitungen  der  italienischen  Opernpraxis  hatten  bereits 
im  Kreise  der  neapolitanischen  Schule  durch  Hasse,  Traetta,  Perez, 
Jomelli,  Majo  u.  A.  zu  einer  Abkehr  geführt.1)  Aber  erst  der  deutsche 
Meister  sollte  mit  ihr  endgültig  brechen.  War  schon  im  „Telemacco"  das 
Bestreben  zu  Tagegetreten,  den  Stil  nach  der  Seite  des  musikdramatischen 
Ausdrucks  hin  zu  vertiefen,  so  vermochte  doch  erst  die  gemeinsame  Arbeit 
mit  einem  Dichter,  der,  wie  Calsabigi,  die  Mängel  der  italienischen 
Oper  durchschaute,  und  an  die  Stelle  schönrednerischer  Yergleiche  und 
Sentenzen  Handlung  und  Leidenschaft  setzte,  seine  Begabung  zu  völliger 
Entfaltung  zu  bringen. 

Ich  habe  mich  hier  darauf  zu  beschränken,  die  Stellung  zu 
präzisieren,  die  der  Reformator  Gluck  gegenüber  dem  Fioriturenwesen 
einnahm.  Daß  er  auf  eine  strikte  Einhaltung  seiner  Niederschrift  hielt, 
und  sich  Zusätze  ausschmückender  Art  verbat,  wissen  wir,  wenn  es  uns 
nicht  schon  der  Geist  seiner  Musikdramen  lehrte,  aus  der  Yorrede  zur 
Alceste.  Wir  haben  uns  also  in  der  Regel  damit  zu  begnügen,  seine 
Zeichen,  insbesondere  die  der  Yorschläge  und  anderer  Yerzierungen,  zu 
interpretieren,  und  zwar  den  Normen  gemäß,  unter  deren  Geltung  er,  wie 
alle  seine  Zeitgenossen,  von  ihnen  Gebrauch  machte.  Indessen  ist  seine 
Ablehnung  reproduktiver  Ergänzung  doch  nicht  auf  alle  Teile  seiner 
musikdramatischen  Kompositionen  zu  beziehen.  Wie  ich  bereits  in  der 
Einführung  erwähnte,  finden  sich  hier  nämlich  häufig  Gesänge,  die  in 
Anlage  und  Eigenart  nicht  dem  in  der  Regel  herrschenden  pathetisch- 
deklamatorischen Stil  angehören,  sondern  entweder,  in  anmutigem  Rokoko 
gehalten,  zu  jenen  in  bewußtem  und  wirksamem  Gegensatz  stehen,  wie  die 
Arie  des  Amor  „gli  sguardi  trattieni"  im  „Orfeo",  und  diejenige  der 
Klytämnestra  nQue  faime  ä  voir"  in  der  „Iphüjenie  en  Aulide",  oder  sich 
doch,  wie  Orfeos  nG7ie  färb  senz'  Euridice"  an  die  zeitübliche  Thematik 
und    Form    in    hohem    Grade    anlehnen.      Ihnen    die    gleiche  Ausnahme- 


l)  Die  Besprechung  dieser  Periode  der  italienischen  Operngeschichte,  etwa  die  Jahre 
1740  —  80  umfassend,  muss  dem  zweiten  Bande  dieses  Werkes  vorbehalten  werden,  und  wird 
als  Einführung  in  die  Mozartsche  Kunst   bebandelt  werden. 


Zweiter  Teil.  207 

Stellung,  wie  den  anderen  Partien,  einzuräumen,  sehe  ich  keinen  Grund. 
Sicher  hat  Gluck,  wo  er  eine  dem  „galanten  Stil"  genäherte  Schreib- 
weise wählte,  auch  auf  die  ihm  gebührende  Behandlung  gerechnet.1) 
Wir  werden  deshalb  in  solchen  Fällen  zu  dem  Gebrauch  ornamentaler 
Akzidenzen  in  dem  Sinne  berechtigt  sein,  daß  sie  dort  ihren  Platz  finden, 
wo  sie  die  melodische  Linie  in  einer  unserem  Ohre  reizvollen  Weise  zu 
verbessern  sich  eignen.  In  jenen  zierlichen,  auf  den  Liebreiz  des  Melos 
gestellten  Arien  werden  wir  mehr  wagen  dürfen,  als  dort,  wo  zwar  die 
melodische  und  formale  Behandlung  der  italienischen  Oper  vorliegt,  doch 
aber  eine  ernste  Stimmung  anklingt.  —  Ich  gebe  im  folgenden  die 
Bearbeitungen  des  „Orfeo"  und  der  „Ipläyenie  en  Atriale".  Mehr  als 
bei  jedem  andern  Meister  muß  bei  Gluck  der  Stimmungsgehalt,  sei  es 
des  Gesamtverlaufes,  sei  es  der  einzelnen  Stelle  für  die  Auslegung  maß- 
gebend sein.  Ebenso  beansprucht  seine  auf  deklamatorische  Wirkungen 
basierte  Musik  überall  eine  gewissenhafte  Berücksichtigung  des  Verhältnisses 
des  W7ortes,  oder  Satzes  zur  musikalischen  Phrase. 

Orfeo  ed  Euridice.  • 

Diese  Oper  ist  uns  bekanntlich  in  zwei  Fassungen  überkommen. 
Calzabigi  lieferte  den  Text.  Sie  kam  am  5.  Oktober  1762  in  Wien 
zur  Erstaufführung.  Das  Manuskript  bewahrt  die  K.  K.  Hofbibliothek 
in  Wien.  Nach  Glucks  Übersiedlung  nach  Paris  (1763)  erschien  sie 
unter  gleichem  Namen  mit  dem  Zusatz:  Azione  tlteatrale,  und  in  drei 
Akte  eingeteilt,  im  Druck.  In  dieser  Partitur  ist  die  Partie  des  Orfeo 
für  Oontraalto  geschrieben,  wie  sie  in  Wien  gesungen  worden  war. 
Zwölf  Jahre  später  unternahm  der  Komponist  eine  Umarbeitung,  die  in 
erster  Linie  durch  die  Übersetzung  des  Meline  ins  Französische,  dann 
aber  durch  die  Übertragung  der  Partie  des  Orfeo  an  einen  Tenoristen 
(Le  Gros)  bedingt  war.  Sie  erschien  kurz  darauf  im  Druck  (1774). 
Wir  dürfen  also  die  Ausgabe  von  1764  als  die  endgültige  Fassung  der 
italienischen,  diejenige  von  1774  als  die  authentische  der  französischen 
Bearbeitung  betrachten.  Im  Jahre  1859  bearbeitete  Berlioz  die 
französische  Ausgabe  für  die  Altstimme  der  Pauline  Yiardot-Garcia. 
Er  wollte  die  Bereicherung  der  französischen  Bearbeitung  durch  Chor- 
sätze, Ballets,  und  einige  Arien,  nicht  missen,  und  so  entstand  eine  Ver- 
quickung beider  Fassungen,  die  als  durchaus  gelungen  bezeichnet  werden 
muß.    Auf  Berlioz'  Arbeit  beruht  die  Partitur- Ausgabe  Dörffels. 


l)  Das  will  Kretzschmar  andeuten,  wenn  er  meint,  diese  Vorrede  zur  Alceste  »scheine 
der  Ausfluss  augenblicklicher  Verstimmung  und  Gereiztheit«.  (Aus  Deutschlands  italienischer 
Zeit,  Jahrbuch  Peters   1901,  S.  54.) 


208 


Zweiter  Teil. 


Ich  halte  mich  hier  an  die  von  Gluck  selbst  redigierte  endgültige 
Fassung  der  italienischen  Ausgabe  von  1764,  die  auch  den  meisten  Aus- 
fuhrungen unserer  Zeit  zu  Grunde  liegt  (A).  Als  Auslegungsmateriai 
benutze  ich  die  große  französische  Ausgabe  des-  Pelletan,  der  die  Aus- 
gabe von  1774  zu  Grunde  liegt  (HJ,  die  Dörffelsche  Partitur  (C) 
und  eine  alte  Handschrift  im  Besitze  der  Mainzer  Liedertafel,  die  mir 
Herr  Prof.  F.  Volbach  gütigst  zur  Verfügung  stellte  (DJ.  Peters'  Klavier- 
auszug benutzt  die  Partitur  A. 


§ 


A.S.15.  peters  S.9 


j    §    ff   ES  J1'  i  Eggj    J^ 


£3?=g 


1 1  g  I J 


m 


$ 


w 


Ba-sta,  ba-sta  8        a-  gra-va  il 


iaio 


fio-ri 


il  mar-mo 


M 


om-bre 


3 


t 


TT- 


N 


1F 


A.  S.  20,  Pt.  S.  12  Nr.  5.  Takt  3.  Der  Vorschlag  lang,  unison 
mit  den  Violinen.  Takt  4.  Ein  Vorschlag,  Vorhalt  von  unten,  e,  einzu- 
schalten,  der  in  A  fehlt: 


A.S.  20.  P.  S.  2.N95 


W  p  Jll^J-J 


^ 


±=L, 


Chia  -  mo  il  mio      ben    co    -      si 


Takt  6  und  7  bestimmen  ebenfalls  die  Flöten  und  Violinen  die 
Geltung  der  Vorschläge.  Bei  den  Wiederholungen  Sechzehnteile  statt 
der  Zweiunddreißigteile 


j1,  Cr  g  '^§ 


mo     -      stra  il    di 

Takt  12.     Vor   der  ersten   Note  e  fehlt  in  A   der  Vorschlag  /,  den 
die  anderen  Partituren  richtig  ergänzen. 


I 


5 


quan    -     do 

Takt  17  und  18.  Der  Vorschlag  auf  dem  dritten,  also  unbetonten 
Taktteil  nach  der  Regel  kurz,  der  vor  dem  ersten  Taktteil  des  Taktes  18 
als  vor  einem  betonten  Taktteil  lang,  auch  mit  Rücksicht  auf  die  Rhythmik 


Zweiter  Teil. 


209 


des  Nachsatzes    (Takt  21).     Den   kurzen   Vorschlag  würde  ich  nach   der 
Regel  Agricolas    betont,    etwa    als   Dritteil   einer   Triole  ausfuhren: 

3 


$ 


p 


Ma,oh   van  -  no  uiio 

Takt  20.  Der  Vorschlag,  der  in  B  und  C  fehlt,  kann  nur  kurz 
jambisch  sein,  trochäisch  gäbe  er  der  unbetonten  Silbe  „da"  sprach- 
widrige Betonung. 

A.  S.  22,  Pt.  Nr.  6.  Takt  1  bis  3.  Lang  gehaltene  Vorschläge, 
b  zu  öw,   und   c  zu    />,   ebenso   im    Echo.     Takt   6.     Wieder   ein    Vorhalt. 

Takt  7.  Ein  leichter,  aber  auf  den  Baß  fallender  Schleifer.  Der 
Vorschlag  g  als  vor  einem  unbetonten  Taktteil  kurz.  Takt  8.  Hier  ist 
einmal  der  Vorschlag  in  der  Singstimme  ausgeschrieben;  die  kleine  Note 
in  den  Instrumenten  richtet  sich  nach  ihm.  Takt  11.  Der  übliche 
Vorhalt. 

A.  S.  25,  Pt.  S.  15  Nr.  8.  Takt  7.  Der  Vorschlag  als  Achtel,  ebenso 
im  Echo.  Takt  10.  In  der  Singstimme  ist  der  Accent,  also  h  statt  des 
ersten  a,  anzuwenden,  wie  ihn  das  Echo  vermerkt.  Hier  liegt  bereits  eine 
Übertragung  der  späteren  Rezitativnotation  auf  andere  Gebiete  vor.  Takt  13. 
Der  Vorschlag  lang,  ausdrucksvoll,  also  ein  Viertel.  Takt  14.  Accent, 
ebenso  im  Echo.  Takt  18.  Der  erste  Vorschlag  ist,  als  vor  einer  un- 
betonten Note,  kurz.  Das  Echo,  Takt  19,  weist  vor  (j  einen  Vorschlag, 
als  Viertel  notiert  auf,  der  in  der  Singstimme  fehlt,  also  ergänzt  werden 
muß.  Wie  aber  ist  er  auszuführen?  Überall  sonst  sind  hier  die  Vor- 
schläge als  Achtel,  nur  hier  ist  er  als  Viertel  gedruckt.  Das  ist  kein 
Zufall.  Offenbar  soll  er  als  langer  dissonierender  Vorhalt  gelten,  der 
auch  vortrefflich  zur  Stimmung  harmoniert.  Er  träte  dann  an  die  Stelle 
der  Hauptnote.  Im  letzten  Takt  würde  ich  den  Accent  anwenden,  und 
im  Echo  hinzufügen: 


i 


£ 


* 


f 


^m 


Ca  -    ra    Eu 


n  - 


^S 


±^r+&H 


di  -  ce 


>r 


Will  man  indessen  der  Notierung  des  Vorschlages  als  Viertel  kein 
Gewicht  beilegen,  und  sich  an  die  Regel  halten,  daß  Vorschläge  zwischen 
Terzen  unveränderlich  sind,  so  muß  jedenfalls  der  Vorschlag  a,  Takt  18, 
der  Singstimme  interpoliert  und  kurz-jambisch  ausgeführt  werden. 

14 


210 


Zweiter  Teil. 


A.  S.  29,  Pt.  S.  17.  Für  dieses  Rezitativ,  sowie  für  dasjenige  der 
Szene  II,  sei  besondere  Sorgfalt  in  der  Anwendung  des  Accentes 
empfohlen.  Entschieden  von  ihm  absehen  würde  ich  in  Takt  19  „nel 
vostro  cuore",  wo  er  die  Wirkung  des  verminderten  Septimenakkordes  ab- 
schwächte. 

A.  S.  31,  Pt.  S.  19  Nr.  10.  Bei  der  Stelle  „in  abbondonou  kein  Vorhalt! 

A.  S.  35,  Pt.  S.  20  Nr.  11.  Bei  Gluck  stoßen  nicht  selten  starke 
Gegensätze  aufeinander.  Wie  in  der  „Iphig^nie  en  Aulide"  auf  die  ge- 
waltigen, hochdramatischen  vier  Szenen  des  ersten  Aktes,  in  denen  der 
Reformator  mit  wuchtigen,  ergreifenden  Tönen  zu  uns  spricht,  die  graziöse, 
im  lieblichsten  Rokoko  gehaltene  Arie  der  Klytämnestra  folgt,  in  der  sie 
des  freudigen  Empfangs  des  Volkes  sich  freut,  der  ihr  und  der  Tochter 
bereitet  wurde,  so  unterbricht  hier  die  Tragik  der  Vorgänge  eine  ganz  im 
Genre  des  französischen  Singspiels  erfundene  Arie  des  Amor,  der  Orpheus 
die  seligsten  Tage  verspricht,  wenn  er  sich  dem  Willen  der  Götter  füge. 
Die  textliche  Unterlage  gab  keine  Veranlassung,  diesen  Ton  anzuschlagen. 
Wohl  dachte  Gluck  daran,  den  Liebesgott  in  seinem  unwiderstehlichen 
Zauber  zu  charakterisieren.  Gleichviel,  wir  stehen  hier  vor  einem  Gebilde, 
das  der  traditionellen  Ausdrucksweise  der  Oper  entsprach  und  als  solches 
behandelt,  also  nicht  genau  nach  der  Niederschrift,  sondern  verziert  vor- 
getragen werden  will.  Schon  die  Form  regt  dazu  an,  die  sich  dem  Rondo 
nähert,  indem  der  dreimaligen  Wiederholung  des  Hauptthemas  zwei  lang- 
samere, thematisch  gleich  gesetzte  Sätze,  einmal  in  der  Dominante,  dann 
tonisch  eingeschoben  sind.  Diese  Mittelsätze  sind  in  den  Instrumenten  reich 
verziert,  und  es  läge  nahe,  wenigstens  bei  der  Wiederholung  in  der  Tonika, 
diese  Ausschmückungen  einfach  in  die  Gesangsstimme  zu  übernehmen.  Das 
gäbe  indessen  gesanglich  ein  allzu  maniriertes  Bild.  Deshalb  möchte  ich 
empfehlen,  die  Gesangsstimme  im  ersten  Mittelsatz  unverändert  zu  lassen  und 
in  der  tonischen  Wiederholung  nur  einige  diskrete  kleine  Verzierungen  hin- 
zuzufügen. Was  die  Hauptsätze  betrifft,  so  möchte  ich  die  ersten  beiden 
unverändert  lassen  und  nur  dem  dritten  durch  einige  Zusätze  einen  leb- 
hafteren Aufschwung  sichern.  Ich  bemerke,  daß  alle  Verzierungen  der 
Instrumentalstimmen  mit  dem  Baß  zusammenfallen!  Wiederholung  des 
Mittelsatzes  in  der  Tonika.     Andante. 


i'j- y  Mi)  p i|J- pi'  \f-j^^^m 

Sai  pur-cne  ta  -    lo  -  ra  con  -   fu  -  si»tre-  man-ti,  coa        Chi  glin-mi 


tre  -  man-ti,  coa        Chi  gl  in-na- 


iy . MH|i t,  i  r  !>,-!,  w{  { r  \vttt\tjfgmm 

mo-rason       cie-«hi  glia  -  man-ti, non    san-nopar-larj  con  -  fu-si tre- 


Zweiter  Teil. 


211 


ja 


f)  li  i1  H   M    IF  11  D  IT  F  J  lnF^p 


inan-ti,  son        eie- chi  glia  -  man- ti,  con      chi    glm-na     -     mo  -  ra  non 


prallender  Doppelschlag 


Ä5 


^^iJ^Lh^n  riTPMV^^rrtrl 


san-no  par-lar,  con      chi  gl'in-na    -     mo-ranon    san-no  par  -  lar,  non 

Dritte  Wiederholung  des  Hauptsatzes- Sostenuto. 


san     -     noüar-lar.  mi  seuar     -     ri  trat  -  tie.ni 


mi  sguar    -     di  trat  -  tie-ni 

geschnellter  Doppelschlag 


af 


if'rriniiri  i' >pMv\%n3mfc 

fro      -        naeliac-  cen-ti,che    DO-chi   momen-tihai         niiidane-nar 


nagliac- cen-ti,che    po-chi   momen-tihai         piiidape-nar 

Ich  bemerke,  daß  alle  kurzen  Vorschläge  jambisch  gedacht  sind, 
also  vor  dem  Baß  und  den  Verzierungen  der  Instrumente  zu  Gehör 
kommen. 

A.  S.  42,   Pt.  S.  13   Nr.  12.     Hier  sind   nur    einige   Vorhalte   anzu- 

merken 

Accent  vorgeschrieben 


* 


iiJL|ttf  p  pTs^ 


i=5 


g*ip 


P 


zz 


SP 

cor 


Spo  -  sa 


in-  fe-li  -  ce 


tre- 


mar-mi  il 


Ar-uie  Ge  -  lieb 


te. 


te 


l'in-sof-  fri-bil  de      marli 


3E 


Bei  Peters  fehlt  der  Vorschlag,  also: 


TU 


^r 


i 


& 


iö 


jp  (f  p  I  j  II 


ß~AJ>  Ji  Jy^i 


s 


dell 


ist   al  - 


lein  nicht  zu    cr-tra-gen 


u-  ni-co   dell    al-ma         a- 


s 


I 


^9 


F7' 


* 


4,# 


A.  S.  54,  Pt.  S.  29  Nr.  17.  Takt  5.  Man  hört  den  Vorschlag  meist 
als  Achtel,  so  daß  eine  Synkope  entsteht.  Die  Regel  verlangt  ein  Viertel, 
wobei  die  Hauptnote  dem  dritten  Viertel  entfällt.  Jene  Auffassung  hat 
keinen  musikalischen,  oder  musiktheoretischen  Anhalt.  Die  Synkope  wirkt 
unruhig,  und  widerspricht  dem  Sinn  des  Wortes,  das  um  Milde  und  Er- 

14* 


212 


Zweiter  Teil. 


barmen  fleht.  Aber  diese,  der  Regel  entsprechende  Ausführung  erscheint 
mir  reizlos.  Hier  kann  lediglich  der  Geschmack  entscheiden,  dem  ein 
kurz-trochäischer  Rhythmus  am  besten  entspricht:   also 


W 


g 


m 


* 


fi&j  s 


Deh     pla-  ea  -    tc  -  vi  >  con     me. 

Ach     er -barmt,  er  -  barmt      euch  mein. 

Takt  9.  Portament  von  b  zu  as\  Die  lombardische  Note  sehr  kurz, 
kürzer  als  notiert,   wie  die  Theoretiker  es  fordern. 

Takt  10.    Vorschlag  als  Achtel. 

Takt  11.  Vorschlag  c  als  Achtel,  nach  der  Regel.  Takt  12.  Der 
Vorschlag  f  ist  kurz,  jambisch  gemeint,  er  tritt  anscheinend  frei  ein,  ist 
aber  eine  Anknüpfung  an  das  zweite  Viertel.  Takt  13.  A  hat  nicht  den 
Vorschlag  c  sondern  ;/,  B  und  C  haben  c,  man  dürfte  also  annehmen,  daß 
Gluck  erst  bei  der  Umarbeitung  für  Paris  die  Änderung  vorgenommen, 
wenn  nicht  schon  7J,  die  alte  Mainzer  Handschrift  das  g  durch  c  ersetzt 
hätte.  Kein  Zweifel,  daß  der  Dezimensprung  charakteristischer  wirkt, 
und  dem  „barbaro  dolor"  besser  entspricht.  Deshalb  ist  die  Änderung 
zu  acceptieren.  Der  Vorschlag  gehört  zu  den  leitereigenen,  die  allemal 
kurz  sind,  aber  deckt  sich  doch  nicht  ganz  mit  der  kurzen  lombardischen 
Note,  wie  sie  Takt  9  aufweist;  also: 


il  mio     bar   -     ba  -   ro 

Genau  wie  notiert,  nicht  kürzer!  Die  Note  d  auf  dem  dritten  Viertel 
fehlt  in  A  und  D,  ist  dagegen  als  Vorschlag  in  B  und  C  angemerkt. 
Wir  dürfen  sie  unbedenklich  als  eine  von  Gluck  gewünschte  Verbesserung 
belassen;  die  Ausführung  ist  jambisch;  betont  verstärkte  sie  den  Iktus 
der  unbetonten  Silbe  sprachwidrig.  Takt  14.  Bei  Peters  irrtümlich 
zwei  Viertel  b  a,  sonst  überall  die  kleine  Note  by  und  a  als  halbe  Note. 
Ich  würde  hier  nach  der  Regel  verfahren,  und  die  Hauptnote  auf  die 
Pause  bringen,   sodaß  die  Leere  des  dritten  Viertels  entfällt,  also: 


£ 


8=3 


do  -    lor, 


vi  - 


Takt  15.  Sämtliche  Ausgaben  haben  auf  dem  vierten  Viertel  e  /', 
(bezw.  h  c  für  Tenor),  nur  Dörffel  mit  Peters  e  e\  wir  müssen  also  hier 
die  eigentliche  Intention  Glucks  wiederherstellen.     Die  Vorschläge  sind, 


Zweiter  Teil. 


213 


als  zwischen  Terzen  kurz;  ich  würde  die  trochäische  Form  hier  vor- 
ziehen, weil  die  Dissonanzen  so  anmutiger  hervortreten,  also  nach  Agricolas 
Anweisung: 

Je 


I 


EE 


f      l|J"^'   J"J-   J~^  I 


vi  -    ren  -   da  al  -  men        pic   - 
er  -  barmt      euch     mei    -   ner 

Takt  17.  Der  erste  Vorschlag  gehört  zu  den  kurzen,  er  ist  leiter- 
eigen und  trochäisch,  bewirkt  keinerlei  harmonische  Veränderung;  der 
zweite  nur  als  Verbindung,  jambisch  kurz.  Takt  23.  Die  Vorschläge 
nach  der  Regel  so  zu  gestalten,  daß  die  ersten  beiden  kurz,  und  zwar 
betont,  der  dritte  lang  (ein  Viertel)  wird.  Dorf  fei  (6)  hat,  wohl  aus 
Unkenntnis  der  alten  Usancen,  aus  dem  zweiten  Vorschlag  ein  Achtel 
gemacht. 


^fitfijL,LJ>^g 


pla  -  ca  -    te   -    vi         con       me. 
er-    barmt,  er-   barmt  euch     mein, 

Takt  28.  Der  Vorschlag  vor  der  Duole  kurz.  Takt  31.  Wie 
Takt  13.  Takt  35.  Hier  liegen  zwei  Lesarten  vor.  A  and  B,  also  die 
von  Gluck  selbst  redigierten  haben: 


i 


S 


Pf 


i  m  m  i 


om 


bre  9de-  gno-9i 
6,  Dörffel  (und  mit  ihm  Peters)  dagegen: 


om 


breR   ter-  ri-bles 


m 


m 


om    - 


bre  sde  -  gno-se  . 

Daß  in  der  Mainzer  Handschrift  (DJ  die  ursprüngliche  Glucksche 
Notierung  mit  Rotstift  in  die  letzt  aufgezeichnete  verändert  ist,  beweist 
nicht  viel.  Möglich  aber,  daß  die  Änderung  schon  vor  Berlioz 
Bearbeitung  üblich  war.  Sie  hat  ihre  Berechtigung.  Der  Vorschlag  in 
jener  Version  müßte  lang  ausgeführt  werden,  um  die  schöne  Dissonanz 
des  d  der  Singstimme  zum  As-dur  nicht  zu  verlieren;  denn  kurz  aus- 
geführt klänge  die  Stelle  matt.  Aber  durch  den  langen  Vorschlag  erhielte 
die  unbetonte  Silbe  (om)  bre  eine  sprachwidrig  starke  Betonung,  was 
Gluck  immer  vermied.  Deshalb  ist  die  zweite  Version,  wenngleich  sie 
nicht  von  Gluck  stammt,  vorzuziehen.  Solche  Freiheiten  kleiner  Ver- 
änderungen waren  ja  auch   durchaus  üblich. 


214 


Zweiter  Teil. 


Takt  39.  Wie  Takt  5,  Vorschlag  kurz  trochäisch.  Takt  40.  Die 
Hauptnote  auf  die  Pause. 

A.  S.  62.  Peters  S.  33,  Nr.  19.  Takt  4.  Nimmt  man  an,  daß 
der  Vorschlag  es,  wie  es  die  Regel  verlangt,  lang  sei,  so  hätten  wir 
eine  unvorbereitete  Dissonanz  vor  uns,  wie  sie  die  Alten  nicht  aner- 
kannten. Deshalb  erscheint  es  richtiger,  den  Vorschlag  nur  als  Ver- 
bindung der  letzten  Note  /'  zu  des  aufzufassen,  und  kurz  auszuführen, 
aber  stark  betont,  in  Agricolas  Manier,  so  daß  die  Dissonanz,  wenn 
auch  nur  flüchtig,  hervortritt.  Diese  Ausführung  entspricht  der  Stimmung 
„male  pene"  „tausend  Qualen"  am  besten. 


Takt  6 — 10.  Die  Vorschläge,  die  Peters  als  Viertel  ausschreibt, 
gehören  zu  den  leitereigenen,  die  nur  melodisch,  aber  nicht  harmonisch 
verändern,  also  nicht  zu  den  veränderlichen,  langen.  Sie  sind  also  kurz 
auszuführen,  aber  mit  dem  Baß  zusammenfallend. 


Ä 


m 


SB 


i 


3E 


P 


£ 


3*3* 


m 


CO 


ine     voi         sop-por   -    toanch-io,        sop-por    -    toanch-io 

Peters  ist  demnach  zu  verbessern.  —  Alle  anderen  Vorschläge 
nach  den  Regeln. 

A.  S.  65.  Peters  S.  35,  Nr.  21.  Takt  10.  Auf  diese  Stelle 
habe  ich  bereits  im  allgemeinen  Teil  hingewiesen.  Sie  bildet  einen 
Beweisgrund,  daß  kurze  Vorschläge  auch  unbetont,  anticipando  üblich 
waren,  gegen  Agricola-Bachs  Behauptung,  sie  seien  stets  betont.  Die 
Violine  imitiert  hier  die  Singstimme,  in  der  unteren  Quint,  im  jambischen 
Rhythmus,  der  also  auch  für  diese  maßgebend  ist,  also: 


I 


m 


5 


¥ 


gWH^ 


iHü      i 


SE=E 


£ 


mp 


se      pro  -    vas- te 


un     sol     mo  - 


Auf  die  Furienszenen  folgt  in  der  italienischen  Partitur  sofort 
Szene  II,  im  Elysium  (Peters  Nr.  25).  Gluck  hat  bekanntlich  diese  in 
der  französischen  Partitur  viel  breiter  behandelt,  und  außer  einem  Ballett 
in  D-moll  eine  Arie  der  Euridice  nCet  asile  aimable"  hinzugefügt.  Die 
modernen    Aufführungen     haben    mit    Recht    diese    wundervollen    Stücke 


Zweiter  Teil.  215 

aufgenommen.     Ich  lasse  also  hier   die  Arie  der  Euridice  folgen,    wie  sie 
die  französische  Partitur  (B)  S.   114  wiedergibt.     (Peters  S.  38,  Nr.  24.) 

Die  Ausführung  der  Vorschläge  ist  hier  von  besonderer  Bedeutung 
für  den   Verlauf  der  reizenden  Melodie! 

Takt  18.  Daß  die  Vorschläge  als  lange,  also  Achtel,  gemeint 
sind,  ergibt  sich  aus  den  Violin-  bezw.  Klarinettenstimmen  des  Taktes  23,  wo 
dieselbe  Melodie  erscheint,  in  Achteln  ausgeschrieben,  und  noch  mit  einem 
Vorschlag  (d)  bereichert.  Gluck  hat  hier,  Takt  18,  die  Form  des  Vor- 
schlags gewählt,  um  zu  vermeiden,  daß  Sänger  und  Spieler  schon  hier 
einen  Vorschlag  (d)  hinzusetzen,  den  er  sich  lür  die  Wiederholung  auf- 
sparte. Man  denkt  an  Leopold  Mozarts  Erklärung,  warum  die 
Komponisten  oft  dort,  wo  sie  ausschreiben  konnten,  doch  die  kleine  Note 
wählten.  Der  Echoeffekt  (flamme,  VdineJ  wiederholt  sich  im  Ver- 
laufe des  Stückes  (z.  B.  schon  Takt  20  ivresse  —  laisse). 

Takt  20  ebenso.  Die  Vorschläge  in  den  Klarinetten  Takt  21  ff 
natürlich  kurz,  damit  die   Dreiteiligkeit  der  Figur  erhalten  bleibe. 

Takt  24.  Dieser  Vorschlag  nimmt  nach  der  Regel,  wie  sie  Leopold 
Mozart  ausdrücklich  gibt,  die  ganze  Zeit  der  Hauptnote  und  des 
Punktes,  so  daß  sie  selbst  erst  zur  Zeit  der  angegebenen  Note  erklingt,  also: 


HgÜJ    j  J^Rj 


sens et       la 


les 

Takt  26  wie  Takt  18.  Takt  36  wie  Takt  24.  Takt  42.  Man  kann 
den  kurzen  jambischen  Vorschlag,  e,  der  Klarinetten  auf  die  Singstimme 
übertragen.  Takt  43  wie  Takt  18.  Echo!  vgl.  auch  hier  4  Takte  weiter 
die  Klarinetten  und  Violinen.  Takt  48.  Der  Vorschlag,  g,  in  den 
Klarinetten  kann  auf  die  Singstimme  übernommen  werden.  Takt  49  wie 
24  und  36.  Takt  51.  Wieder  lange  Vorschläge,  das  c  der  Singstimme 
dissoniert  wundervoll  mit  dem  da  der  zweiten  Violinen.    Takt  61  wie  Takt  24. 

A.  S.  70.  Peters  S.  42,  Nr.  25.  Die  Bezeichnung  „Quasi  Rezitativ" 
stammt  nicht  von  Gluck.  Die  Accente  sind  hier  mit  besonderer  Vor- 
sicht anzuwenden,  immer  mit  Beobachtung  des  harmonischen  Verlaufes. 
Die  Charakteristik,  und  alle  tonmalenden  Bewegungen  sind  ins  Orchester 
verlegt.     Der  Sänger  soll  sich  ihm  unterordnen. 

A.  S.  88.  Peters  S.  51,  Nr.  28.  Takt  10  kann  man  eine  jener 
weite  Intervalle  verbindenden  Kadenzen  anbringen,  wie  sie  Hiller  er- 
wähnt, die  hier  der  Illustration  der  Worte  „placido  albergo*  gut  eignete: 

f b  p  r  JJJJJJ?TOTpi 

al  -  ber  -  -  -  go 


216 


Zweiter  Teil. 


A.  S.  93,  Pt.  Nr.  30.     Von  den  Accenten  ist  der  übliche  Gebrauch 
zu  machen,  einige  Vorschläge  sind  angedeutet,  andere  hinzuzufügen. 


p  v^^iiJjl^J^  ^hJ^iHr  p   j  JJbj^ 


Or-fcosonio  e  vi-vo  an-cor     mase  -  gula-moi)  ca-min      i  pas-si    tuoi 

Keine  Accente  bei  der  Stelle:  la  costanza,  la  fede. 

A.  S.  104,  Pt.  No.  31,  Duett.  Takt  3  und  8.  Die  Vorschläge  als 
leitereigene  und  harmonisch  indifferente  sind  kurz,  und  zwar  jambisch; 
der  aufsteigende  Gang  der  Violinen  darf  nicht  rhythmisch  alteriert  werden. 
Takt  10.  Ebenso.  Takt  24  und  26.  Die  Schleifer  sind  hier  des  Affektes 
wegen  (t'wanno)  sehr  scharf  und  energisch  auszuführen.  Takt  27.  Der 
Vorschlag  e  ist  nach  der  Regel  lang,  ein  Viertel,  so  daß  die  Singstimme 
die  Hauptnote  f  auf  das  zweite  Viertel  bringt,  wo  die  Violine  ihr  /'  auf- 
gibt. Takt  42.  Die  Vorschläge  nach  der  Regel  als  Viertel.  Takt  43 
und  44.  Die  lombardischen  Noten  sehr  kurz  und  bestimmt.  Takt  52. 
Der  Vorschlag  h  gilt  ein  Viertel,  und  löst  sich  auf,  noch  bevor  die  Viola 
ihr  h  aufgibt.  Takt  89.  Vor  dem  dritten  Viertel  in  beiden  Stimmen 
kurze,  jambische  Vorschläge,  c  und  e. 

A.  S.  116,  Pt.  Nr.  33.    Takt  30  stößt  das  d  der  Singstimme  mit  dem 

Vorschlag  es  der  Violinen,   der  nach   der  Regel   als  Achtel  zu   behandeln 

ist,    zusammen,    und    es    entsteht    eine    der    „acciacatura"    entsprechende 

Dissonanz,    wie    die   Organisten    das   Zusammenanschlagen    der  Sekunden 

nennen,   von  denen  die  eine  sofort  losgelassen  wird,   während  die  andere 

liegen    bleibt.     Ebenso  Takt   33.     Peters   hat   hier    der   Singstimme    den 

Vorschlag  der  Violinen  hinzugefügt,    so    daß    die  schöne  Härte   ffiero  und 

barbaro)  entfällt.    Takt  31.    Der  Vorschlag  c  kurz,   antizipiert,   so   daß   er 

as 
die  Dissonanz   h  nicht  zur  Konsonanz  des  Fmoll-Dreiklangs  abschwäche. 

Ebenso  Takt  34.  Takt  52.  Der  Vorschlag  gilt  gegen  die  Regel  ein 
Achtel.  Die  Stelle  ist  eine  Wiederholung  des  Taktes  50,  wo  Achtel  notiert 
sind;  auch  tritt  so  die  synkopierte  Bewegung  der  zweiten  Geige  klarer 
hervor.  Takt  61.  Der  Vorschlag  nach  der  Regel  kurz,  jambisch.  Takt  65 
wie  52. 

A.  S.  123,  Pt.  No.  34.     Übliche  Einfügung  der  Accente: 


^1  ^  f  §  j  JaJ  ii  h  B  ^s 


n\ 


dun-que    mo  -  rir  degg*   io 


si 


la  -   ce  -  ra    il      cor 


A.  S.  129,  Pt.  Nr.  35.  Die  vielbewunderte  und  vielgetadelte  Arie 
des  Orfeo  „Che  furo"  in  Rondoform.  Die  Vorschläge  Takt  4  bezw.  10 
bestimmen     die    Melodie     wesentlich.      Übereinstimmend    steht    in    allen 


Zweiter  Teil. 


217 


Partituren  eine  kleine  Note,  l\  </,  vor  der  Hauptnote  a.  Daß  es  sich 
um  einen  langen  Vorschlag  handelt,  ist  von  vornherein  klar.  Aber  die 
Regel,  daß  er  an  die  Stelle  der  Hauptnote  trete,  ist  hier  nicht  anwendbar. 
Die  Phrasen  A  und  B 


i 


f^W^ 


-P3  Ji  J .  — aA 


ZH-H- 


£ 


7 


[Ch 


e  fa  -  ro    sen-zaEu-ri   -  di  -  ce 


ido-ve  an  -  dro     sen-zailmio       ben 


bilden  Vorder-  und  Nachsatz,  die  sich  rhythmisch  genau  entsprechen. 
Gibt  man  dem  Vorschlag  den  Wert  der  Hauptnote  und  läßt  sie  selbst 
auf  dem  zweiten  Viertel  eintreten,  so  ist  die  rhythmische  Korrespondenz 
zum  Vordersatz  gestört.  Dem  entgeht  die  Bewertung  des  Vorschlages 
als  Achtel,  also: 


P 


g 


jrT-Jrn 


do  -    ve  an  -    dro 


sen  - 


Der  Vorschlag  auf  „ben"  ist  nach  der  Regel  ein  Viertel.  Peters 
schreibt  bei  den  Wiederholungen  zwei  Viertel  aus,  interpretiert  also  richtig. 
Takt  25.  Nach  dem  Schwellton  eine  kleine  Verbindung,  wie  sie  an 
solchen  Einschnitten  stets  gebraucht  wurde: 


W 


** j  J  Cr  O^ 


ris  -     pon 


di, 


Jo 


son 


Takt  28.  Der  Vorschlag  k  auf  dem  dritten  Viertel  im  Unison  mit 
den  Geigen  als  Achtel,  wie  ihn  Peters  ausschreibt.  Takt  30.  Den  Vor- 
schlag fin  lange  halten,  die  Auflösung  g  ganz  am  Ende  piano  andeuten 
und  als  Überleitung  nach  Cdur  ein  f  pianissimo  anfügen. 


/?\ 


w 


j  Jjj  *    j\  t|J>  Ü 


fe 


del 


che      fa 


Oder  eine  kurze  Verbindung: 


I 


* 


it 


Ü^Tl*    J\  iii^ 


fe      -       'del  ehe      fa 

Takt  41/42.     Ein  Vorschlag  und  eine  verbindende  Note: 


i 


m 


& 


Rn  -  ri   -    di  -   ee. 


Eu  -  ri    -    di   -    ce 


218  Zweiter  Teil. 


Takt  48/49  kann  eine  ausschmückende  Figar  einschalten  und  einige 
Noten  zur  Verbindung  mit  dem  Themaeinsatz  einfügen: 

l"  '    '  *      '  J  j  *  j>  i,JM 


dal        ciel  f-he     fa 

A.  S.  133,  Pt  No.  36.  Die  Vorschläge,  Takt  10,  kurz.  Achtel  er- 
gäben unruhige,  dissonierende  und  der  Stimmung  widrige  Beziehungen 
zu  den  Geigenfiguren.  —  Am  Schluß  „oh  fausto  giomo,  oh  Amov  pietoso" 
keine  Vorhalte,  die  den  Ausdruck  der  Freude  abschwächten. 

A.  S.  151,  Pt.  Nr.  38.  Die  Vorschläge  überall  nach  den  Regeln. 
Takt  11 — 13.  In  dem  Solo  des  Amor  nach  seinem  Einsatz  „ma  pol  la 
pena"  im  Unison  mit  der  Bratsche  als  Achtel. 

Iphigönie   en  Aulide. 
Ausgabe  Pelletan. 

(Ich  hebe  nur  diejenigen  Stellen  hervor,   deren  Interpretation 

Schwierigkeiten   bereitet.) 

Akt  I.  Szene  1.  „Brillant  auteur"  S.  18.  Takt  9.  Vorschläge  von 
unten,  welche  nicht  die  vorhergehende  Note  wiederholen,  kommen  nach 
Agricola  gar  nicht,  tatsächlich  aber  doch,  wenn  auch  selten,  bei  Gluck 
sogar  häufig  vor.  Über  ihre  Bestimmung  als  kurze  oder  lange  verlautet 
nichts.  Wir  sind  also  auf  Entscheidung  von  Fall  zu  Fall  angewiesen. 
Über  den  Gesang  Agamemnons  ist  eine  wundervolle  Ruhe  ausgebreitet, 
aus  der  sein  volles  Vertrauen  zur  Güte  und  Gnade  Dianens  spricht, 
während  in  den  Synkopen  der  ersten  Violinstimme  noch  die  Erregung 
des  Vorangegangenen  nachzittert.  Deshalb  entsprechen  der  Singstimme 
ruhig  schreitende  Bewegungen.  Ein  kurzer,  selbst  nur  jambischer,  Vor- 
schlag unterbräche  sie.  Der  Vorschlag  sei  also  lang.  Unter  demselben 
Gesichtspunkt  ist  der  Vorschlag  des  Taktes  11  als  Viertel  auszuführen. 
Er  tritt  übrigens  nur  scheinbar  frei  ein,  in  Wirklichkeit  stellt  er  eine 
Fortführung  der  Fagottstimme  vor.  Takt  14.  Auch  hier  bleibt  der  oben 
gegebene  Gesichtspunkt  maßgebend:  beide   Vorschläge  lang,    als  Viertel: 

ex  au       -       ce     ma    pri  e    -     re  et     rem     -     plis 

Akt  1.  Szene  5.  „Que  faime  ä  voiru  S.  67.  Auch  hier  müssen 
ästhetische  Erwägungen  den  Ausschlag  geben.  Klytämnestra  —  ahnungs- 
los der  Vorgänge  —  freut  sich  des  liebevollen  Empfanges.  Ihre  Arie 
ist  graziös,  heiter  gestaltet.     So  sollen  auch  die  Vorschläge  überall  kurz, 


Zweiter  Teil.  219 

regelmäßig  jambisch  sein.     So  schon  diejenigen  der  Klarinetten  und  Yiolen 
Takt  1 — 3.     Takt  5.    Das  Zeichen  bedeutet  den  Pralltriller  hier  angehaucht. 


i 


ren dre 

Takt  13.  Der  Regel  nach  währte  der  Vorschlag  ein  Viertel,  was 
eine  hübsche  Dissonanz  ergäbe.  Trotzdem  bin  ich  für  die  kurze  trochäische 
Form,  im  Einklang  mit  den  Instrumenten,  weil  der  pikante  Rhythmus  so 
besser  hervortritt.     Ebenso  Takt  15  und   17. 

Szene  5.  Nr.  2.  S.  85.  »Les  voeux,  dont  ce  penple".  Takt  12.  Der 
Vorschlag  d  kurz,  jambisch,  als  Terzenverbindung.  Takt  19.  Wieder  ein 
Vorschlag  von  unten,  der  hier  die  Bedeutung  der  Auflösung  des  Leitetones, 
d?'s,  der  Violinen  hat.  Er  muß  deshalb  betont,  auf  die  Thesis  kommen, 
und  zwar  kurz  als  Sechzehnteil.  Achtel  hätte  der  Komponist  ausge- 
schrieben.     Überdies   korrespondiert    nur    so    der    Rhythmus    dieses    und 

des  folgenden  Taktes  mit  dem  in  dem  ganzen  Stücke  herrschenden:  J  Jjl. 
Szene  7.  „L'ai  je  bien  entendu?"  S.  96.  Takt  10  und  11.  Die  aus- 
drucksvollen Pausen  wahren!  Vorschläge  als  Achtel.  Takt  12.  Wieder 
ein  Achtel,  als  Antwort  auf  die  vorangegangene  Phrase.  Die  anderen 
Vorschläge  kurz  jambisch,  nur  ausschmückend,  da  sie  in  der  Parallel- 
stelle, Takt  15,  fehlen.  Takt  21.  Der  Regel  nach  müßte  der  Vor- 
schlag c  als  vor  einem  Achtel  mit  folgenden  Sechzehnteilen,  wie  ihn  die 
Violinstimme  notiert,  kurz -jambisch  sein.  Ich  möchte  hier  aber  von  der 
Singstimme  aus  bestimmen,  als  der  führenden,  und  mich  für  einen  langen 
Vorschlag  entscheiden,  weil  das  ganze  Andante  in  seinem  zarten,  weichen 
Schmerz  auf  fallenden  Rhythmen  —  u  beruht.     Ebenso  Takt  24  und  25. 

Szene  8.      „Iphigenie,  helas!"     S.   105. 

Takt  5.  Der  Vorschlag  h  nur  als  port  de  voix  verbindend.  Takt  15. 
Hier  ersetzt  der  Vorschlag,  wie  im  Rezitativ,  die  erste  Hauptnote. 
Ebenso  Takt  17.  Takt  20.  Der  Vorschlag  hier,  gegen  die  Regel,  als 
Achtel,  damit  die  Dissonanz  des  zweiten  Viertels  (a,  e,  d)  das  dissonierende 
d  schon  vorbereitet  finde. 

Dieselbe  Szene  nC?iieUe,  non  jamais",  S.  107,  Takt  14.  Der  Vor- 
schlag der  Violine  fehlt  in  der  Singstimme.  Da  diese  beiden  Stimmen 
sonst  durchweg  unison  gehen,  ist  er  in  dieser  unbedenklich  zu  ergänzen. 
Er  gilt  nach  der  Regel  ein  Viertel.  Ebenso  ist  der  Vorschlag,  dis,  des 
dritten  Viertels  normgemäß  als  halbe  Note  zu  behandeln.  Takt  21. 
Führte  man  die  Vorschläge  nach  der  Regel  so  aus,  daß  dem  d  der  ersten 
Violine  eine  halbe  Note,  dem  gis  der  zweiten  Violine  ein  Achtel  entfiele, 


220  Zweiter  Teil. 

so  entstünde  eine  häßliche  Leere  in  den  Quarten  des  zweiten  Taktteils, 
die  vermieden  wird,  wenn  jener  nur  ein  Viertel  gehalten  und  die  Haupt- 
note auf  dem  zweiten  Taktteil  angeführt  wird.  Etwas  Steifes  behält  die 
Stelle  auch  so.  Takt  32  der  kurze  Vorschlag,  g,  der  Violine,  der  Sing- 
stimme zuzusetzen.  Takt  33.  Der  Vorschlag,  dis,  ist  die  natürliche 
Fortführung    der  Tenorstimme,    technisch    eine  Erleichterung    zum  Ansatz 

des  h.  Er  ist  deshalb  auf  die  Thesis  zu  legen,  aber  ziemlich  kurz  abzu- 
fertigen. 

Dieselbe  Szene,  Duo  „Ne  doutez  jamais",  S.  112,  Takt  2.  Der  Vor- 
schlag, d,  in  den  Oboen  und  Violinen  als  Achtel,  so  daß  die  Hauptnote, 
eis,  die  Auflösung  auf  dem  ersten  Viertel  bringt,  und  liegt,  wenn  die 
durchgehenden  Noten  ßsy  a  des  zweiten  Viertels  eintreten.  Takt  3  aus- 
schmückende kurze  Vorschläge  zwischen  Terzen.  Takt  9  und  10.  Die 
Vorschläge  müssen  hier  als  Achtel  genommen  werden,  und  die  Auflösung 
mit  den  Violinen  erfolgen.  Takt  20.  Der  Accent  an  die  Stelle  der 
Hauptnote.  Takt  23  und  24  wie  Takt  9  und  10.  Takt  26.  Der  Vor- 
schlag eis  kurz,  trochäisch,  gewissermaßen  als  »cercare  la  nota".  Takt  42. 
Die  Vorschläge  der  Singstimme  müssen  sich  auch  hier  nach  denjenigen 
der  Instrumente  richten.  Diese  aber  können  nur  kurz,  jambisch  sein, 
betrachtet  man  die  Violinstimmen,  wo  sie  vor  der  Achtelbewegung  stehen 
die  nicht  alteriert  werden  darf.  Folglich  sind  auch  die  der  Flöten  und 
Oboen,  und  der  Singstimmen  in  derselben  Weise  zu  behandeln. 

Akt  II.  Szene  1.  »Par  la  crainte."  S.  130.  Hier  dürften  alle  Vor- 
schläge den  Regeln  nach  auszuführen  sein.  Takt  9  ist  die  Pause  einzu- 
halten, Takt  42  der  Vorschlag  als  halbe  Note  zu  behandeln,  also  die 
Pause  zu  eliminieren,  weil  die  musikalische  Phrase  fortläuft,  und  der 
Nachsatz  sich  besser  anschließt;  auch  der  Text  verlangt  eine  ununter- 
brochene Anknüpfung. 

Szene  3.  „Achille  est  couronne."  S.  156.  Takt  3.  Der  Pralltriller 
setzt  nach  dem  ausgeschriebenen  Vorschlag  ein,  und  bildet  seine  erste 
Note,  darf  also  nicht  wiederholt  werden: 


couronne 


Takt  8.     Ein  Pralltriller: 


m 


i  r  rrr. 


i 1 — — i — i 


.ß-ß. 


ssaat: 


:=V- 


le  pa     -     -     -     -      rent 


Zweiter  Teil. 


221 


Szene  4.  nPar  im  pr're  cruel.u  S.  215.  Areas  hat  sich  dem  Hoch- 
zeitszuge entgegengestellt,  und  gemeldet,  daß  Agamemnon  am  Altar  harre, 
die  Tochter  der  Diana  zu  opfern.  Auf  die  zornigen  Chöre  folgt  dieser 
Gesang  der  Klytämnestra,  in  dem  sie  Iphigenie  in  den  Schutz  des 
Achilleus  stellt.  Ich  halte  ihn  für  einen  der  wenigst  gelungenen  der  Partitur 
(a.  M.  Neitzel,  Führer  durch  die  Oper  I  S.  58).  Die  Haltung  der  Mutter  ist 
allzu  gefaßt.  Das  Stück  gewinnt,  wenn  es  nach  Wagners  Anweisung 
langsamer,  4/4  s*a^  Öo  ausgeführt  wird.  Die  Verzierungen  müssen  so  ge- 
staltet werden,  daß  die  Erregung  der  Mutter  und  ihr  Vertrauen  in  Achill 
zugleich  zum  Ausdruck  gelangen.  Lebhafte,  steigende  Rhythmen  sind 
also  zu  bevorzugen.  Die  kurzen  springenden  Vorschläge  werden  somit 
trochäisch,  scharf  betont  sein.  Takt  2.  Schon  diesen  Schleifer  würde 
ich  stark  markieren,  der  Vorschlag  ist  nur  verbindend.  Entsprechend 
die  folgenden  Takte.  Takt  7.  Der  erste  Vorschlag  lang,  der  andere  ver- 
bindend. Takt  10.  Der  Vorschlag,  korrespondierend  mit  dem  Schleifer 
des  Ritornells,  trochäisch,  kurz,  stark  betont.  Ebenso  Takt  12  und  15. 
Takt  20.  Ein  langer  Vorschlag.  Takt  28.  Hier  ein  kurzer  jambischer 
Vorschlag;  das  sforzato  der  zweiten  Violine  deutet  an,  daß  das  eis  her- 
vortrete. 

Szene  7.  „0  toi,  Vobjet  le  plus  aimable."  S.  260.  Die  Deutung  der 
Verzierungen  bedingt  den  Verlauf  der  wundervollen  Melodie  wesentlich. 
Eine  Entscheidung,  die  alle  Zweifel  beseitigt,  ist  kaum  zu  treffen.  Ich 
glaube,  daß  die  Vorschläge  a  des  zweiten  Taktes  in  den  Flöten,  und 
derjenige  des  dritten  Taktes  a  veränderliche,  lange  sind.  Ph.  Em.  Bach 
vindiziert  ihnen  im  3/4"Takt  ^[e  Hälfte  der  Hauptnote,  Leopold  Mozart 
drei  Teile.  Die  Entscheidung  gibt  Takt  3,  wo  die  Bässe  auf  dem  letzten 
Viertel  mit  der  Nachahmung  des  Themas  einsetzen.  Hier  aber  steht  der 
Vorschlag  vor  einem  punktierten  Viertel,  kann  also  nur  ein  Viertel  be- 
anspruchen. Daraus  ergibt  sich  die  Währung  der  Vorschläge.  Die  Stelle 
gestaltet  sich  also: 


Flöten 

Violinen 


Bratschen 
Fagotte 


Bässe 


4      I— I 


^•^ 


5SEi-£EE 


:^tz3 


4 


^ü^g^^i 


Gegen  diese  Auffassung  könnte  man  einwenden,    daß   die  Oktaven 
zu  der  von  den  Bratschen  und  Fagotten  gehaltenen  Quint  e  hohl  klingen, 


222  Zweiter  Teil. 

was  vermieden  oder  doch  gemildert  würde,  wenn  die  beiden  Vorschläge 
kurz  ausgeführt  würden.  Ich  bin  aber  sicher,  daß  Gluck  so  die  Hilf- 
losigkeit, die  Angst  Agamemnons  hat  schildern  wollen.  Schon  in  dem  voran- 
gegangenen Rezitativ  „A  moi,  soldats"  (S.  251  der  Pell.  Ausgabe  letzter 
Takt  und  S.  252  erster  Takt)  erklingen  Oboen  und  Flöten  in  leeren 
Sexten,  die  Wagner  vervollständigt  hat,  gegen  die  offenbare  Absicht  des 
Komponisten,  jene  Affekte  zu  schildern.  Auch  in  unserer  Stelle  ist  die 
scheinbare  Leere  charakterisierend.  Takt  4.  Den  Schleifer  weich  an- 
schließen. Takt  8  bis  11  und  33/34  der  oben  gegebenen  Ausführung 
entsprechend;  entscheidet  man,  gegen  meine  Auffassung,  für  den  kurzen 
Vorschlag,  so  kann  er  nur  trochäisch-betont  sein,  einmal  aus  harmonischen 
Gründen,  da  nur  so  Dissonanzen  entstehen,  während  Jamben  die  lang- 
weiligsten Konsonanzen  brächten,  dann  aber  aus  solchen  der  metrisch- 
sprachlichen  Betonung. 


Nachtrag. 


Erst  nachdem  die  Drucklegung  dieses  Werkes  ihrer  Vollendung  ent- 
gegenging, gelangte  ich  in  den  Besitz  photographischer  Reproduktionen 
derjenigen  Aussetzungen  Händelscher  Einzelgesänge,  welche 
die  Lennard- Sammlung  des  Fitzwilliam -Museum  zu  Cambridge  auf- 
weist. An  dieser  Stelle  möchte  ich  zunächst  den  Messrs.  Edward 
Dent  und  Chaßman,  erstem  Bibliotheksassistenten,  daselbst,  meinen 
besten  Dank  aussprechen  für  ihre  werktätige  und  erfolgreiche  Unter- 
stützung. Die  Sammlung  enthält  eine  Reihe  von  Kopien  Händelscher 
Werke,  die  sein  Freund  und  Amanuensis,  Christoph  Schmidt,  vom 
Autograph  übertragen  hat.  Sie  gehörte  Mr.  Francis  Barret  Lennard, 
der  sie  von  seinem  Yater  erbte,  und  vor  einigen  Jahren  dem  Fitzwilliam- 
Museum  zum  Geschenk  machte.  Hier  finden  sich  die  Zusätze,  mit  Blei- 
stift in  dem  System  der  Gesangsstimme  oder  über  ihm,  die  Kadenzen 
an  einer  freien  Stelle  einer  Instrumentalstimme  über  jener  notiert.1)  Die- 
selbe Quelle  hatte  Max  Seiffert  für  diejenigen  Verzierungen  benutzt, 
die  den  ersten  Teil  des  Messias  betreffen,2)  während  die  der  anderen 
Teile  einer  Schmidtschen  Kopie  entnommen  waren,  die  der  kürzlich 
verstorbene  Tonkünstler  Otto  Goldschmidt  in  London  besaß.  Seiffert 
glaubte  nun  diesen  Verzierungen  eine  authentische  Bedeutung  in 
dem  Sinne  zusprechen  zu  müssen,  daß  sie  von  Händel  gebilligt  in  die 
für  den  Cembalisten  bestimmte  Partitur  eingetragen  worden  seien  und 
daß  der  „Konzertgebrauch  ihre  Eintragung  in  die  Partituren  durch 
Schmidts  Hand  veranlaßte."  Auch  ich  hatte  Seifferts  Ausführungen 
anfangs  für  beweiskräftig  gehalten,3)  muß  aber  nunmehr,  nach  näherer 
Prüfung  der  Sachlage,  sie  für  hinfällig  erklären,  jedenfalls  soweit  sie 

x)  Die  Zusätze  erstrecken  sich  auf  die  Oratorien:  Alexander  Balus  4  Arien,  L'Allegro 
e  Pensieroso  3  Arien,  Judas  Maccabäus  2  Arien,  Israel  in  Egypten  1  Arie,  Hercules  2  Arien, 
Jephta  1  Arie,  Samson  3  Arien,  Theodora  2  Arien,  Messias  2  Arien,  und  die  Opern.  Alcina 
4  Arien,  Floridante  4  Arien,  Giulio  Cesare  2  Arien,  Rodelinda  1  Arie,  Kadamisto  1  Arie, 
Siroe   1  Arie,  sowie  7  Anthenes  und  4  Duette. 

2)  Sammelbuch  der  I.  M.  G.  VIII,  S.  581   ff. 

3)  Zeitschrift  der  I.  M.-G.  Jahrgang   1907. 


224  Nachtrag. 

die  Lennardsche  Sammlung  betreffen.  Die  Verzierungen  sind  nämlich 
hier  garnicht  von  Schmidts  Hand  hinzugefügt,  sondern  von  einer 
anderen.  Das  hatte  mir  bereits  Mr.  Mann,  Leiter  der  musikalischen  Ab- 
teilung des  Fitzwilliam -Museums,  ein  ausgezeichneter  Kenner  Händel- 
scher  Kunst,  mitgeteilt.  Eine  Prüfung  der  photographischen  Reproduk- 
tionen bestätigt  das  auf  den  ersten  Blick.  Nicht  nur  tragen  die  Noten 
und  Notenzeichen  einen  anderen  Schriftcharakter,  auch  die  den  Kadenzen 
untergelegten  Wortbuchstaben  sind  von  anderem,  von  der  Schmidtschen 
Handschrift  wesentlich  unterschiedenem  Aussehen.  Sie  deuten  eher  auf 
die  späteren  Dezennien  des  achtzehnten  Jahrhunderts.  So  ist  der 
Seiffertschen  Beweisführung  der  wesentlichste  Stützpunkt  entzogen  und 
sie  fällt  in  sich  zusammen.  Hätte  er  die  Originale  eingesehen,  und  sich 
nicht  auf  die  von  Chrysander  gefertigte  Abschrift  verlassen,  so  wäre 
ihm  dieser  Irrtum  erspart  geblieben.  Woher  nun  diese  Aussetzungen 
stammen,  wird  sich  kaum  noch  ermitteln  lassen.  Da  die  Kollektion 
Lennard  früher,  wie  Mr.  Mann  festgestellt,  im  Besitze  des  Tenoristen 
Samuel  Harrisson  (1760 — 1813)  war,  so  liegt  die  Folgerung  nahe,  daß 
er  ihr  Autor  sei,  und  sie  vielleicht  für  seine  Schüler  aufgezeichnet  habe. 
Jedenfalls,  und  das  gibt  ihnen  Wert,  verraten  sie  eine  mit  einer  festen 
Tradition  verwachsene,  wenn  auch,  wie  wir  sehen  werden,  nicht  muster- 
gültige Technik.  Auch  wenn  wir  davon  abzusehen  haben,  Händeis 
Autorität  für  diese  Aufzeichnungen  in  Anspruch  zu  nehmen,  so  verlohnt 
es  sich  doch,  auf  sie  näher  einzugehen,  um  festzustellen,  wie  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  gesungen  wurde,  und  zu  prüfen,  ob  sie 
der  heutigen  Musikausübung   eine  brauchbare  Vorlage  liefern. 

Unsere  Aussetzungen  (Anhang  Q,  a-e)  lassen  in  erster  Linie  einen 
wesentlichen  Unterschied  in  der  Behandlung  der  Gesänge  des  Oratoriums 
und  der  Oper  erkennen.  Dort  bescheiden  sie  sich  —  und  das  gilt  nach 
Mr.  E.  Dents  Prüfung  auch  für  die  nicht  im  Anhang  mitgeteilten  —  mit 
der  Einfügung  von  Manieren,  vorzüglich  des  Vorschlags,  des  Pralltrillers, 
dessen  erste  Note  meist  durch  eine  Vorschlagsnote  markiert  ist,  und  des 
Doppelschlags,  sei  es  der  Diminution  der  Hauptnote  in  diese  Figur,  sei 
es  des  verbindenden,  vielfach  mit  einem,  durch  eine  kleine  Note  ange- 
deuteten, angehängten  Nachschlags.  In  den  Operngesängen  ist  die 
ornamentale  Ausschmückung  eine  weit  reichere.  Einmal  ist  von  denselben 
Manieren  in  weit  ausgiebigerer  Weise  Gebrauch  gemacht;  dann  aber  führen 
sie,  auch  außerhalb  der  Kadenzen,  zahlreiche  kleine  Passaggien  und 
Notenzerlegungen  mit  sich.  Kadenzen  weisen  nur  die  Operngesänge  aus 
Siroe  und  Alcina  {Verdi  prati)  auf. 

Schon  aus  der  Lektüre  des  Gesanges  aus  Judas  Maccabäus  (Q,  a  1) 
ergibt  sich  die  große  Ähnlichkeit  mit  der  Bearbeitung,   die  uns  Seif f er t 


Nachtrag.  225 

für  die  Gesänge  des  Messias  zugänglich  gemacht  hat.  Überall  sind  es 
jene  oben  erwähnten  Manieren,  dazu  bestimmt  eine  melodische  Bereicherung 
anzustreben.  Zu  beachten  ist,  daß  in  unserem  Fall  kein  Da  capo  vor- 
liegt, der  Vortrag  also  nur  in  dieser  Form  erfolgte.  Was  die  Ausführung 
im  einzelnen  betrifft    —    und  dasselbe   gilt  auch  für  die  andern  Beispiele 

—  so  ist  einmal  das  Zeichen  des  Doppelschlags  überall  so  angebracht, 
daß  es  rechts  über  die  Hauptnote  gesetzt  die  nach  ihr  eintretende,  die 
Verbindung  zur  nächsten  Note  bewerkstelligende  Figur,  über  sie  gesetzt 
aber  ihre  Diminution  selbst  anzeigt,  wie  z.  B.  Takt  9.  Wo  die  Vorschlags- 
note und  das  Zeichen  des  Pralltrillers  vermerkt  sind,  bedeutet  jene 
natürlich  nur  die  erste  Note  dieses,  vor  dem  langen  Triller  hingegen 
einen  veränderlichen,  langen  Vorschlag,  dem  sich  der  Triller  auf  der 
Hauptnote   anschließt  (cadence  avec  appiä).     Das  Zeichen  t  oder  tr  steht 

—  neben  der  Hauptbedeutung  des  langen  Trillers  —  sowohl  für  den 
Pralltriller  als  für  den  Mordent,  nicht  aber  hier  für  den  Doppelschlag, 
der  überall  ein  eigenes  Zeichen,  ein  Kreuz,  hat.  Wo  der  Pralltriller,  wo 
der  Mordent  einzusetzen  hat,  ergibt  sich  aus  den  uns  bekannten  Normen ; 
so  wird  in  Takt  22  der  Mordent  gemeint  sein,  kein  Pralltriller,  der  die 
aufsteigende  Skala  verwischte.  Die  Wahl  zwischen  veränderlich-langem 
und  unveränderlich -kurzem  Vorschlag  brauchte  der  Bearbeiter  eben- 
falls nicht  anzudeuten,  da  die  Regeln  für  ihre  Unterscheidung  als 
bekannt  vorauszusetzen  waren.  Die  Vorschläge  Takt  7,  14,  16,  18 
sind  kurze;  lange  dagegen  sind  anzunehmen  im  Takt  8.  In  Takt  17  ist 
der  erste  Vorschlag  h,  als  vor  einem  unbetonten  Taktteil  kurz;  der  andere 
hingegen  ein  ausdrucksvoller  Vorhalt,  dem  mehr  als  die  Hälfte  des  Wertes 
der  Hauptnote  gebührt,  gleich  wie  dem  Vorschlage  c  des  Taktes  20  und 
h  des  Taktes  21.  Auch  der  Gesang  „Come  euer  smüing"  (Q,  a,  2)  und 
die  Arie  „Tkus  when  the  sunu  werden  einer  entsprechenden  Behandlung 
unterworfen.  Wiederum  sind  es  ausschließlich  die  kleinen  Manieren,  die 
das  Variationssubstrat  abgeben.  Es  ist  nun  auffallend,  daß  diese  Aus- 
setzungen die  Wesenheit  des  musikalischen  und  dichterischen  Ausdrucks 
gänzlich  außer  acht  lassen.  Das  milde,  andachtstiefe  Gebet  aus  dem 
ersten  Teil  des  Judas  Maccabäus,  das  die  verzagten  Israeliten  wieder 
aufrichtet,  der  Gesang  an  die  Freiheit,  in  welchem  die  gewaltige  Wucht 
der  vorangegangenen  Kriegsgesänge  nachhallt,  der  weiche  Abschieds- 
gesang Sämsons  sind  derselben,  offenbar  durch  eine  sichere  Tradition 
und  Gewohnheit  bestimmten  Variationstechnik  unterzogen.  Schon  aus 
dieser  ununterschiedenen  Behandlung  so  wesensungleicher  Stoffe  ergibt  sich, 
daß  es  dem  Bearbeiter  durchaus  nicht  auf  eine  Steigerung  der  ihnen  zu 
Grunde  liegenden  Affekte  ankommen  konnte,  daß  es  ihm  vielmehr  darum 
zu  tun  war,   die  melodische  Linie  zu  vervollkommnen  und  zu  verbessern. 

15 


226  Nachtrag. 

Ob  ihm  dies  im  Sinne  jener  Zeit  gelungen,  soll  hier  ununtersucht  bleiben, 
und  mag  zunächst  nicht  bestritten  werden.  Sie,  an  die  weit  reicheren 
Zerlegungen  der  Operngesänge  gewöhnt,  dürfte  die  hier  beliebte  Aus- 
gestaltung als  bescheidene,  ja  als  geflissentlich  zurückhaltende,  als  stil- 
gerechte und  oratorienwürdige  anerkannt  haben.  Anders  aber  steht  es, 
wenn  wir  den  Maßstab  unseres  Musikhörens  anlegen.  Da  erscheinen 
uns  alle  diese  Brechungen  und  Floskeln  im  besten  Falle  als  überflüssig, 
häufiger  noch  als  störend,  in  zahlreichen  Fällen  aber  als  entstellend.  Eine 
Ausnahme  mache  ich  nur  für  die  Vorschläge,  vorzüglich  die  veränderlich- 
langen, die  sogar  affektiv  zu  steigern  geeignet  erscheinen.  Ganz  unmög- 
lich, und  unvereinbar  nicht  nur  mit  der  Würde  des  Oratorienstils,  sondern 
mit  dem  Charakter  des  pathetischen  Stils  überhaupt,  dünken  uns  die  immer 
wiederkehrenden  Pralltriller  und  Mordente,  vorzüglich  dorten  wo  sie  auf 
Töne  entfallen,  die  schon  als  Hauptnoten  einen  kürzeren  Wert  innehaben. 
Auch  den  verbindenden  Doppelschlag  werden  wir  nur  selten  akzeptieren, 
vorzüglich  an  denjenigen  Stellen,  wo  es  wirklich  gilt  zu  verbinden.  Für 
unsere  moderne  Musikausübung  bilden  mithin  diese  hier  gegebenen 
Beispiele  sängerischer  Interpretation  ebensowenig  ein  passendes  Vorbild 
als  diejenigen,  die  Max  Seiffert  für  den  Messias  mitgeteilt  hat.1)  Eine 
diesen  Vorbildern  genäherte  Wiedergabe  müßte  dem  heutigen  Hörer  das 
Verständnis  für  Hand  eis  Sologesang  völlig  verlegen,  und  einen  wirk- 
lichen Genuß  vollends  ausschließen. 

Die  Operngesänge  (Q,  c-e)  bieten  uns  kein  erschöpfendes  Bild 
der  reproduzierenden  Variationsmethode,  weil  sie  in  ihrem  Empfindungs- 
gehalt und  der  musikalischen  Behandlung  einander  zu  nahe  stehen  und 
deshalb  keinen  Schluß  zulassen  auf  affektuos  anders  geartete  Stücke. 
Es  sind  durchweg  langsame  Sätze,  in  denen  ein  schmerzerregtes  Herz 
bereits  gefaßt  und  ruhig  seine  Klage  vorträgt.  Nur  in  der  Arie  aus 
Alcina:  „Ah,  mio  cor,"  vorzüglich  im  Mittelsatz  durchbrechen  das  Leid 
der  Verlassenen  auch  heftige  Erregungen  der  Rache.  Leider  enthalten, 
wie  mir  Mr.  E.  Dent  mitteilt,  die  anderen  Arien  nur  ganz  vereinzelte 
Zusätze  von  Manieren,  sodaß  sie  gleichfalls  zu  unserer  Kenntnis  jener 
Ausschmückungstechnik  wenig  beitragen.  Die  Behandlung  unserer 
Opernarien  unterscheidet  sich  von  derjenigen  des  Oratoriums  einmal  durch 
die  Einführung  einiger  Manieren,  die  dort  garnicht  vorgeschrieben  sind, 
wie  des  doppelten  Nachschlags,  und  des  Anschlags,  dann  aber  durch  die 
kleiner  Passagien  und  Notenzerlegungen.  Nur  die  Arie  aus  Siroe  und 
das  weltbekannte  Verdi  prati  aus  Alcina  führen  Kadenzen  mit  sich.     Auch 


l)  Ich  verweise    auch    hier  auf    meine  Besprechung    des  Klavierauszuges    zum  Messias 
von  Chrysander-Seiffert,  Zeitschr.  d.  I.  M.-G.,  Jahrg.    1907. 


Nachtrag.  227 

hier  ist  auch  nur  von  dem  Versuch  einer  Unterstreichung  oder  Hervor- 
hebung des  affektiven  Inhalts  nichts  zu  verspüren,  vielleicht  ausgenommen 
den  kurzen  absteigenden  Gang  im  Takt  34  der  Arie  aus  Radamisto 
„ombra  cara",  der  das  Wort  „Vendetta"  nicht  übel  auslegt.  Auch  diese 
Veränderungen  resultieren  in  erster  Linie  aus  dem  Wunsche  einer  Be- 
reicherung der  Melodie,  einer  innigeren  Anschmiegung  und  Verknüpfung 
der  Noten  untereinander,  und  der  Zerlegung  gehaltener  Töne  in  Melismen. 
Es  tritt  hier  aber  —  anders  als  in  den  öratorischen  Gesängen  —  unver- 
kennbar die  bravouröse  Zweckbestimmung  klar  zu  Tage.  Die  freie 
Auszierung  machte  also  in  der  Praxis  selbst  vor  diesen  breiten  und  ge- 
tragenen Gesängen  nicht  halt.  Diese  Art  der  Behandlung  pathetischer  Stücke 
verfällt  unbedingt  dem  verdammenden  Urteil  jener  Theoretiker,  die  wenigstens 
sie  intakt  und  vor  der  Veränderungssucht  der  Sänger  geschützt  wissen 
wollten.  Statt  eines  nachahmungswerten  Vorwurfes  liefern  diese  unsere 
Varianten  vielmehr  ein  lehrreiches  Beispiel  reproduzierender  Willkür 
sängerischer  Eitelkeit.  Auch  die  einsichtigen  Musiker  jener  Zeit  hätten 
sich  gegen  solche  Umgestaltungen  des  Originals  energisch  verwahrt. 
Nicht  anders  hätten  sie  die  Kadenzen  beurteilt.  Sie  sind  nicht  thematisch, 
sondern  als  Sängerkadenzen  gebaut,  weil  keine  dieser  Arien,  wie  ja  die 
meisten  im  langsamen  Tempo,  Stoff  bietet,  der  sich  zur  Wiederanführung 
in  einer  melismatischen  Formel  eignete.  Das  ist  also  nicht  auffällig.  Hin- 
gegen lassen  sie  —  mit  Ausnahme  der  Variante  III  der  Kadenz  zu  Siroe  — 
die  von  den  Theoretikern  einmütig  geforderte  Beschränkung  der  freien 
Kadenz  auf  den  Ruhepunkt  des  Quartsextakkordes  ausser  acht,  da  sie  be- 
reits vor  seinem  Eintritt  einsetzen,  die  Varianten  I  und  II  der  Arie  aus  Siroe 
sogar  ganz  auf  dem  ihm  vorangehenden  Hauptdreiklang  sich  festsetzen, 
und  den  anschließenden  Quartsextakkord  ungenutzt  lassen.  Wenn 
Chrysander,  wie  oben  S.  151  erwähnt  wurde,  seine  Kadenzen  mehr- 
fach in  gleicher  Form  konstruiert,  so  kann  er  sich  zwar  auf  diese  Praxis 
berufen.  Es  unterliegt  aber  keinem  Zweifel,  dazu  sind  die  Aussagen 
der  italienischen  und  deutschen  Autoren  jener  Zeit  zu  bestimmt,  und 
zu  eindeutig,  daß  diese  Arten  des  Kadenzierens  als  Ausschreitungen  galten, 
die  Tosi,  und  mit  ihm  Agricola,  ausdrücklich  zurückweist,  wenn 
er  ausführt,  es  sei  eine  unerträgliche  Schwäche  der  Sänger,  wenn  sie 
beanspruchen,  das  Orchester  solle  in  seinem  schönsten  und  geregelten 
Laufe  aufhören,  um  ihre  schlecht  erfundenen  Einfälle  abzuwarten.  Daß 
es  sich  in  unseren  Beispielen  überhaupt  nur  um  Floskeln  handelt,  der 
Virtuosität  eines  beifallbeflissenen  Sängers  bestimmt,  das  ergibt  sich  einmal 
aus  ihrer  mit  dem  Inhalt  des  Stückes  inkongruenten  Struktur  nichts- 
agender,  ja  banaler  Wendungen,  dann  aber  aus  der  uns  bereits  bekannten 
Überlieferung,    daß    solche    pathetischen    Gesänge    überhaupt    kadenzlos, 

15* 


228 


Nachtrag. 


oder  doch  nur  mit  einer  ganz  kurzen  Formel  abgeschlossen  zu  werden 
pflegten,  und  das  noch  zu  Hillers  Zeiten.  Sie  bringen  aber  den  strikten 
Beweis,  daß  sich  eben  nicht  alle  Sänger  an  die  Vorschriften  der  Meister 
hielten.  Daß  wir  uns  für  die  heutige  Praxis  an  jene  zu  halten,  nicht 
aber  die  Auswüchse  unbescheidener  und  unvernünftiger  Sängergepflogen- 
heiten wiederaufzunehmen   haben,   bedarf  keiner   besonderen  Begründung. 


Anhang. 


A. 

1.  Zacconi,  Prattiea  di  musica. 


§ 


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Bovicelli,  „Regole, passaggi  di  musica"  Passeggirter  Falsobordone  des  Giovanelli. 


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Bovicelli,  aus  einem  passeggirten  Madrigal  Cypriano  de  Rore's 


3, . / acconi .  (Doppelschlagsbewegung?) 


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Bovicelli,  passeggirtes  Ave  verum  des  Palestrina. 


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4.  Zacconi. 

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Zacconi. 


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Bovicelli,  Falsobordone  von  Giovanelli.  Hier  ist  der  Groppo  nicht  Kadenz. 


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Die  einfache  Oberstimme. 

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Bovicellij  Ave  verum  Palestrinas. Anfang.  Einfache  und  doppelte  MichscfUäge 


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Bovicelli.   Madrigal  Cypriano  di  Rore's. 


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6.  Christophoro  Malvezzi.  Intermedii  e  Concerti.  Venetia  1591.  „Dalle  piu  alte  sfere." 

.      Verzierter  Cantus. 
.SA    Vorschlagsrhythmen. 


nuo-va  Mi  -  ner-va  e  fo 


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Einfacher  Cantus. 


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Begleit  stimmen. 

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Bovicelli. 

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Bovicelli,  in  dem  Madrigal  Cypriano  Rore's. 


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Franc.  Severi.  „Salmi  passcggiati." 


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nunc. 


7.  Malvezzi  a.  o  0.  Schiuss. 


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8.  Malvezzi,  a.o  0. 
Bovicelli,  Ave  verum  des  Palestrina.         tC-h m  a. 


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Pjralltriller,  richtiger: Mordent  nach  Tosi  Agricola 


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B.  Ornamente  der  Italiener  und  Deutschen  von  1600-1640. 

1.  Accenti  nach  C rüger  und  Herbst.  , 


Thema, 


4 


a. 


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b.  ,  etS- 


c. 


etc. 


etc.  d. 


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Thema,  durch  die  Tertia  aufwärts, 
etc.  e.  eft?. 


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Durch  de  tt  Quart  heraitff. 
etc.  j. — =     etc. 


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Durch  den  Quint  herauJY. 
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etc. 


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q.  Tirata.  Herbst 


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Cascata  Caceinis. 


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o     3  ^: 


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2.  Vorschläge  auf  die  Thesis  fallend. 

a.  Caecini,  Der  Anfang  des  Madrigal  Cor  mio,  Nnove  Musiche  von  1601,  von  ihm  selbst  aus- 
schmückt, (auch  Aviadi  Roman  esc  a  ebenda.) 

etc. 


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b.  Derselbe.  Amor  io  parto  f.  Tenor  nach  der  Ausgabe  v.  1607. 


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C.  Girolamo  Marinoni,  11  primo  libro  de  Motetti  a  una  voce  sola,  Venetia  1614. 
(Präge?-  Clementinum) 


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d.  Franc.  Severi.  Salmi  passeggiati  etc. 
Roma  1616.  . 


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Sicut  erat  in  principi- 


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nunc. 


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e.  Mpnteverdi.  ,,0rfeo." 


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f.  Marinoni.  II  primo  libro  di  Motetti  a  una 
voce  sola,  Venetia  1614. 


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Assumpta  est  Ma-  ri 


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£.  Ignatio  Donati.  See.  dibro  de'  Motet-      3.  Domenico  Mazzocchi,  DioioghieSon- 
.  verietia  ibrfb.    ^ jietti  1638.1ftn9c^äffg  auf  die  Arsts  fallend 


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pos  -  sit     a  -  man  -  tem 


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4.  Caccilli,  Nuove  Musiche,  Madrigal  „Cor  mio"  Nachschläge. 


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etc. 


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Caccini,  ebenda,  Aria  di  Romanesca.  Doppelnachschlag. 


etc. 


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5.  Caccini,  Ribattuta  di  gola. 

a       a. 


33: 


Crüger  und  Herbst. 
b. 


J-     5  J.  EjEjj       II 


32 


C.  Cavaliere.  Angelico  Patta,  dieselbe  Figur  als  Vorbereitung  zum 

(Rappresentatione)  Zimbelo.  Secundentriller. 

d. 


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6.  Der  lange  gehauchte  Triller. 

a.  Caccini.  b.  Herbst. 


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oder 


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c.  Dan.  Bolius. 


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etc. 


d.  Crüger. 


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e.  Praetorius. 


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oder 


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f.  Monte verdi.  „Orfeo." 


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7.  Der  gehauchte  kurze  Triller. 
Aa.Crüger.     — -*• 


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b.  Herbst. 


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Der  Triller  ist  hier 
ausgeschrieben. 


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d.  Ottavio  Durante,  Arie  devote. 


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0       Se-gua  soc- cor  -    ren-do 
8.  Der  lange  Tremolo  der  florentiner  Schule.  Trillo  der  Eömer. 

a.Herbst  und  Crüger.    descendens  b.Cavaliere.(7W//ö.) 


ascendens 

9.  Der  kurze  TremoIo,(Tremo]etto)der  Schneller  des  Petri-Türk. 

a.HerbstSchneller  der  Klassiker.  b.Cavaliere.  (niona  China)      «         .    . 
*  —  ..„    a  Mordent  der  Klassiker,  v.  vaccini. 

liili   ^       A„ — n Jfc 


10.  Der  doppelte  Tremolo,  unser  Doppelpralltriller. 
Aa.Caccmi.       etc.  b.  Praetorius. 


c.  Herbst. 


c/c. 


fc  d.  Caccini, «/«  Nachschlag.     e.  Praetorius. 


^[fClT'S^g 


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11.  Der  Groppo  oder  groppolo. 

a.  Cavaliere.  deutet  den  groppo  durch  eing*  an.  \yt  Caccini. 


c.  Cadentia  nach  Crüger. 


oder 


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d.  Gruppo  mit  einem  Accent. 


a.  Final  Cadenz  in  Caccinis  Madrigal  „Cor  mio." 


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Par 


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8 


C  Die  römische  Oper  bis  1645  und  Monteverdi's  Spätopern. 
1.  Tonmalende  Wendungen. 
j .   a.  St.  Landi.  „s.  Alessio" 


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4.3. 


7*  C.  Monteverdi.  „Ritorno  d'Ulisse" 


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d.  Monteverdi.„Incoronazionea 


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mi  -  ni    ful 


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e.  St.  Landi.  „Orfeo" 

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f.  Michelangelo  Rossi.  „Erminia  sul  Giordano" 


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su,      spie  -  ghia 

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ino    il       vo 


lo. 


j     g.  Monteverdi.  „Ritorno  dPUlisse." 


""anto  Ulisse  non  vale,o       o 


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scher   -    za-no.  o 


scher 


za-no  gli 


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De-i 


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2.  Trochäische  und  jambische  Vorschläge. 
J+  a.  St.  Landi.  „Orfeo."  ici9. 


tal 


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C.  Jac.Melani.  „Ereole  in  Tebe." 

t    t.        ,^  ,.  „     Hier  ist  der  Vorschlag  nicht  i?i  de?i  Takt 

j    D.  Dom.MazzoCChl.„La  Catena  d'Adone."     eingeteilt. 


i^pF? 


se-ren  del  tuo  di  -    vin 


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Ja 


d.  Jac.Melani.  „Tanciaf 

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e.  St.  Landi.„s.Aiessio.e^en(ja# 


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da  -  me         par~ti  - 


te. 


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f.LuigiRossi.,;Orfeo.«  eben(Ja- 


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1647 


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76?  7  1f  | 

g.  Monteverdi.„Ritorno  d'Ulisse." 


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Tor-  na 


den      tor-na 


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3.  Nachschläge. 

a.  St.  Landi.  „  s.  Aiessio." 


i-  k  *  6  i  * 

b.  M.  Marazzoli.  „Dal  Male  il  Rene." 


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Chi      l'a  -  li  a  me       da  -     ra 


se    ri    -     nie  -  dio  e  la     mor-te 


Ja  C.  Jac.  Melani.  „Tancia." 


i 


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Vorschlag. 


Enfjrfi^ 


Nachschlag. 


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fug-ge  il  mio  ben  se  mi 


fug-ge  il  mio  ben,     da 


-  ine. fug-gi    - 


te 


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(6)      6 

;    d.  Monteverdi.  „Invoron&zione"  Doppelter  Nachschlag. 

S  h i        ,  ,       O 


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fam-mi      spo    -      sa  al 


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>  (6 

4.  Der  Schleifer. 
*M  a.Luigi  Rossi.  „Orfeo  " 


■=     ei- 


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2 


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7.       3« 


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b.  Monteverdi.  „Incoronazione" 


dypil 


c.  St.  Landi.  „s.  Aiessio." 
Dreinotiger  Schleifer.  Trzole, 


s 


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22; 


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se-te  A-more 


tu,  due  mal-  la  -  dri-ni. 


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ben  fug 


ge 


Öl 


piu 

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Z2: 


32 


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11 


5.  Gehauchte  Vocalisation. 
i*  a.Monteverdi.„Incoronazione.a  Komische  Scene. 


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13 


b.Carissimi.Aus  der  Kantate  „Diluvium  universale."  Hamb.Stadtbiht. 


fer- ra-rum  ar- du- or  tre-mis-cunt  to  -  ni-tu 


fer-  ra-rura  ar  -  du-  or  tre-mis-cunt  to 

Derselbe.  Kantate  „Dies  malus."  (ebenda) 


0    0      0 


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0   0     0 


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6.  Triller. 
a  a.  D.  Mazzochi.^. 


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j    b.  Triller, durch  eine  Secundenbewegung vorbereitet  St.Landi.„Arie  a  voce  sola"l620. 


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4.3. 


7.  Doppelschlag. 
^  a.Monteverdi. „ Incoronazione." 


b.  Derselbe.  „Ritorno  tfVlissei'Jreieinfre- 
tender  Dojypelschlag,  der  Anschlag  Ag7'icola  s. 

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8. 

a.  Kadenz  aus  der  zweiten  Kantate,der  von  Gevaert  angelegten  Sammlung  von   Kan 
Ja  taten  und  Duetten  des  Carissini;Ms.  der  Bibl.  Royal  de  Bruxelles. 


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j     b.  Ebenda,  Kantate  8.  „E  bello  ardire." 


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re  e  bei 


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12 


C.  Kantate  9.  derselben  Sammlung.  Duett.  Schluss. 


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d.  Kantate  „Tronchi  si  pensieri."  ebenda 
t    -  -  .-     -        i»    dg    P 


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6   5 
4    3 


j  e.  Luig'i  Rossi.  Kantate „Quanto  eredulo." Der Sat 'z  lautet  beim erstenVbrtrag; 


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Quan-to  e  cre-  du-lo, 


quan-to  e  cre-du- 


o   quäl 


co-re,  quan  -  to,  quan. 


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Beide?*  Wiederholung 


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cre  -du- 


lo  quäl    co 

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Quan-to  e  cre  -  du  -lo, 


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mm-i^zfi: 


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quan-to  e  cre 


du-lo  il  mio 


4 
3 


ipmü 

du-lo    il  mio 

tö      (I) 


co   -     re,      quan- 


1 


mio  co  - 


/CS 


re. 

ZEEI 


D.  Die  venetianische  Schule.  Cavalli  und  Cesti. 
1.  Cavalli.  „Egisto" 


13 


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Da  1'0-ri  -  en  -  te    sor- 


go 


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den  -  te 


pro-di  -  ga  dis-pen  ■ 


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von  den  Instrumenten  wiederholt. 


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2.  Cavalli.  „Didone." 


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fon  -  te, 


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ä.  Cavalli.  „Giasone." 


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ci  al  cor-  so     lo   -    ro, 


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4.  Cesti. I  „II  prencipe  generoso." 


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5.  Cavalli.  „Ciro." 


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6.  Cavalli.  „Erisniena." 

Ja  „4  ,üj  jJijfUJ  j  J  j 


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7.  Jambische  und  trochäische  Vorschläge. 

Ja     a.  Cavalli. „Giasone." 


b.  Cavalli.  ebenda 


I  j  I J 


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si,  ch'io    mi 


le   fug-gi  - 


ti  -  ve    pian  -   te 


«^ 


M 


-o- 


m 


si,  ch'io   mi    pro-ve  -  do 


15 


C.  Cesti.„Da  Dori." 


Se^ 


d.  Cesti.„Pomo  d'Oro." 


P 


sm 


i^m 


se  Paf-fet-to,    oh 


Di 


fat  -  ta    la   spi  -  a 


p^ 


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1 


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e. Derselbe  ebenda.      „   _       _.. 

j  Ä    .?■      -*L       a  I.  Cavalll.„Didone." 


te  i  g 


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ja: 


3 


3 


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ein-giu-  sto, 


il    dol  -    ce  As  -  ca  -  nio 


Di  -  o 


m  J   m 


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g.  Cesti.„Powo  d'Oro." 


h.  Ebenda. 


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gii  oc-chi 


5 


n'm-vi-a      per 


gli  oc-chi     per 


il 


pie  -    de 


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k  W        W) 

8.  Nachschläge. 
.  a.  Cayalli.    b.Cesti.„Pouio  d'Oro." 


(1) 

C.  Cavalli.„Didone." 
Doppelter  Nachschlag. 


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sen  -  to, 


col  tuo 


bran-do  a  no-stri 


pet  -  ti 


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d.  Cesti.„Poino d'Oro."   e.  Cavalli.„Giasone" in  der  Passaggie 


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da    -     to 


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4      3$ 


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9.  Doppelschlag. 
a    a.  Cesti.  „Ponio  d'Oro.". 


ini  -    de   -    a 


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bel-la     in 


di     n'as  -  pet 


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ti. 


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(I)        15 


16 


Jm    b.  Cavalli.„Ciro"  Recitativ. 


C.  Cesti.„Pomo  d'Oro." 


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hör  di     sa  - 


9     0 — ~~m 
per  la   sor-te  mia  son 


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va  -  go? 


bor-  sa 


pie      -        na 


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"56f 
d.  Cesti.  „La  Dori"  Doppelschlagsbewegung  in  der  Passaggie. 


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10.  Schleifer. 


rä 


a.  Cavalli.„Giasone.rt 


^gE^IP 


b.  Cesti. „Porno  d'Oro." 


Pi 


te  -  nie  in-van'     tua 


ä 


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fe  -    ri  -  ta, 


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do-  lo      üii     -      o, 


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s\    m  8» 


6  6\ 


in 


11.  Kadenzbildungen. 

a.Cesti.„Pouio  tfOro."  Schleifer  und      , 
Vfl    Triller.  ir  P.  Ebenda 


•  A   Trtue 

mm 


con  -  ten  - 


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ti! 


giun  -  ger       de 


va    -       no 


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Jf.  C.  Aeolischer  Halbschluss.  ebenda.         &.Caxal\i.,$.g\*Xo"AusgeschriebeneKad. 


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17 


12. 


a.  Franc.Provenzale.  „Stellidaura  vendicata" 


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Armidoro-Con      suo- 


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V*   C.  Ebenda. 


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spi-ro,  o  Di-o,tra 


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tfy^tiFT  1-PfflJ^ECET 


Dor-mi    per- fi-do  ti - 


ran-no,ch'a  tuodanno  ve-glia  ar-  ma- 


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to   ll   rio     de-stin,  ve-clia  ar- ma        -         to.  ve-eliaar.  mn 


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to   ll   rio     de-stin,  ve-glia  ar-  ma 


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to  il    rio         de  -  stin  - 


6.  Jamb.  Vorschlag  aus  der  Harmonie  der 
vorhergehenden  Nöte,  ebenda.  


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ed  io       son 


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18 


f.  Troch.  halblanger  Vorschlag. 


j.  I.  Troch.  halblanger  \ 

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g.  Nachschlag,  ebenda. 


efc. 


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Per-ehe  las  -  sa,tant' 


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lt.  Doppelter  Nachschlag  „II  schiavo." 


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i.  Lombardische  Figur. „Stellidaura" 
.Die  Hauptnote  bildet  Dissonanz. 


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Quest'  os    -      cu  -  ro, 


ch-al     mio       vol  -  to 


dar   men-ti  -  ta 


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i     1.  Sospiri,  Schleif  er  und  Doppelschlag.  „Schiavo  " 


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m.  Echoeffect  in  der  Passaggie.„  Stellidaura." 


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pian-go,s'halete-ne-bred'in  tor 


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n.  Ebenda.  Duolenthema . 


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O.  Ausgeschriebener 
Mordent.  ebenda. 


Ben-che  a-man-te  of-fe-so  si-a,  nac-qui  al  nion-do  Ca-va 


lier 


Stel  le       fie-re 


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fe^f^ 


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19 


E.  Alessandro  Scarlatti  und  die  ältere  neapolitanische  Schule. 
1.  L'Amazone  Guerriera,lfi89. 


Largo 


0  -  ro  -  lo  - 


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gio  ras  -  sem-bra  il  mio       cor 


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2.  Griselda.„Amanti,ehe  piangete." 

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A-man  - 


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che  _     pian  -  ge  -  te, 


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che    pian-ge- 


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te,  le    la - gri-nie  ter  -  ge-te,      le    la-gri-ine  ter-  ge-te,       e     con-  so  - 


f^r^r~r^ 


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3.  „Prigionero  fortunato." 


20 

4.  Griselda.„Quando  tiranno  Aniore." 


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pren-de,  pren-deunco-  re  tra  lac- 


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Solo. 


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5.„Prigionero  fortunato."  „Ondeggiate.1 

Ja    ,      Tromba. 


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Die  andern  Stimmen  schweigen. 


gran  bat    -    ta  - 


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21 


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gliamac-een  de   il   cor 


6.  Theodora  AugUSta.    Anfang  des  Ritornells. 

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Einsatz  des  Gesangsthemas. 


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7.  Tigrane. 


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8.„Clearco  in  Negroponte.u 


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9.  Tigrane.  „Susurando."  Andante. 
j  Violini  alla  sordina 

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Viola  alla  9ordina 


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alla  sordina 


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ca    -     ro,  e  bei  -   lo,  e 


bei  -  lo  il  mo-  ri    -    re 


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§§ 


Ritoraell. 


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ll.„Clearco  in  Negroponte." 


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Durch  die  ande- 
re Stimme  auf 
sussurate  wie- 
derholt. 


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12.  Griselda. 


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13.  Theodora  Augusta. 


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14.  Tigrarie. 

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Duo  Violette, Cello  Solo. 


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15.  Onestä  negli  Amori.  „Per  dar  lampo." 


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16^  Cambise.  „Tutto  appoggW 

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17.  Tigrane.  „Care  pupille." 


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18.  CambiseVTutto  a^poggiot1  Sekluss  des  Mittelsatzes. 

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19.  Mitridate. 
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pa  -    gno  ie-del  fe  -  del 


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güo?com  -  pa  -    gno 


Bassi  d         fis     H. 


28 

20.  Griselda. 


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pie  -  ta  pie-ta, 


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lo  ve-do,      lo  so, 


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lo  so,   e  n' 


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ta. 


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21.  Mitridate. 
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sen. 


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22.  Tigrane.  .,I)el  Amanteconfido." 
'  rfc= 


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etaceato 


fa  ra, 

23.  Prigionero  fortunato. 
Violine.(Viola  in  blando.) 


ven  -   det  -  ta         fa  -  ra 


# 


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ina      con  - 


ten  -  ta        del  -  la 


pia  -  ga  s'ap  -  pa  - 


^^rfr£fin^ 


m* 


29 


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S 

24.  Mitridate. 
j  Andante. 


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Violinen. 


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di-let  -  to 


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Violaund  Basso. 


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giun-ge  nel 


cor. 


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25.  Tigr^ne.  Jambischer  Vorschlag;  2ß.  L'onesta  negli  Amori. 
>a  dissonirend. 

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sor-ge  il 


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duo   -      lo. 


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27.  Cambise. 

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men   -     ta    -     te,        eh'a      lue         ri  -   tor    -     ne 


i 


rai. 


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I 


28. 


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Mitridate. 


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VH  ^  .yf  rärp=^r~~ff 


tor-inen 


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ta,    mi     tor- 


!!3" 


29.  Cambise. 
j.        2  Violinen.  Viola  mit  der  2**n  Violine 


G\>     ü 


1  io,       che       men        po   -    tro        spe 

30.  Nachschlag. 


rar 


I 


pxrfEgg 


31.Prigionero  fortunato.    32.  Mitridate. 
Thema. 


:je:i"~py^M. 


P 


3 


ta.         Fer 


la     pie 
3j3.  Theodora  Augtista.  Gehauchte  Vocaltsatwn 


ma.      m'in  -    ten 


de. 


|  r  |  |  JTO^ 


JE31 


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f  i-glio,  son   <:on  -  ten  - 


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gg   r    y_JLf— 4^: 


p 


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34.  AgOStillO  Steffaili.  «».21204  der  Kgl.  Bibl.  Berlin.  N<?tO. 


De-H  -ti  -  e, 


*j>  ji  i  v 


2S 


{L^l^LjQ 


P 


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De-U  -ti  -  e,        un 


tcm-po 


a  gli  oc-chi 


miei       si    ca-re,      tior 


m 


3X 


331 


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bre    ro 


ta       ei-ti  de-ser-ti       so-li 


ta  -  ri  pas-seg-gi      om 


V      («)■ 


LC lüi 


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(«) 


31 


fa-ujL*  wrjm 


■9—m 

mi-te     fon-ti, 


voi,chepiange-te 


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al  pian 


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to    mio. 


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35.  Ag.  Steffani.  „II  trionfo  del  fato." 


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36.  Tassilone. 


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37.  Tassilone. 

HautboiSjVioline. 


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38.  Kadenz.tonisch.  „n  trionfo  dei  fato." 


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40.  Songs  in  the  New  Opera  caird  of  Camilla. 


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4.2.  Ebenda.  Schluss  des  Mittelsatzes  der  Arie. 


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Kadenzierter  Schluss  des  Mittelsatzes. 


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44.  G.  Bononcini„Griselda"  ,Ncl  caro  sposo" 

.           Andante. 
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45.  Antonio  Lotti.„Giove  in  Argo." 
Jh   Oboen  und  Violinen, 


46.  A.  Lotti.  Kantaten. Kgl.  Bibl.  Berlin.  Ms.  13210.  Ritornell. 
J  A     Oboen.      w  i     i  rr 


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Fagott. 


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47.  A.  Lotti.  „Allesandro  Severo." 


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Del   in- fi-do a  te  s'as- 


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la  ven-det  -   ta, 


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48.  Legrenzi.„Echidiri 


riverenza 


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9.  A.Lbtti.  Kantaten.  Ms.  13211  Kgl.  Bibl.  Berlin.(vil) 


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51.  Caldara.  Ebenda. 


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52.  Benedetto  Marcello.,    „Cassandra." 


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53.  Caldara.  Ebenda. 

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54.  Leonardo  Vinci.  „  Alessandro  nellelndie."(n29) 


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55.  Leonardo  Leo.  „oiimpiade" 


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56.  Leo.  „Flavio  e  Domizia." 


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Mitornells. 


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N         zr  Fen  sa,    pen-sa, 

57.  Giulio    Alessandri.  „  Santa  Francesca  Romana<< 
Troinbe. 


che  lo  giu-ra-i, 


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58.   Ebenda.    Arie  des  Battista. 


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59.  Caldara.  „Madalena  a  picdi  di  Christo"  (W13) 
j.     Allegro. 

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Violinen. 


Violinen 
u.  Viola. 


Madalena. 


60.  Caldara.  Ebenda.  Per  il  mar  del  pianto  niio,  disprezzar  sapro  le  pene 
j       Adagio.        piano  i 


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61.  Caldara.  „Gesü  presentato  nel  Tempio"  (1735) 
j.      Violinen  u.Viola. 


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«*****»*    ********      mwww      ,»*»*»*»*»■**      ^^v^^,     *ww»v- 


gloria  fre  - 


menelpet-to      mi-  o 


Violine  I. 


Violine  II. 
Viola. 


Eva. 


62.  Caldara.  „La  Morte  d'Abel."1733 
Andante. 


41 


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piano 


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K  Die  französische  Theorie  im  17, und  in  den  ersten  Decennien 
des  18.  Jahrhundert. 
I.Port  de  voix. 


1.  Mersenne^  Harmonie  universelle  1636. 


!j.  u  ij-^hLH^^hHNNsN1 


~KT 


ut     re        ut      ru —  mi     fa        mi*     *-fa 

2.  Bacilly.   a)  Port  de  voix  plein. 


"  J1  dl  —• 


genauer 

j>  i  i  i 


•      la  mort  *         la  morTI___  la  mort 

b)  P.  d.  v.  glisse  on Coule.  c)  poft  dc  ^   d)  Zwisclien  Terzen. 

4  J^   JL.J     11  J^   Ü1    II  -^J    P  1  P  I 


la        mort la       mort 

3.  Jean  Rousseau.  1678. 


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souf-frir     tant     Sollffrir  tanT 


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4)Loulie.  1698 
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d)Port  de  voix.  e) 


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q)  La  Cüute. 


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t)  Accent 


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ö.Monteclair.  La  Chute 

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22 


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C)  Affillard.  Port  de  voix. 


-,  .  %/j  A±iii.i<i.ru.  rori  ae  voix. 


d)Port  de  voix  doublt 


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e)  Mont Eclair,  coule. 


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fa-a     re-e 


ml-i       sol      mi-i       la        mi 
f  )  Port  de  voix .       y 


si 


a        k  i)  ron  ae 

mi-i        si  {j^t    re         ^"^     ff  re  mi  fa-a 

la—a        xxx 


Triller,  Tremblement,  Cadence. 
1.  langer  Triller, 
a)  Mersenne. 


43 


I 


b)  Bacilly.  reconstruirt. 


ttj  j  |  JJJjJJJJjj  1 


§ 


W C7 


w—*- 


C)  J.  Rousseau. 

Cadence  avec  appui  mit  Anticipation.  i 
_A ir  L^fc Ol 


$-Ki  n  j  ^  j^  1 1  j  j  i  -F^jjj  i 

mi  *  ini 


■     ■ 


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e)  Ohne  Anticipation. 


i 


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PPP 


pp 


?PP 


22 


ff")  Cadence  ohne  Vorbereitung. 
t  tk 


h.)  Tremblement  nach  Loulie' 
ohne  appui. 


h        .       ,     tt L_L t    U  L> unne  appui. 


I 


1) 


Trembl.  double 
k)  Trembl.  appuye 


uj  ju  >j  iij  n~rn>ixn 


-& ö jJ     '•• 0'   0  '0 m—0 — 

Trembl.  triple 


re 


1)  Monteclair. 

Triller  von  unten. 


* 


>J  S  S  | 


m)  Tremblement  appuye 


ä 


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DE 


mauvais. 


n) 


Appuy 


Battement        Tour. du  ^  .  BlllIl4ll;.  .  e  Arm„„ 

——»—»»»»%»%»     gosier.   p  jp    ,  OJAndeutungues  Appuy. 


u.^  a 


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p      P 


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3 


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p)  Tremblement  subit 


g  *Ah  b  g  xp  j  p  B  j|  |  f  p  g  p  |  g 


n 


Mar-chez,   vou-lez,      vou    -  lez    que  tout  vous   soit      sou  -    mis 
q)  Tremblement  double.  battements 


S 


%»%»»%%%»«%%»»«»   iv ur  (in 
gosier. 


k-k-l. 


*!*'  &t/f  Ü"  P  j  TTT  B 


^ f» 


331 


XC 


rX 


fP=a 


battements        Tour  du 
*«*«»»»»«»»»»»»»»»»    gosier. 


i  i  ZU 1 


^ 


3E 


2.  Kurze  Trillerform, 
a)  Loulie. 


fl   a;  Loulie. 

i  i  p  j  i  i  i 


b)  Martellement  (Mordent) 


W 


WW-^I 


m 


-* — r 

Tremble  simple 


M.  simple 


M.  double 


44 


w.v. 


c)  Monteclair. 

Trembl.  feint.        Wohl  auszuführen 

m  -Joczikpö- 


yjijüiiiJ  um  i  7.  irnn 


d) 


j^mmmmm 


E  -   tei-gnez.      E-  tei  -  gnez 

e)  Pince  (Mordent)  mit  vor- 
wohl  auszuführen,  appui  ausgeschicktem  Port  de  voix. 


pÜSl 


5 


■       re    mi    fa-a-  a 


f)  Gr.  Muffat.  Semitremulus,  pincemect,  g)  Tremulus,  trillo,  tremhlement,  fredon. 

auch fj    t 


I 


tremblement  coupe. 


3E 


U     - 


rr,r,;f  -  »rr 


B   — 


III.  a)  Loulie.  Balancement 
a    (gehauchte  Vocalisation) 


b)  Brossard. 


H   J'    Ji  J'    Ji  iE    iEüE    iE    11 


m 


^^  ^f  ^^  mWL     I      *^ 


ff.  ■■    B    ■  jB 


e)  Monteclair. 


%%»»%%»%»»»%»»»»» 


3 


P  P  EP  P  p  p^ 

"0-  ta   r 


»    ■ 


*     * 


ff     ff     ff    ff     ff    ff     ff    'ff—       &       — fl 


est 


ter- 


ra. 


IV.  a)  Loulie.  Tour  de  gosier. 


b)  Triller  und  Tour  du  gosier. 

tC/D 


Hi   I  bj  B  I  II  i  j  IJUiJW 


u     g 


ö & % ;  •  'ff       •"» 


H» 


C)Affillard.  Double  cadence  coupee. 

S 


d)  Muffat. 


f  j  HMr'ri'-pLAiH-arp-yir  g  j 


e) 


f)  Monteclair. 

CO 


dfrpiii.j^iij^P 


•   * 


V.  a)  Berard-Blanchet.  Port  de  voix. 

(reconstruiert.) 


¥ 


b)  J.  J.  Rousseau.  Fiatte 
i 


^m 


mm 


TZ. 


TZ. 


TL 


■Or- 


mi  fa 

C)  Accent. 


fa" 


d)  Coule 


g  j'„    II  p-i  rj    i  r^-#^ 


e)  Cadence  pleine. 
t 


P    531 


^P 


I 


P 


I 


331 


za: 


A=7 


f)  Port  de  voix. 


EL 


g)  Port  de  voix  jette 

5 


ir  i  1  iir-g 


B3 


I 


■Hs? 


45 


G.  Die  französische  Praxis  dieser  Periode. 

1.  Mersenne  „Harmonie  universelle"  Livre  cinquieme,  Proposition  XXVIII 
Ja      Air  de  Boesset.  Chant  simple. 


±EEÖ 


*=r 


3 


N'e- 


spe 


rez  plus 


mes 


yeux. 


I 


Diminution  de  Monsieur  Bailly. 


=ee£ 


Les 


g^6 


is 


pleurs     n'ont     plus 


lieu.      Dans 


Autre  fac,on  de  chanter  de  Monsienr  Moulinie 


Port  de 
voix. 


1  M'*»_QT1P  -  rP7  TilllSi  TTU 


N'e-9pe 


rez     plus         mes 


yeux, 


de 


m 


de 


3; 


£ 


P 


re  -        voir 


en 


ces 


lieux  la    beau-  te, 


que      j'a     - 


Pgpgg 


£Ö 


ont    le  feü 


g£g£fe 

r  de- 


£ 


le  coeur 


ce     dieu  _    Dont    le  feü 


me 


P 


l  pm  >r  P 


# 


re-     voir 


en        ces        lieux la    beau-  te,  que      j'a     - 


i 


* 


zErfciräzz- 


i 


? 


£ 


HS* 


do 


re 


re    Le  ciel 


ja- 


loux 


de        mon       bon- 


feg 


re 


.  i  t:i  Q» .  3! 


^P 


I 


Pf 


loa 


vo    - 


re     Le  ciel 


£«P 


ja-loux 


de         mon        bon- 


rj.       Blgn     S 


ö 


So** 


3gÖ 


T      do 
*4 


re 


re    Le  ciel  ja  -  loux 


de     mon 


i 


*>. 


a 


JE5 


bon 

T\ 


sc 


i 


p£ 


£ 


■      ■ 


£ 


* 


-6^ 


heur  A 


ra-vy 


ma  nais  -  san-te  auro  - 


re 


par     sa 


n- 


I 


m 


ü=g 


mpf 


gueur. 


s 


p 


p 


IE 


-^ 


I 


heur  A       ra-vy    ma 


nais  -  san-te  auro  - 


re        par         sa 


n- 


gueur 
f7\ 


m 


i 


T7T- 


^fPf3 


J-  s     p 


heur  A  ra-vy         ma  nais  -  san-te  auro-  re 


par     sa      r  ri- gueur. 


*)Die  kleinen  Noten  bezeichnen  den  Chant  simple  des  Moulinie,  der  nur  hier  von  dem- 
jenigen des  Boesset  abweieht. 


46 


2.  Autre  fa9on  de  chanter  de  Monsieur  Moulinie. 
J  Chant  simple. 


iyn-  j 


£ 


I 


N'e-spe 
Port  de  voix. 


rez 


*«-  U 


plus         mes 


jeux,  de   re     -      voir 


wm. 


^B 


fl ^ 


N'e-spe      »       rez  plus 

Second  couplet  en  diminution. 


mes 


jeux,  de    re    -      voir 


2_=-J  J  Ijffg 


F^JTLXI 


iä 


gjg=P 


> 


Les    pleurs       n'ont  plus 


lieux,Daiis  le       coeur 


1 


£ 


P? 


en        ces     lieux      la 


beau  -  te,  la  beau  -   te, 


1  -& 


que     j'a        do 


re. 


»H^-ff  p  j   g 


f^ 


s 


32 


3J±3J 


en      ces    lieux         la 


beau-te,     la  beau  -    te, 


que    j'a  do      -       re. 


zyJftttnmsnnsisiil) 


de         ce  dieu,    Dont       le  feu,  dont  le  feu 


me     de-  vo    -  re, 


J 


IT    ri     rJi 


£ 


f 


re.  Le  ciel  ja  - 


loux 


de       monbon-lieur  A  ra    -     vy 


S 


m 


zz 


?^m 


t 


re.  Le  ciel  jaloux 


de       monbon-heur  A  ra     -     vy 


gj  |  j  p-p^trr/^Jl^-  i't)_J?H^jg 


re.  Le  ciel  ja    -      loux 


de       monbon-heur    A        ra     -      vy 


y 


m 


/7\ 


I 


P 


22 


£ 


ma     nais  -  san    -    te  au  -    ro 


ä — fiV 


re 


par  sa 


ri- 


ma    nais  -     san  -  te  au  -      ro      -       re 


gueur. 
CS 


^? 


zz 


«: 


par        sa 


n- 


»y  p  p     p^  rrrrrr^^  ^ 


a  MD  er  (Tab  J> 


gueur. 


PfP 


1= 


ma 


nais  -  san    -     te  au-  ro    -   re         par 


sa        ri- gueur. 


47 


3.  XXII    Livre  de  Chansons  pour  danser  et  pour  boire,  par  Robert 
Ballard  1663  (Bacflly.) 

Ausgeschriebene  Verzierungen,  port  de  voix,  martellement,  coule. 


jm  J  J1'  I p  J  j  1  Im  H  p  p  r  llt  1  i er :|1 


C'est  ine  trai-ter  tout,coninie  un  au-tre,  Puis-que  vous  n'a-vez        pointd'Amant, 

Port  de 

▼oix. 


i  Port  de  iambischer 


De  ne  vou-loir      pas  seu-       le-ment,Que  je  nie   de-   cla  -    re    le  vo-stre. 

P.d.v.  ^ 


plp  Hl  i  pj  picjcir  itjj/^;  «^  I 


Si    je  nesuis,  que  vo-stre a-iny       vous    ne      me     te  -  nez,         qu'a    de-my 


|^<rJ:  1 1  M 


J-  p  1 »  :ll 


sc 


■     ■ 


P 


a    d 


Une  A-mour  nou  -  vel  -  le        metienten-  ga  -  ge.       En-fin  j'ay  chan-ge 


I 


i*^=£ 


S 


^ 


p^rgf 


g=3t 


■tJZZ* 


ce  cceur    in-    fi  -    de    _      le,       Qui  mal  a     pro-pos    trou-bloit  mon  re-pos, 
4.  Lully.  „Armide"  Melodische  Koloratur. 


I 


Ö 


PP 


^£ 


fts^ 


:ö 


II  n'est 


rien   de    si 


beau,      queles 


noeuds 


de      l'A  - 


mour. 


im 


t=m 


W 


^ 


f 


II  n'est 


rien   de    si 


beau,     queles 


noeuds 


de     l'A  - 


mour. 


S 


i 


£ 


SP 


f 


*s 


5.  Lully.  „Isis"  Air.  Melismatische  Themenbildung:  Chefs  d'oeuvre  de  l'opera  francais, 
^  £.+    „Isi^  S.  289. 


m&tt_ 


f 


^S 


ZT 


wm 


i 


Je  n'au-rai 


pas  de  peine 


a    men-ga    - 


ger  dans 


une  ai-ma  -  ble 


chai   -    ne 


m 


^ 


? 


3^ 


* 


-<& 


6.  Lully.  „Armide" 


i 


7.  Lully.   These'e  a.  o.  0.  S.  25. 


§=EJ 


r   b  J  ||  |  ^ 


la 


chai  - 


ne 


Par-tez,al-lez,vo-  lez 


Ö 


% 


P=* 


s 


s 


6    6 
4 


48 

8.  Lully.  Ebenda 

-4* 


F         ~¥       ■       m       P 


^ 


de    vic  - 


toi- 


» 


i=§=i 


re 


? 


de     vic  - 


toi- 


0^ 


££ 


£ 


re 


£ 


9.  Lully.  „Roland." 


S 


<• i* 


4 Ä 


^HM^- 


I 


^ 


£ 


Tri  -  om  - 


phez,char- man  -   te 


Rei-  ne,    tri  -  om  - 


gl 


# 1» 


phez  des  plus  grands 


I 


göüp=£ 


£ 


"N 
^ 


p3i 

ä ,n 


<»- 


»•  g  pn  g 


/2 «L_Ä 


v-  r  ß 


isi 


£ 


au-^-m 


co8urs,tri-om- 


pliez, 


tri-om  -  phez. 


m 


wnr-^-m 


1 


•■r» 


i£i 


i 


jr^-^Tr 


s\ 


Später. 


» 


r  r  if  f  r  ifEJ 


Qu'il  est    per  -    mis     de    por  -    ter      vo  -  tre        chais  - 


'*y;jL  r  r  r   r  r  r  g — r—- "  r  '•   — "•   *  r   r — r — r — 

-ZL2* _ p 

10.  Lully.   Recitativ  aus  „Atis,"  von  Berard  verziert. 


^^ 


i  m  **  i 


g  i ?  1 1 1  j^ 


Ciel!        quel-le    va-  peürm'en- vi 
Platte.») 


ron  -  ne       tous  mes  sens  sont  trou- 


Son  demi  f  lle 
u.  Accent.  V) 


Port  de  voix 
und  Accent.  3) 


figr^  7 1 1  jP^ 


sm 


Ciell        quel  -  le    va  -peur  m'en  -  vi 


ron  -  ne       tous  mes  sens  sont  trou- 


gE 


1 


m 


TT 


t)  Der  Accent  Berards  entspricht  offenbar  nicht  einem  Nach-  sondern  einem  Vorschlag! 
2)  Der  Platte  ist  hier  nach  J.  J.  Rousseau  Dlctionnaire  notlrt.  Berards  Definition  lässt  sich  mit  dieser 
Pigur  vereinigen.  3)  Der  Port  de  volx  besteht  bei  Berard  in  der  Vorschlagsnote  mit  abschliessendem 
Platte*,  entspricht  also  der  Pigur.,  die  Rousseau  a.  oO  notiert.  Der  Accent  des  Taktes  bezieht  sich  wohl 
auf  die  aweite  Note. 


49 


Ji 


Ö 


m 


~wn—w 


W5 


blez,  Je   fre     -      mis,     je  fris 

Son  demi  fil6  Cadence 

u.  Accent. precipete.  1) 


h         u.Accent. precipete.  1) 


son  -  ne, 

Accent. 


gl      gp    y     ga 
Je       trem-ble  ettout  a 

Cad.precip. 


j  >JT3jl    Jl  J)  }\ 


m 

son-  ne, 


blez, Je   fre 


mis,     je  fris  - 


Je        trem-ble  ettout  a 


W 


3T 


Ji 


i 


s 


J    J    JiJi  ^ 


i 


coup  une  in-fer-na-lear 


s 


^ 


1 


I 


deur  vient  en-flammer  mon  sang  et  de-vo  -   rer  mon 

Port  de  voix,  Accent,  Son 
r\      demi    file  2) 


Port  de  voix 
entier. 


^j  J'iiJi^lJiXP^i 


m 


K 


Uii'ii^ 


coup  une  in-fer-na-lear 


deur  vient  en-flammer  mon  sang  et  de-vo  -  rer  mon 


ip 


zz 


S 


?2= 


TT 


^ 


i 


HE 


5=5 


ffiE 


öss 


i  jj>  jij» 


# 


^p^b 


coeur      Dieux!  que 

Son  demi  file  u.Accenl 


»     i    t    Jl-jl 


vois    je? 


le 


ciel         s'ar-me  con  -  tre  la 


w 


E 


üi^pp 


ou  i 


coeur         Dieux  I       que 


vois     je? 


le 


ciel         s'ar-me  con  -  tre  la 


^3E 


3E 


3E 


"N 
^ 


ip^^P^ 


B 


i  JQ3JB 


ä 


re. 

Cad.precip. 


I 


ter-re.quel  de-sordre,quel  bruit,quel  e-  clat  de  ton 

'*  '  Sondemi  file 

Accent.  u.  Accent. 


ner- 


iE 


ff 


toJ 


^jjiji-H^ 


iE 


^üi 


3 


fü 


KZ=M 


<r^p 


SsI 


ter-re,quel  de-sordre,que: 

Q 


bruit,quel  e-  clat  de  ton 


-     ner- 


re 


iE 


1)  Die   Cadence  precipitee  ist  jedenfalls  eine  kurze  Trillerform,  genauer  lässt  sie  sich  nicht  bestim- 
men. 

2)  Diese  Kombination  läuft  wohl  darauf  hinaus,  dass  die  Vorhaltsnote (f)  geschwellt  wird. 


50 


11.  Campra.„Tancrede."  Tragedie  lyrique  1702. (Ausgabe  v.  Lajarte.S.  226) 


3#5 


r  nf 


s 


I 


Som  -  bres     Fo 

Accent. 


rets, 


a    - 


zi 

Flatte. 


-    le    re  -  dou  - 


ta 


ble. 


^m  p 


^ 


irr  I  r  f 


Cart.appugee  l) 


ÜB£fe 


Som  -  bres     Fo  - 


rets. 


a    -       zi  -    le    re  -  dou  - 


ta 


ble. 


JESfe 


r 


# 


*s 


XU 


12 


ggg  1  1  r  i| 


£-r-rf 


^ 


p 


xn 


vous    que  l'as-tre  du 


jour      ne     pe-ne- 

Son  file  entier. 


y»lti>  §  ffr  #f 


H  r  xx 


tra  ja  - 

Cad.app. (Triller) 


mais 


C'est  as- 


P 


XE 


vous    que  l'as-tre   du 


jour      ne     pe-ne- 


tra 


Ja- 


mals 


C'est  as- 


» 


-o- 


\ 


4 


-e-       -e- 


JL 


mt 


a m. 


f  \ff    r  r=pffi 


£JM^ 


I 


sez  vous  trou 


-bler  des  mes 


tri  -  stes 

Accent.*) 


re- 


^g 


H 


£ 


ü 


grets. 

Cad.molle.3) 


?Z=+=PS 


Je  vais    fi- 


I 


???????  - 


sez  vous  trou 


-bler  des  mes 


tri  -  stes     re 


grets. 


Je  vais    fi- 


4*UULn 


xe 


^^ 


XE 


-» 


'S 


J 


ag  f  rrrir— fi^y 


i 


nir  mon  de  -  st  in        de-plo 

DemlCad.4) 


^MT^rr 


^ 


ra 

Cad.  appuyee 


^ 


ble, 
(Triller.) 


Ä: 


^g 


nir   mon  de-  stin        de-plo 


ra 


•* — •  •  • — 


bl«, 


sc 


r~ftn 


^ 


£=? 


# 


\ 


32 


1» 


6 
4 


V  In  der  Cad. appuyee  beansprucht  nach  Berard  das  appui  die  Hälfte  des  Wertes  der  Hauptnote.     Sie 

mufis  stets  entweder  die  folgende  Note  vorher  bringen,  oder  mit  einem  Nachschlag  enden  wie  hier. 

2)  Hier  scheint  der  Accent  als  Nachschlag  gemeint. 

;3)  Die  Cad.molle  hat  keinen  appui,  und  die  Trillersehläge  sind  langsam  und  weich. (mollement) 

*)  Die  Demi  Cadence  macht  einen  Schwellton  auf  der  fiilfsfeote  (Cis ,  H     ist  als  Hauptnote  notiert)    und 

fügt  dann  eine  kleine  Trillerbewegung  an. 


51 


JL 


2 


#E#f£ 


Je   ne  re-ver-ray 


L m  l 


plU9 
Cad.appuyee 


■ZSE 


Tob  -  jet  demona 

Flatte  u.Accent 
3fc 


I 


EC 


34 


-  mour. 


I 


j 

Cad.appuyee. 


Mon  Eane  • 


s 


£HE£ 


n 


Hg      r    1 


£ 


mi    me  tient 


en      sa  puis 


m 


*=£=£ 


p    i»»r 


JSOF 


£ 


1 


san  -  ce, 

Port  de  entler. 

P-M-0- 


Guer-rier  sans 


i  Uff    | 


# 


«- 


Jeep 


mi    nie     tient  en      sa  puis 


san  -  ce, 


Guer-rier  sans 


9E*5ä 


i 


s 


i©-5- 


XE 


£ 


'S 


6      e 

4 


6      4 


**#■?    _fca 


f^=# 


^ 


^ 


gloi  re,       A  -  mant 

Port  de  vqix,Son  deraif  ile  Accent 


sans  es  -  pe  - 


s 


i  r  "f  t 


Cad.molle. 

JE3M 


f^=F 


ran 

Cad.molle 

üt 


ce, 


Ö 


gloi 


re,       A  - 


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Mon  seul  de  - 


p*bN 


sir  est    de 

Port  de  veux  feint  t) 


dre     le 


jour. 

Accent  u.Son  demi  f  ile 


y~y 


^^ 


-^ ii» 


Mon  seul  de  -   sir  est    de 


per 


dre    le 


lour. 


ati 


^ 


6 
4 


xr 

6 


*)Port  de  voix  feint  entspricht  dem  Port  de  voix  entier,  nur  wird  die  Vorhaltsnote  angeschwellt. 


52 

12.Mondonville.„Titon  et  l'Aurore"  Pastorale  heroique.  Act  III.  Pag.  196.  Ariette. 
Andantino.  Doux.  . 

Jh  ik  k  Violons.         ^ £ m    £  + 


i 


m 


i 


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Violons. 


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Titon. 


4V 


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re,  Lui 


f 

Du 


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I 


1 


22: 


f 


H 


Dieu       des 

Flatte.     Flatte. 


coeurs       on      a  - 


do  -    re   Tem 


Flatte.  Triller.  I) 


Flatte. 


i 


-  pi     -     re 

Trillert) 


3^^ 


f 

Du 


f 


1 


f 


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Dieu       des 


#~ ^ 


coeurs       on      a  - 


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do  -    re  Tem  -  pi     - 


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22 


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I 


H 


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seula  -  vec      des       fleurs 

Flatte.  Flatte. 


En 


chai-netout  ce       qui    re  -I  spi    -      re    en 
Cad.precipltee.    Flatte.Accent. 


^m 


^p 


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m 


p  s^ 


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seula  -  vec      des       fleurs        En- 


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chai-ne  tout  ce       qui    re  - 


■    ■ 


spi    -     re    en 


i 


s 


r^ 


7  ~5"~  7  6  ~T 

V>  Hier  hat  Berard  die  Verzeichnung  des  Originals,  für  das  seine  Tabelle  keine  Erklärung  gibt.  Es  han- 
delt sich  um  den  Triller  mit  appui,  den  die  Vorschlagsnote  andeutet. 


53 


H.  Die  deutschen  Theoretiker. 

1.  PrintZjWolfg.  Caspar.  Compendium  musicae  1689. 
a     a.  Accentus.(//z«V geschwärzter  Note-s.  oL  notiert.) 


rJ»^J"  ijiJ^jijiJi.jiji^J^ 


* 


u.  Tremolo 


ftr  77  r  r 


Ascendens. 


Descendens. 


r  irartitfr ' 


C.  Gruppo.  4sce«rf.     j)escen(i.  Ir!tendens.Be?nitiens?' ' 


^S 


I 


nn^ Tpg 


SP 


f.  Salto  semplice. 


j£=V 


^rpQJ-~Ji 


g".  Salti  composti. 


^Ü 


m^m 


-Ö- 


A   -    mor  uie-us        cru-  ci  -  fi    -  xus       est. 
Figura  corta.  auch.  etc  Messanza. 


f\  m——m      P"^B  r—j 1  VOV.     «"'^  «*««<«<. 


h.  Figura  susplr ans.  i.  Zusammengesetzte  Figuren. 


*FPP  r  y  MMEJXTJJJir7 


SS 


Ö^P 


k.  Tirata  defectiva. 

Crf.Ä.  nicht  Oktave  füllend.)       !•  Perfecta_. 


m.  Aucta. 

d.h.die  Octave  überschreitend. 

^etc. 


jjtfgtij^ffl]  JTJ^  r  iJJff^ 


2.  JailOWSka.  Clavis  ad  thesaurum. 

a.iVccentUS.        %  ,  Descendens  minor  nempe  O  C   ad  \, 

*  Ascend.  minor  nempe  «  0S  fl«  C.  Ascend. major  nempe  Ä  C  Ä#  fl£.  zr 


P 


f 


£ 


Descendens  major  nempe 


i 


Blftae  percUSSioniS  Signa  (ohne  Auflösung.) 


3E 


£ 


s 


<S>- 


r    r    r 


£ 


r    r 


b.  Circuitus. 


n  r  EE 


P^g 


3E 


j-  m  J  i  j  i 


C.  Coule.         d.  Triller 


m 


mm 


sm 


m 


£3 


&- 


% 


e.  Mordent. 
Ja       Adagio. 


/a        Aaagto.  tr 

te  n  u-  r  r  i 


■      i    y 


Ö 


54 

3.  Johann  Caspar  Fischer.  Musikalisches  Blumenbüschlein.  1695. 


Signum  tremuli,vulgo  trilla.  (sie.) 


Semitremulus.vulgo  mordant. 

4V 


4.  Fuhrmann.  Musikalischer  Trichter.  1706. 
a.  Accent. 


üüg 


\jnvnt^ww*f\ 


r—d 


b.  Auticipatione  della  Syllaba. 


F     ß      P         ff     J 


^ 


nur      Je  -  su       will    ich    ster-  ben 


0- 


Dir     nur      Je  -  su       will 


C.  Auticipatione  della  Nota. 


r     r  j  r 


i 


£££££ 


£ 


^ 


-i •— +■ 


d.  Trillo. 
fr 


■&—  fn  "jHPFFrFP'FrFrprFrF? 


So     werd  ich   den      Him-mel    er-  ben 

6.  Trilletto. 
fr       i 


p^p 


f.  Tremolo  oder  Mordant. 

-f- 


g.Tremoletto. 


5.  MyliUS,  Wolf  g.  Mich.  Rudimenta  Musicesl686. 
J*  a.  Aeeento. (Übertragung  um  die  Hälfte  gekürzt  u.  mit  Taktstrichen  versehen 

>£_ — um  -.— .    i  —  — — —  jq ■    cifc       ,..-,     , t  n  ^m        '""  ''..-■     .-i    —  %— _l    -— —  ■     i      — — — —  —  - .  -i      i  ■  —  —  i. .  i-  . 


Ig   *j   g   E 


JSC 


3X 


-O^- 


&er  - 


vi 


te 


Do  -  mi-no 


in         ti 


mo 


re. 


i    *  Ausführung. 


«- 


rzz; 


HE 


■  *     tf*» 


^ 


43^ 


Ser  -•   vi  te        Do-  mi-no        in        ti 


mo 


re. 


b. 


SE 


Ö 


^-if-i 


i»-5- 


0- 


r      Lr 

hof      -       fe 


Mei    -    ne 


See 


le 


har  -  ret      und    ich 


$m 


m^rm 


ö 


S2- 


* 


^ 


t — r- 


^P 


i r 


Mei  -    ne        See  -   le 


har-  ret      und  ich        hof  -    fe 


P 


£=zg. 


auf  sein 


t: 


^s> 


Wort,  und    ich 


hof  -  fe        auf 


¥ 


~ÜL 


sein 


Wort. 


~ arz: 


=2 

zzzz 


7.     jr^: 


^eÜee^ 


P 


-*: 


^ 


-9 


auf  sein      Wort, und    ich       hof  -     fe auf    sein      Wort. 


55 


J. 


C.  Anticipatione  della  syllaba 


ig  *r  r  |T'  p 


ffi 


i 


C\ 


£ 


ja: 


Pa-  ra-tum  cor 


liie-uin       De   - 


1  Pa-ra-tum  coj 


§=3^ 


US. 


Psal-  lam,psal-lam  De  -  o    me  -    o. 


#ür 


i  nr  rpf  r^ 


3T 


Pa-ra-tum  cor  ine -um   De      -     us.     Psal-lam, psal-lam   De-o       me-o. 


)  ±  d.  Anticipatione  della  Nota. 


m 


m 


p 


^£ 


-o 


Lass   mei  -  ne 


See  -   le,      mei  -   ne 


See  -  le  le   -     ben. 


jM  p    LT 


ö 


5 


^ 


^ 


-e»- 


Lass     mei  -  ne        See  -  le,     mei  -   ne        See  -  le  le  -     ben 


tL 


% 


6.  Cercar  della  Nota. 


n\ 


etc. 


52     SS    5 


SPF1^ 


i 


E 


£ 


#=i 


Lau  - 


da  -  bo    no-men   tu     -      um. 


Ex  -    ul-ta  -  te    De  -   o. 


1  La 


§g 


Ex-  ul  -  xa-te       De  -    o. 


m 


<"rm 0 & 


-e- 


Lau    -     da-bo       no-men  tu     -      um. 

I.  Die  deutsche  Praxis. 

Reinhard  Keiser. 
Ja1.}  &.  Adonis. 

iL 


<Hrf   I   ff   1     E 


P^tggQ 


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der  in  euch    ge- 


wohnt    zu        scher  - 


r   ?r  ? 


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**- 


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1»-- 


s* 


Violini  senza  Bass. 

|  §  J     j  S 


i 


3 


später 


56 


r  r  r  r  r  i  r  rt 


scher  - 


tzen 


P  |    i    j    J^^ 


J>    v     * 


w* 


£££££ 


m  jo  y  j»  i  i »  j  j^  s 


b.  CrÖSUS.  Dreiteilige  Arie,  I.Teil  l|,  II.  Teil  |  nur  auf  die  Worte:  „Soll  ich 
Schmertzen  oder  Freude  haben." 
Vivace. 

Violine  u. Viola. 


J. 


i 


U-3-< 


*=*: 


J- 


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B  i   -^J^A 


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soll  ich  Schmertzen  o-der 


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57 


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Freu- 


P  0m0 


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FffR? 


*  •   4   4 


* * 


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de 


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ggf 


V        V 


'S 


to 


PS 


m 


* 


I.  Teil  D.C. 


r  E  r  c  g 


7=*=* 


i 


^ 


'P  F  M 


p-fr-*-r3r* 


Bgi 


ȴ 


ha-ben? 


Soll  ich  Schmertzen,Schmertzen  o  -  der  Freu- de 


ha-ben. 


58 


J 


C.  Adonis. 


*  ihr 


^W^ 


tjLfrlmüil'illüU- 


g  p   p  |H  |  i 

chen  vol-ler  Tü-cke. 


^ 


£ 


f 


£ 


'S 


d.  Masaniello.(^'^  hoher  Geist  gleicht  der  Raqttete) 


e.  Octavia. 


jl^trfe 


p*r  cm 


» 


Hin -weg,    hin  - 


Ausgesetztes  Streichquartett. 


weg       du    dor- 


nen-schwan-gre 


59 


)  *      f.  „Janus." 


Agrippina 


m  \  yt*y  g  äjm 


i  §  j--=s^^ 


0    Himmel  hörst  du 


dies,  und  rächst 


mich 


fes 


-o- 


"6t" 
4 
2 


P 


i 


<ll 


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r    r 


nicht  mit     Blitz  und      Don     ner  -  kei  -  len 


m 


f 


\ 


0 # 


g.„  Diana." 

Flöten,  Violinen,  Viola,  Oboe. 


m 


33* 


*^54* 


.*f  *gf  gl       g  ^)p»  ■  jt3B  #  -41 


faEgS* 


fP  r r r r r r rf=FF 


P 


Aurilla. 


^-fl^frT 


I 


Violoncelli  senza  Cembalo . 
dolci 


Ne    mor-mo-ra    re 


es 


^ 


'S 


4 


i 


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gP&J-Q.  J3J 


psp 


ne   mor-mo  ra  re 


dl  lu  -  cid'   on  -  de 


di  lu-  cid'  au-re 


*mk 


60 

ll.  Ulisse. 
Allegro, 
J h        Obne  Angabe  der  Instrumente. 


5=§ 


m 


I 


ir      ir 


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TJ  -   si  -  gnuol 


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g  I  i  s  |    |  J  #ft  J  ==^ 


F-f-f-f-* 


■> 


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Später. 


i-*i-  <M-   i-^J-  i-^-    ^^ — ^TID  JfsFhS 


ftrtyfTrfffi 


ff  IT  *  f 


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r-t-rr  r-f-d 


w  w  w  fej 


&  aj  (£  (a 


■3      g-       e-      ■ 


«'      »'  ~  je  ~~m 


m 


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m 


e      con     tre  -  mo   - 


li       la  -  men  -  ti 


vi 


bra         ra     -     rio  a 


gEp  j   ffpJVlFtefs 


VJf^Tf^: 


\  j  r    n  lliii 


*h 


,-  >   v  - 


(Echo.) 


|mQt?  >r  i  cfer  tffllf  :cffi 


>VV  /W    \+    ++ 


rctffrr 


^^ 


N 


l'au   -     reilcan- 


■  '    f  ■    ■    I m     r f  .    ..  I 0 


B    g 


61 


|f 


\j>in  ii»J33  4^5  jjBjjjAJ, 


f  ff  rfr  r  ptte 


g-r  rr  ffrr 


$^ 


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^ 


I 


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fr 


s 


to. 


*?r  j>>  g r gJi-^J  prp 


y^  ■•      H 


s 


's 


1.  „Ulisse." 
Vivace. 
Ja     i  Oboi,Violini. 


.  »DPI,  VlUlim.         M.  -|».  m ,  i  i 


p 


i 


£ 


&=£ 


^2E 


^ 


££ 


lieh  wie  -  der 


^ 


Abwesenheit        mir  end- 


schen  -  ket 


?^TF 


jc£ 


i»    y*  ^    Mg 


#- 


'S 

a.  Ausgeschriebene  Kadenzen  der  Arie  „Lontan  da  tuoi  bei  rai.    eines  unbekann- 
.  ten  Komponisten  zu  Keisers  Oper:  „Diana  oder  der  rächende  Cupido." 


P^Ü 


W^fc 


P 


-Lau  ■iIhumI 


0 


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3 


t=U 


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PH 


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ä=i 


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^ 


f 


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# 


*■■» 


il  cor,   so 


spi  -    re  -    ra     il 


cor,       so  -  spi  -   re- 


ra,    so  -  spi-re- 


y  M  ii  g 


I 


i 


P 


m 


E 


£ 


(1) 


^ 


1 1  Jgüüccrf'irrgrtrrg 


p^ 


ÜHü 


2 


p 


331 


ra 
spi 


re  -  ra. 


'S 


W 


^ 


3t 


62 


j        u- 


b.  Kadenz  am  Schluss  des  IL  Teiles  in  E-moll. 


¥ 


1 


^m 


fe    - 


I 


1 


^* 


$ 


1 


SP 


ö 


del  te 


se    -      gui 


ro,  fe 


oeI 


del  te 


i 


* 


f 


I 


■  5    ■ 


fe 


I 


se- 


? 


se  -  gui 


rb,     te 


gui  -    ro. 


3REH!P 


5 


PE 


3. 


a.  Triller  mit  Nachschlag.  »  Janus." 


^«iiJ1  J>>JU  JJflJZfl 


BSE 


riso-nar-mi        n  -  so  -  nar 


k»:t>«  r  r  hr  r 


[j£frrir 


& 


i 


b.  Gehauchte  Vocalisation,tonmalend.  „Ulisse." 
Flauti. 


&m  i  j 


*=«=# 


i 


JB 


Violinen  u.  Viola. 


1 


%=*=% 


<=i  =<=«=# 


ö 


^ 


r=r=f 


^^ 


w—t 


i 


Ihr     sanf 


ten 


Win    -      de. 


Sg 


'S 


3" 


63 


K.  Die  deutschen  Theoretiker  nach  Tosi. 
1.  Die  Fälle, in  denen  der  Vorschlag  kurz  auszuführen  ist. 
a.  Agricola. 


LU  LU 


nicht. 


* 


h.  Agricola. 


m 


-Ufl.i    r  |(Lf    J  JIJ  ^ 


-S»-1 


0a!lj  -piVr^ 


i 


f        8 


P  i  r  r  r 


) 


± 


nicht  auzuführen. 


g rr\"rrrn  f. r_r >  g r g  j g fffifq^i 


fei 


nicht. 


^ 


ia 


jij  |jy  iV  ^ 


p 


ne    -     men       cer  -    car       fra         se 


2.  Ausführung  des  langen,  veränderlichen  Vorschlags. 
a.  b. 


I 


i 


i 


^4^  «Jr  « r  r  '  r 


^liyg  |V   ;r^ 


Der  letzte  Takt  ist 
auszuführen. 


i 


gli  af  -   fet       ti  a   mo  -  de   - 


rar 


v  g  ii  r 


quest 


rar__ 


quest 


m 


i=i 


■ — y 


£ 


^ 


7,        d. 


m 


wird  gesungen. 


s 


r  'h"f  r  r  I 


r^LLQ 


in 


pa- 


^ 


5£f^ 


g f^» 


in 


1 


pa- 


r   r  r 


o 


^y£fi 


wird  gesungen. 
ir 


P 


£ 


5 


£ 


£ 


ca     - 


ra,     o 


ca    - 


£ 


ra 


£ 


ca     - 


ra,     o 


ca 


^ 


iÜ 


ra. 


£ 


64 
3. 


Ca  -  ro  mio  ben  si  vi  la-scio,        per-  do-na,  se    ou-bi-tai 


Aj   k 


I 


i 


^5 


■  I;  C 


Del 


mio       de  -    stin        ti 


ran  -  no        tut 


to 


^m 


•r    r    r  r 


s 


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C. 
Lento, 


1 


A 


4. 


tih+Hti 


-* 


a.  Doppelter  Nachschlag. 


UAMeg 

f  1/ — i rj 


3 


Lj*     CT 


f^  J  ^~^J^ 


B^ 


fei 


ro. 


auszuführen 


oder  mit  Mordent. 


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pa 


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Ausführung. 


oder. 


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rar. 


quest 


rar. 


quest 


m 


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w 


m=m 


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c.  Springender  Nachschlag. 
J  A        Lento. £.  auszuführen 


oder 


l-T— f 


kj  r  f 


# 


^^ 


■    ■ 


d.  Überwurf,  Nachschlag  von  oben. 


Rückfall,  von  unten. 


f.  besser. 


a   e-     r  nlcht  ansgqfflhren.  .    f.  besser.  ^ 


6- 


besser  mit  springender  Note,  lembardisch. 


besser  mit  springender  Note,  lembardis 


f 


e        quell'     af 


fet      to 


e     quell'    al 


fet       to 


65 


h~rjii'Mr.Mi;ip,M/ir' 


r 

b.  Punktiert. 


oder 


wm 


b  .J5U  ^ 


f 


zBr 


6.   a.  Schleifer  von  zwei  Noten 
unpunktiert. 


b.  Punktierter  Schleifer. 


&u 


m 


c. 

Lento. 


auszuführen.      d.  oder. 


s 


SP 


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^F 


ah,     per     chi  mai     vi     - 


vrb? 


mal 


mai 


vi  - 


mm 


3S 


auszuführen,      g.  oder. 


io  non  deg-gio 

auszuführen. 


päm 


* 


10        sonop- 


gg 


pres-sa 


Ö 


son  op- 


pppp 


son  op 


w 


rrr   r    i 


v 


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io         non  deg-gio 


ipPÜ 


auszuführen 

3C 


oder. 


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s 


5 


p 


fa 


ci  le  il   dire 


ms 


JL>*pr  pi-f 


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i 


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33 


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l. 


auszuführen. 


Lento. 


% 


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g^rr^ 


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* 


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fa-  ci-le  il di-n 


E 


fa    -    ci-le  il 


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tut   -     ti  i  ma  -  li 


&m 


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f 


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■   ■ 


f 


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m 


k.   Anschlag. 


S 


Schleifer. 


i^ 


£g=± 


$ 


W 


l)  Nach  Hiller  ergänzt. 


w 


66 
J 


1. 


gran 


ffi-L-l.    iJ^gji 


^ 


^j 


m. 


i 


ip 


«biai 


ge  -  ni 


-     tor 


schwankt  mein 


Le  -  ben    zwischen  Angst 


Pfe 


zm 


s 


P 


82 


*■»■  •■■(  «■ 


7.       a.  Grosser  Triller. 
ir  


k 


u 


L.Mozart. 
ir 


rrr'rrrr" 


^^^ 


p 


Ph.E.Bach. 


auszuführen. 


auch,  auszuführen.  Zeichen  auch. 


HE 


XC 


m^Fffi^m^fs 


ö' ö  ■ 


b. 


und 


i  JJWJJJJJj 


r   Irrrrrrrg 


d. 


8 


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22: 


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22 


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f. 


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m 


g.  Pralltriller,  Mezzotrillo. 


r  '  f  r  r 

h.  Hiller. 


m 


m  tu 


m 


1. 


auszuführen. 


k.  Kettentriller. 
J ir  &•  ir   ir 


ir  ir   ir   *? 


i 


g-i  r  r  jTfm 


f 


m 


z 


m. 


J     ,   J 


prrrrrrrrr»rTf^^ 


r 


67 


I 


o. 


Agricola. 


OW 


Hiller. 


rj     e 


Mlf-P- 


■p— gJE 


f«T# 


s 


w       g 


auszuführen 


Q  .Mordent.  Agricola.    P.  Agricola 


q .  Mordent.Agrtcc 


*. 


p^ 


££ 


i 


i 


Bach. 


auch. 


t. 


1 


I 


U. 

I  *        t 


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1 


*d+d*d* 


0-m*hmMl-~+ 


SIC. 


V.  W.  Bach.  X.  Petri.S( 


X.  Petri. Schneller. 


rrrTf 


8. 


a. 


g       geschwind,  gemässigt,     langsam. 


b.  Ausgeschriebener  Doppelschlag 


C.  Der  prallende  u.  Der  Doppelschlag  zur  Verbindung, 

g  Doppelschlag. 


„      <<  DogjelgeMag.  .  ^--^  ^-=»  ZCT^.     . 

|  j  jJPpj»  i  r  nrr  r  ir  %  r  iiim^ffi^ 


f.  Geschnellter  Doppel  schlag 


8  «    . 


g.  Prallender  Doppelschlag  mit  einen  Vorschlag. 


f^pjyilrrr^^ll^ 


auszuführen. 


r  r  r  t 


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J|h» 


g?  ii  l^1 


»=f?a 


fu  gia  fin  -  or        per      no  -  i         nor 


auiüfliEfr 


fugiafin-or  per     no  -  i 


68 


S  SS       * 

\>    g »  *  * 


m. 


n.     i) 


Uli    _*•     8  88    mfr         V«i_L 


i  rTj-ipriHLr^i^rirfri^H^rM  1 1  BT1 


Sen-za  Pa  -    ma  -  bi  -  le 


0*       * 

Lento.  iL 


») 


a-rrj  i  j^jbi^  isgjj  7 


g       gab*ga 


£ 


q- 


oh      Di-o  oh     Di    -      o 


oh       Di-o 


oh        Di 


L.  Hiller,  Joh.  Adam:  Sechs  italienische  Arien  verschiedener  Componisten 
mit  der  Art  sie  zu  singen  und  zu  verändern.  Leipzig.  1778. 

a.  Aria  nell'opera  Lucio  Vero  di  Sacchini. 
J  +  h  u  Andante.  .-^  ^ ^"^v.  n  \ 


zo  -    se,     vez       -  zo  -    so  e  a 

Jt-  — ^ a   i  -  


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Lu  -     ci      voz    - 


zo  -    so 


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vez    - 


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(6) 


(6) 


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ma    -      te 


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P^e 


re-ne  o-mai  spien  -    de  -  te, 


W^nrj     \ 


se 


re-ne  o-mai         spien    - 


^^ 


P^j 


?  ~  (i 


14        -)  w  (!        =) 

t)Die  Stelle  stammt  aus  Hasses  rAfilod1Amore,und  gibt  nicht  das  Zeichen  S,sondern  ir.  Hiller  interpretirt  sie  als 
Doppelschläge.-    2)  D\e  Rhythmisirung  im  Original  ist  offenbar  irrig,  und  hier  nach  K  8  c. berichtigt. 


69 


J 


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E3E3ES3     ^~" 


de    -     te,         o 


quel-la        ini  ren 


de    -      te,         o 


m  r   4 


de-te       pa 


ce  gia  toi    -      ta  al 


Ü  p^r  -^ 


i 


quel-la  mi  ren-  de-te       pa 


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lu-ci  vez- 


i 


B  r*rrrf ff   r 


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zo  -    se      se-  re     -       ne  spien  -de-te  o 


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lu-ci  vez- 


zo  -    se       se-  re-ne       spien 


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P^ 


de    -     ie  o 


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quel  -  la    mi     ren 


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de       -        te 


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quel  -  la   mi     ren 


pa  -  ce  gia  toi      ta  al 


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de  -    te 


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tol      -       ta  al 


cor,  pa  -  ce     gia 


tol 


ta  al 


cor. 


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^j*~~Cr^ 


£ 


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t.  p. 


p  f 


u.  Aria  nell'  opera  „Solimano"  di  Hasse.  Zweiter  Teil  des  Hauptsatzes. 


*^t=» 


rf-f^y 


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Or     di     con 


-  ten     -       to  in 


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Or      di    con 


ten      -       to  in 


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j  J    J\     £ 


w 


gri 


me. 


gS^ 


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£ 


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2^ 


71 


C.  Aria  nelP  opera  Leucippo  di  Hasse. 
Andantt 


j  Andante^— -^ 


JEz?e 


|      frf  Ci£f 


J  JT333|*>  jji 


P 


** 


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vi     -      vi,        a 


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J.     J5J 


f 


Per 


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vi     .      vi,         a 


ma 


to 


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m       m 


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f 


£p 


Ü^^Hlp 


jjBtftrLff-' 


etc. 


ffi^ 


S 


£ 


a 


be  -   ne,     a  -   ma 


to 


be    ~     ne. 


i 


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hp 


s 


be  -    ne, 


a 


ma 


to 


SU 


be     -      ne. 


W^£ 


£ 


M.  Veränderungen  im  Becitativ. 

LAgriCOla.  auszuführen.  »» 


enona-mo-re  e  non  a-mo-re  auf   dasswir  Friö-den hätten 


auszuführen. 


4)'.,,  P 


S 


^t^^^gz^ 


£ 


E 


Telemann. 


auf  dasswir  Frie-den  hät-ten 
auszuführen. 


|   |    |    p     (y-Ji    Ji    >     ||   J>  J»    p    p    p     |   ^1 


2.  Agricola. 


auszuführen.  Telemann. 


e  « J  I  fr  |   f  |  p   Mi  j  jj  ^ 


s 


I^P 


Cam- 


bi-a-toan-cor  sa-ra 


sa-ra 


auszuführen. 


g  i « t 


@ 


i 


PpP 


3.Hiller. 


i 


* 


s^i 


4.  Agricola. l) 

/TN 


^g^B 


E 


i  g  j 


m 


To 


des-schre-cken 


rin  -    get 


e  -  tar 


do 


gJHg  vT  v  |  v    fy-* 


1)  Aue  Hasse's  „La  Conversione  di  Sant  Agostino"  vgl.  Denkmäler  der  Tonkunst  Bd.  XX.  S.  12 


72 
5. 


S 

/TN  «fr 


tar       -         do  e 


rt\ 


s 


F=^ 


£ 


e         tar 


tar 


do 


6.       Hasse,  von  Hiller  ergänzt. 


^ 


T~? g 


£^£ 


£ 


com  -  pi 
Ausführung. 


Po 


pra      piu 


gran   -    de 


A  Ausiimrung. ^ , 

f^"^  p  ifj7r~rlrr^rjf 

com-  pi  l'o     - 


1 


£ 


^ 


EM 


pra 


piu 


gran    -    de 


m 


^ 

7.    Hasse  „La  Conversione  di  Sant'  Agostinoj'  von  Agrieola  ergänzt. 


f-*- ?  i  S|  p  1 1  (hp^S 


*ii'  aju  i 


per  me    si    fa  dol  -  cez-za  o     - 


5E?I 


gni  tor  -men-to 


% 


S 


(b 


8.  Agrieola. 


i 


£A 


9.Agricola. 


c/ 


15 


H1^  M  TM 


I 


fcÖEEIES 


« 


P 


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aun    pun-to 


b*    ff 


sol 


sol 


trop-poa  il    cor  av  -  vol-to 


JZ 


BE 


av   - 


vol-to 


5c 


fi* 


&- 


* 


10.  Agrieola. 


fe=^=f^^ 


P 


^# 


P^£ 


ogn'      al  -  ma      in-a-mo 


ra    -  ta 


mo 


ra   -    ta 


11.     Agrieola. 


P^E 


£ 


fTfU 


^P 


£ 


"a  ■  • 


Que  -  sta,  che  mi-ri,o  Ni-ce, 


cam-p  a-gnea-fflene 


5S 


:£ 


Ni 


-©- 


ce 


me     -       ne 


•> 


73 


12.  Agricola. 


£ 


I  g   1  ^Jr      1 


mio  ben, 


11110 


ben. 


13. 


Telemann. 


püp 


JJV.M 


a  i  ;■  i 


P   M    P 

narf  wie  vor  -  ma 


f. 


t 

Mo 


I 


Be-glück-te 
Veränderungen: 


Stunden,    da  Mo-sis 


uns  nicht  mehr  so  scharf  wie  vor  -  mals 


Ö 


Ö 


dräut,  ^a  se-  gens-vol  -  le 


mm 


Heil     siel 


Zeit,  da   un-ser  Heil     sich     ein  -  ge  - 


^& 


2T 


-ۧ 


*F 


j    j^JÜl   |    ^^p 


'HM  r  ^^  ^ 


fun-den,     zu  die-sem  hal-te  dich    mit 


wah-rer  Zu-ver-  sieht       und  lass   dir 


gmm 


m      m 


£ 


p 


£ 


sol  -  che         nicht        bis 


äs=l£ 


fF=5 


g 


£n 


cht        bis        an        dein  En  -   de 


rau    -     ben. 


m 


£ 


74 


ALI.  Hiller.  Tonleiter  Variationen  für  die  freie  Sänger  Kadenz. 


** 


efo.  4. 


^j^  ||  j  r  g  gg  jth  ^r-tf 


-ih  i    ^"^"3 


ClcJPLCJÜB 


|  E  J_J  J^  ^^, 


^£^=^ 


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Absteigend 


fe  >CJTJ7T3 


1. 


E 


eÄ?.2. 


#^ 


IS 


£  .       <?  efc.  3. 


efo 


§ 


£P 


2.       Kadenz  mit  einem  Arpeggio  in  der  Dominante. 


frr  ^^tfB^r^^^jjjr^i  J'J  i  J  i 


3.    Kadenz  in  der  Harmonie  der  Quint.  (dominantisch) 


g  ^[ttTdfflEffCttfr  rTr  1  jg-FEf 


i 


SB     M. 


^ 


=€=g= 


A        4   3 

4.        Kadenzen  mit  dem  „harmonischen  Dreyklang." 


6. 


75 


* 


l7\ 


42- 


#"L 


r  1  fflr  JH  JHI  j  J  J  r  r  J»r  f '  gjpg  "cggpa 


^9 


7.        Ausweichung  in  eine  fernere  Tonart. 


| tf  jjSyp^ggiigilf  fii  [g^afe^ 


8. 


Kadenzen  mit  weiten  Sprüngen,  a.  abwärts 
/7\  _  ^♦■^T\  /?s 


f^  r-cxrrnrr 


^ 


g^£ 


i 


efc. 


b.  aufwärts 


■77 


-«• Vr& 


72 


P 


f» 


5 


£ 


1 


fe^ 


efc. 


9.  Kadenzen  aus  Hillers  „Sechs  italiänische  Arieni* 

a.  Kadenz  am  Schluss  des  Hauptsatzes  der  Arie  aus  „Lucio  Vero"  des  Sacchini. 


pj  rra 


5   g  gtyccgjig 


r[tf  &";#  '^ttP; 


I 


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ta  al 


cor 


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IBE 


b.  Kadenzen  der  Arie  aus  „Fetonte"  des  Graun. 


(3«) 


p\hr\\"  r|?rfr  frfrrM- 


nel  se-  noa-man 


^m  nfrfr.rtjtEr)  Ü  tfr  l 


nel  se  -  no  a-man 


SP 


MC 


3 


> 


o- 


4 


76 


C.  Kadenz  zu  einer  eigenen  Arie.  Lento. 


n\ 


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■     ■ 


ö 


^H      U»  S 


gg 


da      que-stoa   - 


man  — 

CS 


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w. 


£ 


i  frr  iw  ar  cflP'iftlF 


da     que-stoa   - 


ypmir  er  §  j 


0- 


man  _  _ 


XL. 


O.  Verzierungen,  den  Triller  der  Kadenz  ersetzend,  Agricola. 


i 


p^^4Fpp  i  icrrr  l  ir=r  r  S  imraBTri 


L       Fermaten. 


i$ 


<c\ 


3. 


^Htf^ 


f-T^T^1^ 


zm 


ca  -  ro    ben 


0 


ca  -   ra 


ca  -  ro 


SS 


m 


m 


0  0 


721 


£21 


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£ 


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7        6 


6 

4 


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fr 
ir 


& 


Ausführung. 
ir 


jgfegg 


Adagio. 
5. 


S 


£ 


£ 


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0 


ca  -    ro 


ca 


ro 


Par  -  to 


gjj 


££ 


J2E 


TT       SG 


£ 


f 


> 


C 


Ausführung. 


Pur 


77 


6.         Hiller,  Fermaten. 


9,         Hiller.  Uebergangskadenz. 


±r 


¥ 


s 


1 


I 


sor 


spir. 


Ter  -  giil 


pian   -     to 


S 


3E 


W.      Haler. 


Ausschmückung 


$ 


k 


üi 


5b 


<o 


Uebergangskadenz 


^ 


^TfrrrtiJPg 


il 


W= =f 


inio 


tZPE 


lan 


^ 


¥ 


guir 


C 


Ter- giil 


78 


Original. 


Verzierte 
Stimme. 


a.  Judas  Maccabäus. 

1.  Pious  orgies.C  Fromme  Andacht.) 


^--fT-F 


3E3E 


Pi  -  ous     or    -    gies, 

00. 


i  j)  j»  rnyt 


s 


^ 


£E 


pi  -  ous    airs. 


v 


M-^jf^ 


> 


i 


|     S    »-p-^io 


O 


s 


i^p 


* 


rjr  |  J<  pjTJ^ 


F 


de    -     eent  sor-row 


de-eentpray'rs 


* 


m 


^p^^i^fgl 


i 


x 


will  to  theLord  as-cend,and 


J^]^e£ 


Ja     m     10 


^^#^i^^ 


p^PfT^"^ 


-   TU? 


^ 


move  his     pi  -  ty,        his    pi  -  ty 


and   re-gain  his  love. 


Pi - ous 


* 


co        \ir 


^ 


& 


^m-^ 


m 


15 


EE^ 


S 


Ö 


* 


or-giespi-ous  airs,  de-cent 


sorrow,  de  -  eent 


sor-row,  de  -   cent  pray'rs 


F^jfp^ 


g  J*  j  >  cF[piiTfrgffi 


£ 


de  -  eent 


NnM^*^ 


yfnrjr^g^ 


5EJ 


PPf 


will  to  the 


Lord  aseend,and  move  his  pi-ty, 


his  pi  -  ty,  and  re  -  gain    his 


SE 


PP? 


J^  J^JrW? 


B  p^JT^g 


i 


* 


^-^=3^ 


20 


love.    Pi  -     ous         or  -    gies, 


ipi^iFg^^ö 


e^N^^^F 


pi  -    ous     airs,        de  -   cent 

v 


**= 


^zf^-f^f 


79 


^ 


i 


P^^S 


y^R 


sor  -  row,  de  -    Cent  pray'rs, 


will       to     thf    Lord     as-cend,      and 


^^^^g^H^-^^^^^r^l 


7ät^f=^r^ 


UdJ—l 


i 


üö 


25 


^^ 


move      his    pi  -  ty,       bis 


*=* 


^ 


pi  -  ty     and      re  -  gain        his 


love. 


^— r— --f-y       ggr-faj 


§^^^^^^^^ 


^^ 


V 


re  -  gain 


2.  Come,  ever  smiling.  (Komm, süsse  Freiheit.) 
^  ^  JLJt  Andante. 


H^ee 


^l^Ü 


£iziz± 


#J       ^ 


:*£ 


Come,         ev   -    er 


£ 


smi    -     ling      li     -     her  -    ty, 


lEE^JT-jr 


ö 


y 
j 


U 


Mm^m^m 


s^pp 


^       1     *•*- 


6 


£ 


4» 


and  with  thee    bring  thy 


jo    -     cund    train, 


come       ev  -  er 


ttüp 


feg 


J£ 


3e 


£ 


F 


33: 


Jat 


j)  A    it  I 


b  j>  rj  J^ 


^ 


e 


smi  -  ling    li  -  her  -  ty, 


and  with  thee    bring  thy 


ft-ftfintt 


jo    -      eund  train, 


* 


^P 


N 
^ 


jo     -     cund  train 


ph-^u^- 


E 


I  j  j^  |  ^n 


er^TF 


AI 


come  ev-er   smi  -  ling, 
fr 


V 


g  i  |g 


smi  -  ling      li  -  ber-ty, 


and  with  thee  bring  thy 


=*=&=& 


k 


m 


80 


m 


i 


£ 


A 


*# 


jo  -   cund    traut, 


P 


£ 


gl  ^  a^b 


and  with  thee    bring    thy 


jQ  J^  J>-^^ 


»        ^        a 

jo  -    cund     train, 

3 


SP 


«I 


3^5 


P^ 


^titt  -Ty=M-^^ 


*& 


thy     jo-cund  train, 


thy     jo-cund  train, rings 


with  thee  bring    thy 

iL 


r  p-rga 


V 


bring  thy 


& 


Jl 


S 


1 


J= 


SE 


^s 


erf-p-cr 


*a* 


jo  -  cund  train. 


Conie,     ev  -  er 


smi-ling     li  -  ber  -  ty, 


mmm 


ä 


m 


^ 


£^f-h^^ 


V 


-/, 


ev  er 


*£ 


^P 


i 


BER1? 


mm 


CfTT? 


come  ev-  er 


m^i 


sniiling    li  -  ber-ty, 

CO  k  i 


and  with  thee  bring  thy 

.£ L 


jo-cund  train,  thy 
VL 


1 


w 


wmm 


$ 


*t 


ff?f 


J^r.     .  J^    !=E 


M^-4MA 


* 


jo-cund,  jo 


cund  train, 


and  with  thee  bring  thy 


fc£ 


1 


k<£ 


ese. 


CSD 


jo  -  cund     train  thy 


■  Vfjif 


f 


£ 


eund train  thy 


m 


E  I    I     ■ 


£=* 


jo-  cund  train 


3Ss* 


BT^^ 


1  Cj^^Tp 


and  with  thee  bring   thy 
forte* 


jo     -      cund  train 


E=e^-LUft 


SS 


jo-  cund  train. 
f7\  ir 


m 


t 


3tü 


3: 


3e: 


i)Die  Vorlage  wiederholt  die  letzten  vier  Takte 


81 


J 


£M    |W^ 


For 


m 


pp^ 


thee    we    pand,    and 


r   e  r 

sigh    for  thee, 


?=■?=£ 


P 


we 
P 


i  1*1*1 


mm 


*^rr 


t- 


i 


u 


^m 


i 


r  E  r  *- 


EE*3 


*P^PP^ 


«s* 


pant  for     thee, 

cc 


m 


*. 


i) 


we 


pant  for  thee 


with 
P 


whoin  e  -  ter-nal 


EE 


?=£*? 


w^f 


for    thee 


P* 


£ 


ff  E     S 


J£ 


l   f    5  1"^^^ 


I 


pleasures  reign,  for 


thee  we  pant, 


we 


sigh  for  thee, 


with 


Püüpl 


t  w^Ti 


^ 

> 


» 


fcft 


3EÜ=i 


'      g      |      1    g      *     jj 


Z3 


whom       e   -    ter  -    nal 


iH  r  l|p 


plea    -      sures 


reign, 


eee* 


Come      ev  -  er 
P 


:E3EEE 


P 


M  j  i  i  1 1 


i>j>  > rj ^ 


^^ 


ä 


smi  -  ling  li  -  her-  ty, 


4 1  lt  Jl  i  Jl  Jl 


and  with  thee  bring  thy 

-j> 


jo  -    cund  train, 

cc 


** 


Wh* 


S 


2 


^ 
> 


jo   -     cund  train, 


j^r  g  u^ic^ 


^ 


E=^^ 


P 


come,     ev  -   er 


I 


¥ 


smi  -  ling    li  -    ber-ty, 


m 


s 


C/  P  ^   £T j> 


come        ev  -   er 

1 


E^^PÜ 


^  come,     ev     -        er 

l)  Dieter  und  der  nkchtte  Takt  fehlen  In  der  Handschrift 


ev 


er 


83 


m  ur  i  i   P^ 


*l 


snii    -     ling       li    -     ber   -   ty, 

OD 


^ 


^ 


i  g    ± 


I 


and      with      thee     bring        thy 


F^^m 


y 


smi     -     ling    li 


ber   -   ty, 


m^^$ 


pT~gflfT 


? 


« 


jo  -  cund  train,  thy 


jo-cund     jo 


cund   train, 


cc 


t 


^ 


5 


'S 


ün 


^ 


^ 


£ 


i 


M 


and    with     thee  bring      thy 
Mdagio  K 


jo 


cund 


train. 


tr 


£ 


EE5E 


!? 


fe 


I 


£ 


and    with    thee    bring     thy 


jo 


cund  train. 


2.  Für  den  vorletzten  Takt  ist  noch  eine  zweite  Variante  notiert: 
Adagio. 

m— * *■ 


S 


CO 


^=E 


I 


^ 


and 


with 


thee 


bring 


thy 


b   Samson.  Thus  when  the  sun.  (So,  wenn  dieSonn/.) 
Ja     ,     Takt  II. 


^ 


in-fer  -  nal    jail       each 


fet  -    ter'd     ghost    slips 


nal  jail 


•ty  U   [^ 


to       his      sev'  -  ral 


Hr-f— In 


ati 


83 


J 


Takt  34. 


Takt  46. 


i 


^m 


s 


Takt  49. 
Adagio. 


£ 


i=W 


f 


£ 


£ 


222; 


9 

er 


sev  -  ral  grave 


to     his  sev -ral 


m 


^m 


slips    to     his 


sev'-  ral 
ir 


grave. 


£es 


»=5F 


m 


3 


f 


zz 


-»- 


slips    to     his  sev'-  ral     grave. 


I 


Ausführung  des  Taktes  49. 


i 


ö 


I 


pi 


^^ 


slips    to 

c  Radamisto. 

Oinbra  cara,  Arie  des  Radamisto.  (  P.  S.43  ff.). 
j  +        Largo,  ma  non  troppo.  20 


sev 


.i 


ral        grave. 


% 


gfFpHF 


S 


ö 


9* 


zz 


* 


Oin 


bra 


^ 


ea  -    ra, 


Olli 


bra 


*W=w 


%=p 


^m 


■  BJ  a 


*< 

^ 


i 


25 


* 


g^g=f 


£ 


Pf 


i 


^S 


3EE 


ca  -  ra 


di  mia 


spo  -  sa, 


deh      ri 


po  -  sa, 


P*f%t 


4  ■  « 


£* 


^ 


I 


spo  -     sa, 


^    |        30 

P  i  i  i 


p^=fe 


s=  p  a  r 


& 


deh,     ri  - 


po  -  sa,e  lie  -  ta  a- 


spet  -  ta       la 


ven    - 


det  -  ta, 


rv^ 


mm 


35 


r  J>  j  > 


n=r 


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g — ä 


la 


ven    - 


^g 


det  -  ta    che    fa  - 
ir 


ro,   om -bra 


ea 


ra 


p#H 


i 


^ 


?23: 


pc 


fc^ZJ 


1=4 


la 


ven    -     det -ta    che    fa  -  rb,  oui-bra        ca     -      ra 


84 

J  40 


t^rry 


om  -  bra 


p  i    1   | 


^^ 


ca  -  ra   di     mi  a 


Pf^P 


Pf 


# 


^ 


I 


spo  -  sa,  deh      ri    -    po  -  sa,  e  lie  -  ta  a- 


m 


i^ 


45 


E 


g  ^  j,  h 


3=* 


f 


spet  -  ta      la       ven 

cc 


det  -  ta, 


deh      ri  - 


po-  sa       lie  -  ta  a- 


ih  m  m 


*^p 


p  i  m  i 


m& 


m 


V 


lie 


^  B^^^^^^p 


Jq^=? 


spet-ta      la      ven-  det  -  ta,     la      ven  -    det 


^f^^f^gipif 


ta   che       fa- 
ce    ir 


mm  h 


gaagf     ii 


m 


det  -  ta,     la 
55 


U-Ü-£=4 


H>  j,^  |;tT^^ 


» 


£ 


rb,deh  ri  - 


po   - 


sa 


deh   ri  - 


^^ 


* 


po-sa     lie  -  taa-  spet-ta     la     ven- 

cc,  .   S      cc 


Q=3 


1 


tea=l 


*m 


$m 


p-=re 


lie- 


i 


BEEE^^ 


¥^m 


#=F# 


60 


^ 


3ZI 


det  -  ta 


la    ven  - 


£ 


det  -  ta      che  fa 

ir.  ir 


-    ro. 


Fine. 


&$  Wm 


es 


s 


V 

^ 


22 


i 


^m 


p=S> 


f 


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PP 


f  FM 


p 


£     poi 


to  -   sto  o-ve    tu 


sta 
ir 


-    l 


£3 


mi    ve- 

cc 

m 


drai     ve-ni  -  re  a 


85 


J 


m 


i     ff 


PSÜ 


vo  -     lo,    e       fe    - 

cc 


i 


del 


^ 


wm 


ß    m    ß 


t'ab    brac      cie 


B     Hf 


<P^P£ 


Ei3 


FTT^T 


3P 


Ja 


10 


Ö 


"^"^Ff 


Se 


■ — ~w 


U=*±=? 


f 


rb,    e        fe 
ir 


del 


t7ab  -  brac  -  cie  - 


ro,     e       poi 


BE 


v=M 


zz: 


^ 


# 


I 


Bg=±^ 


fcr|  g    r'1^ 


^ 


H3E 


£ 


E 


tö  -  sto   o-ve        tu 

CO 


sta         i        uii      ve   - 


drai       ve  -    ni  -    re    a 


S 


P 


jfe£ 


N 

> 


• 


D 


20 


vo  -  lo       e     fe  - 


i 


k$fc, 


^W'Jy   .zpfe^ 


»-=- 


del 


üHI 


CO 


"• — a 


t'ab  -   brac  -  cie 
tr 


m 


~zl 


-    ro. 


iz 7. 


d    Siroe.  Akt  II.  Arie  des  Emira. 
J*  ä  ii  Larghetto. 


Ü 


£3E 


öte 


£3E 


^Ü 


!*p£EEEg^f 


Non  vi  piac-que  in-giu  -  sti 


V 

> 


^*p? 


f 


£ 


53 


S 


F^f 


üSl 


De-i,      chio    na-sces-si     pa-sto- 


f 


^m  *  ff-  H 


f^f 


pi  ^^g  g^^ 


b  $<,  )f=& 


MM 


*» 


rel-la,        al-tra   pe-nanon    a  - 

CO 


HJUJn|l  P 


vre  -  i ,  che    la     cu  -  ra  d'un    a 

.co 


J»  J»  *  >  ii 


\)  Hier  sind  in  der  Handschrift  sechs  Takte  ,  eine  Wiederholung-  der  vorangegangenen  Phrase,  interpoliert. 


86 
Ja 


IfeS 


iHr  i  px-MP 


£ 


gnel-la,  che  l'ai'-fet-to      d'un     pa  - 


$*m^i^m 


stör,        al-tra    pe-na       non    a- 


vre-i,       che  la    cu  -    ra    d'un    a  -     gnel  -    la,  che  l'af-fet-to     d'un  pa- 


m=^u^si±_2i_+__j^j 


j 


stör, 


m 


pia  for 


d'un      pa-stor. 


V 


^BTSlTtTI^ 


3 


d'un      pa-stor. 


&Üm  .ü  J\P  ^^ 


p  g  l  n  p  ^^ 


Non  vi   piac-que    in-giu-sti 


Dei      in-giu-sti    De-i,       chio     na- 


14 


& 


tf=r^*pp&m 


y 


la,    al-tra  pe-na  or 


non  a- 


Sfe^^^^TOaJ^r  l 


^m 


ra  d'un    a 


cu  -  ra  d'un    ""^ 


T 


al-tra  pe-na  or 


non  a  -  vre-i 


87 


J> 


Üriü^p^p^p 


gnel  -  la,    che  la    cu  -    ra     (Tun    a     - 

K   S*       i  ..  CO  cc 


^^tp!pf^^^^^ 


WfTUT} 


gnel-la,  chel'af-fet-to       d'im  pa 
Kg      -Vjamh 


fet  -to       dun  pa 


stör   .>.  e  l'af-fet  -  to  dHin   ps 


^=M.  j  Spl 


stör,         al-tra     pe-na        non     a 


^^^fkm^m 


^ßE^Ek^fm 


ph-4-p^-f-^^m 


^=f-^^^m 


vre-i,      che  la    cu-ra    d*un  a 


tfr^tlT^ 


gnel  -  la         e  l'af-  fet-to  dhin  pa- 


m  mTß 


m 


gnel  -   la 


i  vre-i,      che  la    eu-ra    d'un  a 

4mu  w 


pi  r  g ;  ;  I J^ 


=fe 


P^i 


f#Mf 


stör    al-tra   pe-na    non       a  - 

-  Wa 


vre  -    1 

cc 


la      cu   -     ra  d*un   a  - 


p 


g 


ff  l  g  p  ftr  ^g 


^ 


gnel  -  la,  che  d'afi'e 


1 


5 


El 


gnel  -  la,  che  d'af  ietto 


dhm 


pa-stor. 


gnel-la,  che d'affet  -  to  dHin 


E 


i. 


IL 


m 


gnel-la,  che d'affet  -  to 

K  ~     ft  (>s) 


flfyig  j  p  g  tttrcfllpfifo^w 


pa  -  htor. 


£ 


gnel-la,  ehe  da  ff  et 


todun 


Ht 


Ö 


3 

?affet 


;5 


s? 


pa  - 
fr 


=*: 


$ 


ched'affetto 


d\m 


± 


stör. 


pa-stor. 


ÖS 


i 


? 


m 


W 


1>  Das  Zeichen  ist    hier  nicht  mit  Sicherheit  zu  bestimmen 


88  e  Alcina. 

1.  Ah,  mio  cor! 
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